Klimastrategie: FDP und Mitte unterläuft peinlicher Lapsus
Mitte und FDP setzen für die Luzerner Klimastrategie auf einen gemässigten Gegenvorschlag. Ein Blick auf dessen Inhalte zeigt aber: So gemässigt ist dieser gar nicht – weil den Parteien ein peinlicher Fehler unterlaufen ist.
Gross war die Aufregung im Grossstadtrat Luzern, als die FDP und die Mitte an der Sitzung im Februar eine Bombe platzen liessen: Nach zähen Stunden des Verhandelns ergriffen die beiden Parteien unerwartet das konstruktive Referendum gegen die Klimastrategie. Als zu extrem und nicht realisierbar wurde die von Stadtrat und Parlament ausgearbeitete Vorlage bezeichnet (zentralplus berichtete).
Vor einigen Wochen nun hat sich ein offizielles Referendumskomitee gegründet, das diese Tage auf Unterschriftenjagd geht (zentralplus berichtete). Dass dabei die nötigen 800 Unterschriften bis Ende April zusammenkommen ist nur Formsache. Dennoch erregt das Referendum schon wieder Aufsehen – dieses Mal allerdings ungewollt.
Komitee unterläuft peinlicher Lapsus
Wo liegt das Problem? In der Klimastrategie sieht der Stadtrat vor, den Autoverkehr in der Stadt bis 2040 deutlich zu reduzieren. Und zwar um 15 Prozent im Vergleich zu 2010. Während 2019 täglich noch insgesamt rund 148'000 Autos durch die Stadt kurvten, sollten es bis 2040 nur noch 120'000 sein.
Übertrieben fanden das FDP und Mitte. Im Referendum schlagen sie deswegen vor, das Verkehrsaufkommen auf dem Niveau von 2020 zu halten. Doch, Moment. 2020, da war doch was?
Genau, die Corona-Pandemie suchte die Welt heim. Lockdown und Homeoffice-Pflicht führten dazu, dass die Strassen vom einen auf den anderen Tag wie leergefegt waren. Was sich auch in den Verkehrszahlen zeigt. Der tägliche Verkehr in der Stadt brach auf 119'000 Autos ein. Praktisch also auf das Niveau, dass der Stadtrat bis 2040 erreichen will.
«Dass mit dieser Auslegung nun eine drastische Reduktion nötig wäre, war natürlich nie unsere Absicht.»
Marco Baumann, Co-Präsident Referendumskomitee
Man muss kein Mathegenie sein, um zu erkennen, dass dem Referendumskomitee offensichtlich ein peinlicher Fehler unterlaufen ist. Statt wie behauptet gemässigte Forderungen vorzuschlagen, präsentieren sie ein Verkehrsziel, dass genauso ambitioniert ist wie jenes des Stadtrats. Welches die Mitte und die FDP stets als zu extrem bezeichneten.
«War nie unsere Absicht»
Marco Baumann ist FDP-Fraktionschef im Grossen Stadtrat und Co-Präsident des Referendumskomitees. Er räumt ein: «Ja, in der entsprechenden Formulierung liegt ein Versehen vor.» Und Baumann führt aus: «Unsere Absicht war, dass der Stand vor der Pandemie als neuer Richtwert für die Plafonierung herangezogen werden soll. Dass mit der Auslegung der Jahreszahl 2020 nun eine drastische Reduktion nötig wäre, war natürlich nie unsere Absicht.»
«Dies zeigt, wie wenig sie sich mit der Materie auseinandergesetzt haben.»
Jona Studhalter, Grossstadtrat Junge Grüne
Das Referendumskomitee argumentiert, dass der Autoverkehr in der Innenstadt zwischen 2010 und 2019 bereits um 8,5 Prozent abgenommen habe. Diesen Richtwert wolle man nun zementieren. «Auch wir sind aber der Meinung, dass der Autoverkehr nicht zunehmen darf. Der Mehrverkehr soll durch öffentliche Verkehrsmittel, Fuss- und Veloverkehr abgewickelt werden», sagt Baumann.
Schadenfreude bei den Gegnerinnen
Mit grosser Schadenfreude haben die politischen Gegner des Referendums dieses Versehen zur Kenntnis genommen. Die Jungen Grünen sprachen in einer entsprechenden Medienmitteilung gar von einer Blamage. Grossstadtrat Jona Studhalter, dem das Versehen überhaupt erst aufgefallen war, lässt sich in jener Mitteilung mit klaren Worten zitieren: «Dies zeigt, wie wenig sie sich mit der Materie auseinandergesetzt und wie nachlässig sie bei der Klima- und Energiestrategie gearbeitet haben.»
Für ihn sei klar, dass das Komitee das Referendum in dieser Form nun zurückziehen sollte. Denn so wie es jetzt formuliert sei, würde den Stimmberechtigten «ein Bär aufgebunden». Schliesslich unterscheide sich der Referendumstext von dem, was das Komitee eigentlich beabsichtigt.
«Wir werden am konstruktiven Referendum festhalten.»
Marco Baumann
Tatsächlich stellt sich die Frage, was nun mit dem Referendum geschieht? Denn im Referendumstext ist das Verkehrsziel mit dem Richtwert von 2020 explizit aufgeführt. Unterschreiben die Befürworter also eine Forderung, die sie eigentlich gar nicht unterstützen? Sammelt das Komitee jetzt Unterschriften für ein Verkehrsziel, das sie gar nicht wollen?
Stadtkanzlei gibt Entwarnung
Für solche Fragen ist die Stadtkanzlei zuständig. Sie bearbeitet die Initiativen und Referenden sowohl auf ihre Gültigkeit als auch auf ihren Inhalt, bevor sie sie an den Stadtrat zur Bearbeitung weitergibt.
Auf Anfrage von zentralplus erklärt die Stadtkanzlei, dass der Wortlaut einer Initiative oder eines Referendums nicht in allen Fällen rechtlich bindend sei. Sie wäge bei jedem Geschäft zwischen Wortlaut und dem eigentlichen Willen der Initianten ab. Also zwischen dem, was geschrieben steht, und dem, was die Antragsteller gemäss ihrer Begründung tatsächlich meinen.
Im vorliegenden Fall sei klar, dass das Referendumskomitee das Jahr 2020 nicht als fixen Richtwert versteht. Im Gesamtkontext sei offensichtlich, dass es dem Komitee mit jenem Absatz nicht um eine weitere Reduktion, sondern um eine Stabilisierung des Verkehrs auf dem Niveau von vor der Pandemie gehe.
FDP und Mitte haben offensichtlich Glück gehabt. Ihnen ist ihr Versehen in der Zwischenzeit ebenfalls aufgefallen. Die Stadtkanzlei konnte sie aus genannten Gründen jedoch beruhigen, ein Rückzug des Referendums sei nicht nötig. Bei Annahme des Gegenvorschlags würden die Zahlen von vor der Pandemie als Referenz gelten. «Deshalb werden wir auch am konstruktiven Referendum festhalten», betont FDP-Fraktionschef Marco Baumann.
Viel Aufregung um nichts, also. Eine amüsante Posse im Luzerner Politgeschehen ist es aber allemal.
- Schriftlicher Austausch mit Marco Baumann
- Telefonat mit Stadtkanzlei Luzern
- Medienmitteilung der Jungen Grünen
- Schriftlicher Austausch mit Jona Studhalter
- Verkehrsmonitoring der Stadt Luzern
- Webseite Referendumskomitee