Integrationsexpertin: «Der Kanton Luzern nimmt unser Know-how nicht zur Kenntnis»
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Der Kanton Luzern hat dem Arbeiterhilfswerk Zentralschweiz (SAH) den Leistungsauftrag für die berufliche Integration von Flüchtlingen auf Anfang 2021 gekündigt. Die Betroffenen sind vor den Kopf gestossen.
Hintergrund des Entscheids des Sozialdepartements ist die vom Bund eingeführte «Integrationsagenda Schweiz». Sie sieht eine schnellere Integration von Flüchtlingen vor. Dafür erhalten die Kantone auch mehr Geld vom Bund: 18‘000 Franken pro neuen Flüchtling statt wie bisher 6‘000 Franken.
Diese Agenda verlange von den Kantonen, «dass der Integrationsprozess aus einer Hand sichergestellt werde», wie Silvia Bolliger, Leiterin Asyl- und Flüchtlingswesen beim Kanton, gegenüber der «Luzerner Zeitung» ausführte.
Was Bolliger nicht erwähnte: In den Empfehlungen des Staatssekretariats für Migration für die Umsetzung der Integrationsagenda heisst es, der Kanton könne «die Umsetzung an lokale Stellen delegieren». Und weiter: «für konkrete, zeitlich befristete Integrationsschritte kann die Fallführung vorübergehend an Dritte übertragen werden».
Überdurchschnittliche Erwerbsquote erreicht
Genau dies meint Beat Däppeler, Präsident des SAH Zentralschweiz, als er in einer Medienmitteilung schrieb, dass eine Zusammenarbeit durchaus auch weiterhin möglich wäre.
Der Entscheid des Kantons Luzern wird beim SAH Zentralschweiz in Luzern zur Entlassung von 22 Mitarbeitenden und zur Kündigung eines Bürogebäudes führen. Die SAH Zentralschweiz verwies bislang vergeblich auf die im schweizerischen Vergleich überdurchschnittliche Erwerbsquote, die seine Fachstelle für berufliche Integration erreiche.
«Integration verlangt Empathie und Engagement für die betroffenen Leute. Der Kanton hingegen möchte am liebsten alle Flüchtlinge effizient verwalten.»
Felix Kuhn
Im letzten Jahr konnten 425 Stellen – davon 50 Lehrstellen – an geflüchtete Menschen vermittelt werden. Beat Däppeler ist enttäuscht über die mangelnde Wertschätzung der jahrelangen Erfahrung und des fundierten Fachwissens, das sich die Mitarbeitenden aufgebaut haben. «Im Interesse der betroffenen Flüchtlinge, der Wirtschaft und des Kantons ist es wichtig, einen Know-how-Verlust zu vermeiden und eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Kanton und Fachorganisation zu gewährleisten», schreibt er.
Es gebe auch andere Kantone, wie etwa Aargau und St. Gallen, die weiterhin auf ihre erfahrenen Partner in der Arbeitsintegration vertrauen. Für Beat Däppeler führt der Kanton Luzern demnach eine «reine Sparmassnahme» durch.
Sparmassnahme führt zu Know-how-Verlust
Diese Ansicht teilt Felix Kuhn vom Verein Luzerner Asylnetz. «Der Hauptgrund für die Ausschaltung des Arbeiterhilfswerks liegt bei der Pauschale, die der Bund auf Grund der neuen Integrationsagenda ausrichtet: das sind 18‘000 statt wie bisher 6‘000 Franken für die Integration eines Flüchtlings. Das ist eine neue Einnahme für den Kanton, und das freut den Finanzdirektor.»
Kuhn zweifelt generell am Willen und an der Fähigkeit auf der Dienstelle Asyl und Flüchtlinge (DAF), den Menschen bei ihrem beruflichen Vorankommen zu helfen. «Integration verlangt Empathie und Engagement für die betroffenen Leute. Der Kanton hingegen möchte am liebsten alle Flüchtlinge effizient verwalten», so sein Vorwurf.
«Es ist schmerzlich, wenn diese Arbeit nicht mehr weitergeführt werden kann. Doch die Massnahme entspricht dem Zeitgeist.»
Felix Föhn
Das Luzerner Asylnetz ist ein privater Verein, der sich für Menschlichkeit im Asyl- und Flüchtlingsbereich einsetzt. Er schrieb vor wenigen Tagen zum Thema einen Brief an die Luzerner Regierung.
Vor ein paar Jahren, als das gleiche Departement der Caritas den Auftrag für die soziale Betreuung der Flüchtlinge wegnahm, habe der Kanton «eine grosse Zahl von qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas übernommen. Das war kurzfristig klug und für die geflüchteten Menschen gut.» Weniger gut sei, dass von diesen Angestellten in der Zwischenzeit fast alle gekündigt hätten, die meisten schon relativ schnell. «So gingen Wissen und vor allem Engagement verloren», heisst es in dem Brief weiter.
Massgeschneiderte Betreuung brachte den Erfolg
Christine Spychiger ist die Leiterin der Fachstelle Migration Co-Opera des SAH. Sie ist vom Entscheid des Kantons Luzern nicht überrascht. Trotzdem: Eigentlich hätte der Kanton den Auftrag so belassen und lediglich den Lead übernehmen können, meint sie.
Der grosse Ärger jedoch ist ein anderer: «Der Kanton nimmt unser Know-how gar nicht zur Kenntnis und verzichtet so auf unser Fachwissen. Ich finde es stossend, dass der Kanton uns nicht in die Umsetzung der Integrationsagenda einbezogen hat.»
Die Integrationsagenda Schweiz sei eine gute Sache und sie hätte sich gewünscht, dass der Kanton die SAH mit ins Boot geholt hätte. «Es besteht die Tendenz zum Standardisieren, wir hoffen, dass die Arbeit zukünftig nicht nach einem 0815-Schema gemacht wird», sagt Spychiger weiter. «Man muss auf Ressourcen der Klienten und Klientinnen aufbauen: Die Eine hat in ihrer Heimat ein Studium gemacht hat, der Andere konnte keine Schule besuchen. Dem gilt es Rechnung zu tragen.»
«Verschiedene Player bringen Mehrwert»
Felix Föhn, heute Leiter der Sozialen Dienste der Stadt Luzern, war vor Jahren Geschäftsleiter beim Arbeiterhilfswerk. Er hat dort vor 18 Jahren die Aufgabe der beruflichen Integration aufgebaut, mit engagierten, fähigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. «Es ist schmerzlich, wenn diese Arbeit nicht mehr weitergeführt werden kann. Doch die Massnahme entspricht dem Zeitgeist», sagt er.
Er befürworte eine Organisationsstruktur, in der verschiedene Player beteiligt seien: private Institutionen, Hilfswerke, NGOs und Behörden. «Dieses Zusammenspiel bringt einen Mehrwert. Private Organisationen sind agiler und können auf die sich laufend ändernden Bedürfnisse schneller eingehen. Da traue ich einer privaten Institution mehr zu als der öffentlichen Hand. Sie ist näher am Klient als der Staat.»
Wie der zuständige Regierungsrat Guido Graf den Entscheid des Kantons begründet, erfahrt ihr morgen im zweiten Teil dieses Beitrags. Dieser Artikel ist ursprünglich bei Luzern 60 Plus erschienen.
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