Nur jeder Fünfte stimmt ab

In diesem Stadtteil bleiben die meisten Luzerner der Urne fern

Im Stadtteil Untergrund/Fluhmühle stimmt nur jeder Fünfte ab. (Bild: sah)

Die Luzernerinnen haben ihren Kantonsrat neu gewählt, in zwei Wochen besetzen sie die letzten Plätze der Regierung neu. Doch nicht alle nehmen dieses Recht wahr. In einem Stadtteil leben regelrechte Abstimmungsmuffel.

Ein Couvert, das oft wochenlang ungeöffnet auf dem Tisch herumliegt oder gleich den Weg in den Papiermüll findet. Darin enthalten: die Abstimmungsunterlagen. Während vor gut 70 Jahren noch vier von fünf Stadtluzernern wählten, sind es heute noch knapp zwei von fünf. Doch innerhalb der Stadt gibt es bedeutende Unterschiede. Denn es gibt einen Stadtteil, in dem nur gerade jeder Fünfte sein Stimmrecht wahrnimmt: der Wahlkreis Untergrund/Fluhmühle.

Wahlkreis Untergrund/Fluhmühle

Dieser umspannt in etwa das Gebiet vom Kreuzstutz-Kreisel der Reuss entlang bis zum Anfang von Reussbühl. Damit ist der Wahlkreis Teil von zwei Quartieren: Udelboden und der Basel-/Bernstrasse. Dies sei ein «Relikt aus der Vergangenheit», wie Christian Spieler auf Anfrage erzählt. Gemäss dem Leiter Wahlen und Abstimmungen der Stadt Luzern basieren die Wahlkreise grossmehrheitlich auf den Stadtluzerner Kirchenkreisen. Bestrebungen, diese Wahlkreise den heutigen Quartieren anzupassen, sind jeweils an der Politik gescheitert. Zudem liessen sich so die Abstimmungen besser miteinander vergleichen, sagt Spieler.

Als die Luzerner Anfang April ihre Regierung und das Kantonsparlament neu bestellten, gaben nur knapp 21 Prozent der Stimmberechtigten aus diesem Wahlkreis ihre Stimme ab. Der Blick in die Stadtluzerner Abstimmungen der vergangenen drei Jahre zeigt: Dies ist kein Einzelfall. Die Stimmbeteiligung in diesem Wahlkreis lag jeweils rund 20 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt aller Kreise.

Bei fast allen Abstimmungen war dieser Wahlkreis das Schlusslicht, ob nun bei den Stadtratswahlen vor drei Jahren, der Reuss-Oase-Initiative oder beim Budget 2023. Zwar liessen sich die Abstimmungsmuffel für einzelne Urnengänge mehr begeistern: Bei der Spange Nord und der Abstimmung im November 2021 über das Covid-19-Gesetz lag die Stimmbeteiligung deutlich höher als üblich. Doch auch da gingen in den anderen Wahlkreisen mehr Luzernerinnen wählen.

Quartierverein ist nicht überrascht

Der Wahlkreis Untergrund/Fluhmühle überschneidet sich unter anderem mit dem Basel-/Bernstrasse-Quartier – auch Untergrundquartier genannt (siehe Box). Der Präsident des dazugehörigen Quartiervereins Wächter am Gütsch, Josef Moser, ist über den letzten Platz in der Wahlstatistik nicht überrascht.

«Viele Bewohnerinnen unseres Quartiers genossen wenig Schulbildung und haben kaum je Raum gehabt, am politischen Geschehen teilzunehmen, mitzureden oder mitzugestalten», schreibt Moser. Darum hätten viele auch kaum ein politisches Bewusstsein. «Ich denke auch, dass viele mit ihrem eigenen (Über-)Lebenskampf beschäftigt sind.»

Einwohner im Wahlkreis sind sehr jung ...

Nur einmal konnte der Wahlkreis in den vergangenen drei Jahren die rote Laterne abgeben: Am 29. November 2020 liess er zumindest zwei weitere Kreise hinter sich. In der Abstimmung ging es unter anderem um die Konzernverantwortungsinitiative. Auf städtischer Ebene entschieden die Luzerner über Änderungen an der Bau- und Zonenordnung, die verdichtetes und höheres Bauen ermöglichte. Dies schien die Wahlkreise Littau Dorf und Thorenberg noch etwas weniger zu interessieren.

Ein Blick in den statistischen Atlas der Städte zeigt: Im betreffenden Wahlkreis leben besonders viele junge Luzerner. 2021 war jeder zweite Einwohner dort unter 37 Jahre alt. Und was der Blick in die Abstimmungsstatistiken nebst allgemein sinkender Beteiligung zeigt: Junge bemühen sich kaum mehr an die Urne.

In der Grafik kannst du zoomen, um einen besseren Überblick zu den verschiedenen Quartieren in Luzern zu erhalten.

Das fehlende Politikinteresse von Jungen ist jedoch kein städtisches oder kantonales Problem. Schweizweit beobachten die Regierungen bei jungen Personen nur wenig Begeisterung für Abstimmungen. Mit verschiedenen Ideen versuchen Politiker, dem Negativtrend Einhalt zu gebieten. So versuchen Agglomerationsgemeinden beispielsweise, Jugendparlamente auf- oder wiederaufzubauen. Auf kantonaler Ebene sind mehrere Vorstösse hängig oder in Bearbeitung, die das Problem auf verschiedenen Ebenen angehen wollen: über politische Bildung, Medienkonsum oder die Herabsetzung des Stimmrechtsalters auf 16 (zentralplus berichtete).

... und überdurchschnittlich viele haben einen Migrationshintergrund

Hinzu kommt, dass ein grosser Teil der Bevölkerung im Wahlkreis Untergrund/Fluhmühle einen Migrationshintergrund hat. Gemäss dem Atlas der Städte verzeichnen die beiden Quartiere einen Ausländeranteil von rund 48 Prozent. Erst vergangenen Sommer hat die Stadtluzerner SP ein Postulat eingereicht, das diesen Umstand aufnimmt. Für die schriftliche Einbürgerung seien Deutschkenntnisse auf A2-Niveau nötig. Dies garantiere jedoch nicht, dass alle Stimmberechtigten die komplexen Abstimmungsunterlagen auf Deutsch auch verstünden (zentralplus berichtete). Sie schlägt deshalb vor, die Unterlagen auch in Fremdsprachen anzubieten, um die politische Partizipation zu stärken.

Noch ist dieses Postulat nicht behandelt worden – doch es hat bereits Wellen geschlagen. So prüfen auch die SP-Ortsparteien in den Grossstädten Zürich und Basel, ähnliche Postulate einzureichen. Doch es gibt auch kritische Stimmen dagegen. Nebst der SVP hält auch Mitte-Ständerätin Andrea Gmür – wohnhaft in der Stadt Luzern – nichts von der Idee. Statt die Abstimmungsunterlagen in weiteren Sprachen anzubieten, müsste das verlangte Sprachniveau bei der Einbürgerung nach oben korrigiert werden.

Übrigens: Die fleissigsten Luzerner Wähler wohnen im Wahlkreis Wesemlin. Dort beträgt die Stimmbeteiligung je nach Urnengang zwischen 41 und 79 Prozent. In diesem Quartier ist die Hälfte der Bevölkerung älter als 46 Jahre alt. Und eher gut betucht (zentralplus berichtete).

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