Christoph Blocher in Cham

«Ich bin froh, dass ich zu den Dummen gehöre»

Die geschürzten Lippen, der gewichtige Habitus: Blocher liefert die Show, die man sich im Publikum erwünscht hatte.

(Bild: fam)

Die Chamer SVP holt sich das Schlachtross für den Wahlkampf-Auftakt. Und dieses trampelt mit voller Wucht. Allerdings geschieht das eigentlich Überraschende erst nach Blochers Auftritt.

Das wird ein guter Abend: Schon beim Catwalk runter in den Lorzensaal singen die Gäste beschwingt mit, zur obligaten Ländlerkapelle unten im Foyer. Hüpfen fast die schiefe Bahn hinunter vor lauter Vorfreude. Und drinnen im Saal ist es schon brechend voll, bevor überhaupt der alt Bundesrat da ist, wegen dem wir hier sind. Wahlen können nervend und langweilig sein, aber heute Abend macht man sich auf etwas ganz anderes gefasst: Auf rhetorischen Sirup, gut gewürzt mit Gesichtsausdruck und dem Zeigefinger. Mann, wir freuen uns auf Christoph Blocher – zu Recht.

Aber eigentlich ist die grosse Überraschung eine ganz andere. Denn was in Cham passiert an diesem Dienstagabend, ist die erste konstruktive Podiumsdiskussion der National- und Ständeratswahlen: Mit echten Argumenten, die erst alle von der einen, und dann alle von der anderen Seite überzeugen. Die SP ist da, die Grünen sind da, die SVP ist da, die Mitte lassen wir weg, ist halt langweilig, sagt Manuel Brandenberg nach der Veranstaltung, macht mehr Spass, wenn links und rechts aufeinanderprallen. Und Andreas Lustenberger wird sagen, das ist eine tolle Sache, da muss man der SVP einen Kranz winden.

«Beim Bügeln, ja beim Bügeln»

Aber zuerst kommt der Schwyzer Andy Tschümperlin an die Reihe, SP-Nationalrat und damit Kontrahent der Hauptattraktion heute Abend. Sagt: «Als ich mir heute Nachmittag Gedanken zu dieser Veranstaltung machte, beim Bügeln (wartet auf die Empörung im Publikum), ja beim Bügeln» – schon hat er den Saal auf feindselig aufgewärmt und zieht das grossartig durch, wenn auch etwas klischiert: «Ja, es ist selbstverständlich, dass ich auch einen Teil der Hausarbeit mache» und «ich mag gebügelte Handtücher», aber um das geht’s ja jetzt nicht, sondern um die Freiheit: Kann die Schweiz ihre Freiheit noch retten, das ist die grosse Frage, die die Chamer SVP ihren Gästen stellt.

Und zu deren Beantwortung hat der ehemalige Lehrer Tschümperlin das ideale Anschauungsmaterial: Einen Kleiderbügel. «Wenn wir hier mal ‹links› draufschreiben, und da ‹rechts›, dann sieht das im Kanton Zug so aus» – sagt er und klemmt drei Wäscheklammern auf die rechten Seite, eine für Thomas Aeschi, eine für Bruno Pezzatti, eine für Gerhard Pfister. «Und wenn wir das für Schwyz anschauen», sagt er und klemmt eine kleine rote Wäscheklammer ans linke Ende, «dann gibt’s da noch den Tschümperlin.» Der Saal lacht. «Und das ist auch eine Form von Freiheit, dass im Parlament alle Seiten vertreten sind. Und in Zug ist das schlimmerweise nicht der Fall.»

Bundesrat: Heroisch oder feige und zittrig

Gut eingestimmt geht das Publikum in die zweite Runde, Tschümperlin hatte noch die Errungenschaften der linken Parteien gerühmt, die AHV, die Generalarbeitsverträge, die Sozialwerke, genug Futter um dem SVP-Publikum einen guten Grundpegel an Empörung zu verschaffen, da kommen auch die ersten «Buhs», jetzt ist man bereit für den Hauptact. Und Christoph Blocher zieht alle Register. Fängt bei Marignano an, bringt es fertig, die Entstehung der Schweiz in einer Grossvaterstimme zu skizzieren, so dass der Saal schon eingelullt ist, als Blocher zum ersten Mal die Lippen schürzt und den Zeigefinger auspackt. Da sind wir von Brüssel noch weit entfernt.

Und dann kommt alles unter die Räder, aber das kennt man ja. Fantastisch, wie der Mann in einem schwammigen Bogen voller Andeutungen und Anekdötchen jede Handlung des Schweizerischen Bundesstaates in Richtung Ausland als entweder heroisch (früher) oder zittrig, feige und kniebeugerisch (heute) darstellen kann, und man glaubt es ihm, glaubt ihm jedes Wort. Er ist zwar alt geworden, aber Talent bleibt Talent: Da haben wir den Helden und Volkstribun, der so wenig Inhalt rüberbringt, und stattdessen dieses Mitwissergefühl, das Komplizengefühl, wir gegen den Staatenkraken, wir Rechten und Gerechten. Nur schon zwei Minuten, sich diesem Gefühl hinzugeben, ist Balsam für jede von den Grautönen der Welt belastete Seele. «Das ist alles intellektuelles Konstrukt, ohne dass einer auf die Lebenswelt schaut», sagt Blocher, und sagt auch: «Die Dummen haben nein gestimmt zum EWR-Beitritt, die Dummen, ich bin froh, dass ich zu den Dummen gehöre», und wir sind auch alle froh im Saal, dass wir zu den Dummen gehören.

«Ich bin da mal nach Mailand gefahren»

Eine Wucht. Schade, dass man ihm hier im Abklang seiner Karriere begegnet. Da wäre früher vielleicht noch mehr dringelegen. Blocher schafft es, in einem Nebensatz die Schweizerische Asylpolitik, die Italiener, die Eritreer, die Grenzwächter, die Frauen allgemein und sich selber zu beleidigen, mit einer Anekdote von seiner Reise nach Mailand: «Ich bin da mal nach Mailand gefahren, (Zeigefinger) zweite Klasse! (Publikum lacht, weil volksnah) Und zwei Stunden am Platz vor dem Bahnhof gesessen (Lippen schürzen, rethorische Pause).» Erstens sei es illegal, dass man auf der Hinreise von Italienischen Grenzwächtern durchsucht werde, «die kommen da mit Hund», aber klar, an die Schengen-Dublin-Veträge (keine Grenzkontrollen) halte sich natürlich nur die Schweiz.

Zweitens gäbe es da Leute, die würden den Flüchtlingen Bahnbillette verkaufen, «weil die können ja in ihrer Sprache keine kaufen. Da verkaufen sie sie denen zum doppelten Preis!» Da weiss man jetzt noch nicht, wer der Dumme ist, der Eritreer, der erstens eine nutzlose Sprache besitzt und zweitens zum doppelten Preis kauft, oder der Schweizer, der diesem offenbar wohlhabenden Eritreer Asyl gewährt. «Und dann sehen die Eritreer in der Schweiz die Grenzbeamten, und statt davon zu cheiben, gehen sie direkt auf sie zu und sagen ‹Asyl›. Und was machen die? Sie zeigen ihnen den Weg zum Amt für Asylsuchende.» Sagt er und haut noch mal zu: «Diese Grenzbeamten sind reine Empfangsdamen.»

Eine gute Debatte ohne Ideologie

Spass beiseite, denn jetzt wird die Veranstaltung richtig gut: SVP-Nationalratskandidat Thomas Aeschi und der Grüne National- und Ständeratskandidat Andreas Lustenberger fetzen sich zur Altersvorsorge, zur zweiten Gotthardröhre und zur Asylthematik – Aeschi macht einen klaren Eindruck, wirkt aufgeräumt und versiert, Lustenberger hat seine Hausaufgaben ebenfalls gemacht und kann gut Paroli bieten, eine wirklich spannende Debatte ohne platte Ideologie. Erst als Aeschi die Schuld an der erhöhten Mobilität allein den Einwanderern zuschieben will, wird’s ein bisschen gar flach.

Und Lustenberger bekommt bei der Alpenschutzinitiative eine Breitseite: Warum sie noch nicht umgesetzt sei, will er wissen, trotz Volkswillen. Aeschi kontert souverän: «Weil die Bilateralen 1 das verhindert haben.» Und Lustenberger trocknet Aeschi dafür in der Debatte um die Altersvorsorge ab: «Es macht durchaus Sinn, dass die SVP die zweite Säule stärken will – damit will sie ihrer vermögenden Klientel dienen, das erscheint mir nur natürlich.» Das Publikum klatscht hier an ungewohnter Stelle aussergewöhnlich laut und Blocher schaut kurz verdutzt in die Reihen.

SVP-Ständeratskandidat Manuel Brandenberg und SP-Nationalratskandidatin Barbara Gysel geben sich derweil Saures zur Frage, ob «Freiheit» automatisch eine Isolation in Europa bedeuten muss, und währenddessen schnauben Blocher und Tschümperlin aus den Zuschauerreihen ihren Senf dazu, als wäre ihnen die Diskussion zu wenig polemisch: «Stimmt doch gar nicht», «ja ja», «eben nicht, die Bilateralen sind schuld». Und das Publikum klatscht für beide Seiten, auch wenn die SVP-Klatscher überwiegen. Kompliment an die Chamer SVP – sie wissen, wie Wahlkampf Spass macht. Nur ein paar junge Grüne stehen am Schluss enttäuscht am Chamer Bahnhof, und einer raunt grinsend zum anderen: «Der Apero riche war gar nicht so riche, ich hatte mir so einen fetten Bonzen-SVP-Apero vorgestellt, mit Lachsbrötchen und allem.»

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