Kantonsrat: «Diese hohe Zahl übertrifft alle Befürchtungen»
Seit einer Revison des Polizeigesetzes kann die Polizei Daten von Leuten erfassen, die sie als potenziell gefährlich erachtet. Einer von tausend Luzernern ist im vergangenen Jahr ins Visier der Behörden geraten. Eine Zahl, die im Vergleich sehr hoch scheint. Nun verlangt ein Politiker, dass die polizeiliche Praxis unter die Lupe genommen wird.
352 – So viele Personen sind im Kanton Luzern innerhalb eines Jahres auf den Radar der Luzerner Behörden geraten. Das Instrument des so genannten kantonalen Bedrohungsmanagements (KBM) erlaubt es der Polizei, Daten von Personen zu erfassen, die eine potenzielle Gefahr für Dritte darstellen. Diese Befugnis haben die entsprechenden Stellen dank einer Revision des kantonalen Polizeigesetzes erhalten (zentralplus berichtete).
Die Linke hatte die Ausweitung dieser Befugnisse in der Vernehmlassung zur Gesetzesrevision teils scharf kritisiert. Entsprechend nachdenklich reagiert der Grüne Kantonsrat Hans Stutz auf die ersten Erfahrungen und Zahlen des Kantons Luzern mit dem KBM. Gegenüber zentralplus schildert er seine Sicht der Dinge.
zentralplus: Herr Stutz, die Zahlen lassen aufhorchen: 352 Personen gerieten im ersten Jahr nach der Einführung des KBM auf den Radar der Behörden. Sind Sie überrascht?
Hans Stutz: Etwas vorneweg. Bis anhin sind auch den Parlamentariern nur die Berichte verschiedener Medien bekannt. Bei diesem Informationsstand sind noch viele Fragen offen. Es ist also schwierig bis unmöglich, jetzt schon irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen, geschweige denn politische.
zentralplus: Aber Ihnen geht doch sicher etwas durch den Kopf, wenn Sie diese Zahlen sehen.
Stutz: Ja klar. Bemerkenswert ist sicher, dass Kripochef Daniel Bussmann die hohen Zahlen des Kantons Luzern mit vagen Mutmassungen über die Praxis anderer Kantone schönreden will. Zu erwähnen ist ausserdem, dass rund zwei Drittel der Personen, die als so genannte «Gefährder» erfasst wurden, von den Behörden nicht kontaktiert wurden, obwohl in solchen Fällen das Instrument der so genannten «Gefährderansprache» zur Verfügung stehen würde.
zentralplus: Es scheint einiges an Klärungsbedarf zu geben.
Stutz: In der Tat. Die sehr hohen Zahlen des Kantons Luzern verlangen nach einer sofortigen Überprüfung der polizeilichen Praxis durch das Parlament. Es gilt zu klären, wie der Kanton Luzern «Gefährdung» definiert und wie eine Person auf die Liste kommt. Weiter muss klar aufgezeigt werden, nach welchen Kriterien die Polizei erfasste Personen anspricht oder dies unterlässt.
Wichtig ist zudem zu erfahren, welche Auswirkungen für diese Menschen der Kontakt mit staatlichen Stellen, insbesondere der Polizei hat. Weiter ist eine vertiefte Überprüfung der bisherigen Praxis durch den Datenschutzbeauftragten des Kantons unumgänglich. Dieser sollte seine Einschätzungen nach Abschluss der Untersuchung öffentlich machen.
zentralplus: Was stört Sie besonders an der bisherigen Praxis?
Stutz: Eines der Hauptprobleme ist, dass sich das KBM in einem sensiblen juristischen Bereich bewegt, da es die Unschuldsvermutung relativiert. Die verantwortlichen Stellen hätten deshalb eigentlich entsprechend zurückhaltend zu agieren.
zentralplus: Werden Sie also entsprechende Vorstösse einreichen?
Stutz: Meine Aussagen sind eine Aufforderung an die Aufsichts- und Kontrollkommission des Kantonsrates (AKK), umgehend tätig zu werden. Unklar ist, ob ich allenfalls eine Anfrage einreichen werde.
zentralplus: Weshalb diese Zurückhaltung?
Stutz: Eine umgehende parlamentarische Überprüfung wäre, wie erwähnt, eigentlich Sache der AKK. Doch leider sitzen in der für die Polizei verantwortlichen Subkommission ausschliesslich Bürgerliche. Eine parlamentarische Oberaufsicht über das KBM wird wohl zahnlos bleiben.
zentralplus: Die Linke hatte in der Kantonsratsdebatte zur Revision des Polizeigesetzes einige Bedenken zum Datenschutz und zur Ausweitung der Befugnisse der Polizei angebracht. Sehen Sie sich durch die jüngsten Zahlen bestätigt?
Stutz: Die hohe Zahl von 352 erfassten Personen innert kurzer Zeit übertrifft alle Befürchtungen. Knapp ein Promille der Luzerner Bevölkerung – abgesehen von Kleinkindern – ist auf dem Radar. Sie belegt unsere politische Einschätzung, dass Polizeikorps schnell sammelwütig aktiv werden, wenn ihnen die Politik freie Hand lässt.