Schulhaus der Stadt Luzern wird zum Politikum

Kranke Kinder – liegt es am Schulsystem?

Das Mariahilfschulhaus der Stadt Luzern.

 

(Bild: screenshot Google Maps)

Die Schüler weigern sich, zur Schule zu gehen, eine Schülerin verletzte sich gar selber – dies vermelden Eltern im Luzerner Mariahilf-Schulhaus. Gleichzeitig verlassen offenbar 11 Lehrpersonen im Sommer die Schule. Hauptverdächtiger für das Chaos: das neu eingeführte Schulsystem. Ein Experte schätzt die Situation ein.

Im Mariahilf-Schulhaus der Stadt Luzern brodelt es. Dies geht aus einem Vorstoss der FDP-Grossstadträtin Sandra Felder-Estermann hervor. «Aus Elternkreisen kam der Hinweis auf alarmierende gesundheitliche Probleme von mehreren Schülern im Mariahilf-Schulhaus», schreibt sie in einer Interpellation. Ausserdem würden elf Lehrpersonen gleichzeitig die Schule in der Nähe der Museggmauer auf den Sommer hin verlassen.

«Eltern fühlen sich nicht ernst genommen»

Kranke Kinder im Mariahilf-Schulhaus? Sandra Felder-Estermann sagt auf Anfrage von zentralplus: «Ich wurde zu einer Elternrunde eingeladen. Dort tauschen sich die Eltern von Kindern des Mariahilf-Schulhauses aus.» Man habe ihr von den angesprochenen Zuständen erzählt. «Es gibt Kinder, die leiden unter Übelkeit, manchmal über mehrere Tage. Andere wollen am Morgen nicht mehr in die Schule.» Es gebe sogar Berichte von einem Kind, das sich selbst verletzte.

«Die Eltern fühlen sich von der Schulleitung nicht ernst genommen, deshalb haben sie sich an mich gewandt.» Die FDP-Politikerin ist auch persönlich betroffen. Ihre Tochter besucht die 1. Oberstufe im Mariahilf-Schulhaus. «Da ich politisch aktiv und Mitglied der Bildungskommission bin, nehme ich bewusst nicht an der Elternrunde teil, um die Distanz zu wahren», so Felder-Estermann.

Felder-Estermann möchte wissen, inwiefern dies mit dem neuen Schulsystem zu tun hat: Seit einem Jahr hat man auf der ersten Sekundarstufe das integrierte Sekundarschulmodell installiert (siehe Box am Ende).

Deutsch und Mathematik als Problemfächer

Eine betroffene Mutter bestätigt Felder-Estermanns Aussagen: «Verschiedene Eltern berichten, dass ihre Kinder mehr und mehr gestresst sind durch das Schulsystem.» Die Kinder seien aufgebracht, laut und unruhig in der Klasse und für die Lehrpersonen sei es schwer, zu unterrichten.

Der Stress sei den Kindern denn auch anzumerken. «Auch mein Sohn hatte während längerer Zeit morgens Bauchschmerzen», so die Mutter, die nicht namentlich genannt werden wollte.

Vor allem im Fach Mathematik verortet die Mutter die grössten Schwierigkeiten: «Die Lehrpersonen müssen für vier Schüler des Niveaus A etwas erklären, während der ganze Rest nicht tangiert wird von diesen Themen.» Das bringe Unruhe in eine Klasse, ist die Mutter überzeugt.

«Aus den Zahlen heraus hätte ich nirgendwo lesen können, dass gesundheitliche Probleme entstehen könnten.»

Alois Buholzer, Experte Integration der Pädagogischen Hochschule

Auch dass Deutsch niveauübergreifend unterrichtet wird, versteht sie nicht: «Von 75 Kindern sprechen nur rund zehn Kinder Deutsch als Muttersprache. Wie soll da das Potenzial der niveaustarken Kinder ausgeschöpft werden?»

Die Mutter war auch auf Schulbesuch – aber nie während der Mathematikstunden. «Wir haben im Elternrat viele Gespräche geführt und unsere Erfahrungen miteinander ausgetauscht.» Der Elternrat sei auch in regelmässigem Kontakt mit den Lehrpersonen und der Schulleitung.

Das Rektorat der Volksschule Luzern sowie Stadtpräsident und Bildungsdirektor Beat Züsli (SP) geben mit Hinweis auf den hängigen politischen Vorstoss keine Auskunft.

«Jeder Primarlehrer muss damit umgehen»

Alois Buholzer, Professor an der Pädagogischen Hochschule Luzern, hat Studien zum integrierten Modell durchgeführt. Er sagt: «Aus den Zahlen heraus hätte ich nirgendwo lesen können, dass gesundheitliche Probleme entstehen könnten, weder bei Lehrpersonen noch bei Schülern.» Auch die hohe Fluktuation sei kaum durch das System alleine erklärbar. Ausserdem sei zu bedenken, dass eine Umstellung auf ein neues Schulmodell Zeit und schulinterne Entwicklungsarbeit erfordert und sich positive Effekte nicht immer sofort bemerkbar machen.

«Wenn das System alleine solche Problematiken auslösen würde, so hätten wir solche Vorfälle auch an anderen Schulen, welche das integrierte System praktizieren», so Buholzer. Die Leistungsschere zwischen den Schülern, welche eine Lehrperson gleichzeitig unterrichtet, sei hoch, so Buholzer, aber nicht per se problematisch: «Jeder Primarlehrer hat mit dieser Herausforderung umzugehen. Zusätzlich zu den zukünftigen Sekundarschülern müssen auf der Primarstufe auch die zukünftigen Gymnasiasten abgedeckt werden.»

Rothenburg mit positiven Erfahrungen

In Rothenburg hat man im Jahr 2013 auf die integrierte Sekundarschule umgestellt. Schulleiter Simon Fleischli sagt auf Anfrage: «Nach einer vierjährigen Erfahrungszeit können wir sagen, dass das Modell der integrierten Sek gut angelaufen ist.» Das Schulsystem sei schülergerechter, da viele Fächer in Lerngruppen unterrichtet werden.

«Für die Lernenden besteht damit die Möglichkeit, am Ende eines Semesters je nach Leistungserfolg in einzelnen Fächern im Niveau ab- oder aufzusteigen, ohne dass sie die Klasse verlassen müssen», so Fleischli. Das Modell nehme damit mehr Rücksicht auf die Lernvoraussetzungen der Lernenden. «Wir können auf eine erfolgreiche Umstellung zurückblicken und hören auch aus der Elternschaft wenig kritische Äusserungen», so der Schulleiter.

Nach den Vorgaben des Kantons werden die Fächer Mathematik und Deutsch in Niveauklassen unterrichtet – in dem Sinne sind die städtischen Schulen eine Ausnahme, weil dort Mathematik und Deutsch ebenfalls in der Stammklasse unterrichtet wird.

Felder-Estermann will sich nicht festlegen

Auch Sandra Felder-Estermann relativiert: «In den Medien wurde geschrieben, es handle sich um eine Kündigungswelle. Das ist aber nicht erwiesen – die Gründe für die vielen Abgänge möchte ich gerne vom Stadtrat erfahren.»

Dabei weiss die Grossstadträtin: «Es kann sich auch um eine natürliche Fluktuation handeln. Ich arbeite selber im Personalwesen, ab und zu kommt es zu Situationen, in denen sich Abgänge unglücklich kumulieren können.»

Ob die Kinder wirklich durch das System krank werden, darauf will sich Felder-Estermann nicht festlegen: «Die Kinder sind in einem speziellen Alter und da können die erwähnten Beschwerden auch unabhängig vom Schulsystem auftreten.» Mit dem Vorstoss möchte sie nun klären, inwiefern die Situation am Mariahilf-Schulhaus ungewöhnlich sei.

Die integrierte Sekundarschule

Im Kanton Luzern gibt es drei verschiedene, vom Kanton vorgeschlagene Modelle: Das typengetrennte, das kooperative und das integrierte Modell. Seit dem Schuljahr 2016/2017 setzt die Stadt Luzern auf Integration: Alle Sekundarschüler werden unabhängig vom Bildungsniveau einer Stammklasse zugewiesen und – analog zur Primarschule – gemischt unterrichtet.

Nur für die Sprachfächer Französisch und Englisch werden die Schüler in Niveau-Klassen aufgeteilt. In den Fächern Mathematik und Deutsch wird der Unterricht in drei Leistungsniveaus geführt, in den Fächern Naturlehre, Geografie, Geschichte in zwei Niveaus, entsprechend erfolgt die Beurteilung der Lernenden.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von M. Moser
    M. Moser, 30.05.2017, 06:34 Uhr

    Ich stamme noch aus der Zeit in der die Schüler anhand der Noten in der Oberstufe entweder in die Kantons- die Sekundar- oder eben die Real- Schule besuchten. Was hier geschildert wird, scheint mir aber nach der Lektüre des Artikels eher ein eigenes Problem des Mariahilf-Schulhauses zu sein, als denn eine systembedingte Unzulänglichkeit. Das Fluktuationen im Lehrkörper gang und gäbe sind ist nichts Neues. Vielmehr scheint mir, als würde der Wurm zum Teil bei den Schülern selbst stecken. Viele haben es als Kind nicht gelernt, dass ein Klassenverband einen Leiter hat und das ist der Lehrer. Zu unserer Zeit war es selbstverständlich, das man dem Klassenlehrer mit Respekt entgegentrat. Viele Kinder heute fordern zwar gegenüber ihrer Person Respekt. Dem Lehrer aber Respekt zu zollen und seine Führungsposition anzuerkennen fällt offensichtlich gerade den heutigen Jugendlichen sehr schwer. Zum Teil tun die Eltern dann ein Übriges indem sie bei jeder schlechten Note die das Kind schreibt nicht die «Schuld» beim Kind suchen, sondern sofort den Lehrer angreifen und eine Korrektur der Note verlangen. Viele Eltern delegieren die Erziehung auch an die Schule und vergessen ganz, dass die Schule für diese Aufgabe nicht vorgesehen ist. Die Schule ist meines Erachtens eine Lehranstalt und nicht eine Erziehungsanstalt. Für die Erziehung ihrer Sprösslinge sind die Eltern verantwortlich und nicht der Lehrkörper. Und ehrlich gesagt, wenn ich mich an meine eigene Schulzeit zurückerinnere, wir hatten auch manchmal Bauchweh… nur dieses Bauchweh entstand meistens dann, wenn wir für eine anstehende Mathe- oder Deutsch- Prüfung zu wenig «gebüffelt» hatten.

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  • Profilfoto von trombandy
    trombandy, 28.05.2017, 15:02 Uhr

    Ich finde es doch spannend, dass eine Welle von «krankabwesenden» Kindern und eine ausserordentlich hohe Fluktuation im Lehrkörper innerhalb eines einzelnen Schulhauses dem allgemeinen (neuen) Schulsystem zugeschrieben wird. In diesem Fall müssten eigentlich ähnliche Beobachtungen auch in anderen Schulhäusern gemacht werden. Wenn dies – wie es hier den Anschein macht – isoliert vorkommt, dann wäre die Ursache doch wohl eher im direkten Umfeld der Schule, resp. bei der entsprechenden Schulleitung zu suchen!? Und dann ist es auch weniger ein politisches Thema, sondern in der Zuständigkeit des städtischen Rektorates, welches hier Verantwortung übernehmen müsste.

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