Fremdsprachen-Initiative im Kantonsrat abgeblitzt

Englisch und Französisch: Luzern will beides – aber besser

Regierungsrpäsident Reto Wyss (im Vordergrund) stellt seine Geschäfte vor. Kantonsratspräsident Franz Wüest führte durch die Debatte.

(Bild: zvg)

Der Luzerner Kantonsrat lehnt die Fremdsprachen-Initiative ab. Dies, obwohl der frühe Fremdsprachenunterricht laut einer Studie als gescheitert betrachtet werden müsse. Nun entscheidet sich, ob das bestehende System optimiert werden soll oder der Systemwechsel dennoch kommt. Denn das letzte Wort zur Initiative ist noch nicht gesprochen.

Englisch oder Französisch – oder beides? Was Primarschüler im Kanton Luzern lernen sollen, gab diesen Montagmorgen im Kantonsrat zu reden. Auf dem Programm stand die Fremdsprachen-Initiative. Sie verlangt, dass auf Primarstufe nur noch entweder Englisch oder Französisch unterrichet wird, die zweite Fremdsprache erst ab der Oberstufe. Heute lernen Kinder ab der dritten Primarschule zuest Englisch – und ab der fünften Klasse Französisch.

Die Initianten möchten der deutschen Sprache und Mathematik wieder mehr Priorität einräumen. Ihrer Meinung nach ist die Primarschule heute zu sprachlastig – was besonders Kinder mit Migrationshintergrund sowie Knaben tendenziell benachteiligt. Wenn man die zweite Fremdsprache erst in der Oberstufe zu lernen beginne, sei das zudem kein Nachteil, so die Initianten. Ob das Englisch oder Französisch wäre, lässt die Initiative offen. Unterstützt wird sie vom Lehrerinnen- und Lehrerverband des Kantons Luzern und von einem überparteilichen Komitee, das politisch das ganze Spektrum von links bis rechts umfasst.

Unstete Fronten

Das vermochte den Kantonsrat nicht zu überzeugen. In der Schlussabstimmung sprach er sich mit 72 zu 42 Stimmen für die Haltung der Regierung aus – und lehnt damit die Initiative deutlich ab. Die Mehrheit war der Meinung, Luzern dürfe nicht den Alleingang wählen und damit zu einer Insel verkommen. Das würde Familien schaden, die in einen anderen Kanton ziehen. Ein Systemwechsel verursache zudem hohe Kosten, weil es neue Lehrmittel und Weiterbildungen der Lehrer brauche. Die Regierung geht von einem Betrag zwischen 3,5 und 9 Millionen Franken aus – je nachdem, ob Englisch oder Französisch aus der Primarstufe verbannt würde (zentralplus berichtete).

Dem Entscheid ging eine mehrstündige Debatte voraus – in der die Fronten keineswegs klar verliefen. Bereits die vorberatende Kommission Erziehung, Bildung und Kultur (EBKK) sprach sich nur mit knapper Mehrheit gegen die Initiative aus (zentralplus berichtete). «Was mit der Initaitive als vermeintlich einfache Lösung daherkommt, entpuppt sich als Auslöser neuer Probleme», begründete EBKK-Präsidentin Helene Meyer-Jenni die Mehrheitsmeinung. Luzern dürfe keine Spracheninsel werden. Zudem werde mit der Initiative die Sprachlastigkeit einfach auf die Oberstufe verschoben – das zulasten der sogenannten Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), was sicherlich nicht erwünscht sei.

 

 

 

Eine Minderheit der Kommission vertritt die Meinung, dass «der frühe Fremdsprachenunterricht die hohen Erwartungen in keiner Weise erfüllt habe und als gescheitert betrachtet werden müsse», wie Meyer-Jenni ausführte. Sie bezieht sich auf die Ergebnisse einer Studie, in der die Leistungen von insgesamt 3700 Zentralschweizer Schülerinnen und Schülern der 6. und 8. Klasse untersucht wurden. Dabei zeigte sich, dass ein Grossteil der Schüler die Lernziele im Fach Französisch bei Weitem nicht erreicht.

Ein Punkt, der für viel Gesprächsstoff sorgte. «Anspruch und Realität klaffen auf Primarstufe auseinander. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um?», brachte es Gaudenz Zemp (FDP) auf den Punkt. Dass etwas passieren muss, darüber waren sich alle einig. Während die Initiative-Befürworter aber einen Kurswechsel forderten, verlangten die Gegner, dass man das heutige System mit zwei Fremdsprachen optimiere.

«Die Schule darf sich nicht dem Niveau der schwächeren Schüler anpassen.»

Priska Wismer-Felder, Sprecherin CVP-Fraktion

Der Meinungsgraben verlief durch manche Fraktion – so beispielsweise durch die SP, CVP und FDP, die alle nicht geschlossen stimmten. «Die Initiative hat einige Mängel», sagte Priska Wismer-Felder für die CVP-Fraktion, bei der die Mehrheit gegen die Initiative votierte. Zwar müsse die Schule auf schwächere Schüler Rücksicht nehmen, indem diese speziell gefördert werden. «Die Schule darf sich aber nicht dem Niveau dieser Schüler anpassen, das wäre ein grundsätzlicher Fehler und langfristig fatal für unseren Kanton.»

Anders sah dies Parteikollegin Priska Galliker, die sich als Mitglied des Initiativkomitees klar gegen zwei Fremdsprachen an der Primarschule ausspricht: «Es rumort in der Schweiz, die Unzufriedenheit ist gross. Als langjährige Lehrerin werde ich nie verstehen, wieso man die Sprachenstrategie auf Biegen und Brechen weiterführen will.»

«Weniger ist in diesem Fall mehr.»

Bernhard Steiner, SVP-Fraktionssprecher

Auch die SP hielt fest, dass benachteiligten Schülern anderweitig geholfen werden müsse, wie Fraktionssprecherin Jacqueline Mennel-Kaeslin ausführte. Sowohl für die Mehrheit der SP als auch der FDP war klar, dass es für einen Systemwechsel zu früh sei. Auch die Grünen und die Grünliberalen lehnten die Initiative grossmehrheitlich ab.

SVP geschlossen dafür

Einheitlich für die Initiative stimmte die SVP, deren Sprecher Bernhard Steiner das Sprachenkonzept der Erziehungsdirektorenkonferenz als gescheitert bezeichnete. «Die erste Fremdsprache im Kanton Luzern ist Hochdeutsch», sagte Steiner. Gut Deutsch zu sprechen sei sowohl für den beruflichen Erfolg wichtig als auch für das Lernen einer Fremdsprache. Indem man den Fokus der Primarstufe darauf lege, würden die Lektionen effizienter eingesetzt, so Steiner. «Weniger ist in diesem Fall mehr.»

 

 

 

Die SVP kritisierte das Argument, Luzern würde nach einem Ja zur Initiative einsam einen eigenen Weg gehen. Steiner verwies darauf, dass manche Kantone zuerst Französisch, andere zuerst Englisch unterrichten. «Es gibt keine eigentliche Harmonisierung in der Deutschschweiz, daher kann man nicht von einer Insellösung sprechen.» Was die Kosten betrifft, zweifelten mehrere Fraktionen an den Millionen, die laut Regierungsrat bei einem Systemwechsel fällig würden. «Es muss möglich sein, das ohne Kostenfolge umzusetzen», sagte beispielsweise Steiner.

«Der Handlungsbedarf ist erkannt, wir werden Optimierungen vornehmen.»

Reto Wyss, Bildungsdirektor (CVP)

Doch mit oder ohne Initiative: Das schlechte Abschneiden der Luzerner Schüler wird Konsequenzen haben. Das versprach Bildungsdirektor Reto Wyss (CVP). «Der Handlungsbedarf ist erkannt, wir werden Optimierungen vornehmen.» So werden die Französischlektionen in der 5. und 6. Klasse von zwei auf drei Lektionen erhöht. So soll der Einstieg in die Sprache erleichtert werden. Weiter erhalten grosse Klassen mehr Lektionen, um die Schüler in kleinen Gruppen zu unterrichten. Im Sommer soll zudem das veraltete Französisch-Lehrmittel ersetzt werden.

Kritik an offener Formulierung

Mehrfach kritisierten Kantonsräte, dass die Initiative nicht festlegt, welche Sprache denn auf die Oberstufe verschoben werden soll. Gerade das sei aber für die Stimmbevölkerung entscheidend, sagte Priska Wismer-Felder. Zudem sei es auch für die Politiker wichtig, die konkreten Folgen abschätzen zu können, sagte Meyer-Jenni, EBKK-Präsidentin.

Ursprünglich wollte der Regierungsrat die Initiative, gestützt auf ein Rechtsgutachten, für ungültig erklären. Doch die Initianten legten ein Gegengutachten vor, das zum Schluss kommt, dass das Anliegen gültig ist. Im Dezember 2015 hat der Kantonsrat einstimmig beschlossen, die Initiative für gültig zu erklären. Das letzte Wort hat nun die Stimmbevölkerung voraussichtlich im September.

Die Volksabstimmung dürfte wohl national für Interesse sorgen. Denn der Sprachenstreit hat in den letzten Jahren schweizweit Diskussionen ausgelöst. Die Erziehungsdirektorenkonferenz der Kantone plädiert für das sogenannte Modell 3/5, bei dem die erste Fremdsprache ab der dritten, die zweite in der fünften Klasse unterrichtet wird. Doch nicht nur in Luzern wankt dieser Kompromiss: In mehreren Kantonen steht das Frühfranzösisch auf der Kippe.

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