Am Freitag dürfte der Bundesrat die Corona-Massnahmen verschärfen. Die Stopp-Impfpflicht-Initiative, die diesen Donnerstag eingereicht wird, will die Benachteiligung von Ungeimpften unterbinden. Sie hätte weitreichende Folgen, warnt ein Luzerner Professor. 2G zum Beispiel wäre dann vom Tisch.
Lange war es ein Tabu, jetzt diskutiert auch die Schweiz über Formen eines Impfobligatoriums. Mehrere Nationalräte haben die Debatte lanciert. So bezeichnete etwa SP-Nationalrat Fabian Molina im «Club» von SRF eine generelle Impfpflicht als «leider die beste und verhältnismässigste Option». Mitte-Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel brachte in der «Aargauer Zeitung» ein Impfobligatorium für alle über 65-Jährigen ins Gespräch. Und sogar in der SVP sinnieren manche – namentlich Parteipräsident Marco Chiesa im «Tages-Anzeiger» – über eine Impfpflicht für das Pflegepersonal.
In unseren Nachbarländern ist das teilweise bereits normal. In Italien zum Beispiel müssen sich nicht nur Pflegerinnen impfen, sondern bald auch Lehrer, Polizistinnen oder Rettungskräfte. Auch Österreich führt nächstes Jahr eine Impfpflicht ein. In Deutschland ist es ebenfalls ein Thema. Wer sich weigert, muss mit Jobverlust rechnen oder kassiert eine Busse.
Auch wenn die Schweiz kein generelles Impfobligatorium kennt und der Bundesrat erst kürzlich im Rahmen der Fragestunde bekräftigte, dass keines vorgesehen ist: Die Initiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» will entsprechende Tendenzen unterbinden. Das Timing könnte kaum besser sein. Diesen Donnerstag, inmitten der fünften Welle, reichen die Initianten rund um die «Freiheitliche Bewegung Schweiz» (FBS) ihre Stopp-Impfpflicht-Initiative in Bern ein. «In der aktuellen Lage, in der Menschen vom sozialen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind, haben wir faktisch eine versteckte Impfpflicht», begründet Richard Koller, FBS-Präsident und ehemaliger Sekretär der SVP Luzern.
Wie ist die Initiative einzuschätzen?
Der erste Teil der Initiative dürfte kaum umstritten sein. Denn er verlangt, dass Eingriffe in die körperliche oder geistige Unversehrtheit einer Person deren Zustimmung bedürfen. Ein Recht, das bereits heute durch die Bundesverfassung garantiert wird. «Inhaltlich würde damit nichts Neues in die Verfassung kommen», sagt Bernhard Rütsche, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Luzern. Denn das Prinzip des sogenannten ‹informed consent› sei nach ständiger Rechtsprechung bereits als Teilaspekt des Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit anerkannt.
«Die Annahme der Initiative hätte weitreichende Folgen über die Impfthematik hinaus.»
Bernhard Rütsche, Professor Universität Luzern
Eine erhebliche Änderung würde hingegen der zweite Satz der Initiative bringen. Demnach dürfte eine Person, die eine Impfung verweigert, weder bestraft werden noch dürften ihr daraus soziale oder berufliche Nachteile erwachsen. «Damit wird nicht nur eine direkt oder indirekt durchsetzbare Impfpflicht untersagt, sondern jegliche staatlich veranlasste Eingriffe in die Integrität, die bei einer Verweigerung der Zustimmung mit Sanktionen oder Nachteilen verbunden sind», so der Rechtsexperte.
Die 2G-Regel wäre vom Tisch
Auch wenn es gemäss Bernhard Rütsche nicht klar ist, wie der Begriff der sozialen Nachteile zu interpretieren wäre: Diese Forderung hätte weitreichende Folgen. Heute gewähren zum Beispiel mehrere Bars oder Kinos nur noch geimpften oder genesenen Personen Zugang – das wäre laut Rütsche nicht mehr zulässig. «Denn die 2G-Regel verknüpft den Entscheid, sich nicht impfen zu lassen, mit sozialen Nachteilen.» Ebenso dürften Firmen laut Rechtsprofessor Rütsche nicht mehr gezielt nur Geimpfte anstellen. Denn das entspräche einem beruflichen Nachteil für Ungeimpfte.
Würden die Forderungen der Initiative also bereits heute gelten, hätte das erhebliche Folgen für die Pandemiebekämpfung. Dem stimmt auch Richard Koller vom Initiativkomitee zu. «Regeln wie 2G oder 3G wären definitiv vom Tisch», bestätigt er. Dass das Virus damit leichteres Spiel hätte, lässt Koller nicht gelten. Die Behörden müssten gezielter die gefährdeten Personengruppen schützen. «Es ist nicht ihre Aufgabe, die Menschen von ihrer Eigenverantwortung zu befreien», sagt Koller. «Es ist jedem selber überlassen, welcher Art von Risiko er sich aussetzen will – ob den Impfnebenwirkungen oder einer Erkrankung.»
Initiative hätte Folgen über die Corona-Pandemie hinaus
Auch wenn die Initiative durch die aktuelle Corona-Lage besondere Aufmerksamkeit und Aktualität erfährt: Anders als die beiden Referenden gegen das Covidgesetz ist die Stopp-Impfpflicht-Initiative allerdings kein explizites Votum zur Pandemiepolitik des Bundes. Denn zunächst muss ihre Gültigkeit geprüft werden. Danach wird sie in den eidgenössischen Räten diskutiert, bevor es überhaupt zur Abstimmung kommt. Bis dahin dürfte die Debatte um die Corona-Massnahmen schon einen mächtigen Schritt weiter sein.
Die Initiative ist denn auch nicht explizit auf die Corona-Krise gemünzt. Sie fordert grundsätzlich ein Verbot von beruflichen und sozialen Nachteilen für Personen, die sich Eingriffen in ihre Integrität verweigern. Entsprechend gingen die Auswirkungen weit über die aktuelle Pandemie hinaus, wie Bernhard Rütsche von der Universität Luzern aufzeigt.
Die Forderung würde zum Beispiel auch medizinische Untersuchungen zum Gesundheitszustand von Asylsuchenden umfassen. Oder von Personen, die eine Invalidenrente beantragen. Obwohl diese Abklärungen für den Sachverhalt – ob jemand Asyl oder eine IV-Rente erhält – entscheidend sein können, dürften sie nicht mehr zwangsweise durchgesetzt werden. «Die Annahme der Initiative hätte damit weitreichende Folgen über die Impfthematik hinaus und könnte auch in Bereichen ausserhalb des Epidemienrechts die Rechtsdurchsetzung erheblich erschweren.»
Impfobligatorium hat in der Schweiz einen schweren Stand
Diese Ansicht teilt auch der Luzerner Ständerat Damian Müller. Zwar ist auch er gegen ein Impfobligatorium, weil ein solches ohnehin nicht durchsetzbar wäre. «Dennoch lehne ich die radikale Initiative ab», sagt der FDP-Politiker. «Deren Forderungen schiessen weit übers Ziel hinaus.» Müller weist zudem darauf hin, dass auch geimpfte Personen nicht benachteiligt werden dürfen, nur weil eine Minderheit die Impfung ablehne.
«Ein Impfobligatorium würde in der Schweiz aber niemals akzeptiert und wäre auch politisch nicht mehrheitsfähig.»
Franz Grüter, SVP-Nationalrat
Mit dieser Haltung ist Müller nicht allein. Im Initiativkomitee findet sich nur gerade eine einzige gewählte Politikerin aus dem Bundeshaus. Es ist die Luzerner SVP-Nationalrätin Yvette Estermann, die schon länger in der impfkritischen Szene aktiv ist. Für die Fragen von zentralplus hatte sie am Mittwoch keine Zeit. Darüber hinaus engagieren sich im Initiativkomitee besonders bekannte Namen aus dem Widerstand gegen die Corona-Politik des Bundes. So etwa der Zuger Komiker Marco Rima, Marion Russek von Freunde der Verfassung oder Annemarie Heisler, die Frau des Ebikoner Arztes, dem wegen Verstössen gegen das Covid-Gesetz zwischenzeitlich die Bewilligung entzogen worden war (zentralplus berichtete).
Estermanns Parteikollege Franz Grüter ist nicht überrascht, dass die Initiative gegen die Impfpflicht zustandekommt. Trotz dem Ja zum Covid-Gesetz beschäftigten die Corona-Massnahmen, die diesen Freitag vom Bundesrat verschärft werden dürften, stark. «Mit der 2G-Regel wird sehr hoher Druck auf die Impfunwilligen ausgeübt», sagt der Luzerner Nationalrat. Er könne nachvollziehen, dass sich dagegen Widerstand rege. Doch auch für Grüter ist klar: «Ein Impfobligatorium würde in der Schweiz aber niemals akzeptiert und wäre auch politisch nicht mehrheitsfähig.»