Analyse der Wahl in Stadt Zug

Eine Stadtpräsidenten-Wahl, bei der es zwei Sieger gibt

Barbara Gysel gratuliert dem neuen Stadtpräsidenten André Wicki zur Wahl. (Bild: wia)

Zug hat einen neuen Stadtpräsidenten. Dass SVP-Kandidat André Wicki gewählt wurde, war zu erwarten. Nicht jedoch, dass er trotz des bürgerlichen Schulterschlusses ein mässiges Resultat erzielte. Wir blicken mit dem Politspezialisten David Fischer hinter die Kulissen dieser Wahlen.

So, nun sind sie definitiv vorbei, die Zuger Wahlen 2022. Und das ist auch gut so. Die Kandidierenden, aber auch einige der Politvertreter, welche bei der Verkündung der Wahlresultate am Sonntag vor Ort waren, schienen müde von diesem langen Wahlkampf. Die SVP-Vertreter, inklusive André Wicki, nahmen denn Sieg denn auch zufrieden, aber nicht euphorisch auf.

Mit gutem Grund. Der SVP-Stadtrat erhielt gerade mal 212 Stimmen mehr als Barbara Gysel (zentralplus berichtete). Die Wahl fiel mit 51,26 zu 48,83 Prozent knapp aus. Entsprechend wirkte Gysel ob dieses persönlichen Triumphs beinah glücklicher als der Gewählte.

zentralplus sprach mit David Fischer von Interface Politikstudien über das Resultat, respektive über die beiden durchaus bemerkenswerten Stapi-Wahlgänge.

zentralplus: David Fischer, was ist Ihres Erachtens an diesem Wahlresultat vom Sonntag bemerkenswert?

David Fischer: Das Wahlergebnis an sich ist nicht überraschend. Was hingegen überraschend ist, ist der Anteil der Stimmen, respektive, dass Stadtrat André Wicki nur gerade 200 Stimmen mehr als die Konkurrentin Barbara Gysel erhielt. Dies insbesondere in Anbetracht dessen, dass sich alle bürgerlichen Parteien und alle gewählten Stadträte hinter ihn gestellt hatten.

«Meine Vermutung ist es, dass Barbara Gysel einige Stimmen von den Bürgerlichen, insbesondere aus dem Mitte-Lager, bekam.»

David Fischer, Politologe

zentralplus: Kann man das als Zeichen werten, dass bei den Bürgerlichen trotz des Schulterschlusses unterschwellige Uneinigkeit herrschte?

Fischer: Das lässt sich aus dem Stegreif nicht abschliessend beurteilen. Beim zweiten Wahlgang ging es sicher darum, die Wählerschaft zu mobilisieren. Gemäss ihres Resultats ist dies Barbara Gysel sicher gut gelungen. Das allein dürfte ihr jedoch noch nicht zu den rund 4000 Stimmen verholfen haben. Sie muss daher einiges an bürgerlichen Stimmen erhalten haben. Meine Vermutung ist es, dass diese Stimmen vorwiegend aus dem Mitte-Lager kamen.

«Man kann aus dem Resultat lesen, dass bei den bürgerlichen Wählerinnen ein gewisser Unmut zu spüren ist.»

zentralplus: Wie ist das in Hinblick auf Wickis Wahlkampf zu werten?

Fischer: Warum diese bürgerlichen Stimmen nicht an Wicki gingen, ist nicht eindeutig zu sagen. Man kann aus dem Resultat sicher lesen, dass bei den bürgerlichen Wählerinnen und Wählern ein gewisser Unmut zu spüren ist. Es kann aber auch sein, dass es daran liegt, dass der Kandidat der Bürgerlichen von der SVP kommt und er dadurch für einige grundsätzlich nicht wählbar war.

zentralplus: André Wicki hatte drei Tage nach dem ersten Wahlgang verkündet, auch beim zweiten anzutreten. War das ein Fehler?

Fischer: Es stellt sich schon die Frage, ob das wirklich der richtige Entscheid war fürs bürgerliche Lager. Wickis Taktik führte dazu, dass andere bürgerliche Parteien ausgehebelt wurden. Es gibt vermutlich Stimmen, die sich aus diesem Grund explizit gegen seine Kandidatur ausgesprochen haben. Für Wicki hat sich der Schritt bezahlt gemacht, wie wir nun sehen. Er wurde gewählt, wenn auch nur sehr knapp.

«Historisch ist das Resultat tatsächlich, auch wenn dieses in Zug nicht ganz überraschend ist.»

zentralplus: Dieses Vorpreschen der SVP wirkt etwas unkollegial. Ebenfalls unkollegial erscheint die Tatsache, dass sich die einzelnen gewählten Stadträte explizit für Wicki – und damit gegen die künftige Kollegin Gysel – aussprachen.

Fischer: Letzteres ist tatsächlich eher aussergewöhnlich. Insbesondere, dass auch der frisch gewählte Mandatsträger Etienne Schumpf seine Haltung so klar äusserte. Das ist sicher nicht im Sinne des Kollegialitätsprinzips. Doch ist es schwierig zu beurteilen, wie sehr dies einen Einfluss auf die Arbeit des neuen Gremiums haben wird. Ich wage zu bezweifeln, dass dieses Vorgehen die kommende Legislaturperiode prägen wird. Insbesondere, weil es sich um ein bürgerliches Gremium mit einer linken Minderheit handelt.

Der Politologe David Fischer äussert sich zur vergangenen Stapi-Wahl. (Bild: zvg)

zentralplus: Die Wahl vom Sonntag ist historisch. Zum ersten Mal wird im Kanton Zug eine Gemeinde von einem SVP-Mitglied präsidiert. Was gibt es dazu zu sagen?

Fischer: Historisch ist das Resultat tatsächlich, auch wenn dieses in Zug nicht ganz überraschend ist. Dies, da Zug bürgerlich, und nicht wie viele andere Städte links geprägt ist. André Wicki gilt ausserdem als gemässigter SVP-Vertreter. Er hat bereits zweimal fürs Stadtpräsidialamt kandidiert und ist seit vielen Jahren Teil des Stadtrats.

zentralplus: Man kann also nicht von Rechtsrutsch oder Alarmzeichen für die Linken sprechen?

Fischer: Nein, davon kann nicht die Rede sein. Kräftemässig hat es im Stadtrat keine Veränderungen gegeben, nach wie vor hält die Linke einen Sitz in der städtischen Exekutive. Auch im Grossen Gemeinderat gab es kaum Veränderungen in der politischen Zusammensetzung. Das SVP-Präsidium wird die Ausrichtung der Stadt nicht signifikant verändern. Insbesondere, da der Stapi als Primus inter Pares in einem Kollegialsystem wirkt. Entscheide fällt der Stadtrat als Gesamtgremium. Das Amt geht aber sicher mit einer grossen Öffentlichkeitswirksamkeit einher.

«Für Barbara Gysel ist dieses Resultat ein grosser Erfolg.»

zentralplus: Sprechen wir kurz von Barbara Gysel. Der Begriff «Achtungserfolg» wird ihrem erreichten Resultat hier nicht gerecht.

Fischer: Das stimmt absolut. Nach dem ersten Wahlgang war eines der Argumente in bürgerlichen Kreisen, dass Gysel nur deshalb am meisten Stimmen holen konnte, weil sich die Stimmen der Bürgerlichen auf drei Kandidaten verteilten. Dieses Argument konnte sie nun definitiv entkräften. Für Barbara Gysel ist dieses Resultat ein grosser Erfolg.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Reto Mitteregger
    Reto Mitteregger, 28.11.2022, 19:41 Uhr

    Sehr gute Analyse von Herrn Fischer!

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  • Profilfoto von Tamara
    Tamara, 27.11.2022, 19:05 Uhr

    Dass CVP («Mitte» ist eine Position ohne Inhalt) und FDP der SVP gerne einen reinbremsen, ist nun wahrlich nichts Neues. Trotz offizieller Unterstützung. Ehrlichkeit sieht anders aus, und Rache ist immer süss.

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    • Profilfoto von Marco
      Marco, 28.11.2022, 14:15 Uhr

      Mich verwundert das schlechte Resultat von André Wicki nicht. Für viele Bürgerliche Wählerinnen und Wähler ist die Schwurbler-SVP mit ihren Putin-Fans und dem pseudo «Neutralitäts-Gelaber» schlichtweg unwählbar geworden. Das spielt es absolut keine Rolle, welche Wahlempfehlung die anderen Bürgerlichen Parteigremien abgeben. Jede Bürgerin, jeder Bürger kann selbst entscheiden, wer man wählt oder eben nicht wählt…

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