Die Luzerner Regierung will der Polizei mehr Möglichkeiten zur Überwachung und Fahndung geben. Vonseiten der Grünen kündigt sich massiver Widerstand an.
Um Straftaten zu verhindern, setzt die Polizei vermehrt auf Computerprogramme. Das Problem: Diese überschätzen das Risiko systematisch – so geraten auch Personen ins Visier der Behörden, von denen keine Gefahr ausgeht (zentralplus berichtete).
Wenn die Luzerner Behörden vermuten, dass ein Mensch eine Straftat begehen könnte, wird er in die Gefährderdatenbank aufgenommen. Die Betroffenen werden in ihrer Wohnung aufgesucht und angesprochen, beobachtet und teilweise überwacht.
Die Zahl der erfassten Personen steigt seit Jahren an. Tatsache ist: Der Mechanismus hinter den Analysetools ist eine Blackbox. Die Betroffenen erfahren teils nur durch Zufall, dass sie als Gefährder gelten. Welche Daten über sie gesammelt werden, erfahren sie nicht (zentralplus berichtete).
Neues Gesetz zur Ausdehnung der Polizeiüberwachung in Luzern
Jetzt will die Luzerner Regierung die rechtlichen Grundlagen schaffen, um weitere umstrittene Tools einzuführen. Eines davon wird mit Informationen zu Tatort, Tathergang und Tatwerkzeug gefüttert. Ein heikler Punkt: Um Verbrechen zu verhindern, werden teils auch Daten von kleinen Delikten in das Analysesystem eingetragen. So könnte beispielsweise eine Tätlichkeit – wie eine Ohrfeige – dazu führen, dass jemand in der Datenbank landet (zentralplus berichtete).
Die Grünen haben bereits letztes Jahr Vorstösse eingereicht, weil sie verhindern wollen, dass Unschuldige ins Visier der Polizei geraten (zentralplus berichtete). Wie stehen sie nun zur geplanten Gesetzesänderung, welche die Einführung der erwähnten Tools ermöglichen soll? Das Geschäft wird demnächst in der Justizkommission besprochen.
Grüne fordern: Zurück auf Feld 1!
«Die Grünen/Jungen Grünen werden beantragen, den Gesetzesentwurf zur Revision des Luzerner Polizeigesetzes zurückzuweisen», kündigt Kantonsrätin Rahel Estermann an. «Grund für den Rückweisungsantrag ist, dass dieses Gesetz schwere Grundrechtseingriffe beinhaltet, die nicht verhältnismässig sind», schreibt sie auf Anfrage.
Die Algorithmen dieser Systeme würden mit Daten gefüttert, die dann berechnen, wo und von wem in Zukunft Straftaten begangen werden könnten. Die Luzerner Regierung will dazu «ganz viele besonders schützenswerte Personendaten erfassen – und das auch für harmlose Delikte», kritisiert Rahel Estermann.
«Racial Profiling» wird begünstigt
Die Grüne-Kantonsrätin macht ein Beispiel: Wenn du einen Ladendiebstahl begehst, so würden künftig deine Daten zu persönlichen Merkmalen – darunter Name, Alter, Identifikationsnummer in Ausweispapieren, Wohnadresse, elektronische Adresse, Geschlecht, Erkennungsmerkmale, Foto, biometrische Daten, Herkunft, Haar- und Hautfarbe – in das neue System geladen. «Das sind alles extrem sensible, persönlichkeitsbezogene Daten», moniert Rahel Estermann. Das System berücksichtigt diese bei seinen Analysen.
«Das Pendel ist zu stark zugunsten des Wunschkatalogs der Polizei ausgeschlagen.»
Kantonsrätin Rahel Estermann
Die Prognosen mithilfe von Daten über die Herkunft und Hautfarbe seien besonders heikel. Weil sie das sogenannte «Racial Profiling» begünstigen. Das bedeutet, dass die Polizei beispielsweise eine Person aufgrund ihrer Hautfarbe als verdächtig einschätzt – und nicht anhand eines konkreten Verdachts. «Wir wollen die Verwendung besonders schützenswerter Personendaten ausschliessen», sagt Estermann deshalb.
Für einmal setzen sich die Grünen für die Autofahrerinnen ein
Die Grünen lehnen auch den interkantonalen Austausch von Daten ab, die im Rahmen von Vorermittlungen gesammelt werden. Auch die vorgeschlagene automatisierte Fahrzeugfahndung stösst auf wenig Gegenliebe. Dieses intelligente Videosystem mit hochauflösenden Kameras überwacht die Strassen und scannt die Kennzeichen von vorbeifahrenden Autos (zentralplus berichtete). So weiss die Polizei binnen Sekunden, wer gerade die Autobahn passiert.
«Ein Teil der Anliegen der Datenschutzaufsicht wurde in der Botschaft aufgenommen, ein anderer Teil nicht.»
Datenschützer Matthias Schönbächler
Das Problem aus Sicht der Grünen: Auch die Fahrerinnen werden gemäss Gesetzesentwurf «automatisiert optisch erfasst». Zwar heisst es im Entwurf, dass dadurch keine biometrischen Daten anfallen würden. «Wie man aber Bilder automatisiert erfassen will, ohne dass optische Merkmale wie Hautfarbe gespeichert werden, ist mir ein Rätsel», meint aber Rahel Estermann. Sie fordert, dass die Autoinsassen nicht erfasst werden. Zudem soll die Regierung in einem Katalog verbindlich festlegen, bei welchen Delikten die automatisierte Fahrzeugfahndung überhaupt zum Einsatz kommen darf.
Grundsätzlich können Beschränkungen der Grundrechte legitim sein, wenn ein hohes öffentliches Interesse besteht. Je stärker der Eingriff, desto stärker muss das öffentliche Interesse sein, damit dieser noch gerechtfertigt ist. Im nun vorliegenden Entwurf «kommen die Grundrechte zu kurz und das Pendel ist zu stark zugunsten des Wunschkatalogs der Polizei ausgeschlagen», findet Rahel Estermann. Ziel des Rückweisungsantrags sei, dass das Departement den Gesetzesentwurf nochmals grundlegend überarbeitet.
Polizeiüberwachung: Das sagt der Datenschützer von Luzern
In der Vernehmlassung zum Gesetzesentwurf hatte der kantonale Datenschützer Matthias Schönbächler teils erhebliche Kritikpunkte betreffend des Datenschutzes geltend gemacht. «Ein Teil der Anliegen der Datenschutzaufsicht wurde in der Botschaft aufgenommen, ein anderer Teil nicht», schreibt er nun auf Anfrage.
Ob die Anpassungen aus seiner Sicht ausreichen – dazu äussert es sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. «Der Datenschützer wird seine Sicht der Dinge vor der Parlamentsdebatte nicht öffentlich äussern», so die Begründung. Er werde sich zu einem späteren Zeitpunkt zur Vorlage äussern.
- Vorschlag für die Revision des Gesetzes über die Luzerner Polizei
- E-Mailaustausch mit den Vertreterinnen der Grünen in der Justizkommission
- E-Mailaustausch mit Matthias Schönbächler