Familie Eichwäldli: Die Hürden für den Gang vor Bundesgericht sind hoch
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Die Stadt Luzern will, dass die Bewohnerinnen der alten Soldatenstube das Feld räumen. Der Fall ist politisch hochumstritten. Aber reicht das, um den Entscheid ans Bundesgericht weiterzuziehen? Und wie lange könnte die Geschichte noch weitergehen? Eine Analyse.
Handelt es sich bei der Familie Eichwäldli um Mieter oder um Besetzer? Fragt man die Schlichtungsbehörde Miete und Pacht Luzern, ist der Fall klar: Die Bewohner der alten Soldatenstube hatten keinen Mietvertrag – und können sich damit auch nicht gegen die «Kündigung» zur Wehr setzen.
Die Schlichtungsbehörde erklärte sich anfangs März für nicht zuständig und verwies die Familie Eichwäldli an den Friedensrichter (zentralplus berichtete). Dieser ist dafür zuständig, bei Streitigkeiten zu vermitteln, die sich aus anderen Verträgen heraus ergeben – so etwa aus einem Gebrauchsleihvertrag, wie er in diesem Fall vorliegt.
Vertrag sollte «zeitgerechtes» Ende der Zwischennutzung sicherstellen
Das Kantonsgericht stützt nun diese Auffassung (zentralplus berichtete). Es lehnt eine Beschwerde der Familie Eichwäldli ab. «Will der Eigentümer sicher sein, dass die Zwischennutzung zeitgerecht beendet wird, darf er die Zwischennutzung nicht als Mietverhältnis ausgestalten, da es die mietrechtlichen Schutzvorschriften und Erstreckungsmöglichkeiten vom guten Willen der Zwischennutzer abhängig machen, ob die Zwischennutzung vereinbarungsgemäss beendet wird», heisst es im Urteil.
Wer den Fall kennt, kann darüber nur lachen. Denn ganz offensichtlich stellt auch ein Gebrauchsleihvertrag nicht sicher, dass eine Zwischennutzung «zeitgerecht» beendet wird. Der ursprüngliche Vertrag sah vor, dass die Soldatenstube spätestens fünf Tage vor dem 30. September 2019 «geräumt und gereinigt» an die Stadt Luzern zurückgegeben wird.
Das ist bis heute nicht passiert. Die Stadt Luzern verlängerte den Vertrag zuerst um 12 Monate, gewährte dann eine «letzte Frist» bis am 31. Januar 2021 und dann eine «allerletzte Frist» bis am 15. Februar. Ohne Erfolg.
«Mietzins» von 121.75 Franken pro Monat
Die Familie Eichwäldli ist der Ansicht, dass sie Mieterin ist. Dies, weil sie sämtliche Kosten für die Benützung der Liegenschaft übernommen habe. Konkret seien das 2'556 Franken für die Monate von März bis Oktober gewesen, was einem Mietzins von 320 Franken pro Monat entspreche.
«Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen Miete und Gebrauchsleihe ist die Entgeltlichkeit. Während die Miete zwingend entgeltlich zu sein hat, ist die Gebrauchsleihe zwingend unentgeltlich», schreibt denn auch das Kantonsgericht.
Nur: Die 2'556 Franken müssten – wenn schon – auf die Vertragsdauer von 21 Monaten gerechnet werden. Was 121.75 Franken pro Monat ergäbe. Dabei handle es sich aber rechtlich nicht um einen Mietzins, sondern um die Kosten, die durch den Gebrauch der Liegenschaft entstanden seien. Es könne «keine Rede» davon sein, dass dies der Stadt Luzern eine Rendite eingebracht habe.
Die Hürde liegt bei einem Streitwert von 15'000 Franken
Theoretisch hat die Familie Eichwäldli die Möglichkeit, den Entscheid des Kantonsgerichts ans Bundesgericht weiterzuziehen. Dabei wird ihr aber das günstige Wohnen zum Verhängnis. Zwingende Bedingung für einen Weiterzug ist nämlich, dass der Streitwert bei mindestens 15'000 Franken liegt. Und das ist vorliegend bei Weitem nicht der Fall.
Es gibt allerdings eine Hintertür: Das Bundesgericht kann sich mit «kleineren Fällen» beschäftigen, wenn es um eine «Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung» handelt. Nur: Was bedeutet das? Die obersten Richterinnen haben sich 2018 dazu geäussert (hier geht’s zum Urteil). Sie hielten in einem Entscheid fest, sich nur in absoluten Ausnahmefällen um Fälle zu kümmern, in denen der Mindeststreitwert nicht erfüllt wird. Dann nämlich, wenn ein «allgemeines Interesse» daran besteht, eine rechtliche Frage zu klären, die über den Einzelfall hinausgeht.
Gebrauchsleihe als «ideale Vertragsform»
Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich Schweizer Gerichte immer wieder mit einer Frage auseinandersetzen müssen, zu der sich noch keine Rechtsprechung entwickelt hat. Ob das vorliegend zutrifft, ist zumindest fraglich.
In der Fachzeitschrift «Jusletter» wird die Gebrauchsleihe vielmehr als «ideale Vertragsform für die Zwischennutzung von Liegenschaften» bezeichnet. Dies, weil die Eigentümerin nach Ablauf der vereinbarten Dauer die Nutzer ausweisen lassen könne. Die Familie Eichwäldli müsste also gut argumentieren, um den Fall vor Bundesgericht bringen zu können.
Friedensrichterin wurde (noch) nicht eingeschaltet
Gut möglich, dass deshalb ein anderer Weg eingeschlagen wird – und sich die Familie Eichwäldli doch ans Friedensrichteramt wendet, wie die Schlichtungsstelle Miete und Pacht nahegelegt hat. Bislang ist dies noch nicht geschehen.
«Derzeit hat die Stadt Luzern keine Kenntnis davon, dass die Familie Eichwäldli ein Verfahren vor dem Friedensrichter eingeleitet hat», heisst es auf Anfrage beim städtischen Rechtsdienst.
Strafanzeige – und dann zwei Monate Stille
Der Stadtrat hat bereits Mitte Februar eine Strafanzeige gegen die Familie Eichwäldli eingereicht. Doch auch damit kommt er offenbar auf keinen grünen Zweig. Seit der Anzeige sind über zwei Monate vergangen, ohne dass sich die Staatsanwaltschaft je zum Fall geäussert oder die Öffentlichkeit erfahren hätte, wie es weitergeht.
Immerhin: Die Staatsanwaltschaft bestätigt nun auf Anfrage von zentralplus, dass sie die Anzeige geprüft, das Vorverfahren abgeschlossen und ein ordentliches Strafverfahren eröffnet hat. Das heisst: Die Untersuchung läuft nun offiziell. Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, wird die Staatsanwaltschaft festgestellt haben, ob die Familie Eichwäldli die Soldatenstube widerrechtlich bewohnt oder nicht.
Danach ist der Ball wieder beim Stadtrat, der eine allfällige Räumung in Auftrag geben kann. Nur: Wird er das tun? Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, will sich die Stadt nicht in die Karten blicken lassen – und weigert sich, den Medien entsprechende Auskünfte zu erteilen. Das letzte Kapitel in der Causa Eichwäldli dürfte so oder so noch längere Zeit nicht gesprochen sein.
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