«Graf oder Born» – Fremdscham hat einen Namen

Der Kanton Luzern hat ein neues Format. Eine Videoreihe mit Guido Graf und Rolf Born, in welcher die beiden uns in weniger als zwei Minuten aufzeigen, was das Gegenteil von Unterhaltung ist. Eine Glosse.

Autorin

Jana Avanzini

Es gibt Videos, die machen Spass. Sie lassen einen überrascht, begeistert, geradezu euphorisch zurück. Der Kanton Luzern zeigt nun auf, wie man das exakte Gegenteil erreichen kann: Eine Mischung aus Ärger, Fremdscham und Entmutigung.

Der Kanton schafft das in absoluter Perfektion. So beginnt das Format mit einer Ankündigung, die Hoffnungen weckt auf Unterhaltung, aber jetzt auch nicht übermässig Spannung erzeugt: «Regierungspräsident Guido Graf und Kantonsratspräsident Rolf Born stellen sich im neuen Format ‹Graf oder Born› (in Anlehnung an das beliebte Format ‹Ich oder Du›) interessante Fragen.»

Wir alle kennen dieses «beliebte Format». Wir mussten es bei der letzten und der vorletzten und bei der vorvorletzten und vorvorvorletzten Hochzeit über uns ergehen lassen. Und bei «Glanz und Gloria», wo wenigstens aufgebrezelte und motivierte Menschen mitmachen, die sich zu inszenieren wissen. Rolf Born und Guido Graf sind, mit Verlaub, nichts von alledem.

Nehmen wir uns das zweite Versprechen vor, das die Ankündigung gibt: «Interessante Fragen». Konkret:

Fragen, die die Menschheit (oder die Männerheit der 90er-Jahre) umtreiben. Ganz in der Tradition der legendären Sparkassenwerbung «Mein Haus, mein Auto, mein Boot».

Es geht los

Im Intro wird zu fröhlichem Gedudel eine Pflanze zurechtgerückt. Doch diese darf anschliessend im Video nur zwei ihrer Blättlein seitlich ins Bild strecken. Wahrscheinlich, weil sie sonst durch ihre vitale Ausstrahlung alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten.

Es geht los, die beiden Herren nehmen Platz, mit leicht säuerlichem Gesichtsausdruck, schlecht ausgeleuchtet. In beige, weiss und schwarz gekleidet auf einem beigen Sofa vor einer weissen Wand – Batman und Robin der katholischen Steueroase: Guido Graf und Rolf Born. So weit das vielversprechende Setting.

Es folgen die Antworten, für alle, die es vor lauter Spannung kaum mehr aushalten.

Selbstverständlich sind beide Herren davon überzeugt, besser Auto zu fahren als der jeweils andere, wo kämen wir denn da hin. Sind ja schliesslich beide richtige Männer. Born glaubt, er sei besser, weil er das Gesetz besser kenne, weil sein Auto mechanisch ist. Das scheint für ihn eine schlüssige Argumentatsionskette zu sein. Muss man nicht verstehen – macht aber etwas Sorgen.
Graf verrät im Gegenzug, dass er relativ wenig Bussen hat, aber doch regelmässig Bussen erhalte. Was auch keinen Sinn macht, aber egal.

Selbstverständlich sind auch beide davon überzeugt, den besseren Wein im Keller zu haben. Born führt jetzt in einem kurzen Monolog vor, wie man vor lauter nichtsagendem Nichtinhalt seine Eignung als Politiker eindrücklich unterstreichen kann.

«Ich bin überzeugt, dass das, was ich bei mir im Keller habe, mir, meiner Frau und den Leuten, die ich einlade, schmeckt und dass die das geniessen können. Wenn jemand anderes einen anderen Geschmack und einen anderen Weinkeller hat, so ist das wahrscheinlich nicht der bessere. Es gibt einfach unterschiedliche Qualitätskriterien oder Bewertungen.»

Ähm. Jawoll! So ist das! Und tatsächlich ist der letzte Satz auch perfekt auf dieses Video anwendbar.

Natürlich liest keiner der beiden Herren. Im Bett. Wer tut denn sowas? Und natürlich wollen sich beide auf keinen Fall öffentlich mit so etwas streberischem und zeitverschwenderischem wie Lesen in Verbindung bringen lassen. Lieber mit zu schnellem Fahren.
Lesen? Wäk!

Und mit «Wäk» haben wir den Übergang zu Grafs Altherrenwitz (siehe Bild unten), bei dem einem kurz die Eingeweide einfrieren und man sich fühlt wie eine Jugendliche am Tisch mit dem alten Verwandten, der mit anzüglichen Kommentaren regelmässig peinliche Stille schafft.

Mit einer Mischung aus Fremdscham und Enttäuschung über die Welt sitzt man nun regunglos vor dem Bildschirm. Es sind nicht einmal zwei Minuten vergangen und das Vertrauen in unsere Politik wurde einmal mehr tief erschüttert.

Doch, hey!, versuchen wir uns aufzumuntern, die beiden sind keine Schauspieler und wurden ganz offensichtlich dazu gezwungen. Vielleicht von einem Kommunikationspraktikanten in seiner ersten Woche. Sie können nichts dafür, denken wir.

Doch so ist es nicht. Es schreibt uns der noch amtierende Regierungsrat Guido Graf: «Als Regierungspräsident war es mir wichtig, ein neues und auch etwas lockereres Format zu schaffen, um die Luzerner Bevölkerung anzusprechen.» Darin würden er und Born sich «für einmal von einer anderen und persönlicheren Seite» zeigen. Und das künftig wahrscheinlich einmal im Monat.

Das macht uns Angst. Einerseits. Aber da sie uns eigentlich auch etwas leid tut, die harte Kritik – hier zur Versöhnung ein paar Ideen für zukünftige Fragen: