Das sind die grössten Herausforderungen

Flüchtlingswelle aus der Ukraine: Das kommt auf Luzern zu

Der Kanton Luzern teilt den Gemeinden erstmals die Anzahl Plätze zu, die sie zur Verfügung stellen müssen. (Bild: Adobe Stock)

Die Flüchtlingswelle aus der Ukraine dürfte alles übertreffen, was das Asylwesen in Luzern in den letzten siebzig Jahren erlebt hat – inklusive des Kosovo-Konflikts. Ist der Kanton dafür gerüstet? zentralplus zeigt die heikelsten Punkte auf.

Das «Buch des Schreckens» beschreibt auf 157 Seiten, welche Katastrophen den Kanton Luzern heimsuchen könnten. Es zu schreiben, hat das Unglück heraufbeschworen, könnte man fast meinen. Denn kurz nachdem die Arbeiten dazu begonnen hatten, brach die Corona-Pandemie aus (zentralplus berichtete). Und kurz nachdem sie abgeschlossen waren, der Krieg in der Ukraine.

Die kantonale Gefährdungs- und Risikoanalyse – wie das «Buch» offiziell heisst – beschreibt die grössten Risiken und wie sich die Regierung darauf vorbereitet. Oder vorbereiten sollte. Ausführlich widmet sie sich der Gefahr einer Flüchtlingswelle, wie wir sie jetzt gerade erleben. Eins vorweg: Was da auf den Kanton Luzern zukommt, ist massiv.

Flüchtlingswelle aus der Ukraine stellt Kosovo-Krieg in den Schatten – und Luzern vor eine Herausforderung

Bis Ende Jahr rechnen die Kantone mit 300’000 ukrainischen Flüchtlingen in der Schweiz, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet. Das sind sieben Mal mehr als 2015 wegen des Krieges in Syrien hierher flüchteten. Während des Kosovo-Konflikts nahm die Schweiz innerhalb von zwei Jahren 90’000 Personen auf – das ist knapp ein Drittel dessen, was nun auf uns zukommen könnte.

Knapp 5 Prozent der Flüchtlinge wird der Kanton Luzern aufnehmen müssen. Das sind fast 15’000 Menschen. Diese Zahlen sprengen das Szenario, das in der kantonalen Risikoanalyse beschrieben wird. Darin rechnet der Kanton mit gerade mal 3’400 Flüchtlingen (75’000 schweizweit). Und selbst unter diesen tieferen Annahmen klingen die Prognosen für die nächsten Monate sehr düster.

Widerstand aus der Bevölkerung wird erwartet

Die Flüchtlingswelle aus der Ukraine beginnt jedenfalls genau so, wie es in der Gefährdungsanalyse von Luzern beschrieben ist. «Rund einen Monat nach dem Ausbruch des Konflikts treffen die ersten Flüchtlinge in der Schweiz ein», heisst es darin. Der Krieg der Ukraine begann am 24. Februar. Die ersten Flüchtlinge haben das Land bereits erreicht.

«Während der nächsten vier Monate kommen täglich hundert bis tausend Personen an der Schweizer Grenze an», prognostiziert der Bericht. «Die Bundesasylzentren werden innert kürzester Zeit völlig überlastet sein.» Es droht eine «nicht mehr bewältigbare logistische Herausforderung» betreffend Transport, Versorgung mit Nahrungsmittel, Medizin, Kleider. Auch das Registrationsverfahren kommt an die Belastungsgrenze. «Dies wird die Bevölkerung in den Standortkantonen der Asylzentren stark verunsichern», so die Prognose.

Ein Teil der Bevölkerung werde kein Verständnis für die Flüchtlinge haben und sich bedroht fühlen. Der Kanton Luzern rechnet in seiner Gefährdungsanalyse damit, dass es zu Demonstrationen und zu vereinzelten Brandanschlägen auf kantonale Asylunterbringungsstrukturen kommen könnte. «Die Unterkünfte müssen in Folge bewacht und vor Übergriffen geschützt werden», heisst es im Bericht.

Überlastung der Spitäler – wegen der Verletzten und Corona

In seinem Szenario geht der Kanton Luzern weiter davon aus, dass rund 50 Prozent der Menschen, die in der Schweiz ankommen, erschöpft sind und medizinische Betreuung brauchen. Schweizweit wird mit über 1’000 Schwererkrankten und 1’700 Leichtverletzten gerechnet. Auch das dürfte eine Herkulesaufgabe werden – besonders wenn im Winter die Zahl der Corona-Infektionen weiter steigen sollte.

Die Krise zu bewältigen, wird den Kanton Luzern gemäss den Berechnungen 120 Millionen Franken kosten. Der Betrag könnte aber auch deutlich höher ausfallen. Wie gesagt, geht das Referenzszenario von 75’000 und nicht 300’000 Flüchtlingen aus.

Hat der Kanton seine Hausaufgaben gemacht?

Die Gefährdungs- und Risikoanalyse zeigt nicht nur Probleme auf, sondern auch, wie diese zu lösen sind. Beziehungsweise wären. Denn die Massnahmen zielen alle auf die professionelle Vorbereitung bei einer Katastrophe ab. Und hier zeigt sich: Der Kanton Luzern hat einige Hausaufgaben gehabt.

  • Die bisherige Planung zielte auf die Unterbringung von 1’000 Personen ab. Die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen sollte bis 2021 einen Plan aufstellen, wie mindestens 3’400 Flüchtlinge untergebracht würden. Und zudem sollte die Frage geklärt werden, wie der Zeitraum zu überbrücken ist, in dem die Menschen schon im Kanton sind, aber noch nicht an die Gemeinden weitergeleitet werden können.
  • Die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen hatte den Auftrag, bis 2021 ein Kommunikationskonzept zu erarbeiten, um die Bevölkerung möglichst gut über die Unterbringungen zu informieren und einzubinden. Das Ziel: Verhindern, dass es zu massiven Widerständen aus der Bevölkerung gegen die Aufnahme von Flüchtlingen kommt.
  • Ebenfalls bis Ende letzten Jahres wollte die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen das Vorgehen festlegen, wie der Pool an Dolmetschern ausgebaut werden kann.
  • Der kantonale Führungsstab hatte sich vorgenommen, bis Ende 2021 zu klären, ob es zweckmässig ist, mobile Küchen und sanitäre Anlagen zu beschaffen. Dies, um Flüchtlinge bei Bedarf in mobilen Infrastrukturen unterbringen zu können.

Gemäss dem Bericht zeichnete sich schon vor der aktuellen Krise ab, dass zu wenig Personal da ist, um die Flüchtlinge vor Ort medizinisch zu untersuchen und betreuen. Auch Fachleute für die psychologische Betreuung fehlen. Diesbezüglich war bis letztes Jahr nicht klar, wer dafür überhaupt zuständig ist.

Hat der Kanton seine Hausaufgaben gemacht und ist für die anstehende Krise gewappnet? zentralplus hat am Montag entsprechende Fragen an das Gesundheits- und Sozialdepartement gestellt. Antworten wurden erst Ende Woche in Aussicht gestellt.

Verwendete Quellen
  • Schlussbericht Kantonale Gefährdungs- und Risikoanalyse (Phase I und Phase II)
  • Artikel «NZZ am Sonntag: «Was wenn noch viel mehr kommen?»
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Wilhelm Tell
    Wilhelm Tell, 23.03.2022, 09:41 Uhr

    Dass wir den Geflüchteten aus der Ukraine in der jetzigen Situation eine sichere Bleibe bieten müssen, das steht ausser Frage. Es sind Kriegsflüchtlinge, welche unseren Schutz benötigen und verdienen. Was wir uns aber auch jetzt schon für Gedanken machen sollten ist, wie wir diese nach Kriegsende wieder zur Rückkehr bewegen können. Ich glaube nämlich nicht, dass wir alle einfach so problemlos wieder los werden, wenn sich die Situation in der Ukraine beruhigt hat. Familiennachzug für den Flüchtlingsstatus S sollte zwingend untersagt werden.

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