Ruedi Lustenberger verlässt den Nationalrat

«In Bern warten sie auf niemanden»

Ruedi Lustenberger am Rednerpult im Nationalratssaal. Er mochte es, zu debattieren.

(Bild: Flickr/SAJV)

Der Wahlkampf ist allgegenwärtig. Einer, den das nicht mehr kümmern muss, ist Ruedi Lustenberger (CVP). Nach 16 Jahren im Nationalrat tritt er zurück. Im Interview spricht der höchste Schweizer 2014 über seine Zeit im Parlament, seine Befürwortung von Waffenexporten und die kommenden Herausforderungen. Und er hat Tipps für die Neuen auf Lager.

Bereits die Anreise zum Treffen mit Nationalrat Ruedi Lustenberger ist speziell. Spätestens ab Wolhusen, als das Postauto ins idyllische Romoos hochfährt, in eine Landschaft, fernab von Stress und Lärm. Gewissermassen eine heile Welt. Und diese hat Lustenberger stets geprägt. Freundlich auch der Empfang im Wohnhaus neben seiner ehemaligen Schreinerei in Romoos. Lustenberger ist ein Mann des Volkes, jemand zum Anfassen. Bodenständig, engagiert und gesellig.

Und, Lustenberger ist nun Rentner. Mit 65 Jahren kehrt er dem Bundeshaus den Rücken. Eine intensive und sehr spannende Zeit sei es gewesen, berichtet er. Es ist spürbar, Lustenberger liebt die Politik. Und auch die Schweiz.

zentral+: Herr Lustenberger, mit welchen Gefühlen treten Sie ab? 

Ruedi Lustenberger: Es wäre nicht ehrlich, zu sagen, da sei keine Emotion im Spiel. Ja, es war sehr emotional, nicht nur am letzten Freitag bei der Verabschiedung. Seit ich offiziell meinen Rücktritt bekannt gegeben habe, sprechen mich die Leute darauf an. Ich habe die Arbeit ja gerne gemacht und viele Freunde gewonnen. Nach 16 Jahren war die Zeit reif, um zurückzutreten.

zentral+: Was war denn so besonders im Nationalrat?

Lustenberger: Man kann die Parlamentsarbeit nicht 1:1 mit der Berufswelt vergleichen. Es ist halt eine permanente Auseinandersetzung mit sachpolitischen Themen. In einer Frage ist man Kontrahent und kurz darauf kämpft man gemeinsam für eine andere Sache. Das ist die grosse Herausforderung, die ich sehr geliebt habe. Daraus entsteht mit der Zeit eben auch eine nahe Verbindung zu Kolleginnen und Kollegen.

zentral+: Haben Sie das Gefühl, Ihre Arbeit beendet zu haben? Sind Sie fertig geworden?

Lustenberger: Nein, gottlob nicht. Wir werden nie fertig, sonst gäbe es Stillstand. Es gibt viele Projekte, vieles in Bearbeitung, aber wir haben auch viel gearbeitet.

zentral+: Bei den Luzerner Kantonsratswahlen im letzten Frühling war die Stimmbeteiligung sehr niedrig. Was erwarten Sie bei den kommenden Wahlen? Können Sie unseren Lesern kurz im Video erklären, weshalb es sich lohnt, an die Urne zu gehen?

zentral+: Was waren die grössten Schwerpunkte in Ihren 16 Jahren?

Lustenberger: Persönlich würde ich dem Amt des Nationalratspräsidenten und der Institution nicht gerecht, wenn ich nicht sagen würde, das war für mich persönlich, für Ruedi Lustenberger, die grösste Herausforderung. Es war ein schönes Jahr und ich habe es genossen. Dass dieses Amt einem Entlebucher Schreinermeister, der notabene keine Minute in einem Hörsaal verbrachte, anvertraut wurde, hat mich gefreut.

zentral+: Also, zu Ihrem Jahr als höchster Schweizer. Wieso wurde es Ruedi Lustenberger? Sind Sie einfach der nette Kollege, der nie jemandem auf die Füsse getreten ist?

Lustenberger: Eigentlich müssten Sie meine Kollegen fragen, die könnten mich besser beurteilen. Wenn ich all die Präsidenten in meinen 16 Jahren betrachte, dann sind dies schon Personen, die nicht bei jeder Gelegenheit auf alle Seiten geschossen haben. Und zwar nicht unbedingt in der Sache, sondern in der Tonalität. Mich freute nicht nur das Wahlergebnis, sondern auch die Beurteilung meiner Arbeit durch Kollegen. Dem Nationalrat hat die Art, wie ich ihn führte, gepasst. Ich war relativ streng und habe stark darauf geachtet, dass die Traktandenliste im vollen Umfang abgearbeitet wurde. Vielfach kam ich mir auch vor wie eine gutmütige Mutter. Bei einigen erreicht man nämlich mehr, wenn man sie nicht schulmeistert, sondern im Nationalratsbüro unter vier Augen sagt, was geht und was nicht. Ich glaube, ich war in der ganzen Breite des politischen Spektrums akzeptiert. Das ist eine Genugtuung. Aber dazu gehört nicht Hochmut, sondern Demut.

«Ich habe reihenweise Mails und SMS erhalten, die wir hier nicht publizieren können.»

zentral+: Für grossen Diskussionsstoff inIihrem Präsidialjahr sorgte ein Stichentscheid zugunsten von Waffenexporten. Würden Sie sich heute wieder gleich entscheiden?

Lustenberger: Ja, ich stehe auch inhaltlich hinter diesem Entscheid. Am Anfang des NR-Präsidiums habe ich den Entschluss gefasst, bei einem Patt stets die Entscheidungen der vorberatenden Kommission, des Bundesrates und des Ständerates zu stützen. Das war gerade da auch der Fall. Diesen Grundsatz habe ich bis zum Ende durchgezogen und so mehr als einmal gegen meine persönliche Haltung einen Entscheid getroffen. Dafür wurde ich im Parlament respektiert.

zentral+: Aber Sie wurden damals ziemlich harsch kritisiert. Ihnen wurde die Schuld gegeben, dass die Schweiz weiter Waffen an «Schurkenstaaten» liefert.

Lustenberger: Nicht die Kritik an sich, sondern die Art und Weise der medialen Reaktion hat mich getroffen. Das war ich mir nicht gewohnt. Ich habe reihenweise Mails und SMS erhalten, die wir hier nicht publizieren können.

zentral+: Und jetzt im letzten Jahr liessen Sie es ruhig angehen?

Lustenberger: Nein, das war kein Ausklingen. Im Gegenteil. Ich war sehr aktiv, auch wenn man das in der Presse nicht unbedingt wahrnahm – in der Presse war ich 2014 ja genug. Lacht. Es gab einige Sachen, die ich noch fertigmachen oder anreissen wollte. Und die Legislatur dauert ja noch bis Ende November, es stehen noch wichtige Kommissionssitzungen an.

«Beim Zuhören lernt man mehr, als wenn man selber spricht.»

zentral+: Was war politisch der grösste Brocken während Ihrer Zeit in Bern?

Lustenberger: Politisch geschah in den 16 Jahren ein Wandel, dessen wir uns vermutlich gar nicht bewusst sind. Die ganz grossen Herausforderungen, insbesondere der letzten acht Jahre, haben ihren Ursprung ausserhalb unserer Landesgrenzen. Auf der einen Seite die weltweite Völkerwanderung, wo Millionen von Menschen auf der Flucht sind. Die wenigsten sind zwar an Leib und Leben bedroht, aber sie suchen ein besseres Umfeld, weil es ihnen wirtschaftlich und gesellschaftlich schlecht geht. Wir kommen in dieser Diskussion dann schnell zu Schengen und Dublin, zwei Schönwetterverträge, die sich in jüngster Vergangenheit nicht bewährten. Und auch zur aktuellen Diskussion um die Entwicklungshilfe. Die Schweiz wendet dafür sehr viel Geld auf, gleichzeitig mehren sich kritische Stimmen, die sagen, dies sei nur eine Art Gewissensberuhigung mit geringem Nutzen oder gar negativen Effekten. Hier müssen wir neue, effektivere Modelle finden.

zentral+: Und zweitens?

Lustenberger: Zweitens gab und gibt es gewaltige wirtschaftliche Herausforderungen für die Schweiz. Niemand hätte vor 15 Jahren ahnen können, wie sich beispielsweise die internationale Finanzwelt entwickelt. Die Aufgabe des Bankgeheimnisses für ausländische Kunden, dann die Machenschaften der Grossbanken, die uns zum Teil zu notrecht-ähnlichen Handlungen zwangen oder die aktuelle Währungssituation beschäftigten uns sehr.

«Von der Eidgenossenschaft und den Institutionen kann die ganze Welt viel lernen.»

zentral+: Das hat viel mit der Rolle der Schweiz in der Staatengemeinschaft zu tun. Wie sehen Sie diese?

Lustenberger: Wir haben den verfassungsmässigen Auftrag, mit der bewaffneten Neutralität dafür zu sorgen, dass die Schweiz unabhängig und neutral ist und bleibt. Die Neutralität ist zunehmend gefährdet und ich hoffe, dass das Parlament etwa der Idee des Bundesrates, im UNO-Sicherheitsrat Einsitz zu nehmen, eine klare Absage erteilt. Ich kann Aussenminister Didier Burkhalter nicht begreifen, dass er auf dieser Hochzeit mittanzen will. Damals war ich für den Beitritt zur UNO, aber ein Sitz im Sicherheitsrat kommt für mich aus Neutralitätsgründen nicht infrage. Dort müsste die Schweiz dann dauernd Partei ergreifen. Das ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar.

zentral+: Es fällt auf, mit wie viel Respekt Sie über die Ämter und die Institutionen der Schweiz sprechen.

Lustenberger: Es stimmt, die Staatspolitik liegt mir am Herzen, sie ist meine eigentliche Leidenschaft. Ich habe gerne mit Staatsrechtlern, Verfassungsrechtlern und Politologen diskutiert. Von der Eidgenossenschaft und den Institutionen kann die ganze Welt viel lernen. Unser politisches System – der Föderalismus, die Subsidiarität, die direkte Demokratie – das sind die interessantesten Dinge in der Schweizer Politik. Wenn jemand die Schweiz und die Menschen hier so mag wie ich, ist das absolut faszinierend.

«Es wäre wünschenswert, wenn das Entlebuch auch in Zukunft im Nationalrat vertreten wäre.»

zentral+: Woher kommt diese Faszination?

Lustenberger: Mein politisches Staatsverständnis für die Schweiz hab ich von meinen Eltern erhalten. Und zwar bevor ich zur Schule ging. Mein Vater war Gemeindeammann und hat im Zweiten Weltkrieg Aktivdienst geleistet. Er hat mir das Bild der wehrhaften und neutralen Schweiz vermittelt. Und meine Mutter hat mir alle Mythen rings um den Vierwaldstättersee erzählt: Rütli, Hohle Gasse, Schillerstein, Tellsplatte, Morgarten. Es ist das Bild einer lieblichen und friedlichen Schweiz. Diese Kombination hat sich bei mir eingeprägt. Es ist der Leitfaden meines politischen Handelns – mein Ideal. Das kann auch jemand haben, der Sozialdemokrat oder in der SVP ist. Es ist den Parteien übergeordnet.

zentral+: Am 18. Oktober sind Wahlen. Wie nehmen Sie den Wahlkampf wahr? Ziemlich langweilig, oder?

Lustenberger: Der Wahlkampf konzentriert sich stark auf die Ständeratswahlen, viele Arrivierte wollen ins Stöckli. Der Nationalratswahlkampf läuft wie immer mit Plakaten und sehr viel Aufwand. Ich denke, mit halbem Aufwand aller wäre das Ergebnis am Ende dasselbe.

zentral+: Und wer wird Ständerat?

Lustenberger: Konrad Graber und noch jemand Zweites dazu. Ich mache diesbezüglich keine Prognose und verteile auch keine Noten, weder an Parteien und schon gar nicht an Personen.

zentral+: Wer wird Ihr Nachfolger? Oder gibt es eine Nachfolgerin? Es ist ja davon auszugehen, dass die CVP drei Sitze behält.

Lustenberger: Die CVP hat eine gute Liste. Es stimmt, wir sind in der glücklichen Lage, sehr gute Frauen auf der Liste zu haben. Und wir haben auch einen profilierten Kandidaten aus dem Entlebuch mit Ecken und Kanten. Es wäre wünschenswert, wenn das Entlebuch auch in Zukunft im Nationalrat vertreten wäre.

Der abtretende Nationalrat Ruedi Lustenberger bei sich zu Hause in Romoos. Er wünscht sich, dass das Entlebuch auch in Zukunft in Bundesbern repräsentiert wird.

Der abtretende Nationalrat Ruedi Lustenberger bei sich zu Hause in Romoos. Er wünscht sich, dass das Entlebuch auch in Zukunft in Bundesbern repräsentiert wird.

(Bild: les)

zentral+: Was wird die Neuen in Bern erwarten? Können Sie Tipps geben?

Lustenberger: Erwarten? In Bern wartet niemand auf die Neuen. Dort muss jeder sein Plätzchen selber finden. Und jene, welche am Anfang von den Medien hochgejubelt werden, sind plötzlich nach vier Jahren wieder verschwunden. Es gibt hingegen Erwartungen des Parlaments an die Neuen. Jene, die nur reden und nicht zuhören können, oder meinen, sie wissen alles besser, sind wie im normalen Leben auch nicht die, die reüssieren. Ich habe gelernt, dass zuhören wichtiger ist als reden. Beim Zuhören lernt man mehr, als wenn man selber spricht.

zentral+: Heissdiskutiert sind die Lobbyisten. Liessen Sie sich nie verführen?

Lustenberger: Zu den Lobbyisten hatte ich eine recht grosse Distanz, ich liess mich nie einnehmen. Das wussten diese auch, und deshalb wurde ich wenig kontaktiert. Was ich am Mikrophon gesprochen habe, stammte durchwegs aus der eigenen Feder.

zentral+: Wie sieht die politische Grosswetterlage aus? In welche Richtung entwickelt sich das Parlament? Gibt es einen Rechtsrutsch?

Lustenberger: Das Parlament ist in den letzten acht Jahren nach links gerutscht. Ich selber nicht, ich blieb an Ort und Stelle, schön rechts der Mitte. Der Ursprung der Veränderung ist die Abwahl von Christoph Blocher. Ich habe ihn 2007 nicht abgewählt, vier Jahre vorher auch nicht hineingewählt. Die Abwahl war ein politischer Fehler. Wir werden in diesen Wahlen ein Ergebnis präsentiert erhalten, das unter anderem auch diese Abwahl kompensiert.

«Jene, welche am Anfang von den Medien hochgejubelt werden, sind plötzlich nach vier Jahren wieder verschwunden.»

zentral+: Macht denn Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ihre Arbeit nicht gut?

Lustenberger: Eveline Widmer-Schlumpf ist die dossiersicherste Bundesrätin, die ich in den 16 Jahren erlebt habe. Sie leistet sehr gute Arbeit und hat grosse Herausforderungen gemeistert. Ihr Problem ist die gestörte Konkordanz. Das hat nicht mit ihr als Person, sondern mit der geringen Grösse ihrer Partei zu tun. Die Wirkung ist die, dass eine Partei im Bundesrat vertreten ist, die gemäss der traditionellen arithmetischen Konkordanz diesen Anspruch gar nicht hat.

zentral+: Was sind die Folgen?

Lustenberger: Durch diesen Umstand wurde der Ton im Nationalrat grundsätzlich gegen die Mitglieder des Bundesrates härter. In meinem Präsidialjahr habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass in der Debatte der Respekt und Anstand zu wahren seien. Die Verschärfung der Tonalität hat auch die Bevölkerung mitbekommen. Wir müssen darauf achten, dass sich in Zukunft der Ton des Parlaments gegenüber der Regierung wieder mässigt. Hingegen debattieren die Mitglieder des Nationalrates untereinander immer noch in der gleichen Intensität wie vor 16 Jahren. Da hat sich eigentlich nicht viel geändert.

zentral+: Jetzt treten Sie ab, was machen Sie mit Ihrer freien Zeit?

Lustenberger: So viel freie Zeit werde ich nicht haben. Aus der 7-Tage-Woche der letzten drei Jahre wird nun wieder eine 5-Tage-Woche. Bis Mitte des nächsten Jahres bin ich weiter Präsident des Verbandes der Schweizer Schreinermeister. Daneben habe ich eine Reihe weiterer kleinerer Mandate, die ich die nächsten fünf Jahre sukzessive abbauen werde. Übrigens, vor drei Wochen wurde ich zum Präsidenten der CH-Gesellschaft für Parlamentsfragen gewählt. Das passt ja gut.

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