Kritik an Zuger Regierung: Gemeinden wollen «schwarze Liste» abschaffen
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Wer auf der schwarzen Liste der Krankenkassen steht, der hat Pech gehabt. Nur noch Notfälle werden vom Arzt behandelt.
(Bild: Adobe Stock/ Montage wia)Die Zuger Gemeinden sind nicht glücklich über die «Schwarze Liste» der Krankenkassen. Die meisten sind skeptisch, einige wollen die Liste gar abschaffen. Währenddessen pocht die Zuger Regierung auf den Signaleffekt der Liste. SP-Mann Hubert Schuler wirft dieser jedoch Schönfärberei vor.
Zug ist einer der Kantone, welche die umstrittene «schwarze Liste» von Krankenkassen kennt. Das Prinzip ist einfach. Wer seine Prämien nicht bezahlt, kommt auf die «Liste säumiger Prämienzahlerinnen und Prämienzahler», kurz LSP oder eben «schwarze Liste». Steht man auf dieser, übernimmt die Krankenkasse nur noch Notfallbehandlungen. Nachdem Anfang dieses Jahres ein Todesfall aus dem Kanton Graubünden bekannt geworden war, welcher auf ebendiese schwarze Liste zurückzuführen war, hat auch die Zuger SP interveniert.
Mit einer Interpellation gelangte die Partei im März dieses Jahres an den Zuger Regierungsrat. Nun liegen die Antworten bereit. Und sie machen stutzig.
Die Exekutive hat etwa bei den elf Gemeinden nachgefragt, wie hoch der Aufwand jeder einzelnen Gemeinde im Bezug auf die LSP ist. Demnach beträgt der direkt zurechenbare Aufwand für alle Gemeinden zusammen rund 1000 Stunden und 125’000 Franken. Dabei handelt es sich nur um jene Zahlen, die direkt der schwarzen Liste zugeordnet werden können.
Gesundheitsdirektor Martin Pfister erklärt auf Anfrage: «Die Gemeinden haben die Möglichkeit, für Personen, die auf der LSP verzeichnet sind, das Gesuch auf Prämienverbilligung stellvertretend einzureichen.» Davon würden wiederum die Gemeinden profitieren, welche ja jeweils 85 Prozent der anfallenden Kosten übernehmen müssen.
Pfister sagt weiter: «Somit ist der Aufwand, welcher effektiv aus der LSP resultiert, nicht sehr gross. Finanziell neutralisieren sich diese Effekte für die Gemeinden etwa.»
Die Gemeinden sind mehr als nur skeptisch
Dennoch wird aus der Interpellationsantwort unmissverständlich klar: Viele Gemeinden sind «not amused» über diese schwarze Liste. «Die Gemeinden sind gegenüber der LSP mehrheitlich skeptisch, doch reicht das Spektrum der Einschätzungen von ‹abschaffen› über ‹minimer Erfolg› und ‹nicht optimal› bis hin zu ‹verhalten positiv› und ‹beibehalten›», heisst es darin.
Immer wieder betont die Exekutive, dass es sich bei der Liste insbesondere um eine Signalfunktion gehe. Gleichzeitig jedoch schreibt sie, dass in der Mehrzahl der Fälle das Druckmittel des möglichen Leistungsaufschubs seinen Zweck verfehle. Viele Schuldner würden gleichgültig reagieren.
Wie viel die schwarze Liste bringt, ist schwer zu messen
Auf Nachfrage von zentralplus relativiert Gesundheitsdirektor Pfister: «Entscheidend sind diejenigen Personen, die aus Respekt vor der Liste ihre Ausstände zahlen. Respektive die, bei denen die Signalwirkung also erfolgreich war.» Wie viele es seien, wisse man nicht so genau. Es falle jedoch auf, dass der Kanton Zug bei den Verlustscheinen für Krankenversicherungs-Ausstände pro Kopf der Bevölkerung sehr tiefe Werte habe.
«Im Kanton Zug hat die LSP keine hohen Wellen geschlagen», schreibt die Exekutive in der Beantwortung der Interpellation. Auch seitens der Leistungserbringer würden keine grösseren Probleme gemeldet. «Alle Zuger Spitäler und Kliniken haben auf Anfrage bestätigt, dass die Verweigerung von dringenden oder gar lebenswichtigen medizinischen Leistungen nie ein Thema war.» Vereinzelt sei es allerdings zu administrativem Mehraufwand und Ertragsausfällen gekommen.
Die SP spricht von Schönfärberei
Bei der SP-Fraktion ist man nicht sehr zufrieden mit der Antwort des Regierungsrats. «Der Regierungsrat hat den Vorstoss zwar sehr ausführlich beantwortet und auch die Haltung der Gemeinden abgeholt. Dennoch bleiben einige Fragen offen, gerade was die Angaben zu den finanziellen Aufwänden angeht», sagt SP-Kantonsrat Hubert Schuler, der die Interpellation damals ins Rollen brachte.
«Es wird die Aussage gemacht, dass Leute nicht zahlen wollen. Das ist eine Unterstellung.»
Hubert Schuler, SP-Kantonsrat
«Gerade bei den Aufwänden hat die Regierung meines Erachtens Schönfärberei betrieben zugunsten des Kantons», so Schuler. Ausserdem sei es wichtig zu wissen, welche Gemeinden sich wie zur schwarzen Liste geäussert haben. «Es gibt einen Unterschied darin, ob nun die Gemeinde Menzingen sagt, sie sei mit der Liste einverstanden oder aber eine grosse Gemeinde wie Zug.»
Weiter sagt Schuler, der in Baar Leiter des Sozialdienstes ist: «Ausserdem wird die Aussage gemacht, dass Leute nicht zahlen wollen. Das ist eine Unterstellung. Wenn das Betreibungsamt sieht, dass ein Einkommen vorhanden ist, dann verwendet es dieses.»
Diese Aussage bestätigt auch der Zuger Schuldenberater André Widmer. «In den meisten Fällen ist es nicht so, dass die Leute nicht zahlen wollen. Viele sind jedoch durch die Flut von Mahnungen, die täglich ins Haus flattern, schlichtweg überfordert.» Entsprechend würden einige ihre Post schon gar nicht mehr öffnen. «Die Leute sind regelrecht traumatisiert vor lauter Briefe», so Widmer.
Raschle zweifelt, ob die Schwarze Liste das Ei des Kolumbus ist
Bei den Gemeinden sind die Meinungen gespalten. Urs Raschle, Sozialvorsteher der Stadt Zug, erklärt: «Wir finden die Schwarze Liste sinnvoller als gar nichts. Denn es gibt durchaus Leute, welche ihre Prämien zahlen könnten, es aber nicht machen.»
Gerade in der Stadt Zug, wo viele Leute leben würden, gäbe es naturgemäss auch mehr solche Fälle. Doch ideal findet Raschle die Lösung nicht: «Denn gleichzeitig bestraft man die Leute, die tatsächlich nicht zahlen können. Es bleibt also offen, ob die schwarze Liste tatsächlich das Ei des Kolumbus ist.»
«Die Welt würde nicht untergehen, würde man die schwarze Liste abschaffen.»
Urs Raschle, Zuger Sozialchef
So kenne der Sozialvorsteher auch Fälle, die grenzwertig seien. «Etwa, wenn Leute an der Grenze des Existenzminimums leben, sodass sie knapp keine Sozialhilfe bekommen, sich aber gleichzeitig die Krankenkasse nicht leisten können.» Erhält nämlich jemand Sozialhilfe, übernimmt die Stadt Zug automatisch die Krankenkasse. «Die, die sich selber durchschlagen, werden also in den Fällen geprellt», so Raschle.
Die Krankenkassen sind das Krebsgeschwür unserer Nation
Weiter sagt Raschle: «Die Welt würde nicht untergehen, würde man die schwarze Liste abschaffen. Doch fällt dann auch das letzte Druckmittel weg, das der Staat noch hat.»
Das Hauptproblem sieht er persönlich aber an einem ganz anderen Ort: «Ob schwarze Liste oder nicht, die 85 Prozent der Forderungen muss die Gemeinde ja sowieso zahlen. Was mich so wütend macht, sind vielmehr die Krankenkassen, die sich dessen sehr wohl bewusst sind und aktiv davon profitieren.» Und er wettert: «Die Krankenkassen sind das Krebsgeschwür unserer Nation! Bei diesen müsste man den Hebel ansetzen.»
Baar schätzt den Erfolg als «mässig bis schwach» ein
Die Gemeinde Baar ist ebenfalls nicht euphorisch bezüglich die schwarzen Liste: Den Erfolg schätzt sie gemäss ihrem Bericht an den Regierungsrat als «wider Erwarten mässig bis schwach» ein.
Den grössten positiven Effekt sehe die Gemeinde in der Möglichkeit, dass die Prämienverbilligung auch ohne Mitwirkung der Betroffenen geltend gemacht werden könne. So könnte eine weitere Verschuldung und damit auch weitere Kosten für die Gemeinde gestoppt werden.
Den Aufwand schätzt die Gemeinde Baar als hoch ein, sowohl monetär als auch zeitlich. «Nur wenige Fälle können vor einem Eintrag in die ‹schwarze Liste› bewahrt werden», schreibt diese. Und wie auch bei der Stadt Zug ist man sich in Baar bewusst: «Für die Krankenkassen ist es ein gutes Geschäft.»
«Der Chamer Gemeinderat würde es begrüssen, wenn die Liste abgeschafft würde.»
Christine Blättler, Chamer Gemeinderätin
Deutlich äussert sich auch die Gemeinde Cham. So habe der Gemeinderat eine kritische Haltung gegenüber der schwarzen Liste eingenommen. «Er stellte fest, dass die Wirkung der Liste nur in wenigen Einzelfällen erkennbar wurde», erklärt die verantwortliche Gemeinderätin Christine Blättler auf Anfrage. So käme die präventive Wirkung nur selten zum Tragen.
«Die mit der schwarzen Liste verbundenen Kosten stehen nicht im Verhältnis zum Nutzen. Darum würde es begrüsst, wenn die Liste abgeschafft würde», so die klaren Worte Blättlers.
Die Kontaktaufnahme mit Betroffenen ist schwierig
Welche Alternative sähe die Gemeinde Cham denn? «Für uns ist zentral, dass wir bei einer Betreibungsmeldung mit den Betroffenen in Kontakt treten können. Dabei wollen wir sie bei Lösungen unterstützen, sodass keine Verlustscheine resultieren», sagt Blättler. Doch dieses Vorgehen habe seine Tücken. «Die Kontaktaufnahme erweist sich jedoch als schwierig und nur wenige Betroffene nehmen unser Angebot an.» Daher suche man derzeit nach Wegen, wie der Gemeinde die Kontaktaufnahme künftig noch besser gelinge.
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