Wer schafft den Sprung ins Zuger Stadtpräsidium?

Gysel vs. Wicki: Historisches Wahlresultat steht bevor

Am Sonntag gilt es ernst: Wer schafft es ins Stadtpräsidium? SVP-Mann André Wicki oder SP-Frau Barbara Gysel? (Bild: wia)

Egal, wie die Stadtpräsidialwahlen am Sonntag ausgehen: Historisch werden sie sowieso. Denn weder eine Frau, noch ein SVP-Mann hat die Stadt Zug je angeführt. Einer der Kandidierenden hat in diesem Wahlkampf jedoch viel zu verlieren.

Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Beim ersten Wahlgang der Zuger Stadtpräsidialwahlen am 2. Oktober erzielte Barbara Gysel (SP) mit 2103 Stimmen das Bestresultat, André Wicki (SVP) war ihr mit nur gerade 15 Stimmen Rückstand, respektive mit 2088 Stimmen, dicht auf den Fersen.

Dass Gysel auch im zweiten Wahlgang antrat, war nur logisch. Sie hat mit einer weiteren Kandidatur nichts zu verlieren. Doch auch André Wicki informierte die Öffentlichkeit bereits drei Tage nach dem Super Sunday darüber, auch beim Wahlgang vom 27. November mit von der Partie zu sein. Vor vier Jahren hatte er seinem Kollegen Karl Kobelt (FDP) den Vorrang gelassen, der im zweiten Wahlgang denn auch gewählt wurde.

Erinnerung an einen alten Pakt

Was seither passiert ist? Die bürgerlichen Stadträte Urs Raschle (Mitte) und Eliane Birchmeier (FDP) zogen sich vornehm aus dem Rennen zurück. Birchmeier erzielte mit Abstand am wenigsten Stimmen im ersten Anlauf (1546) und dürfte realisiert haben, dass sie in einem zweiten Wahlgang keine grossen Chancen haben würde. Raschle begründete seinen Rückzug öffentlich mit dem bürgerlichen Bündnis BS14, mittels dessen Hilfe er den Sprung in den Stadtrat vor acht Jahren geschafft habe.

An dieses Abkommen wolle er sich auch nun halten (zentralplus berichtete). Eine klare Haltung beziehen die Verzichtenden dennoch. Und wie! Denn nicht nur die bürgerlichen Parteien verkündeten daraufhin offiziell, André Wickis Wahlkampf zu unterstützen. Auch die einzelnen Stadträte taten es.

Die bürgerlichen Stadträte stellen sich klar hinter Wicki

Alle Zuger Einwohnerinnen erhielten vor einigen Wochen Post; es handelte sich um einen Unterstützungsbrief für André Wicki. Dieser war von allen bürgerlichen Stadträten, auch dem künftigen Exekutivmitglied Etienne Schumpf (FDP), unterzeichnet worden.

Dieser Umstand wurde, etwa in Leserbriefen, kritisiert. «Was soll diese Aktion? Warum tun das die bürgerlichen Stadträtin (sic!) und die Stadträte, sie wissen doch genau, dass sie damit Barbara Gysel als gewähltem Teil ihres Kollegiums ziemlich auf die Füsse treten», äusserte sich etwa eine Leserin in der «Zuger Zeitung».

Zumindest beweist diese Aktion eines: Barbara Gysels Kandidatur ist durchaus ernst zu nehmen. Die Angst der Bürgerlichen, dass die SP-Frau, die über keinerlei Exekutiverfahrung verfügt, direkt ins Stadtpräsidium katapultiert werden könnte, ist real und nicht unbegründet. Man erinnere sich an die rundum überraschten Gesichter, als das Stapi-Resultat am 2. Oktober an die Wand des Medienzentrums projiziert wurde.

Barbara Gysel will am Sonntag Stadtpräsidentin werden. (Bild: zvg)

Die SVP wähnt sich noch nicht in Sicherheit

Gregor R. Bruhin, Präsident der städtischen SVP, gibt sich wenige Tage vor dem zweiten Wahlgang alles andere als siegessicher. «Es ist zu diesem Zeitpunkt sehr schwierig, eine Einschätzung zu machen.» Und weiter: «Am 2. Oktober gab es überall, also nicht nur bezüglich Stadtpräsidiumswahlen, sondern auch beim GGR, Kantonsrat und eben betreffend Stadtrat sehr viele Überraschungen, die wir nicht antizipiert hatten.»

«Es hängt davon ab, dass die Bürgerlichen auch wirklich an die Urne gehen.»

Gregor R. Bruhin, städtischer SVP-Präsident

Es habe – bis auf die GLP, die leicht zulegen konnte – kaum klare Gewinner und Verliererinnen gegeben. Dementsprechend sei es schwierig, einen eindeutigen Trend zu erkennen. «Als Beispiel: Sowohl Barbara Gysel als auch André Wicki schnitten bei den Stadtratswahlen so lala ab. Beim Präsidium führten die beiden die Rangliste an. Ich habe keine Ahnung, wie diese Resultate zustande gekommen sind.»

Der städtische Parteipräsident sagt weiter: «Klar steigen die Chancen für André Wicki durch die Unterstützung der Bürgerlichen stark. Aber es hängt davon ab, dass die Bürgerlichen auch wirklich an die Urne gehen.» Für Bruhin ist darum klar: Je höher die Wahlbeteiligung, desto grösser sieht er Wickis Chancen.

SVP-Präsident «grundsätzlich positiv»

Seit zwölf Jahren sitzt André Wicki im Stadtrat. Sollte er die Wahl an Exekutiv-Newcomerin Gysel verlieren, kann man das durchaus als Schmach bezeichnen. Bruhin relativiert: «Das würde ich so nicht sagen. Als Finanzchef würde Wicki weiterhin das strategisch relevanteste Departement leiten.» Bruhin weiter: «Natürlich wäre eine Nicht-Wahl unschön. Wenn es soweit kommen sollte, dann wohl, weil Wicki die nötigen Stimmen aus dem bürgerlichen Lager nicht erhalten hat.»

Der SVP-Politiker ist derzeit jedoch «grundsätzlich positiv» gestimmt. «Ich freue mich auf das Resultat am Sonntag und auch darauf, dass die Wahlen 2022 damit abgeschlossen sind.»

andre wicki stadtrat
SVP-Stadtrat André Wicki will Stadtpräsident werden. MIt diesem Ziel ist er jedoch nicht alleine. (Bild: zvg)

Alt-Stapi wünscht sich eine Frau Stadtpräsidentin

Der städtische SP-Präsident Rupan Sivaganesan sagt auf Anfrage zur bevorstehenden Wahl: «Es ist ironisch. Die bürgerlichen Parteien haben das Majorz-System gepusht und wollten Personen- und nicht Parteiwahlen. Nun haben wir mit Barbara Gysel die perfekte Person.» Und weiter: «Die Bürgerlichen jedoch zwingen ihre Wählerinnen und Wähler nun indirekt, einen SVP-Kandidaten zu wählen, der weniger Stimmen für Stadtrat und Stadtpräsidium gemacht hat als Gysel.»

«Wenn die Mitte Stimmfreigabe beschlossen hätte, wäre Barbara Gysels Wahl doch ein Spaziergang.»

Rupan Sivaganesan, städtischer SP-Präsident

Betreffend kommendem Sonntag ist Sivaganesan zuversichtlich. «Wenn die Mitte Stimmfreigabe beschlossen hätte, wäre Barbara Gysels Wahl doch ein Spaziergang. Ich bin überzeugt, wir haben eine gute Kandidatin. Dies aufgrund ihres jahrelangen Engagements. Darum haben wir Hoffnung, dass es klappen könnte.» Dies, auch trotz des bürgerlichen Schulterschlusses und des expliziten Engagements aller Stadträte für André Wicki.

SVP und urbanes Zug: Passt das?

«Eine Frau Stadtpräsidentin an der Spitze der Stadt Zug zu haben, würde mich besonders freuen», erklärt jedoch Alt-Stadtpräsident Dolfi Müller bei einem Kaffee in seiner Stadt. «Ausserdem stellt sich die Frage: Passt die SVP wirklich zum urbanen Zug?» Dennoch ist der langjährige SP-Stapi realistisch: «Wenn die Bürgerlichen tatsächlich geschlossen hinter Wicki stehen, wird es hart für Gysel. Fürs absolute Mehr braucht sie neben den linken Stimmen auch mindestens 30 Prozent der bürgerlichen.»

«Die Wahl in Exekutivämter ist eine Glückslotterie.»

Alt-Stadtpräsident Dolfi Müller

Müller hält kurz inne, sagt dann: «Ich habe zwar schon einige Bürgerliche sagen hören, dass es für sie nicht in Frage käme, die SVP zu wählen.» Ausserdem habe Gysel in Sachen «Fraueneffekt» alle Trümpfe in den Fingern.

Dolfi Müller findet: «Die Wahl in Exekutivämter ist eine Glückslotterie.» (Bild: wia)

Ein wieder aufgeflammtes, «bürgerliches Trauma»?

Mit einer Nonchalance, wie sie nur ein pensionierter Dolfi Müller an den Tag legen kann, sagt er: «Die Wahl in Exekutivämter ist eine Glückslotterie.» Wie er das meint? «Hätte die FDP Hans Christen 2006 nicht aus dem Rennen genommen, wäre es für mich bei den Stapi-Wahlen schwierig geworden. Auch 2010 hatte die Linke ungemeines Glück.» Damals schafften es mit Vroni Straub (CSP), Andreas Bossard (CSP) und Dolfi Müller (SP) mithilfe des Proporz-Wahlsystems gleich drei Kandidaten aus dem linken Lager in die Stadtregierung.

«Bei einer Kandidatur hätte Urs Raschle sich dem Vorwurf aussetzen müssen, die Bürgerliche zu spalten.»

Dolfi Müller

«Das wiederum führte dazu, dass sich die Bürgerlichen 2014 zu ‹BS14› formierten.» Dolfi Müller spricht von einem «bürgerlichen Trauma», welches nun wieder aufkeime. «Wicki hat nun extremes Glück, dass es nur eine Zweifachkandidatur gibt und sich Urs Raschle aus dem Rennen genommen hat. Ich glaube, die Partie gegen den Mitte-Mann für sich zu entscheiden, wäre sehr schwierig geworden.»

Und weiter: «Die SVP ist mit ihrem Entscheid zum zweiten Wahlgang vorgeprescht. Es wäre schwierig geworden für Urs Raschle, dennoch ins Rennen zu steigen. Er hätte sich dem Vorwurf aussetzen müssen, die Bürgerliche zu spalten.»

Wahlstrategien hin oder her. Am Sonntag wird gewählt. Und wie eingangs erwähnt: Historisch bedeutsam wird das Wahlresultat auf jeden Fall.

Verwendete Quellen
  • Resultate 1. Wahlgang, Stadtpräsidium Zug
  • Leserbrief in der «Zuger Zeitung»
  • Persönliches Gespräch mit Dolfi Müller
  • Telefonat mit Gregor Bruhin
  • Telefongespräch mit Rupan Sivaganesan
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Philipp
    Philipp, 26.11.2022, 10:57 Uhr

    Man hofft auf Fortschritt und bekommt Stagnation. Ist jetzt aber auch nichts neues in Zug.

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