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Die Testergebnisse haben gezeigt: Im Körper von Jolanda Spiess-Hegglin konnten keine Spuren von sogenannten K.o.-Tropfen nachgewiesen werden. Allerdings wurden die Proben im Spital zu einem Zeitpunkt genommen, als ein Nachweis gar nicht mehr möglich war. Die Zuger Politikerin ist der Meinung, ihre Behandlung sei «ziemlich chaotisch abgelaufen». Das wirft Fragen auf.
Im Fall der 34-jährigen Zuger Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin ist weiterhin vieles unklar. Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln nach wie vor, was sich in der Nacht vom 20. auf den 21. Dezember im Restaurant Schiff abgespielt hat.
Kein Licht ins Dunkel gebracht haben die Blut- und Urinproben, die Spiess im Zuger Kantonsspital am 21. Dezember entnommen wurden (zentral+ berichtete). Denn laut Informationen der Staatsanwaltschaft wurden diese Tests erst etwa um 18.50 Uhr gemacht – circa 19 Stunden nach dem Vorfall. Zu diesem Zeitpunkt kann der Wirkstoff solcher K.o.-Tropfen in Blut und Urin jedoch nicht mehr nachgewiesen werden.
Spital war überhaupt nicht vorbereitet
Spiess-Hegglins Behandlung im Spital wirft deshalb Fragen auf. Ihr Sprecher Patrick Senn erklärt: Aus Spiess’ Sicht sei die Behandlung im Zuger Kantonsspital ziemlich chaotisch abgelaufen – und zumindest in ihrem Fall eine Zumutung für ein Opfer. Spiess ergänzt: Sie sei bereits gegen 11 Uhr im Spital gewesen und zuerst von einer Stelle zur nächsten geschickt worden. Danach sei sie sogar nach Hause geschickt worden, um ihre Kleider zu holen, die sie am Vorabend getragen hatte. Das Spital sei offensichtlich überhaupt nicht auf einen solchen Fall vorbereitet gewesen.
«Bei uns ist definiert, wie bei einem Verdacht auf Verletzung der sexuellen Integrität vorgegangen wird.»
Spitaldirektor Matthias Winistörfer
Wie genau die Ärzte im Zuger Kantonsspital reagieren, wenn eine Patientin angibt, sie sei Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden, ist unklar. Seitens des Spitals heisst es einzig: «Bei uns ist definiert, wie bei einem Verdacht auf Verletzung der sexuellen Integrität vorgegangen wird.» Was das konkret bedeutet, dazu möchte Spitaldirektor Matthias Winistörfer zurzeit nichts sagen, denn es würde sofort ein Zusammenhang hergestellt zum konkreten Fall, zu dem sich das Spital nicht äussern könne. «Wir können zu diesem Fall aufgrund des Arztgeheimnisses keine Stellung nehmen», sagt der Spitaldirektor.
Potenzielle Opfer werden aufgefordert, Anzeige zu erstatten
Doch wie kann ein Spital mit solchen Fällen umgehen? zentral+ hat in anderen Spitälern nachgefragt, wie auf mögliche Sexualdelikte reagiert wird. Am Unispital Zürich werden potenzielle Opfer bei Verdacht auf Sexualdelikte aufgefordert, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, wie Mediensprecher Claudio Jörg erklärt. Vertreter der Polizei und Ärzte des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich (IRM) nähmen anschliessend die notwendigen Untersuchungen in der Poliklinik der Gynäkologie vor, so Jörg. Federführend sei dabei das IRM.
Erhärte sich der Verdacht auf ein Sexualdelikt, werde auf der interdisziplinären Notfallstation des Unispitals eine HIV-Postexpositionsprophylaxe durchgeführt, erklärt der Sprecher des Unispitals. «Das bedeutet: Es werden Massnahmen getroffen, um eine potenzielle Ansteckung des Opfers mit HIV zu verhindern.»
In den beiden Hirslanden-Kliniken St. Anna Luzern und Andreas-Klinik in Cham «bestehen für das Vorgehen bei einem Verdachtsfall medizinische Richtlinien, welche die ärztliche Befragung und Untersuchung, Laboranalysen sowie die Dokumentation der Befunde beinhalten», erklärt Claude Kaufmann, Sprecher der Hirslanden AG.
Ein Melderecht, aber keine Pflicht
Ärztliche Melderechte und -pflichten gegenüber Justiz und Polizei sind in der Schweiz von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt. Im Kanton Zug besteht gemäss Gesetz über das Gesundheitswesen bei Personen über 18 Jahren ein Melderecht. Das heisst, es ist nicht zwingend, dass ein Arzt bei einem Sexualdelikt die Justiz oder die Polizei informiert; er kann dies aber ungeachtet seiner Schweigepflicht tun, wenn er es für richtig hält. Das Gesetz über das Gesundheitswesen schreibt hingegen eine Meldepflicht vor, wenn der Verdacht auf Vergehen gegen Leib und Leben von Kindern und Jugendlichen oder gegen deren sexuelle Integrität besteht.
Auch im Kanton Luzern besteht bei Vorfällen, die auf sexuelle Übergriffe schliessen lassen, keine Meldepflicht, sondern eine Melderecht. In den Hirslanden-Kliniken werde das weitere Vorgehen deshalb mit betroffenen Patientinnen besprochen und gemeinsam festgelegt, sagt Sprecher Kaufmann.
«Ich werde mich in Zukunft für Frauen einsetzen, die das Gleiche durchgemacht haben wie ich.»
Jolanda Spiess-Hegglin, Kantonsrätin Alternative-Die Grünen
Die Spitäler weisen jedoch auch darauf hin: Das Vorgehen der behandelnden Ärzte ist von Fall zu Fall unterschiedlich und hängt stark von der betroffenen Person ab.
Spiess plant einen Vorstoss
Jolanda Spiess› Sprecher betont jedoch: Sie wolle das Kantonsspital nun nicht an den Pranger stellen. «Sie will es auch nicht in irgendeiner Weise haftbar machen», sagt Senn. Ihr gehe es vielmehr darum, dass die behandelnden Personen auf künftige Fälle besser vorbereitet seien, sagt er. «Sie erwartet, dass das Spital professionell und angemessen reagiert, wenn sich ein Opfer eines möglichen Sexualdelikts im Spital meldet.»
Spiess-Hegglin sagt, sie werde sich in Zukunft für Frauen einsetzen, die das Gleiche durchgemacht hätten wie sie. Deshalb will die grüne Kantonsrätin die Aufarbeitung dieses Falles politisch vorantreiben und plant einen Vorstoss dazu. Die Stossrichtung geht dahin, dass Opfer von Sexualdelikten in einer solchen Situation besser begleitet werden. «Ich habe neun Stunden im Spital verbracht, davon habe ich rund sechs Stunden ganz allein gewartet», sagt die Politikerin. «Ausserdem muss es doch auch über die Feiertage eine Helpline bei der Opferhilfe in Zug geben, damit man einfach mal mit jemandem reden könnte», führt sie weiter aus.