Sozialvorsteherin? Nein, danke!

In Buchrain droht einem Bürger die Wahl wider Willen

Die Gemeinde Buchrain sucht dringend nach einem neuen Gemeinderat. Gemeindepräsident Ivo Egger hofft, dass sich doch noch jemand zur Wahl stellt. (Bild: Emanuel Ammon/AURA/zvg)

Die Gemeinde Buchrain steht vor einem Problem: Keiner will die Nachfolge des zurücktretenden Sozialvorstehers Stephan Betschen (FDP) antreten. Findet sich niemand, können die Buchrainerinnen irgendjemanden zum Gemeinderat wählen – ob dieser will oder nicht.

Direkt an der Reuss im Norden der Stadt Luzern liegt die Gemeinde Buchrain. Herrscht nicht gerade Stau bei ihrem notorisch verstopften Autobahn-Anschluss, geht es in der Gemeinde vergleichsweise ruhig zu und her. Eigentlich. Denn jetzt zieht ein Sturm auf. Zumindest im Führungsstab.

Ende Oktober tritt der Sozialvorsteher Stephan Betschen (FDP) zurück. Aus persönlichen Gründen, wie es heisst. Die Suche nach einer Nachfolgerin gestaltet sich jedoch harzig. Am 8. August ist die offizielle Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen verstrichen. Keine einzige Person hat sich gemeldet (zentralplus berichtete).

Nicht, dass es die Parteien nicht versucht hätten. Die GLP ging mit Flyern in die Kommunikationsoffensive und suchte gar jenseits der Parteigrenzen nach willigen Kandidaten (zentralplus berichtete). Und auch in der SP hat der amtierende Gemeindepräsident Ivo Egger versucht, seinen Parteikollegen eine Kandidatur schmackhaft zu machen, wie er auf Anfrage erzählt.

An Engagement fehlt es in Buchrain nicht

Gibt es in ganz Buchrain denn wirklich niemanden, der sich für die Gemeinde engagieren möchte? Egger verneint. Ganz im Gegenteil: «Wir haben viele engagierte Gruppierungen und Vereine. Zudem haben wir eine aktive und gesunde Parteienlandschaft.»

Der Gemeinderat hatte eigentlich das Gefühl, dass sich engagierte Personen fänden. Doch bereits vor den Sommerferien habe sich abgezeichnet, dass sich die Suche schwer gestalte.

«Grundsätzlich hat eine gewählte Person das Amt anzutreten.»

Elvira Schneider, stellvertretende Leiterin kantonale Abteilung Gemeinden

Der Gemeindepräsident erklärt sich die Situation damit, dass viele dieser engagierten Personen beispielsweise schon Teil einer Kommission sind. Und das Amt eines Gemeinderats sei noch eine deutlich grössere Verpflichtung als die Mitgliedschaft in einer Kommission. «Gemeinderat sein ist etwas, das mit dem Beruf und der Lebenssituation vereinbar sein muss», meint Egger am Telefon.

Jede kann Gemeinderat werden – ob gewollt oder nicht

Für die Wahl am 25. September erhalten die Buchrainerinnen nun Blanko-Listen. Das bedeutet grundsätzlich: Hinz und Kunz kann neuer Gemeinderat werden. Bedingung ist lediglich, dass die Person das 18. Lebensjahr vollendet hat, seit mindestens 5 Tagen in der Gemeinde angemeldet und stimmberechtigt ist.

Pikant: Wählen können die Buchrainer auch Personen, die einer Kandidatur nicht zugestimmt haben und das explizit nicht wollen. In Luzern gibt es einen Amtszwang. Wie Elvira Schneider, die stellvertretende Leiterin der Abteilung Gemeinden des Kantons Luzern, ausführt, bedeutet das: «Grundsätzlich hat eine gewählte Person das Amt anzutreten.»

Ablehnung nur in Ausnahmefällen

Will eine gewählte Person die Wahl nicht annehmen, muss diese innert zehn Tagen ein Entlassungsgesuch einreichen. Dieses wird jedoch gemäss Luzerner Stimmrechtsgesetz nur in Ausnahmefällen genehmigt.

So beispielsweise, wenn die Person bereits über 65 Jahre alt ist oder das gleiche Amt bereits während einer vollen Amtsdauer ausgeübt hat. Oder wenn die Gemeinderätin in spe glaubhaft machen kann, «dass ihr die Ausübung des Amtes gesundheitlich oder wirtschaftlich zum Nachteil gereichen würde». Die etwas weniger elegante Variante: Aus der Gemeinde wegzuziehen, damit die Wählbarkeit nicht länger gegeben ist.

Gemeinderat wider Willen ist kein neues Phänomen

Wie Elvira Schneider weiter schreibt, sei das Phänomen eines Gemeinderats wider Willen kein neues Phänomen. So erregte beispielsweise René Hardmeier mediale Aufmerksamkeit, der in der Baselbieter Gemeinde Duggingen mit nur 20 Stimmen in den Gemeinderat gewählt wurde. Oder der Fall der Urner Gemeinde Spiringen, die an der Gemeindeversammlung den abwesenden Tobias Imhof gegen seinen Willen gewählt hatte.

«Viele sehen nur die Lasten und Bürden, die ein solches Amt mit sich bringt.»

Ivo Egger, Gemeindepräsident von Buchrain

Im Kanton Luzern komme es jedoch grundsätzlich nicht vor, dass jemand unfreiwillig ein Amt ausüben müsse, so Schneider. Dies, weil Parteien oder auch Private selbst nach Wahl-Eingabeschluss noch geeignete Personen suchen und diese mittels nicht amtlicher Kandidatenlisten oder Medienmitteilung den Stimmberechtigten bekannt machen können.

Gemeindepräsident hofft auf Last-Minute-Kandidatur

Darauf hofft auch der amtierende Gemeindepräsident Ivo Egger. Denn ohne eine entsprechende Kandidatenliste sei es unwahrscheinlich, dass jemand mit dem absoluten Mehr gewählt werde. Dann käme es am 30. Oktober zu einem zweiten Wahlgang, wo nur noch das einfache Mehr zählt. Dann könnte theoretisch jemand mit nur 20 Stimmen Gemeinderat werden – wie in Duggingen.

Die Hoffnung des Gemeinderats sei es nun, dass die Parteien, aber auch parteilose Personen wegen der Situation nochmals über die Bücher gehen und sich allenfalls einen Ruck geben. Denn für Egger ist ganz klar: «Für mich war die Kandidatur einer der besten Entscheide meines Lebens.» Seit 14 Jahren amte er mit viel Freude und Engagement.

«Viele sehen nur die Lasten und Bürden, die ein solches Amt mit sich bringt. Doch der Gemeinderat bringt auch sehr viel Freude und die Möglichkeit, sich einzugeben und etwas zu bewegen», schwärmt der Gemeindepräsident. Ob Ivo Egger damit jemanden überzeugen kann, wird sich am 25. September zeigen.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Ivo Egger, Gemeindepräsident von Buchrain
  • Schriftlicher Austausch mit Elvira Schneider, stellvertretende Leiterin der Abteilung Gemeinden
  • Artikel «20 Minuten» zu René Hardmeier
  • Artikel «SRF» zu Tobias Imhof
  • Stimmrechtsgesetz vom Kanton Luzern
  • Medienmitteilung Gemeinde Buchrain
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Albus
    Albus, 10.08.2022, 16:14 Uhr

    Mein Mitleid im Voraus an die zu ausgewählt werden sollende Bürgerin.

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  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 10.08.2022, 15:47 Uhr

    Der Amtszwangvollstreckungsbeamte! Gäbe eine tolle Sitcom.

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