Fremdsprachen-Initiative sorge für hohe Kosten

Kein Alleingang: Luzerner Regierung beharrt auf zwei Fremdsprachen

Die Initiative würde Millionenkosten verursachen, argumentiert Bildungsdirektor Reto Wyss (CVP).

(Bild: jal)

In Luzern sollen Primarschüler weiterhin Französisch und Englisch lernen: Der Regierungsrat lehnt die Fremdsprachen-Initiative ab. Er will keinen Alleingang und befürchtet hohe Kosten – am Frühfranzösisch will er so oder so festhalten. Beim Initiativkomitee löst das Erstaunen aus.

Der Luzerner Regierungsrat setzt weiterhin auf zwei Fremdsprachen an den Primarschulen. Wenig überraschend lehnt er die sogenannte Fremdsprachen-Initiative ab. Diese fordert, dass auf der Primarstufe in Zukunft nur noch eine Fremdsprache unterrichtet wird – ob Französisch oder Englisch, wird offengelassen. Heute lernen Schüler im Kanton Luzern ab der 3. Primarklasse Englisch und ab der 5. zusätzlich Französisch. Im überparteilichen Initiativkomitee sind zahlreiche Lehrer und Kantonsräte unterschiedlicher Fraktionen. Zudem unterstützt der Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband das Anliegen.

Der Regierungsrat wollte die Initiative vor einem Jahr für ungültig erklären lassen, weil sie gegen übergeordnetes Recht verstosse. Doch der Kantonsrat entschied sich dagegen und verlangte von der Regierung, inhaltlich Position zu beziehen (zentralplus berichtete).

Das hat Bildungsdirektor Reto Wyss (CVP) diesen Montagmorgen vor den Medien gemacht. Er erläuterte, wieso die Regierung das Anliegen zur Ablehnung empfiehlt. «Es sind zwei Hauptgründe», sagte Wyss. «Wir wollen einerseits keine Benachteiligung von Luzerner Schülern. Andererseits wollen wir eine Insellösung verhindern.»

Frühfranzösisch bleibt auf alle Fälle

Gemäss Wyss wäre es für Luzern von grossem Nachteil, wenn man einen eigenen Weg gehen würde. Zum einen würde das Kindern schaden, die in einen anderen Kanton umziehen. Ein Alleingang von Luzern wäre für sie von Nachteil.

Zum anderen müsste der Kanton Luzern sowohl den Lehrplan anpassen als auch ein neues Lehrmittel beschaffen – oder unter Umständen gar selber entwickeln, so Wyss. «Das würde Kosten von drei bis vier Millionen Franken verursachen.»

«Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für eine allgemeine Überforderung der Schüler.»

Reto Wyss, Regierungsrat

Obwohl die Initiative offenlässt, ob bei einer Annahme Französisch oder Englisch auf die Sekundarstufe verschoben würde, tendiert die Regierung klar in eine Richtung: Schüler sollen zuerst eine Landessprache lernen, also Französisch. «Alles andere wäre schwierig zu vertreten», sagt Wyss. Dahinter stehen einerseits staatspolitische Gründe, insbesondere in der Romandie fürchtet man um den nationalen Zusammenhalt, wenn das Frühfranzösisch in der Deutschschweiz bachab geschickt wird. Andererseits sagte Wyss diesen Montagmorgen, Französisch sei tendenziell die schwierigere Sprache und deshalb ein früheres Lernen angezeigt. Formell entschieden sei die Priorität der Fremdsprachen allerdings noch nicht, sagte Wyss.

Dennoch ist klar, dass die vom Regierungsrat favorisierte Variante bedeutend grössere Folgen hätte. «Lehrpersonen für die 3. und 4. Primarstufe sind heute nicht für den Französischunterricht ausgebildet», sagte Wyss. Für ihre Weiterbildung rechnet die Regierung mit Kosten von 10’000 Franken pro Person – insgesamt rund fünf Millionen Franken. Für Wyss ein zentrales Argument: «Wir haben zurzeit andere Zielsetzungen, als zusätzliche Finanzprobleme zu schaffen», sagte er in Anspielung an das millionenschwere Sparpaket KP17.

Wissenschaft ist sich uneinig

Doch die Kosten sind nur ein Punkt. Für die Regierung ist es insbesondere nicht erwiesen, dass zwei Fremdsprachen auf Primarstufe ein Problem darstellen. Die Initianten argumentieren, dass viele Kinder mit einer zweiten Fremdsprache auf der Primarstufe überfordert seien. Zudem würden tendenziell Knaben und fremdsprachige Kinder benachteiligt, wenn der Unterricht in der Primarschule sprachlastig ausfällt.

«Verfehlte Argumente»

Das überparteiliche Initiativkomitee ist gemäss einer Mitteilung über die Argumente des Luzerner Regierungsrates erstaunt. Diese seien in vielen Punkten verfehlt. So erachtet es das Komitee als nicht nachvollziehbar, wieso der Verzicht auf den Unterricht einer Fremdsprache zu Mehrkosten führen solle.

Die Initianten zweifeln zudem an der regierungsrätlichen Interpretation der wissenschaftlichen Untersuchungen. Studien würden zeigen, dass ein Grossteil der Schüler die Lehrziele nicht erreiche, Oberstufenschüler eine Sprache effizienter lernten und gute Deutschkenntnisse für den Lernerfolg entscheidend seien. Deshalb plädieren sie dafür, in der Primarstufe die Deutsch- und Mathematiklektionen auszubauen statt eine zweite Fremdsprache zu unterrichten.

Da in manchen Kantonen Französisch, in anderen Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet wird, gibt es laut dem Initiativkomitee bereits heute unterschiedliche Modelle. Deshalb könne man nicht von einer Insellösung sprechen.

Dem widerspricht der Regierungsrat und verweist auf Studien der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung von 2015 und der Bildungsdirektorenkonferenz Zentralschweiz von diesem Jahr. «Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für eine allgemeine Überforderung der Schüler oder für eine Benachteiligung von fremdsprachigen Kindern.» Im Gegenteil: Es gebe Hinweise darauf, dass das Lernen einer Fremdsprache vorteilhaft sei für weitere Sprachen. Der Regierungsrat ist zudem überzeugt, dass der Rückstand bei einem Start auf der Sekundarstufe nicht mehr aufgeholt werden könnte. Das ist jedoch unter Experten umstritten, denn die Wissenschaft hält keine eindeutigen Resultate bereit.

Thurgau prescht vor

Reto Wyss ist überzeugt, dass die Luzerner Bevölkerung seine Einschätzungen teilt. Die Abstimmung im Kanton Nidwalden, wo sich die Bevölkerung im Frühling 2015 überraschend deutlich hinter zwei Fremdsprachen auf der Primarstufe stellte, stimme ihn zuversichtlich. Genauso der kürzlich erfolgte Entscheid in St. Gallen, wo sich die Bevölkerung zwar indirekt, aber überraschend deutlich hinter den Französischunterricht in der Primarschule stellte. Der Luzerner Kantonsrat wird im Januar über die Fremdsprachen-Initiative diskutieren. Sofern er das Anliegen ablehnt, kommt es im September 2017 zur Volksabstimmung.

Der Sprachenstreit hat in den letzten Jahren schweizweit viel zu reden gegeben – ausgelöst durch den Entscheid des Kantons Thurgau, das Frühfranzösisch abzuschaffen. Zwar preist die Erziehungsdirektorenkonferenz das sogenannte Modell 3/5 an, wonach wie in Luzern die erste Fremdsprache ab der dritten, die zweite in der fünften Klasse unterrichtet wird. Dennoch scheren einige Kantone aus, der Kompromiss wird keinesfalls von allen mitgetragen. So steht auch in Zürich demnächst ein Volksentscheid über die Sprachenfrage an.

«Wir wollen nicht, dass der Bund aktiv wird. Der Kanton übernimmt seine Verantwortung.»

Reto Wyss, Regierungsrat

Schaut man sich die Situation in den Kantonen an, zeigt sich ein Röstigraben. In 14 Kantonen wird zuerst Englisch gelernt, darunter in den Innerschweizer Kantonen Luzern, Ob- und Nidwalden, Uri und Zug. In zwölf Kantonen (darunter die gesamte Westschweiz und das Tessin) steht als Erstes eine Landessprache, also Deutsch oder Französisch, auf dem Stundenplan. In den meisten Deutschschweizer Kantonen lernen Primarschüler zurzeit sowohl Französisch als auch Englisch. In Uri und in Appenzell Innerrhoden wird gänzlich auf Frühfranzösisch verzichtet.

Der Nutzen des Frühfranzösischs an Luzerner Primarschulen wird durch eine kantonale Initiative infrage gestellt.

Der Nutzen des Frühfranzösischs an Luzerner Primarschulen wird durch eine kantonale Initiative infrage gestellt.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Für den Luzerner Regierungsrat ist klar: Alle Kantone sollten am gleichen Strick ziehen. Nur dadurch könne verhindert werden, dass der Bund in die Bildungshoheit der Kantone eingreift. «Wir wollen nicht, dass der Bund aktiv wird. Der Kanton übernimmt seine Verantwortung.» Bundesrat Alain Berset hat im Juli eine Änderung des Sprachengesetzes angekündigt, mit dem er die Kantone zwingen will, in der Primarschule mit einer zweiten Landessprache zu starten – was bei vielen Kantonen für Empörung sorgte.

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