Diskussion um Stadt-Land-Graben

Kanton Luzern-Stadt? SP-Ansage sorgt wieder für Zündstoff

«Ventil für Irrsinniges und Fragwürdiges»: Die Idee für einen Kanton Luzern-Stadt stammt vom Luzerner SP-Grossstadtrat Mario Stübi. (Bild: zvg)

Schon lange vor der aktuellen Debatte äusserte sich ein Luzerner Grossstadtrat dezidiert zum Thema Stadt-Land. Und forderte gar einen eigenen Kanton Luzern-Stadt. Sein Grundanliegen sei nach wie vor berechtigt, findet er auch heute noch. Andere schütteln den Kopf.

Da machte einer seinem Ärger so richtig Luft. Schon lange vor der aktuellen Stadt-Land-Debatte forderte der Luzerner SP-Grossstadtrat Mario Stübi nichts weniger als einen Kanton Luzern-Stadt (zentralplus berichtete).

«Schwer zu sagen, wann genau der Ärger angefangen hat. Seit wann ich mich über meinen Heimatkanton nur noch aufregen kann», begann Mario Stübi sein Plädoyer im Winter 2020 im Kulturmagazin «041». Um gleich fortzufahren: «Nur schon wenn ich an all die Abstimmungen denke, bei denen die Landgemeinden anders gestimmt haben als die Stadt und diese somit überstimmt wurde.»

Sei es Kultur oder Verkehr: fürs Zentrum, den Wirtschaftsmotor des Kantons, habe man auf dem Land kein Gehör. Laut Stübi dürfte dies auch damit zusammenhängen, dass seit Jahren keiner der Regierungsräte – die weibliche Form sei im vorliegenden Falle unnötig – auf Stadtgebiet wohne. «Vielmehr kommen sie aus Pfaffnau, Eibu und wie diese Weiler mit Kirche auf der Landschaft alle heissen.»

Die rurale Mehrheit im Kanton bestimme über die urbane Minderheit, bilanzierte der SP-Stadtpolitiker. Und fragte: «Warum nicht den Alleingang wagen und einen eigenständigen Stadtkanton gründen?»

«Ich stehe nach wie vor hinter diesen Zeilen»

Heute, rund eineinhalb Jahre nach der Publikation des Texts, erklärt Mario Stübi auf Anfrage, das Ganze sei natürlich eine Provokation gewesen. Wenn man sich nur schon mit den demokratiepolitischen Hürden einer Kantonsgründung auseinandersetze – es bräuchte Abstimmungen auf sämtlichen Staatsebenen, also auch eine eidgenössische -, blieben die Kantone Luzern-Stadt und Luzern-Land Wunschdenken. «Das Narrativ der Sezession dient mir als Ventil, wenn ich mich mal wieder über Irrsinniges und Fragwürdiges aus unserem Regierungsgebäude aufregen muss.»

«Wenn sich die kantonale Verwaltung Richtung Seetalplatz verabschiedet, werde ich dafür plädieren, dass sich unser Regierungsrat gleich anschliesst.»

Mario Stübi, SP-Grossstadtrat

Er stehe aber nach wie vor hinter den damaligen Zeilen. Es handle sich ja lediglich um eine Provokation, auch wenn seine Überlegungen mit allerhand Fakten unterlegt gewesen seien. «Wenn sich aber in einigen Jahren die kantonale Verwaltung weitgehend aus der Stadt Richtung Seetalplatz verabschiedet, werde ich sicher dafür plädieren, dass sich unser Regierungsrat gleich anschliesst.»

Auf dem Facebook-Account «Kanton Luzern-Stadt» wird nach wie vor rege das politische Geschehen – insbesondere der kantonalen Regierung – kommentiert.

Auf die Frage, ob er damals nach der Publikation des Textes irgendwelche Reaktionen erhalten habe, antwortet Mario Stübi: «Im persönlichen Umfeld bedankten sich ein paar für die unterhaltsame Lektüre. Die sofortige Umsetzung eines Kantons Luzern-Stadt hat in der Folge aber niemand ernsthaft gefordert.»

Sogar SVP-Präsidentin plädiert für gemeinsame Lösungen

Wie beurteilen Politikerinnen und Politiker auf der Landschaft die Argumente den Text von Mario Stübi? Das Ganze scheint heikel zu sein. Ein angefragter FDP-Kantonsrat vom Land will sich jedenfalls nicht zitieren lassen.

Angela Lüthold-Sidler, Präsidentin der Luzerner SVP und Kantonsrätin aus Nottwil, schreibt auf Anfrage: «Für die Entwicklung eines Kantons braucht es alle Kräfte.» Es sei falsch, Stadt und Land gegeneinander auszuspielen. Es gelte jeweils die politischen Mehrheiten zu akzeptieren. «Einen neuen Kanton ‹Stadt› ins Leben zu rufen würde heissen, dass wir im Kanton Luzern nicht in der Lage sind, die Probleme oder Anliegen beider Seiten gemeinsam zu lösen.»

«Die Forderung nach der Errichtung eines Stadtkantons Luzern ist absurd.»

Ludwig Peyer, CVP-Kantonsrat

Ludwig Peyer ist Geschäftsführer des Verbands der Luzerner Gemeinden (VLG) und CVP-Kantonsrat aus Willisau. Er meint: «Die Forderung nach der Errichtung eines Stadtkantons Luzern ist absurd.» Probleme löse man durch Zusammenarbeit und Zusammenwachsen und nicht durch Separation. Wenn schon müsste man sich eher die uralte Frage eines Kantons Zentralschweiz stellen. «Hier wäre meines Erachtens Potenzial vorhanden, um die Innerschweiz auch national zu stärken und um Synergien zu nutzen.»

Laut Ludwig Peyer könnte man sich die Frage ja auch umgekehrt stellen: Was wäre, wenn sich die Landschaft von der Stadt abspalten würde, so wie das in Willisau vor etwas mehr als 200 Jahren passierte? «Da stünden dann 80'000 Einwohner einer bevölkerungsmässig schrumpfenden Stadt einem 320'000 Personen zählenden Landkanton gegenüber.» Sämtliche Betriebe und Geschäfte würden dann in die Agglomeration ziehen, die Stadt würde zu einem Museum, ähnlich einem Reservat.

Ein Blick in die Geschichte lehre: «Ohne Land keine Stadt und ohne Stadt kein Land.»

Der Stadt-Land-Graben im historischen Kontext

Konflikte zwischen der Stadt Luzern und der Landschaft habe es auch schon früher gegeben, erklärt der an der Pädagogischen Hochschule Luzern lehrende Historiker Markus Furrer. Die Stadt und das Land seien im Verlaufe des 19. Jahrhunderts politisch sehr unterschiedlich ausgerichtet gewesen: «Das Land war mehrheitlich katholisch-konservativ und die Stadt liberal.» Über eine lange Zeit hinweg hätte gar fast so etwas wie zwei politische Staatswesen existiert: Die Stadt und der Kanton mit teilweise parallelen Infrastrukturen, so etwa bei der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. «Die Gräben wurden aber auch immer wieder überschritten; so gab es auch liberal geprägte Landgemeinden.»

Die sich dann im 20. Jahrhundert um die Stadt herum rasant ausbreitenden Agglomerationsgemeinden hätten in der Folge den Gegensatz zwischen jenem Bevölkerungsteil, der in der Region Luzern lebt und praktische die Hälfte der Kantonsbevölkerung ausmacht, und dem restlichen mehrheitlich ländlichen Kanton noch vergrössert.

«In Luzern waren starke liberale Kräfte gerade in der Stadt aktiv. Diese verbanden sich mit aufstrebenden bürgerlichen Bevölkerungsschichten auch vom Lande.»

Markus Furrer, Historiker

Allerdings seien mit Sursee und Hochdorf auch Zentren mit urbanem Charakter herangewachsen. Zudem würden sich die Differenzen von «ländlich-städtisch» auch durch die Agglomerationsgemeinden selber ziehen. All das minimiere wohl den Stadt-Land-Gegensatz.

Die Stadt-Land-Diskussionen hätten in Luzern nie in der Forderung nach einer Aufteilung in einen Stadt- und einen Landkanton gegipfelt. «Das dürfte in Basel 1833 eine Ausnahme aufgrund der politischen Konstellationen gewesen sein», so der Historiker Markus Furrer. «In Luzern waren hingegen starke liberale Kräfte gerade in der Stadt aktiv. Diese verbanden sich mit aufstrebenden bürgerlichen Bevölkerungsschichten auch vom Lande.» Die Stadt habe sich dann zu einer liberalen Hochburg entwickelt, während der Rest des Kantons stark konservativ geprägt gewesen sei. Auch der Bauernkrieg gegen die Dominanz des städtischen Proletariats im 17. Jahrhundert habe kaum auf eine Herauslösung des Territoriums abgezielt.

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11 Kommentare
  • Profilfoto von Rudolf 1
    Rudolf 1, 18.08.2021, 04:57 Uhr

    Die Dörfer in der Schweiz sind schon lange städtisch. Da ist kein «Graben» bzw. er wird fast täglich herbeigeredet.

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  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 17.08.2021, 14:27 Uhr

    Der Checkpoint-Charlie-Fetischismus von Herr Stübi scheint mir doch sehr antiquiert. Etwas Geschichtsunterricht, vielleicht eine Bildungsreise nach Berlin und Ostdeutschland könnte dem Herrn Stübi über seine einsamen Momente, in welchen in Intoleranz und Ignoranz plagen, helfen. Die Kolchose- und Planwirtschaftsgeilheit von Herr Stübi ist äusserst besorgniserregend. Vermutlich findet seine Idee höchstens noch Anklang bei den Museggmauer-Verehrer.

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    • Profilfoto von Rudolf 1
      Rudolf 1, 18.08.2021, 05:09 Uhr

      Ein alter Hut. Herr Stübi hat vor anderthalb Jahren aus Unmut von einer Trennung des Kantons gesprochen. Er will die natürlich auch nicht – und von Planwirtschaft war nie die Rede. Was soll Ihr Geschwurbel von der D»D»R, Herr von der Schwand?

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      • Profilfoto von Michel von der Schwand
        Michel von der Schwand, 18.08.2021, 09:06 Uhr

        Ich kann beim besten Willen nicht jedes Mal «Satire» drunter schreiben. Hätten Sie ausgeschwurbelt, würden Sie das erkennen.

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    Karl Ottiger, 17.08.2021, 13:22 Uhr

    Das problem in der Politik ist wir haben viele Studierte aber keine Intelligenten

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    • Profilfoto von Rudolf 1
      Rudolf 1, 18.08.2021, 05:11 Uhr

      Das ist eine beleidigende Unterstellung, kein Argument.

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    Dunning-Kruger, 17.08.2021, 08:25 Uhr

    Interessante Denkfigur – und so progressiv, wenn auch nicht kollektivistisch, internationalistisch. Jänu, aber so könnte im Handstreich eine sozialistische Räte- und Stadtrepublik aus der Taufe gehoben werden. Quasi eine Luzernopie. Selbstverständlich mit Einheitspartei und allem drum & dran. Im Falle von Republikflucht einfach eine Mauer, äh Pardon, ein antifaschistischer Schutzwall drum. Problem gelöst.

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  • Profilfoto von simon.occur
    simon.occur, 17.08.2021, 07:23 Uhr

    Stübi ist kein Kompromisspolitiker sondern ein Öko-Kommunist, der sich gerne in der eigenen Echo-Blase bewegt. Ihm geht es nicht um die Sache, sondern um die Ideologie. Wer da nicht reinpasst, muss raus. Seine angeblichen «Provokationen» sind sein politisches Programm. Mindestens die Ehrlichkeit muss man ihm zu gute halten.

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    Roli Greter, 17.08.2021, 06:10 Uhr

    Mario Stübi ist ein schlechter Demokrat geworden. Vom Wählbaren zum Fehlbaren; auf solche Volksspalter können wir verzichten.

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    Conrad Zihlmann, 16.08.2021, 19:29 Uhr

    Wer die Stadt als «Wirtschaftsmotor» des Kantons sieht, hat eine spezielle Sicht der Realität. Da half nicht mal die Eingemeindung von Littau.

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    Lucommenter, 16.08.2021, 16:13 Uhr

    Toleranz ist ein Fremdwort für Herrn Stübi – wer anders denkt muss raus. Meine Meinung: weniger Stübi, mehr Luzern.

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