Mehr Geld für die Verbilligung der Krankenkassenprämien im laufenden Jahr. Das verspricht die Luzerner Regierung. Doch die Realität sieht genau anders aus, sagen Kritiker: Der Kanton ziehe sich immer mehr aus der Verantwortung zurück.
Die Botschaft tönt gut. Im laufenden Jahr soll im Kanton Luzern mehr Geld für die Verbilligung der Krankenkassenprämien eingesetzt werden: «Im Kanton Luzern stehen 2016 insgesamt 172 Millionen (…) zur Verfügung», schrieb der Kanton Mitte Dezember in einer Medienmitteilung, «das ist rund eine Million Franken mehr als im Vorjahr.»
Was die Medienmitteilung verschweigt: 2016 steht nur mehr Geld zur Verfügung, weil der Bund mehr zahlt als im letzten Jahr. Sein Beitrag zur Prämienverbilligung steigt dieses Jahr um 5,7 Millionen Franken. Die Beiträge des Kantons und der Gemeinden hingegen sinken.
Leistungen klaffen auseinander
«Der Kanton zieht sich immer mehr aus seiner Verantwortung», sagt dazu SP-Kantonsrat und Gewerkschafter Giorgio Pardini. Und der Grüne Kantonsrat Michael Töngi, Sekretär des Schweizerischen Mieterverbandes, kritisiert: «Die Leistungen des Kantons und die Prämienerhöhungen bei den Krankenkassen klaffen immer weiter auseinander.» Die zusätzliche Million für das Jahr 2016 könne nicht einmal das Bevölkerungswachstum auffangen und schon gar nicht das ganze Ausmass der ständigen Prämienerhöhungen.
«Das ist keine einmalige Geschichte. Das ist ein Dauerbrenner.»
Giorgio Pardini, Kantonsrat (SP)
Die Entwicklung ist dem Mechanismus bei der individuellen Prämienverbilligung (IPV) geschuldet, die von Bund und Kantonen gemeinsam getragen wird. Dabei richten sich die Bundesbeiträge nach der Entwicklung der Prämien: Wenn sie steigen, steigen automatisch auch die Bundesbeiträge.
Senkung hat System
So sind die Zahlungen des Bundes an den Kanton Luzern vom letzten auf das laufende Jahr von 112,6 auf 118,3 Millionen Franken angestiegen. Im Gegensatz zum Bund kann der Kanton seine Beiträge jedoch selber bestimmen. Er senkt seinen Anteil von rund 58 Millionen Franken im letzten Jahr auf 53,6 Millionen Franken für das Jahr 2016. Die sinkende Beitrag des Kantons an die Prämienverbilligung hat System. Das zeigt eine Umfrage des Tages-Anzeigers von Ende Jahr: Zwischen 2009 und 2014 ist der Finanzierungsbeitrag des Kantons an die IPV von 42,3 auf 33,3 Prozent gesunken. Das sei eine direkte Folge kantonaler Sparprogramme, dabei gehöre Luzern zu den Kantonen mit besonders stark sinkenden Beiträgen an die Prämienverbilligung.
Der Beleg dafür ist leicht beizubringen. Im letzten Dezember kürzte die Regierung im Rahmen des Aufgaben- und Finanzplanes 2016 bis 2019 den Kantonsbeitrag für die Prämienverbilligung um 1,2 Millionen Franken – und die bürgerliche Mehrheit winkte das im Kantonsrat durch. Der Widerstand der SP und der Grünen war chancenlos. Ähnliches passierte schon 2014 und 2013 bei der Revision des Prämienverbilligungsgesetzes.
«Das ist eine Mogelpackung.»
Nino Froelicher, Kantonsrat (Grüne)
Sozialreformen nach Steuersenkung
Das Ziel der Revision war die Verminderung des sogenannten Schwelleneffektes nach dem Grundsatz, dass sich Arbeit mehr lohnen soll als der Bezug von staatlichen Leistungen. Mit diesem Ziel waren ursprünglich alle Parteien einverstanden. Doch der Kantonsrat formte die Vorlage zusätzlich zu einer Verbesserung der Kantonsfinanzen um, indem er den Kreis der anspruchsberechtigten Familien mit Kindern für die IPV senkte.
Das sei «eine Mogelpackung», sagte der damalige Grüne Kantonsrat Nino Froelicher im Parlament. Sozialreformen dürften nicht zu Steuersenkungskorrekturen missbraucht werden. Doch die Bürgerlichen setzten sich durch. Im Folgejahr 2014 verloren laut der Zeitschrift «Saldo» über 12’500 Versicherte den Anspruch auf eine Prämienverbilligung.
«Es werden immer mehr Mittelstandsfamilien mit Kindern aus der IPV rausbugsiert.»
Giorgio Pardini, Kantonsrat (SP)
IPV-Anspruch laufend gesenkt
«Das ist keine einmalige Geschichte», sagt Giorgio Pardini dazu, «das ist ein Dauerbrenner.» Er spielt damit auf den Trend an, den Anspruch auf die Prämienverbilligung dauernd zu verschärfen: Über die Jahre ist das Referenzeinkommen für einen IPV-Anspruch von 100’000 Franken auf 80’000 und aktuell auf 75’000 Franken gesenkt worden. Wer mehr verdient, profitiert nicht mehr. «Es werden immer mehr Mittelstandsfamilien mit Kindern aus der IPV rausbugsiert», sagt Pardini. Der gesamte Trend ist in einer Statistik von Lustat ablesbar, die den Zeitraum von 2007 bis 2013 umfasst: Die Zahl der Auszahlungen sank in diesem Zeitraum von rund 61’000 auf 46’000.
«Das geht auf Kosten des unteren Mittelstandes», sagt Michael Töngi, und er kritisiert, dass die Prämienverbilligung zunehmend ein Instrument der Sozialhilfe werde. «Das ist aber nicht die Idee der Prämienverbilligung», betont er, «solange wir ungerechte Kopfprämien haben, muss eine breitere Bevölkerungsschicht von den Prämienverbilligungen profitieren können. Diesbezüglich erleben wir aber nur Rückschritte.»
Das von den Bürgerlichen oft vorgebrachte Argument, die Bürgerinnen und Bürger des Kantons würden mit Steuersenkungen entlastet, bringt Kantonsrat Giorgio Pardini in Rage. «Das ist eine Lüge», sagt er und argumentiert: «Es mag sein, dass gewisse Mittelstandsfamilien nominell weniger Steuern zahlen, doch wenn sie aus der Prämienverbilligung rausfliegen, wird dieser Vorteil wieder vernichtet.»
Wenn eine Familie auf 2000 Franken Prämienverbilligung verzichten müsse, fahre sie schlechter als mit tieferen Steuern. «Das merken die Leute ganz direkt, vor allem auch, weil sich 2015 die Löhne nicht bewegt haben.»
Stellungnahme des Kantons | ||||||||||||||||||||
Hinweis der Redaktion: Der Kanton Luzern schrieb eine umfassende Stellungnahme zu einzelnen Punkten. Jedoch erst nach der Publikation des Artikels, die Antworten trafen nicht innert nützlicher Frist ein. Daniel Wicki, Fachbereichsleiter Gesundheits- und Sozialdepartement, führt folgende Punkte zu den gestellten Fragen auf:
Ergänzung: Jährliche Zahlen über die Entwicklung des Kantonsanteils zwischen 2009 und 2014?
Ergänzung: Entwicklung der Anspruchsberechtigten Personen
|
Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.