Zum Umgang mit der Luzerner Besetzung

Hausbesetzung: Das Ultimatum, das keines war

Der Wachtturm und das besetzte Nebengebäude der städtischen Villa auf Musegg 1.

(Bild: mam)

Politik, Medien und Verwaltung lassen sich von einem Grüppchen Hausbesetzer eine Woche lang in Aufruhr versetzen. Die Stadt setzt eine Frist, bleibt dann aber tatenlos. Jetzt, da Baudirektorin Manuela Jost aus den Ferien zurück ist, muss eine Strategie her. Denn die fehlte bisher.

Klar wollen sie nicht mehr weg. Es ist wohl einer der schönsten Flecken in der Stadt, den sich die Luzerner Hausbesetzer diesmal ausgewählt haben. Einfach mal die Seele baumeln lassen an der Frühlingssonne gleich unter dem Wachtturm der Museggmauer.

Während eine von oberster Stelle der Stadt Luzern verordnete Frist abläuft, frühstücken sie seelenruhig mit Blick über die Stadt. Sie posten auf Facebook Regenbogenfotos und stellen Puppentheater auf Youtube.

Man könnte die ganze Gelegenheit bei dem belassen, was sie ist: Ein paar junge Menschen nehmen unerlaubterweise eine ungenutzte Abstellkammer im Besitz der Stadt in Beschlag und zelebrieren den Weltfrieden. Dass sie sich am angeblich gesundheitsgefährdenden Schimmel nicht stören, vor dem die Stadt warnt, ist vor allem ihr Problem.

Es gibt wichtigere Dinge

Rechtlich sauber ist das zwar nicht, aber solange sie Nachbarn und andere Mieter nicht stören (siehe Box am Textende), könnte man sie gewähren lassen und sich wichtigeren Dingen widmen. Bis die angekündigte Sanierung des besagten Hauses tatsächlich startet, werden die Besetzer ein neues Objekt im Visier haben und weiterziehen. So macht man dies andernorts.

In Luzern hingegen starten Luzerner Jungparteien einen Krieg um die Deutungshoheit. Stadträtin Franziska Bitzi – sie vertritt Manuela Jost – muss sich mehrmals an den Ort des Geschehens bemühen und man hat das Gefühl, dass sich der ganze Stadtrat auf Druck von Öffentlichkeit, Medien und Parteien zum Handeln anstacheln lässt.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Luzerner Stadtrat mitten in den Frühlingsferien von der Besetzung auf dem falschen Fuss erwischt worden ist. Jene Stadträte, die hier das Sagen hätten, waren in den Ferien: Baudirektorin Manuela Jost (GLP) und Stadtpräsident Beat Züsli (SP).

Die Besetzer teilen die Aussicht auf Facebook:

 

Seit der Gundula-Besetzung vor zwei Jahren ist das Thema Hausbesetzung im Verhältnis zur Problematik überproportional präsent. Die Stadtregierung windet sich seither, klar Stellung zu beziehen: Eigentlich toleriert man Besetzungen grundsätzlich, schliesslich wird die Stadt von einem Mann präsidiert, dessen SP mit der Besetzerszene sympathisiert. Auf der anderen Seite hat diese Toleranz wiederum enge Grenzen, wie man an der aktuellen Besetzung der stadteigenen Liegenschaft sieht.

Etwas mehr Gelassenheit

Die Stadt schob in diesem aktuellen Fall eine angebliche Gesundheitsgefährdung vor, um rechtliche Konsequenzen anzudrohen. Eine Frist am Donnerstagmorgen liessen die Besetzer schulterzuckend verstreichen (zentralplus berichtete).

Etwas mehr von der Gelassenheit, mit der die Besetzer über das Ultimatum hinwegsahen, würde allen Beteiligten guttun. Was fehlt, ist der Mut zu einer eigenständigen Strategie. Ob das konsequente Härte ist oder eine tolerantere Haltung als derzeit, muss der Stadtrat aushandeln.

Engang des besetzten Nebengebäudes der städtischen Villa auf Musegg 1.

Engang des besetzten Nebengebäudes der städtischen Villa auf Musegg 1.

(Bild: mam)

Stadt hat nie mit Räumung gedroht

Stadträtin Franziska Bitzi will sich nicht mehr zum Geschäft äussern. Der Lead ist wieder bei Baudirektion Manuela Jost, die seit Donnerstag aus den Ferien zurück ist. Sie hat sich noch am gleichen Abend selber einen Überblick auf Musegg verschafft und sich mit den Besetzern getroffen. Dass die Time-out-Klasse im benachbarten Gebäude am Montag wieder den Betrieb aufnimmt, erhöhte den Handlungsdruck. Die Stadt will sichergehen, dass ein normaler Unterricht möglich ist.

Auskunft gibt Daniel Bernet, Jurist bei der Luzerner Baudirektion. Er will von einer Strategielosigkeit seitens des Stadtrates nichts wissen. Schliesslich habe die Stadt nie mit einer Räumung gedroht, wie das die Grüne Partei fälschlicherweise kritisierte. «Mit der Frist vom Donnerstag wollten wir den Besetzern die Chance geben, dass sie freiwillig abziehen können», so Bernet. Auch habe die Stadt nie von einem Ultimatum gesprochen, sondern von einer Frist, innert derer die Besetzer mit keinen Konsequenzen rechnen müssen. Eine Haltung, die öffentlich schwer zu erklären ist.

Nun diskutiert der Stadtrat die möglichen Konsequenzen an seiner nächsten Sitzung vom Mittwoch – eine vorzeitige Räumung sei aber nie zur Debatte gestanden.

Am Montag geht die Schule wieder los

Wie geht es weiter? Es ist anzunehmen, dass der Stadtrat an seiner Sitzung keine polizeiliche Räumung anordnen wird – es wäre unverhältnismässig und politisch ungeschickt. Vielmehr sollte er den Leerstand beheben und die angekündigte Sanierung der Liegenschaft möglichst bald angehen. Bis es soweit ist, könnte der Stadtrat die Besetzer gewähren lassen, aufgrund klarer Regeln.

Klar ist, dass die jüngste Besetzung ein politisches Nachspiel haben wird. Ein dringlicher Vorstoss der Grünen wurde bereits eingereicht (zentralplus berichtete), die Juso fordert ein unabhängiges Gutachten. Ein Vorstoss der politischen Gegenseite ist nur eine Frage der Zeit.

Wie auch immer die zukünftige Strategie der Stadt gegenüber Hausbesetzungen aussieht: Es darf nicht mehr sein, dass sich eine ganze Verwaltung und ein politischer Apparat von einer Handvoll Besetzern dermassen in Aktionismus versetzen lässt. Eine Strategie und klare Regeln müssen her, auch für den Fall einer Ferienabsenz.

In der Zwischenzeit nimmt man die aktuelle Besetzung am besten als das, was sie ist: ein Lagerfeuer einer harmlosen Gruppe.

Nachbar: «Eine reine Provokation»

Bei den Nachbarn der besetzten Liegenschaft ist die Meinung geteilt. Einig ist man sich darüber, dass die Besetzer nicht laut sind und kaum stören. Sie hätten sogar Zettel mit den Kontaktdaten in den Briefkästen verteilt, um ihre Präsenz anzukünden.

Einige Nachbarn haben denn auch kein Problem mit den neuen Gästen. Anwohnerin Trudi Scharpf hat sich aus Neugierde mit den Besetzern getroffen. Sie schreibt in einem Leserbrief von «liebenswürdigen und höflichen Menschen», es sei ruhig und niemand werde gestört.

Andere Nachbarn reagieren auf Anfrage emotionaler und fühlen sich durch die Besetzer hörbar provoziert. Christof Schürpf etwa ist der Meinung, dass das von den Besetzern gewünschte soziale Zentrum hier nicht benötigt werde. «Es gibt in der Stadt bereits Räume für die alternative Kultur.» Gerade mal 100 Meter entfernt liege der Kulturhof Hinter Musegg.

Schürpf hat die Besetzer darauf angesprochen, aber zur Antwort erhalten, dass auch in seiner Wohnung sicher noch das eine oder andere Zimmer frei sei. «Bei der Besetzung handelt es sich aus meiner Sicht, um eine reine Provokation, bei der es darum geht, Grenzen des Rechts und der Toleranz auszuloten», so Schürpf. Von der Stadt ist er sehr enttäuscht, da sie den Einbruch, die Sachbeschädigungen und Besetzung toleriere. «Damit sendet sie das Signal, dass, wer die entsprechende Frechheit hat, sich von der Stadt einfach nehmen kann, was man will.»

Eine weitere direkte Nachbarin, die grundsätzlich nichts gegen die Besetzung hat, findet die Präsenz «nicht sehr angenehm». Es liege vermehrt Abfall in den Gärten, etwa Bierbüchsen. Am Samstag treffen sich die Nachbarn, um zu beraten, was sie unternehmen könnten und wie eine Lösung aussehen könnte. Das Ziel: mehr Druck auf die Stadt ausüben.

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