Neues Phänomen in der Agglo Luzern

Immer mehr Einwohnerräte treten vorzeitig zurück

Auch aus dem Krienser Einwohnerrat treten immer mehr Mitglieder aus. (Bild: zvg)

In Kriens und Emmen sind in der laufenden Legislatur so viele Einwohnerräte zurückgetreten wie seit Jahren nicht. «Der Milizgedanke verschwindet immer mehr aus der Gesellschaft», sagt eine Politikerin.

Die Szenen gehören fest zu den hiesigen Einwohnerratssitzungen: Ein neues Ratsmitglied rückt wegen eines zurückgetretenen Vorgängers nach, man begrüsst ihn freundlich und wünscht ihm mit seiner politischen Tätigkeit viel Freude und alles Gute (zentralplus berichtete).

Mittlerweile wiederholen sich diese Szenen oft. Auffallend oft. Das zeigt eine Auswertung von zentralplus. Im Kanton Luzern gibt es derzeit vier Parlamente auf Gemeindeebene – in Luzern, Horw, Kriens und Emmen. Am meisten Rücktritte gab es in der laufenden Legislatur im Einwohnerrat Emmen. 16 Einwohnerräte sind seit Beginn der Legislatur im September 2020 aus dem 40-köpfigen Rat ausgetreten. Also mehr als jeder dritte. Zum Vergleich: In der ganzen Legislatur zuvor, die von 2016 bis 2020 dauerte, traten während der Amtszeit total 19 Mitglieder zurück. In der Legislatur 2012-2016 waren es deren 17.

Auch das Krienser Parlament hat überdurchschnittliche viele Abgänge zu verzeichnen. In der aktuellen Amtsperiode sind es bis dato 13 – und das bei total 30 Einwohnerräten. In derjenigen von 2016 bis 2020 gab es lediglich sieben Rücktritte.

Keine Zeit für den Einwohnerrat

Die FDP verzeichnet in Emmen momentan am meisten Rücktritte. Sie musste seit September 2020 bereits fünf ihrer neun Mitglieder ersetzen. Fraktionschef Michael Kümin nennt auf Anfrage diverse Gründe, weshalb es in seiner Fraktion und generell im Emmer Einwohnerrat zu so vielen Wechseln kommt. «Eine unserer abgetretenen Einwohnerrätinnen hat beispielsweise in Zürich ein Studium begonnen, dadurch hat sie keine Zeit mehr für den Einwohnerrat.» Jemand anderes habe eine umfangreiche Weiterbildung angefangen. «Wir stellen fest: Wenn es im Ausbildungsbereich oder im Beruf eine Veränderung gibt, wird es schwierig, diese Einwohnerräte zu halten.»

Kümin nennt auch den gesellschaftlichen Wandel. «Viele Vereine und ehrenamtliche Organisationen merken, dass sich die Leute nicht mehr so stark engagieren möchten wie früher.» Zudem seien sie nicht mehr so sesshaft.

Im Einwohnerrat steht man immer unter Druck

Die Kantonsrätin und Co-Präsidentin der SP Kriens, Pia Engler, bestätigt: «Der Milizgedanke verschwindet immer mehr aus der Gesellschaft.» In Kriens haben in dieser Legislatur bereits drei SP-Politiker dem Einwohnerrat den Rücken gekehrt. Die Partei führt damit die Rangliste zusammen mit der FDP an. Engler führt noch weitere Argumente für die Rücktritte ins Feld. So würden die Geschäfte stetig anspruchsvoller, auch die Erwartung der Bevölkerung würde steigen. «Wenn man ein solches Amt gut und ernsthaft ausführen möchte, steht man immer mehr unter Druck.»

Interessant ist, dass es in Luzern und Horw in den vergangenen Jahren anders als in Emmen und Kriens zu keiner Häufung von Rücktritten gekommen ist. Pia Engler beobachtet: «Wir merken in Kriens, wie gerade Junge sich schnell anders orientieren können.» Ein Amt als Einwohnerrat halte sie nicht davon ab, noch während der Legislatur ihren Wohnsitz zu verlegen. Für die Ausübung gilt generell: Wenn man den Wohnort wechselt, kann man nicht im Rat verbleiben.

«Für den Stimmbürger würde es komisch aussehen»

Doch wie könnten die Gemeinden das Problem beheben oder zumindest abschwächen? «An der Entschädigung schrauben halte ich nicht für zielführend», sagt FDP-Einwohnerrat Michael Kümin. «Man sollte dieses Amt nicht des Geldes wegen machen.»

Von linker Seite wurde in den vergangenen Jahren mehrfach die Forderung laut, ein Stellvertretungssystem einzuführen. Sprich: Wenn jemand nicht anwesend sein kann, soll eine Stellvertreterin dessen Platz einnehmen. Auch davon hält Kümin nicht viel: «Wenn plötzlich jemand anderes am Platz eines Einwohnerrats sitzt, kann das problematisch werden. Denn schliesslich wurde diese Person nicht gewählt.» Für ihn als Fraktionschef wäre das zwar hilfreich, sagt er, «aber für den Stimmbürger würde es komisch aussehen».

Kümin glaubt, die Gesellschaft müsse sich mit der Tatsache abfinden. «Wir sollten akzeptieren, dass die Leute, insbesondere die jüngere Generation, heute dynamischer sind.» Anders gehe es nicht.

SP-Kantonsrätin Pia Engler hat ebenfalls keine schnelle Lösung zur Hand, wie sie sagt. Die Krienserin glaubt aber, dass man eine Lösung mit den Arbeitgeberinnen anstreben sollte. «Wenn man 80 Prozent arbeitet und noch im Einwohnerrat tätig ist, kommt man schnell auf ein Pensum von über 100 Prozent.» Sie findet, die Sessionstage sollten vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden. Sprich: Die Einwohnerrätinnen sollten jeweils einen freien Tag erhalten. Das wiederum soll den Arbeitgebern über die Erwerbsersatzordnung entschädigt werden. «Das Amt eines Einwohnerrats ist schliesslich im Interesse der Öffentlichkeit und des Staats.»

Verwendete Quellen
  • Angaben von Kriens, Emmen, Luzern und Horw
  • Telefongespräche mit Michael Kümin und Pia Engler
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2 Kommentare
  • Profilfoto von estermap
    estermap, 22.03.2023, 09:45 Uhr

    Kein Wunder, wenn sich ebenso der Gemeinderat foutiert und mit schlechtem Beispiel vorangeht und die Pension mit den Grosskindern geniessen will. Die Wahl war für 4 Jahre gedacht, quasi ein Vertrag.

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  • Profilfoto von Kathrin
    Kathrin, 21.03.2023, 17:29 Uhr

    Was leider von vielen Arbeitgeber*innen nicht genügend umgesetzt wird, ist folgender OR Artikel, welcher bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes ebenfalls zur Anwendung kommen würde:
    Art. 324a OR: Grundsatz bei Verhinderung des Arbeitnehmers
    1 Wird der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes, ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, samt einer angemessenen Vergütung für ausfallenden Naturallohn, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen ist.
    Natürlich ist es Ehrensache, wenn unser Milizsystem gestützt wird auch ohne Paragraphen. Schliesslich ist ein öffentliches Amt ein Aufwand für das Wohl von allen.

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