Mehrere Verfahren sind in Gange

In Neuheim gibt’s Knatsch wegen unbewilligten Wohnungen

Das Gebiet Sarbach, in dem die Industriestrasse liegt, soll zur Mischzone werden, wenn es nach der IG geht. (Bild: wia)

Teile der Neuheimer Bevölkerung fühlen sich vom Gemeinderat bevormundet. Dieser will rund 25 Wohnungen aufheben, weil sie nicht zonenkonform seien. Bloss: Gemäss der Interessengemeinschaft wisse die Gemeinde schon 20 Jahre von diesen Wohnungen, und habe sie immer schon geduldet. Der strikte Weg, den der Gemeinderat einschlägt, widerstrebt der IG. Sie fürchtet horrende Kosten auf dem Buckel der Steuerzahler.

In der Neuheimer Industriestrasse wird nicht nur gewirtschaftet, sondern auch gewohnt. Das passt dem aktuellen Gemeinderat überhaupt nicht. Dershalb hat er mehrere nachträgliche Baubewilligungsverfahren eingeleitet, da «in den jeweiligen Wohnanteilen baurechtswidrige Zustände» herrschen. Bloss: Diese «Zustände» herrschen schon sehr lange. Und, so beteuern die Mitglieder der Interessengemeinschaft Industriestrasse, sie seien dem Gemeinderat seit rund 20 Jahre bestens bekannt.

«Seit 2003 hatte der Gemeinderat von diesen Wohnungen Kenntnis. Diese wurden damals vom Bauamt erfasst, jedoch nicht weiterverarbeitet», beteuert die IG. «Mindestens 25 Einwohner sind vom Vorgehen des Gemeinderates betroffen, darunter Familien, die schon seit 20 Jahren in günstigen Wohnungen an der Industriestrasse leben. Sie müssen nun eine neue Bleibe finden, nachdem der bestehende Ist-Zustand rund 20 Jahre lang zur Kenntnis genommen wurde», sagt Urs Schildknecht, der Sprecher der IG, gegenüber zentralplus.

Grundeigentümer kritisieren «rechtlich fragwürdiges Vorgehen»

Die IG ist der Ansicht, die Bevölkerung von Neuheim werde bevormundet. In zwei Motionen fordert sie, dass die laufenden Baubewilligungsverfahren eingestellt werden und die bestehenden Wohnungen bewilligt werden. «Der aktuelle Gemeinderat hat diverse Verfahren eröffnet, will die nachträgliche Baubewilligung für die jahrelang geduldeten Wohnungen verweigern und den Rückbau der Wohnungen rechtlich durchsetzen. So die neue Ordnung im Gemeindehaus», liest man in der Begründung.

«Wenn die Gemeinde von einem Nachbarn fordert, dass er für eine kleine Mauer ein nachträgliches Baugesuch einreicht, während nebenan illegale Wohnungen stehen, ist das natürlich schwierig.»

Urs Schildknecht, Sprecher der IG Industriestrasse Neuheim

Die Grundeigentümer hätten sich gegen das «rechtlich fragwürdige Vorgehen des Gemeinderats und die falschen Unterstellungen» zur Wehr gesetzt. Die Verfahren werden, gemäss Motion, im Auftrag der Gemeinde von einem Stadtzürcher Rechtsanwaltsbüro bearbeitet. Laut Befürchtungen der Interessengemeinschaft könnte dies die Gemeinde in den nächsten Jahren bis über zweihundert Tausend Franken an Steuergeldern kosten. Derzeit würden sieben Verfahren laufen, so Schildknecht. «Diese werden wohl teilweise bis vor Bundesgericht gezogen», glaubt er.

Viele günstige Wohnungen sollen verschwinden

Noch immer bestünden in der Industriestrassen sehr günstige Wohnungen, darunter auch solche, in denen ehemals Asylbewerber lebten. «Nun muss man den Mietern künden, weil die Wohnungen nicht bewilligt sind. Und dann? Die Gemeinde muss eventuellen künftigen Sozialfällen Wohnungen zur Verfügung stellen. Das wird für die Behörden auf jeden Fall teurer als bisher.»

Aus den leerstehenden Räumlichkeiten sollen Büros gemacht werden. «Doch haben wir in Neuheim gar keinen Bedarf dafür. Viel wichtiger wäre es, dass man mehr Wohnungen bauen könnte», sagt der IG-Sprecher. Darunter auch kostengünstige. Die Gemeinde Neuheim verfüge seit Jahren schon über keine Baulandreserven mehr. Ausserdem seien Wohnungspreise innert drei Jahren um knapp 40 Prozent gestiegen, beteuert er.

Industriestrasse, Neuheim, Wohnungen
Die Zustände Industriestrasse (im Vordergrund) machen dem Gemeinderat Kummer. (Bild: wia)

IG ist sich bewusst, dass es Ordnung braucht

Urs Schildknecht, der zwar nicht im Kanton Zug lebt, doch ein Unternehmen an der Industriestrasse führt, sagt: «Dass der jetzige Gemeinderat für Ordnung sorgen will, ist nicht schlecht.» Auch könne er dessen Beschwerlichkeiten nachvollziehen: «Wenn die Gemeinde von einem Nachbarn fordert, dass er für eine kleine Mauer ein nachträgliches Baugesuch einreicht, während nebenan illegale Wohnungen stehen, ist das natürlich schwierig.» 

Schildknecht weiter: «Doch geht es um den Weg, auf welchem der Gemeinderat die Sache regeln will. Wir wollen versuchen, eine Lösung zu finden, bei der alle, die in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, ihr Gesicht wahren können.» Diese seien nämlich von beiden Seiten begangen worden.

 «Wir haben das Gespräch mit dem Gemeinderat gesucht. Das hat jedoch bislang zu nichts geführt.»

Urs Schildknecht, Sprecher der IG Industriestrasse Neuheim

Als Auswärtiger, der ein zonenkonformes Unternehmen in Neuheim führt, ist Urs Schildknecht nicht direkt betroffen vom Vorhaben des Gemeinderats. Indirekt jedoch schon: «Ich sorge mich um die Zukunft meiner Firma. In wenigen Jahren möchte ich sie in neue Hände übergeben. Dürfte ich hier neben den Büros auch Wohnungen bauen, wäre es für Käufer einfacher, das Unternehmen zu finanzieren.»

 «Wir haben das Gespräch mit dem Gemeinderat gesucht. Das hat jedoch bislang zu nichts geführt», so Schildknecht. Ausserdem wurde eine Stimmrechtsbeschwerde beim Kanton eingelegt. Diese ist noch hängig.

Gibt es mit dem aktuellen Kurs nur Verlierer?

«Mit der Linie, welche der Gemeinderat aktuell fährt, gibt es nur Verlierer und hohe Kosten über Jahre hinweg», ist sich die IG sicher. Mit ihrer Motion erhofft sich die IG deshalb, dass die Bauordnung angepasst wird. Neu sollen Wohnungen gebaut werden dürfen und legal an der Industriestrasse 1 bis 10 gewohnt werden. Das Geschäft wird am 14. Dezember an der Gemeindeversammlung besprochen.

Nur: Bereits im Voraus nimmt der Gemeinderat den Motionären den Wind aus den Segeln. Er nämlich befindet, dass das Anliegen nicht motionsfähig sei. Es handle sich nämlich um ein Geschäft, das im ausschliesslichen Zuständigkeitsbereich des Gemeinderates liege.

Gemeinderat beruft sich auf Ortsplanungsrevision

Auf die Frage, warum der Neuheimer Gemeinderat an den laufenden Verfahren festhält, erklärt Gemeindepräsident Daniel Schillig: «Der Gemeinderat ist für den Vollzug und für die gleichmässige Anwendung der baurechtlichen Vorschriften auf dem Gemeindegebiet zuständig. Es ist daher seine Aufgabe und Pflicht, die Einhaltung der gesetzlichen Bewilligungspflicht und der geltenden baurechtlichen Vorschriften, so etwa auch Zonenvorschriften, zu überwachen.»

Und weiter: «Dort, wo er rechtswidrige Zustände feststelle, sei er von Amtes wegen verpflichtet, einzuschreiten und gegebenenfalls die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands anzuordnen.»

Die Frage, ob es denn in Neuheim mehr Büroräumlichkeiten brauche, beantwortet Schillig wie folgt: «Wo Wohnnutzungen unzulässig sind und allenfalls aufgegeben werden müssen, bleibt Raum für verschiedenste gewerbliche oder industrielle Nutzungen, nebst Büroräume auch Produktionsräume, Lager und Ähnliches.»

In der Broschüre zur Gemeindeversammlung äussert sich die Exekutive zudem wie folgt: «Im Rahmen der öffentlichen Mitwirkung [betreffend der Zonenplanrevision, Anm. d. Redaktion] gingen knapp 70 Stellungnahmen bei der Gemeinde ein, so auch das Gesuch der IG Industriestrasse vom 29. Januar 2021 um Anpassung des Zonenplans für die Industriestrasse 1–10.» Dasselbe Gesuch habe sie mit Schreiben vom 3. Februar 2021 auch den Mitgliedern kommunaler Kommissionen zugestellt und diese um ihre Unterstützung ersucht.

Wirtschaftskommission äussert «deutliche Bedenken»

Mit Schreiben vom 8. April 2021 habe die Wirtschaftskommission zu dieser Anfrage Stellung genommen. «Sie bekundete deutliche Bedenken und brachte zum Ausdruck, dass das Anliegen der Interessengemeinschaft Industriestrasse ihrer Ansicht nach den übergeordneten langfristigen Zielen der Wirtschaftsförderung widerspricht», so der Gemeinderat. «Im Übrigen verwies die Wirtschaftskommission auf die laufende Ortsplanungsrevision und an die dafür zuständige Behörde.»

Auch nach Ansicht der Ortsplanungskommission und des Gemeinderats solle das Gebiet «Buechmatt» an der Industriestrasse prioritär als Arbeits- sowie sekundär als Mischgebiet aufgewertet werden. «Sie vertreten übereinstimmend die Ansicht, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Gebiet Buechmatt keine zusätzliche Wohnnutzung zuzulassen sei.»

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