Nachbesserungen nötig

IT-Debakel: Kanton Luzern kämpft mit Schulsoftware

«Was ist schiefgelaufen?»: Kantonsrat Urs Brücker bemängelt die Einführung der neuen Schulsoftware Educase. (Bild: zvg)

Sie sollte den Schulen den Alltag erleichtern, doch das Gegenteil ist der Fall: Die neue Schulsoftware Educase kämpft mit Tücken. Mehrere Anwendungen funktionieren nicht, die Umsetzung verzögert sich um Jahre. Ein Kantonsrat ist erstaunt, eine Expertin weniger.

Immer Ärger mit der IT: Davon können viele ein Lied singen. Aktuell auch der Kanton Luzern beziehungsweise die Gemeinden. Grund ist die Schulsoftware Educase. Sie soll den Schulen das unkomplizierte Arbeiten ermöglichen. Beispielsweise das Erfassen von Zusatzlektionen, das Abrufen von Schülerlisten oder den Wechsel einer Lehrperson an eine andere Schule.

«In den Gemeinden herrscht grosse Unzufriedenheit», sagt der GLP-Kantonsrat und Megger Gemeindepräsident Urs Brücker, der mittels eines Vorstosses Auskunft zum Fall Edcuase verlangte. Denn obwohl die Software im Sommer 2019 den Betrieb aufnehmen sollte, laufen viele Funktionen nicht oder nur unzuverlässig. So bereitet zum Beispiel das Modul für die Musikschulen Probleme. Ein weiterer offener Punkt ist die Datenmigration von der alten in die neue Datenbank.

Der Regierungsrat räumt nun ein, dass nach wie vor viele Probleme bestehen. Ein Test Ende August zeigte: Nur die Hälfte der Funktionen entspricht den Anforderungen. Bei der anderen Hälfte sind Nachbesserungen nötig. «Ebenso zeigt sich, dass die Performance der Schulsoftware weiter optimiert werden muss», hält die Regierung in ihrer Antwort auf Brückers Anfrage fest. Kurz: Das Programm ist noch nicht ausgereift, die ist Performance verbesserungswürdig.

Das Projekt sei komplexer als erwartet. Man habe eine Nachbesserungsfrist von zwei Monaten eingeräumt, schreibt die Regierung. Wie die «Luzerner Zeitung» berichtete, hat der Kanton zudem ein Mediationsverfahren eingeleitet. Weil das noch im Gange ist, wollen sich weder das Bildungsdepartement noch der Verband Luzerner Gemeinden näher dazu äussern. Auch die Firma Base-Net Education AG gibt sich zugeknöpft. Man arbeite konstruktiv mit der Dienststelle Volksschule zusammen. «Alle Parteien sind überaus bestrebt, das Projekt erfolgreich umzusetzen», so die knappe Stellungnahme gegenüber zentralplus.

Von der Standardlösung zum Entwicklungsprojekt

Klar ist so viel: Der Kanton peilt als neues Ziel den Abschluss des Projekts im August 2023 an – vier Jahre später als anfänglich erwartet. Die grossen Gemeinden im Kanton, unter anderem Luzern, Emmen, Kriens und Horw, haben die Einführung der Software bisher noch gar nicht an die Hand genommen. Sie vertrauen lieber den altbekannten Programmen.

Doch nicht überall ist der Geduldsfaden so lange. «Ich frage mich ernsthaft, ob wir von diesem toten Ross absteigen sollten», sagt Urs Brücker. Ein Projektabbruch wäre zwar «unschön», immerhin hat das Projekt über 7 Millionen Franken gekostet. Aber man müsse ein Fass ohne Boden verhindern.

«Ich frage ich mich: Was ist bei der Ausschreibung schiefgelaufen?»

Urs Brücker, GLP-Kantonsrat

Brücker spricht von einer tristen und ernüchternden Situation. Die Antwort der Regierung auf seine Anfrage habe viele neue Fragen aufgeworfen. Eine betrifft die Ausschreibung des Auftrags. Denn die Firma, welche den Auftrag erhielt, konnte gemäss Luzerner Regierung keine Standardapplikation anbieten. «Der Kanton und die Gemeinden gerieten in ein eigentliches Entwicklungsprojekt», schreibt die Regierung. Und ergänzt erstaunt: Zum Zeitpunkt der Vergabe sei das nicht ersichtlich gewesen.

«Da frage ich mich schon: Was ist bei der Ausschreibung schiefgelaufen?», sagt Urs Brücker. Der grünliberale Politiker ist überrascht vom «Fiasko». Dass die Schulsoftware nicht trivial sei, räumt auch er ein. Klar, müssten im Ausschreibungskatalog die Anforderungen an die Funktionalität genau definiert werden, so Brücker. Aber: «Wir reden hier im Grunde von einer etwas ausgebauten Adressverwaltung.» In der Industrie, im Handel oder im Dienstleistungssektor seien viel umfassendere Systeme, beispielsweise zur Auftragsabwicklung, Produktionsplanung oder zum Projektmanagement, seit Jahren als Standard im Einsatz.

Expertin: Schulsoftware wird unterschätzt

Dieser Einschätzung widerspricht Ursula Sury, Vizedirektorin am Departement Informatik der Hochschule Luzern. «Schulsoftware ist ein sehr komplexes Gebiet, das oft enorm unterschätzt wird. Es ist viel einfacher, eine Buchhaltungssoftware zu programmieren.» Eine Schule brauche verschiedene Berechtigungen und Kategorien, dazu komme der Datenschutz und viele, in sich autonome Nutzer, wie Musikschulen oder einzelne Gemeinden.

«Ich vermute, die Komplexität wurde von verschiedenen Beteiligten unterschätzt.»

Ursula Sury, Professorin HSLU

Dass sich die Umsetzung in diesem Fall gleich um mehrere Jahre verzögert, sei aber doch «eher lang», so Sury. «Ich vermute, die Komplexität wurde von verschiedenen Beteiligten unterschätzt.» Auch sie spricht von offenen Fragen im Zusammenhang mit der Ausschreibung. Denn wenn es tatsächlich eine Standardsoftware wäre, müsste geklärt werden, warum nach dem Zuschlag noch so viel programmiert wird.

Kanton beziffert zusätzlichen Aufwand nicht

Die Frage ist, ob sich das «Fiasko» auch auf die Staatskasse niederschlägt. Wie bei der Volksschule üblich, beteiligen sich Kanton und Gemeinden je zur Hälfte an den Kosten – auch an allfällig zusätzlichen Kosten der Schulsoftware. Wie viel das sein könnte, bleibt vordergründig offen.

Der Aufwand für die Schulsekretariate für die Einführung der Software wurde bei den bisher angeschlossenen Gemeinden nicht erhoben», so die Regierung. Sehr zum Erstaunen von Urs Brücker, der davon ausgeht, dass Gemeinden und Schulen viel zusätzliche Zeit investieren. «Ich werde mir vorbehalten, bezüglich der Kosten einen weiteren Vorstoss einzureichen.»

Ursula Sury ist Vizedirektorin am Departement Informatik der Hochschule Luzern. (Bild: wia)

Seine Annahme stützt auch Ursula Sury von der Hochschule Luzern. «Der interne Aufwand ist bei einem solchen IT-Projekt mindestens so hoch wie der Kaufpreis. Eine neue Software zu implementieren braucht Zeit und bedeutet viel Arbeit.»

Bevor ein Übungsabbruch in Erwägung gezogen wird, braucht es laut der Expertin eine grundlegende Analyse. Zum einen auf der technischen Seite: Ist die Architektur zukunftsfähig, gibt es Muster der Probleme? Und zum anderen in rechtlicher Hinsicht. Da geht es vor allem um vertragliche Regelungen und Verantwortlichkeiten und um die Rolle der einzelnen Beteiligten. Auch der Regierungsrat betont, dass vor einem allfälligen Projektabbruch vertraglich vorgesehene Verhandlungen geführt werden müssten.

IT-Debakel: Luzern ist kein Einzelfall

Es ist nicht der erste Informatik-Fail, den der Kanton Luzern dieses Jahr beschäftigt. Bereits im Winter kämpfte man mit der neuen Steuersoftware (zentralplus berichtete). Auch der Bund sorgte schon mehrfach mit IT-Debakeln für Schlagzeilen.

«Das Problem mit der Schulsoftware in Luzern ist überhaupt kein Einzelfall», sagt Professorin Ursula Sury. «Auch andere Kantone kennen IT-Probleme.» Die Spezialistin erklärt sich das damit, dass oft falsche Vorstellungen herrschten. «Man meint, es brauche nur eine neue Software. Aber man muss eigentlich ein ganzes Ökosystem bewirtschaften.» Dazu müssten die Beteiligten nicht nur in der Entwicklung der Software Expertise aufweisen, sondern auch im betroffenen Fachgebiet – in diesem Fall der Schuladministration – und in der Anwendungsumgebung. «Diese drei Dimensionen sind hochkomplex.»

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11 Kommentare
  • Profilfoto von M. Moser
    M. Moser, 23.12.2021, 14:26 Uhr

    Hmm, ich frage mich ob sich der Kanton Luzern das Programm als sogenannte «eierlegende Wollmilchsau» vorgestellt hat. Wie so oft bei Beschaffungen wird dem eigentlichen «Grundprogramm» dann eine sogenannte «Mastkur» verschrieben, d.h. es wird da noch ein Subprogramm eingefügt und dort muss noch eine grafische Oberfläche hinzugefügt werden. Irgendwann wird aus einem funktionierenden schlanken Programm dann ein Dinosaurier mit Fehlerquellen ohne Ende. Da passen dann einzelne Schnittstellen nicht mehr zusammen und letztendlich hat man dann ein Flickwerk das so kompliziert ist, dass selbst der Hersteller der Software nur noch mit Mühen eine Fehlersuche durchführen kann. Und ja, die Dinosaurier sind ausgestorben, genauso wird es im Kanton Luzern dem Programm Educase gehen weil es letztendlich so verkompliziert wurde, dass ein einfacher User sehr bald an seine Grenzen stösst.

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    Richard Scholl, 22.12.2021, 19:10 Uhr

    Auffallend bei diesen IT-Missgriffen, siehe Armee, diverse Amtsstellen, Schulen, usw. ist, dass der Nettosteuerzahler diese Kosten bezahlen muss. Offenbar können IT-Anbieter Schrott liefern und sich trotz Missgriff auf Bezahlung ihrer Honorare freuen.

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  • Profilfoto von hegard
    hegard, 21.12.2021, 19:16 Uhr

    Das die Kantone und Bund naiv von IT Projekten stehen ist nichts neues.Darum bin ich froh das das Digitaliesirung Projekt
    In der Abstimmung bachab ging.
    Es wäre von Vorteil,wenn die Politiker ein Window 10 Programm starten können,sich nicht als Experte sehen und Hilfe von zB U.Sury annehmen würden.Der Bund und Kantone müssen noch mit ein Paar Millionen den IT aufrüsten um respektable Programme und Sicherheit zu erlangen,dann kann man über Digitaliesirung diskutieren.

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    Mungo Park, 21.12.2021, 09:05 Uhr

    Interessant: IT-Debakel treten immer nur bei der öffentlichen Hand und dem Militär auf. Dort dafür mit finanziellen Super-GAU-Folgen.
    Offenbar hat dies von Seiten der Anbieter System, um die Leistung mit Vorsatz künstlich zu verteuern. Diese haben die betriebswirtschaftliche Lektion N°1 sofort verstanden: Die Kässeli mit dem Steuergeld versiegen niemals und können immer wieder frisch angezapft werden, hat man den Fuss erst einmal in der Tür – gibt es kein zurück mehr. Beugehaft gewissermassen. Die Stellen, die das verhindern resp. kontrollieren müssten, versagen ebenfalls mit System (oder Vorsatz) auf der ganzen Linie. Da sollte man mal mit den eisernen Besen dahinter!

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    • Profilfoto von David L
      David L, 21.12.2021, 10:02 Uhr

      Stimmt so nicht ganz.
      Die IT-Debakel der Privatwirtschaft werden einfach in den meisten Fällen nicht öffentlich.

      Beispiel für ein gigantisches IT-Debakel in der Privatwirtschaft:
      Lidl wollte seine Betriebssoftware auf SAP umstellen. Für die Umstellung haben sie über 500 Millionen Euro (!) ausgegeben.
      Am Ende erfolgte dann der Übungsabbruch und Lidl arbeitet mit dem alten System weiter.
      D.h. eine halbe Milliarde in den Sand gesetzt, ohne auch nur einen kleinen Bruchteil des Ziels erreicht zu haben.

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        Anaximander, 21.12.2021, 10:56 Uhr

        Kleiner, aber feiner Unterschied: Was interessiert es die Öffentlichkeit, wenn Konsumgigant Lidl Geld in den Sand setzt?

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    • Profilfoto von Sandra Klein
      Sandra Klein, 21.12.2021, 11:21 Uhr

      Solche Debakel gibt es in der Privatwirtschaft genauso. Bekannte Beispiele sind Postfinance oder Raiffeisen. Diese müssen die Verluste aber nicht öffentlich ausweisen. Aber es ist tatsächlich auffallend, wie viel Geld unsere Armee mit der IT schon in den Sand gesetzt hat.

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      • Profilfoto von Leo
        Leo, 21.12.2021, 12:32 Uhr

        Was soll dieser Whataboutism? Postfinance ist ebenfalls ein Staatbetrieb.

        Wenn ein Privatbetrieb Geld in den Sand setzt, kümmert das den Steuerzahler nicht!

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      Kommentarschreiber, 21.12.2021, 12:19 Uhr

      Die Privatwirtschaft deklariert und veröffentlicht logischerweise solche IT-Debakel nicht, im Gegensatz zum öffentlich-rechtlichen Sektor, der selbstverständlich MUSS. Auch diese privatwirtschaftlichen IT-Debakel werden schlussendlich in den Leistungen und Produkten verrechnet und am Ende auch von Ihnen und mir bezahlt. Aber scheinbar gefällt es Ihnen, mit z.T. unbewiesenen Unterstellungen und Vorwürfen, vor allem Feindbildbewirtschaftung zu betreiben.

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      • Profilfoto von Mungo Park
        Mungo Park, 21.12.2021, 14:27 Uhr

        Sehr geehrter Herr Genzoli. Den Staat zu kritisieren, vorallem dann, wenn dieser offensichtlich seinen Pflichten nicht nachkommt, das Volksvermögen nach bestem Wissen und Gewissen und in bester haushälterischer Absicht einzusetzen, ist eine unabdingbare und inhärente Notwendigkeit einer virilen Demokratie. Skeptizismus gegenüber dem Staat hat nichts mit Feindbildbewirtschaftung zu tun. Die Feindbilder, die Sie meinen, werden ganz woanders produziert. Und ganz besonders virulent ist dieses Phänomen genau in jenem politischen Spektrum, dem Sie gerne angehören wollen. Nur mögen Sie das nicht erkennen und leben weiterhin Ihr (publizistisches) Leben in dieser falschen Dichotomie.

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      • Profilfoto von Marc Wieser
        Marc Wieser, 22.12.2021, 14:33 Uhr

        Da gebe ich Ihnen in allen Punkten recht, Herr Park. Nur war Ihr Einstiegssatz ins Thema folgender:„ Interessant: IT-Debakel treten immer nur bei der öffentlichen Hand und dem Militär auf“. Auf diesen Satz haben mehrere Poster reagiert und diesen mit aktuellen Beispielen widerlegt. Darum handelt es sich in diesem Fall nicht um Whataboutism. Ihr Rundumschlag gegen Herrn Genzoli ist darum aus meiner Sicht nicht angebracht und überzogen.

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