Zuger Regierungsratswahlen 2022

Franzini: «Linke hätte Anspruch auf zwei Sitze»          

Die Linke soll in der Zuger Regierung ebenfalls vertreten sein, findet ALG-Kantonsrat Luzian Franzini. (Bild: Screenshot Live-Stream/zvg)

Im Kanton Zug herrscht politisches Ungleichgewicht. Für Luzian Franzini von den Grünen bildet die Zuger Regierung die Bevölkerung nicht richtig ab. Auch Politikwissenschaftler beurteilen den Ausschluss der Linken in Zug als strategisch ungeschickt.

Sieben Sitze zählt der Zuger Regierungsrat. Die Mitte des Kantons Zug strebt bei den nächsten Wahlen wiederum drei dieser Sitze an. Also beansprucht sie weiterhin fast 43 Prozent der Regierungssitze. Dies, obwohl die Mitte bei den letzten Kantonsratswahlen (2018) bloss einen Wähleranteil von 25,8 Prozent erreichte. Bei den Nationalratswahlen von 2019 betrug ihr Wähleranteil noch 23,7 Prozent.

Sollte die Mitte im Herbst ihr Ziel von drei Regierungssitzen erneut erreichen, so bliebe sie in der Regierung weiterhin übervertreten. Von einem freiwilligen Proporz will die Partei nichts wissen (zentralplus berichtete). Dieses Prinzip beschreibt, dass eine Partei freiwillig nur so viele Kandidaten stellt, wie sie Wähleranteile im Kanton hat.

Parteien beschränken sich in der Regel selber

Dabei ist der freiwillige Proporz – gerade bei Wahlen für Kantonsregierungen – in der Schweiz eigentlich der Normalfall. Dies erklärt der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schaub von Année Politique Suisse der Universität Bern auf Anfrage.

Rein theoretisch sei es so, dass die Partei mit dem grössten Wähleranteil im Majorzverfahren sämtliche Sitze holen könnte. Denn: Im Majorzverfahren können Wählerinnen für einzelne Personen stimmen, statt für Parteien und deren Listen. «In der Realität kommt es aber eigentlich nie vor, dass eine Partei so viele Kandidaturen aufstellt, wie Sitze zu besetzen sind. In der Regel stellten einzelne Parteien sogar nicht einmal so viele Kandidaturen auf, dass es ihnen für eine absolute Mehrheit in der Regierung reichen würde.» Auch die stärksten Parteien begnügen sich also quasi freiwillig mit einem Teil der Sitze.

Wähleranteil als Referenzwert

«Im Falle von Regierungsratswahlen wird auf den Wähleranteil bei den Kantonsparlamentswahlen oder den Nationalratswahlen geschaut», so Schaub. Dies sei ein sehr wichtiger Orientierungspunkt für die Anzahl der Kandidaturen, die eine Partei und/oder ein politisches Lager aufstellen. So peile zum Beispiel eine Partei mit 15 Prozent der Parlamentssitze sehr selten 40 Prozent der Regierungssitze an.

Hans-Peter Schaub sagt weiter, die Bezeichnung «freiwilliger Proporz» suggeriere vielleicht, dass die Parteien dies völlig aus freien Stücken tun. Sozusagen aus purer Grosszügigkeit. «Dies ist natürlich nicht der Fall. Vielmehr gibt es verschiedene Faktoren, die dazu beitragen, dass Parteien auch bei Majorzwahlen nicht nach 100 Prozent der Sitze streben, sondern beim Aufstellen von Kandidaturen nicht allzu stark vom eigenen Wähleranteil bei Proporzwahlen abweichen.»

Kanton Zug als Gegenbeispiel zu politischem Gleichgewicht

Schaub erwähnt in diesem Zusammenhang unter anderem die in der Schweiz stark verankerte Tradition des politischen Kompromisses und der proportionalen Machtteilung. «Wichtig ist zudem die Tatsache, dass gerade auch die starken Parteien bei ‹Missachtung› des freiwilligen Proporzes mehr zu verlieren als zu gewinnen haben.» (mehr dazu im Beispiel in der Box).

«Es entspricht dem Geist unseres Regierungssystems, dass alle relevanten Kräfte in der Regierung eingebunden werden sollten.»

Luzian Franzini, ALG-Kantonsrat

Der Kanton Zug weiche aktuell aber von diesem Konkordanzprinzip ab und stelle deshalb ein Gegenbeispiel dar. «Zwar ist Rot-Grün – mit Ausnahme von Uri – auch in allen anderen Zentralschweizer Kantonen nicht in der Regierung vertreten. Aber der Wähleranteil des rot-grünen Lagers ist in Zug und Luzern am höchsten, sodass hier am klarsten von einer Abweichung vom freiwilligen Proporz gesprochen werden muss. Weil Bisherige nur sehr selten abgewählt werden, können sich solche Abweichungen dann oft auch eine Weile lang fortsetzen.»

Mittel der Machtsicherung

Auch Thomas Milic vom Zentrum für Demokratie Aarau beurteilt das Prinzip des freiwilligen Proporzes nüchtern: «Ob es sich dabei wirklich um eine freiwillige, selbstlose Einschränkung der Macht handelt, ist fraglich. Vielfach wissen die entsprechenden Parteien, dass sie in der Exekutive ohnehin die Mehrheit haben und damit auch die Politik wesentlich bestimmen können.»

Aus strategischer Sicht sei es besser, wenn man in der Exekutive noch ein oder zwei Mitglieder einer zusätzlichen Partei dabei habe. Das sehe dann «konsensorientierter» aus. «Wenn aber wirklich wichtige Entscheidungen anstehen, sind diese dann in der Minderheit.»

Ganz ähnlich äussert sich Andrea Töndury, Wahlrechtsspezialist und Privatdozent an der Universität Zürich: «Der sogenannte freiwillige Proporz ist ein politisches Machtsicherungsinstrument, indem einer Minderheit ein Sitz zugestanden wird und damit der Kritik der Einseitigkeit der Zusammensetzung die Spitze gebrochen werden kann.» Parteien würden in der Regel sorgfältig abwägen, ob ein freiwilliger Proporz aufgrund medialer und politischer Kritik erforderlich erscheine oder nicht.

Alle relevanten Kräfte einbinden

Luzian Franzini, Zuger Kantonsrat der Alternativen – Die Grünen (ALG) hält die Einhaltung eines freiwilligen Proporzes trotzdem für wichtig: «In Konkordanzregierungen soll der Wählerwille abgebildet werden. Es ist also völlig klar, dass die Regierung in einem bürgerlichen Kanton auch mit einer linken Vertretung bürgerlich bleibt.» Aktuell sei die Linke im Kanton Zug aber überhaupt nicht vertreten.

«Die Wählenden werden entscheiden, ob drei Regierungsratssitze berechtigt sind.»

Cédric Schmid, Parteipräsident der FDP Kanton Zug

Franzini fügt hinzu, dass die Zuger Linke mit einem Wähleranteil von über 25 Prozent eigentlich sogar Anspruch auf zwei Sitze hätte. «Es entspricht dem Geist unseres Regierungssystems, dass alle relevanten Kräfte in der Regierung eingebunden werden sollten. Ansonsten kann man nicht mehr von Konkordanz sprechen, sondern man wechselt eher in ein System mit Opposition und Regierung.»

Was sagen SVP und FDP zum Anspruch der Mitte?

Mitte-Parteipräsidentin und Regierungsratskandidatin Laura Dittli hat sich zum Anspruch ihrer Partei auf drei Regierungssitze bereits geäussert. Die konkret gestellte Frage von zentralplus, ob die Mitte so nicht übervertreten sei, blieb dabei unbeantwortet.

Was aber halten die beiden anderen grossen bürgerlichen Parteien, also die SVP und die FDP, vom Anspruch der Mitte? SVP-Präsident Thomas Werner erklärt dazu auf Anfrage: «Es steht der Mitte frei, so viele Regierungsratskandidatinnen und -kandidaten aufzustellen, wie sie es für richtig hält.» Ob die SVP im Wahlkampf die beiden anderen grossen bürgerlichen Parteien – also die Mitte und die FDP – in irgendeiner Form unterstützen werde, sei noch nicht entschieden.

Cédric Schmid, Parteipräsident der FDP des Kantons Zug, schreibt: «Die Wählenden werden entscheiden, ob die Mitte ihren Wähleranteil behalten kann und drei Regierungsratssitze berechtigt sind. Wir als FDP konzentrieren uns auf unsere eigenen Kandidaturen und auf unsere eigene Positionierung.» Die Frage, ob die FDP im Regierungsratswahlkampf die anderen bürgerlichen Parteien unterstützen werde, lässt Schmid offen: «Wir konzentrieren uns auf unsere beiden Regierungsräte Andreas Hostettler und Florian Weber. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nichts Weiteres hierzu sagen.»

Im Kanton Bern ging der Schuss nach hinten los

Als bekanntes Beispiel, wo sich ein Lager nicht an die ungeschriebenen Gesetze des freiwilligen Proporzes hielt, erwähnt der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schaub den Kanton Bern. Im Jahr 2006 traten die Bürgerlichen dort nicht mit vier Kandidaturen an – was für die Mehrheit im siebenköpfigen Regierungsrat gereicht hätte – sondern mit sechs Kandidaturen (4 SVP und 2 FDP). Rot-Grün beschränkte sich hingegen auf vier Kandidaturen.

«Ein Anspruch auf sechs Sitze für ein Lager wurde von vielen – auch von bürgerlichen Wählerinnen – als anmassend empfunden und viele schrieben nicht alle sechs Kandidaten auf den Wahlzettel, sondern nur vier oder fünf», so Politikwissenschaftler Schaub. Das habe dazu geführt, dass sich die bürgerlichen Stimmen verteilten, während die rot-grünen Stimmen konzentriert an vier Kandidatinnen gingen. Als Resultat ergab sich im stets mehrheitlich bürgerlichen Kanton Bern plötzlich eine Regierung mit links-grüner Mehrheit. Erst 2016 gelang es den Bürgerlichen, diese Mehrheit zurückzuerobern.

Verwendete Quellen
  • Schriftliche Auskünfte von Hans-Peter Schaub, Politikwissenschaftler bei Année Politique Suisse der Universität Bern, Thomas Milic, Politikwissenschaftler, Zentrum für Demokratie, Aarau und Andrea Töndury, Privatdozent Universität Zürich.
  • Schriftliche Auskünfte von Laura Dittli (Präsidentin Mitte), Luzian Franzini (Kantonsrat ALG), Thomas Werner (Präsident SVP) und Cédric Schmid (Präsident FDP)
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3 Kommentare
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 10.06.2022, 11:05 Uhr

    Für mich haben alle Mitglieder und Parteien in den letzten zwei Jahren völlig versagt, die Jugend zerstört, die Gesundheit aller aufs spiel gesetzt und die Kultur vernichtet! Die Unterwerfung unter den Interessen der Konzerne ( Pharma ( Corona) und Rüstung (Ukraine)) wird uns noch Jahrzehnte belasten. Sehe nicht ein, weshalb ich auch nur einen Politiker wieder wählen sollte

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    • Profilfoto von Alois von Zingen
      Alois von Zingen, 10.06.2022, 13:03 Uhr

      Sehr geehrter Herr Ebinger, da sind sie wohl alleine in ihrer Meinung.

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  • Profilfoto von Ueli Schweinehans
    Ueli Schweinehans, 10.06.2022, 08:30 Uhr

    Sogar drei würde ich Ihnen gönnen.

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