«Ich bin zu egoistisch, um fürs Frausein mein Leben zu opfern»
Andrea Gmür will lieber Ständerätin bleiben, statt für den Bundesrat zu kandidieren. (Bild: Archivbild: Emanuel Ammon/Aura)
Als eine der Zentralschweizer Favoritinnen für den frei werdenden Bundesratssitz hat sich Andrea Gmür vergangenen Freitag doch noch aus dem Rennen genommen. Zu den Hintergründen hat sie sich nicht gross geäussert – bis jetzt.
Sie wurde als gefährliche Gegnerin für den Bundesratskandidaten und Bauernpräsidenten Markus Ritter bezeichnet, winkte letztlich aber doch ab: Andrea Gmür. Als Zentralschweizerin und Sicherheitspolitikerin schien sie prädestiniert, das frei werdende Verteidigungsdepartement (VBS) von Bundesrätin Viola Amherd zu übernehmen. Doch die Mitte-Politikerin wolle sich lieber mit «voller Kraft» weiter als Ständerätin einsetzen (zentralplus berichtete). Mehr liess sich die 60-Jährige zu ihrem Verzicht bisher nicht entlocken – bis jetzt, wo sie sich den Fragen von zentralplus stellt.
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zentralplus: Andrea Gmür, Sie liessen sich lange Zeit mit einem Entscheid für eine Bundesratskandidatur, nur um kurz vorher aus dem Rennen zu steigen. Wieso?
Andrea Gmür: Ich habe mir für einen absolut lebensverändernden Entscheid knapp zwei Wochen Zeit gelassen. Zudem habe ich von Beginn weg gesagt, ich würde spätestens am 3. Februar meinen Entscheid bekannt geben, was ich dann bereits am 31. Januar getan habe. Ist das lange? Ich erhielt dann aber immer mehr Zuspruch: von namhaften Mitgliedern aus allen Fraktionen, aus der Bevölkerung und auch vonseiten Militär. Ich habe meinen Entscheid schlussendlich früher kommuniziert, weil ich die Menschen, die tatsächlich auf meine Kandidatur gehofft hatten, nicht einfach hinhalten und allenfalls enttäuschen wollte, wenn ich eben nicht antrete. Für mich persönlich ist das Amt der Ständerätin das schönste. Meine persönliche Freiheit bleibt so zudem erhalten. Meine Lebensplanung sieht anders aus.
zentralplus: Was entspricht stattdessen Ihrer Lebensplanung?
Gmür: Mir gefällt meine Arbeit im Ständerat hervorragend, hier möchte ich gern noch eine Weile bleiben und eine nächste Legislatur anhängen. Als Ständerätin ist man nicht sieben Tage die Woche nonstop im Einsatz. Ich arbeite und politisiere zwar gern, aber meine persönliche Freiheit ist mir schon auch etwas wert.
zentralplus: Die Mitte-Frauen haben laut eine Frauenkandidatur gefordert, nun sagen Sie – als eine der letzten Frauen – ab. Ist das nicht inkonsequent?
Gmür: Nein, überhaupt nicht. Die Präsidentin der Mitte-Frauen, Christina Bachmann-Roth, macht einen sehr guten Job. Aus Sicht der Mitte-Frauen musste sie das unbedingt fordern. Aber ich bin dann doch zu egoistisch, um fürs Frausein mein ganzes Leben zu opfern. Bei Gleichstellungsfragen sind wir aber klar noch nicht da, wo wir sein sollten. Die Mehrheit des Männer-dominierten VBS, vor allem der Armee, war und ist nicht bereit für eine Frau an der Spitze. Das sage ich klar aufgrund der Erfahrungen, die ich als Frau und Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission immer wieder selber mache.
zentralplus: Zum Beispiel?
Gmür: Innerhalb unserer Fraktion haben wir zwei Männer, die für eine Bundesratskandidatur leider abgesagt haben und deren Kompetenz als Bundesrat und Verteidigungsminister nie infrage gestellt worden wäre, auch von mir nicht. Beide sind dienstuntauglich. Ich bin überzeugt, da wäre innerhalb vom VBS und der Armee sogleich geklatscht worden, weil endlich «männlicher» Sachverstand ins VBS eingezogen wäre. Obwohl sie nie einen einzigen Tag in der Armee gedient haben und obwohl sie – abgesehen vom Geschlecht – praktisch identische Voraussetzungen fürs Amt mitgebracht hätten wie die jetzige Verteidigungsministerin.
zentralplus: Nun treten aber keine Frauen an. Eine Schmach für die Mitte-Frauen?
Gmür: Nein, sicher nicht! Frau Bachmann hat getan, was sie tun musste: Es ist ihre Rolle, die Stimme der Frauen einzubringen. Frauenförderung ist aber ein langfristiger Prozess. Dass sich aktuell keine Frau aus der Mitte als Bundesratskandidatin zur Verfügung stellt, hat unterschiedliche Gründe – manchmal ist es einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Statt dies nur zu kritisieren und als «Schmach» hinzustellen, wäre es zielführender, über Rahmenbedingungen und Chancen zu sprechen. Wir müssen Frauen konsequent und gezielt aufbauen, damit sie zum richtigen Zeitpunkt dann eben bereit sind. Zudem möchte ich an Folgendes erinnern: Als die SP eine Nachfolge für Bundesrat Berset suchte, sagten Frauen und Männer reihenweise ab. Die SP präsentierte dann ein männliches Zweierticket. Wir von der Mitte verfügen momentan nur noch über eine Vertretung im Bundesrat. In den letzten 20 Jahren stellten wir stets eine Frau Bundesrätin.
zentralplus: Fürchteten Sie sich vor einem Kampf gegen den Bauernpräsidenten Markus Ritter?
Gmür: Nein, im Gegenteil. Ich wurde auch gebeten, mich wenigstens fürs Mitte-Ticket zur Verfügung zu stellen. Aber dann hätte ich damit rechnen müssen, gewählt zu werden. Ich war ja selbst erstaunt, wie viel Unterstützung ich erhielt.
zentralplus: Hat Sie die starke und zum Teil harsche Kritik an der abtretenden Bundesrätin Viola Amherd eingeschüchtert?
Gmür: Nein, auch nicht. Was mich aber nur noch ärgert und vor allem auch enttäuscht: Als Präsidentin der Sicherheitskommission erhalte ich permanent Medienanfragen, und ich muss zu Dingen Stellung nehmen, von denen ich nichts weiss, über die mich die Medien informieren. Überall scheint es Leaks zu geben: Im Bundesrat, in der Verwaltung, ich schliesse auch unsere Kommissionen nicht aus. So kann man nicht arbeiten. So wird das letzte Vertrauen verspielt. Da ist es nicht verwunderlich, gibt der Bundesrat derzeit nicht das Bild einer Kollegialbehörde ab. Und zur Kritik: Die muss man aushalten. Wer kein wirklich dickes Fell hat, gehört nicht in die Politik.
zentralplus: Als Sicherheitspolitikerin wären Sie prädestiniert gewesen fürs frei werdende VBS. Wieso kneifen Sie?
Gmür: Ich kneife nicht. Wäre ich zehn Jahre jünger und politisch am selben Ort, hätte ich kandidiert. Natürlich kann man auch mit 69 Jahren noch deutscher Bundeskanzler werden, wie Friedrich Merz. Das ist aber immer ein sehr persönlicher, individueller Entscheid, den es zu respektieren gilt. Ich freue mich aber auf den neuen Bundesrat und werde ihn gern in seiner Arbeit mit all meiner Kraft unterstützen.
zentralplus: Würden Sie eine Wahl annehmen, wenn Sie als Bundesrätin gewählt würden?
Gmür: Nein.
zentralplus: Ist das Thema Bundesrat für Sie nun definitiv gegessen?
Gmür:Lacht. Ja, aber ich bin glücklich und dankbar, wenn ich noch ein paar Jahre den Stand Luzern im Ständerat vertreten darf!
zentralplus: Nebst der Wahl für den Bundesrat steht in der Mitte auch bald die Wahl fürs neue Parteipräsidium an. Wollen Sie stattdessen hierfür kandidieren?
Gmür: Für mich ist klar: Wenn wir einen Bundesrat wählen, wünsche ich mir eine Präsidentin oder in der jetzigen Konstellation noch besser: ein weibliches Co-Präsidium für die Mitte Schweiz. Das kann beispielsweise folgendermassen aussehen: mit einer Nationalrätin aus der Deutsch- und einer aus der Westschweiz oder mit einer Nationalrätin und einer Vertretung der Mitte-Frauen Schweiz. Die SP zeigt, dass das funktioniert.
zentralplus: Sie wollen eine Präsidentin. Also überlegen Sie sich eine Kandidatur?
Schreibt über alles, was Luzern und Zug aktuell beschäftigt. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Nach einem Studium in Medienwissenschaften und Englisch ist sie seit September 2021 bei zentralplus. Nebenbei absolviert sie derzeit die Diplomausbildung Journalismus am MAZ.