Homosexuelle äussern sich zum Abstimmungsergebnis

«Halleluja!»: Betroffene aus Zug freuen sich über das Ja

Jill Nussbaumer setzt sich, insbesondere mit der FDP-Gruppe Radigal, für die Gleichberechtigung homosexueller Paare ein. (Bild: zvg)

Knapp zwei Drittel der Zuger Stimmberechtigten sprachen sich am Sonntag für die Ehe für Alle aus. Queeren Menschen aus der Region fällt damit ein Stein vom Herzen. Bereits werden jedoch schon neue Ziele gesteckt.

«D Schwiiz vo geschter isch nümme d Schwiiz vo hüt», sagte Laura Zimmermann, Copräsidentin von Operation Libero am Sonntagmittag in einem SRF-Interview. Die politische Bewegung setzte sich aktiv für die «Ehe für alle» ein. Zimmermanns Aussage trifft insbesondere für homosexuelle Paare zu, welche nun, nach dem klaren Ja von über 64 Prozent, vor dem Staat gleich behandelt werden wie heterosexuelle Paare.

Die Zugerin Jill Nussbaumer ist Vizepräsidentin der Jungfreisinnigen Schweiz und zudem im Vorstand der freisinnigen LGBT-Fachgruppe Radigal. Diese hat sich im Vorfeld der Abstimmung stark gemacht für die Vorlage.

Der Anruf von zentralplus erreicht die 27-Jährige im Tessin. Bald darauf jedoch wird sich Nussbaumer in den Zug setzen, um das Ja zur Ehe für Alle in ihrem Kanton zu feiern. Zu Recht. Der Kanton Zug setzte mit 66,11 Prozent Ja-Stimmen ein – im schweizerischen Vergleich – sehr deutliches Zeichen für die Gleichberechtigung homosexueller Paare.

«Die Zugerinnen und Zuger schienen sich sehr gut ins Thema hineinzudenken zu können.»

zentralplus: Frau Nussbaumer, Ihnen dürfte es heute gut gehen.

Jill Nussbaumer: Ja, ich freue mich sehr. Die gut 66 Prozent waren bei meinen vorgängigen Berechnungen das Best-Case-Szenario. Auch nehme ich erfreut zur Kenntnis, dass die Stimmbeteiligung in Zug mit rund 61 Prozent sehr hoch war.

zentralplus: Haben Sie eine Ahnung, warum diese so hoch war?

Nussbaumer: Die 99-Prozent-Initiative beschäftigte den Wirtschaftskanton Zug in besonderem Mass. Ich gehe davon aus, dass die Stimmbeteiligung bei der «Ehe für Alle» auch aufgrund dessen höher war als andernorts. Doch muss ich auch sagen, dass ich, etwa während unserer Flyeraktionen in Zug, grundsätzlich auf offene Menschen getroffen bin. In anderen katholischen Kantonen, etwa im Kanton Schwyz, erhielt ich viel eher negative Feedbacks. Die Zugerinnen und Zuger schienen sich sehr gut ins Thema hineinzudenken zu können.

zentralplus: Sie sind selber in einer Beziehung mit einer Frau und äusserten letzthin bei einem Podiumsgespräch, dass Sie durchaus heiratswillig wären. Somit dürfte das Resultat auch für Sie als Privatperson von grosser Bedeutung zu sein.

Nussbaumer: Auf jeden Fall. Auch deshalb macht es mich glücklich, dass Zug so stark beteiligt war und so viele Ja gestimmt haben. Ich persönlich habe diese Offenheit zwar in meinem Umfeld immer schon wahrgenommen. Es war immer klar, dass ich mich mit meiner Partnerin zeigen konnte. Doch tatsächlich haben wir auch schon über konkrete Pläne gesprochen für den Fall, dass die Vorlage angenommen würde.

zentralplus: Sie möchten sich demnach trauen lassen?

Nussbaumer: Ja. Nun haben wir die Möglichkeit, realistisch zu planen. Auch wenn wir uns bewusst sind, dass es für uns noch nicht so bald möglich sein wird, uns kirchlich trauen zu lassen. Doch dass wir jetzt vor dem Staat dieselben Rechte haben wie Heterosexuelle, bedeutet mir sehr viel.

zentralplus: Sie sind Katholikin und haben mit ihrer Partnerin im Mai dieses Jahres eine katholische Segnung erhalten. Warum war Ihnen das wichtig?

Nussbaumer: Die Segnung ist nicht ganz gleichwertig wie eine Hochzeitszeremonie – man erhält etwa als homosexuelles Paar kein Sakrament –, doch war die Segnung für unsere Beziehung bestärkend. Wir erhielten die Bestätigung, dass wir ein Segen sind für die Welt und konnten noch einmal reflektieren, was wir aneinander schätzen und was unsere Herausforderungen sind. Das war für uns emotional wichtig.

Im vergangenen Mai erhielten Eli Santos und Jill Zimmermann eine katholische Segnung. (Bild: Tages-Anzeiger/ Boris Müller)

zentralplus: Seit 2020 sind Sie im Vorstand von FDP Radigal. Die Ehe für Alle ist nun Tatsache. Warum wird es die Gruppe weiterhin brauchen?

Nussbaumer: Es ist wichtig, dass wir uns innerhalb der FDP vernetzen und vereinen, gemeinsam auf die Strasse gehen, uns über Privates und unsere politische Gesinnung austauschen. Nur so können wir bei einer eventuellen weiteren Vorlage genügend Einfluss generieren.

«Egal, wen man liebt und wie man sein Leben gestaltet, man soll sich entsprechend absichern können.»

zentralplus: Dann finden Sie nicht, dass Gleichberechtigung mit diesem Abstimmungsresultat Tatsache geworden ist?

Nussbaumer: Nein. Einerseits müssen wir in der Gesellschaft noch viel erreichen, um als gleichwertig angesehen zu werden, damit es künftig beispielsweise kein Outing mehr braucht. Dafür werden wir auch weiterhin an die Pride gehen. Damit man sieht, dass wir normal leben, wie alle anderen auch. Anderseits gibt es auf rechtlicher Ebene noch immer gewisse Lebensentwürfe, die nicht geregelt sind. Etwa, wenn jemand in einer eingetragenen Partnerschaft schwanger wird. Dann muss die Partnerin der Schwangeren ein Adoptionsgesuch einreichen. Das ist bei heterosexuellen Paaren anders. Auch werden bei intersexuellen Personen nach wie vor teils Operationen gemacht, die nicht nötig wären. Weiter sind wir der Ansicht, dass sich Personen, die mit mehr als einer Person in einer Beziehung leben, vertraglich absichern können müssen. Egal, wen man liebt und wie man sein Leben gestaltet, man soll sich entsprechend absichern können.

«Wir wollen keine Diskriminierung mehr. Wenn das als Salamitaktik wahrgenommen wird, dann tut mir das leid.»

zentralplus: Rechte für Menschen in Beziehungen mit mehreren Personen? Eine mutige Forderung für ein doch eher konservatives Land. Immerhin musste im Parlament acht Jahre lang gestritten werden, bis die Ehe für Alle durchkam. Sind die genannten Ansprüche nicht etwas blauäugig?

Nussbaumer: Es braucht visionäre Menschen, die sich für eine moderne Gesellschaft einsetzen und damit zur Entstigmatisierung beitragen. Auch wenn sich dadurch politisch noch nichts ändert, so ändert sich doch die Bereitschaft, über diese Themen nachzudenken.

zentralplus: Gegner der Ehe für Alle würden Ihnen nun das Stichwort der «Salamitaktik» an den Kopf werfen und die Befürchtung äussern, dass das Ja zur aktuellen Vorlage erst der Anfang war.

Nussbaumer: Wir wollen keine Diskriminierung mehr. Wenn das als Salamitaktik wahrgenommen wird, dann tut mir das leid. Abgesehen davon zwingen wir ja niemandem etwas auf. Ist die Gesellschaft noch nicht bereit, kann sie eine Vorlage jederzeit ablehnen. Dafür haben wir die direkte Demokratie schliesslich.

Emotionale Worte des Zug-Pride-Organisators

Remo Hegglin, Zuger Kulturschaffender und Organisator der ersten Zug Pride, äusserte sich am Sonntag auf Anfrage wie folgt: «Der heutige Volksentscheid ist historisch und ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur Gleichstellung von homo- und bisexuellen Menschen. Diese Abstimmung hat mich persönlich emotional sehr aufgewühlt.» Dass stimmberechtigte Schweizerinnen und Schweizer darüber abstimmen dürfen, wie Menschen wie er das private Leben gestalten dürfen, habe Hegglin nur schwer fassen können.

«Das klare Abstimmungsresultat führt nun dazu, dass ich mich als Homosexueller nicht länger als Mensch zweiter Klasse fühlen muss», gibt er zu bedenken. «Selbst in der konservativ und katholisch geprägten Gemeinde Menzingen, wo ich aufgewachsen bin – dort, wo viele Plakate der Kampagne zur ‹Ehe für alle› kaputt gemacht wurden oder verschandelt worden sind –, hat die Mehrheit der Abstimmenden Ja gesagt. Halleluja!»

Abschliessend sagt der Betroffene: «Vor Freude über dieses klare Bekenntnis zur Liebe und gesellschaftlichen Gleichberechtigung musste ich weinen.» Entsprechend werde er am Sonntagabend tanzen und die Korken knallen lassen. «Auf das Wohl der Schweizer Gesellschaft, ganz besonders aber auf das Wohl aller Menschen unserer Gesellschaft, die nicht einem heteronormativen Bild entsprechen.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 27.09.2021, 09:04 Uhr

    Wieso ist das „ein wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur Gleichstellung von homo- und bisexuellen Menschen“? Woran mangelt es denn bitte noch?

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