Ukrainische Flüchtlinge in Zug und Luzern

Ein Dach über dem Kopf löst ihre Probleme nicht

Sie erzählten uns von den Umständen ihrer Flucht: Ignat (links) und Ljuda aus Charkiw, Alexandra aus der Südukraine und Jana aus Kiew. (Bild: Markus Mathis)

Die Behörden leisten Gewaltiges, um den Zustrom von Kriegsflüchtlingen zu bewältigen. Diesen mangelt es an vielem: Kleidern, Geld und Sprachkenntnissen etwa. Besuch im temporären Asylzentrum im luzernischen St. Urban.

Täglich werden dem Kanton Zug vom Bund 10 bis 15 Kriegsflüchtlinge zugewiesen, dem Kanton Luzern zwischen 30 und 50. Sie finden Platz bei Familien, in temporären Asylzentren und im Kanton Luzern auch in Unterkünften, die Gemeinden zur Verfügung stellen.

Die Flüchtlinge kommen indes nicht alle erst jetzt an – sie sind zum Teil schon seit geraumer Zeit in der Schweiz. Dies zeigt ein Besuch im temporären Asylzentrum St. Urban, das am 14. März eröffnet wurde. Die 80 Plätze waren binnen Wochenfrist besetzt.

Elf Tage in Stockbetten

Zu den Bewohnerinnen gehört etwa Ljuda aus Charkiw, die mit ihrem Sohn Ignat geflüchtet ist. Sie verbrachte elf Tage im Bundesasylzentrum in Chiasso und Alexandra aus der Nähe von Mykolaiv sieben Tage. Grund: Der Ukraine-Krieg brach am 24. Februar aus, der Bundesrat entschied aber erst am 11. März, wie mit den Flüchtlingen umzugehen ist.

Die Bereitschaft, «rasch und unkompliziert» zu helfen und ihnen den Schutzstatus S zu verleihen, erforderte erst einen bundesrätlichen Denk- und Vernehmlassungsprozess von zweieinhalb Wochen.

Fotos der Frauen, die sich im Bundesasylzentrum in Chiasso aufhiellten, zeigen eine moderne und saubere Unterkunft. Es sieht ein bisschen aus wie in einer Jugendherberge – ausser dass die Schlafsäle, wo Kleinkinder, Mütter und Alte durcheinandergewürfelt untergebracht werden, sehr viel grösser sind. Bilder vom Essen, einer undefinierbaren beigefarbenen Pampe, machen aber keinen sehr einladenden Eindruck. «Es war gut», beteuern die Ukrainerinnen zwar – aber vielleicht ist das ja ironisch gemeint.

«Im Ernst», sagt Jana aus Kiew, die drei Tage in Chiasso war, «niemand von uns hätte sich vor kurzem träumen lassen, dass wir uns in dieser Situation wiederfinden würden.» Aber sie seien sehr dankbar gewesen, in Chiasso ein Dach über dem Kopf zu haben und nachts keine Detonationen oder Alarmsirenen mehr zu hören.

Moderne Unterkünfte mit guter Infrastruktur

Dennoch sind die Frauen, die mit ihren Kindern nun in St. Urban leben, froh über den Ortswechsel. «Hier ist es viel besser, gar kein Vergleich», sagen sie. In der Tat ist das Gebäude P1/P2, aus dem die Luzerner Psychiatrie vergangenes Jahr ausgezogen ist, ziemlich modern und liegt inmitten eines Skuplturenparks. Man hätte es mit ein bisschen Farbe da und dort etwas aufhübschen können, doch dafür fehlte die Zeit. Es gibt moderne Küchen, Waschmaschinen, gute sanitäre Anlagen, Aufenthaltsräume und in den Privaträumen Rückzugsmöglichkeiten für die Flüchtlinge.

«Vieles ist noch ‹work in progress›», sagt Adriatik Pllana, Leiter Zentren bei der Luzerner Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen. Er ist bei unserem Besuch dabei, die Einrichtung eines WLAN zu koordinieren. Später bringt er mit grossem Engagement die Marienburg in Wikon auf Vordermann, die derzeit von Flüchtlingen bezogen wird. 120 finden im früheren Benediktinnerinnen-Insititut Platz, das seit drei Jahren leer steht.

Der Bau stammt aus den 1970er-Jahren und ist dem Brutalismus verpflichtet, befindet sich aber überraschend gut in Schuss, wie ein Augenschein vor Ort zeigt. Es scheint, als ob er für die Ewigkeit errichtet wurde.

Auch die beiden Asylzentren, die der Kanton Zug eingerichtet hat, sind modern – das gilt für den mehrstöckigen Pavillon in der Luegeten in Menzingen (120 Plätze) ebenso wie fürs Hotel Waldheim in Risch (100 Plätze) – wo bis vor kurzem die gehobenen Ansprüche von Gästen befriedigt wurden. «Die Herausforderung ist es, dass wir jede Woche 100 neue Plätze finden müssen», sagt Andreas  Hostettler (FDP), Direktor des Innern und fürs Flüchtlingswesen zuständig. Mitte April will er ein 200 Plätze umfassendes Zentrum im Kloster Menzingen eröffnen (zentralplus berichtete).

Auch Silvia Bolliger, die Leiterin der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen des Kantons Luzern, sagt: «Das Tempo, mit dem wir die Flüchtlinge unterbringen müssen, ist neu für uns – das gab es in der Vergangenheit nicht.»

Die Bilder des Kriegs bleiben

Während die Behörden also alle Hände voll zu tun haben, Plätze für die Kriegsflüchtlinge zu finden, haben diese andere Probleme: «Ich kann nachts nicht schlafen», sagt eine junge Frau, die mit ihrer Mutter und ihren jüngeren Geschwistern unter Beschuss aus Mykolaiv geflüchtet ist. Sie höre Schüsse und Explosionen, sehe die Bilder des Kriegs, sagt sie. Ihr Freund und ihr Vater sind in der umkämpften Stadt in der Südukraine geblieben.

Einige Flüchtlinge, die wir treffen, sind durchaus gut organisiert, haben mit der ganzen Familie die Flucht per Auto geschafft. Denn ukrainische Männer mit mehreren Kindern sind von der Dienstpflicht befreit. Viele indes sind unter prekären Umständen geflohen und besitzen nur noch wenig mehr als die Kleider, die sie bei ihrer Flucht am Leibe trugen.

Ljuda aus Charkiw etwa floh aus der Ostukraine, als es bitterkalt war und viel Schnee lag. Zuvor hatte sie mit ihrem Sohn acht Tage lang im Keller ihres Hauses gesessen. Dann schaffte sie es zu einem Bahnhof, von dem Evakuationszüge abfuhren. Auf dem Perron herrschte ein Gedränge – und Panik, weil Schüsse zu hören waren, sagt sie. Über Kiew fuhr sie in die Westukraine nach Lwiw (Lemberg).

Der Weg nach Polen war überfüllt, daher wandte sie sich nach Süden, tuckerte mit einem alten Bähnchen in die Karpaten und reiste in die Slowakei aus. In Bratislava traf sie Flüchtlinge, die zu einer Bekannten in die Schweiz reisten, denen schloss sie sich an. So landete sie in der Schweiz – mehr oder weniger zufällig.

Keine Sprachvermittlung für Erwachsene

Ljudas Sohn ist schulpflichtig, er wird in St. Urban unterrichtet werden. Doch was ist mit ihr? «Als ich die Preise im Supermarkt gesehen habe, wusste ich, dass ich hier so schnell wie möglich arbeiten muss», sagte sie. Doch dafür sind Sprachkenntnisse nötig. Und hier gibt’s ein Problem: Sprachkurse für Erwachsene sind keine vorgesehen, denn sie würden als Integrationsmassnahme gelten. «Beim Schutzstatus S liegt der Fokus auf einer sofortigen Aufnahme der Schutzbedürftigen unter der Annahme, dass sie so schnell wie möglich zurückgehen», begründet Silvia Bolliger.

«Wenn man die Bilder von den zerstörten Städten sieht, muss man sich fragen, ob das wirklich realistisch ist», sagt der Zuger Regierungsrat Andreas Hostettler. Es würde aber darüber nachgedacht, was passieren solle, wenn eine rasche Rückkehr nicht möglich sei. So hat etwa Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) mittlerweile die Idee in die Vernehmlassung geschickt, 3'000 Franken pro Geflüchtete für einen Sprachkurs auszugeben.

Was ein Flüchtling kosten darf

«Der Bund entschädigt die Kantone mit einer Globalpauschale von 1'500 Franken pro Monat und Geflüchteten», sagt Reto Kormann, Sprecher des Staatssekretariats für Migration. Diese Pauschale umfasse die Krankenkassenprämie (wofür knapp 400 Franken vorgesehen seien), die Miete (rund 220 Franken) und einen Beitrag an die professionelle Betreuung und Begleitung (knapp 280 Franken). Der Rest soll nach dem Willen des Bundes den Grundbedarf für Essen, Körperpflege, Kleider, Handy und weitere persönliche Ausgaben decken.

Die Kantone sind indes frei, die Aufteilung der Pauschale selber vorzunehmen. In der Tat bestehen Unterschiede. Das Wallis etwa will Freiwillige, die Flüchtlingen eine Unterkunft zur Verfügung stellen, nur mit 150 Franken entschädigen. In Basel sind es 250 Franken, woran sich laut Hostettler auch Zug orientieren wolle.

Dann gibt’s Unterschiede beim Essen: Privat untergebrachte Flüchtlinge werden in der Regel privat verpflegt. In den temporären Luzerner Asylzentren erhalten sie Lebensmittelpakete und kochen selber. In Zug hingegen werden sie verpflegt – durch das Altersheim in Menzingen und einen Caterer aus Risch.

Fast 200 Flüchtlinge wohnen in Zug bei Privaten

In Zug legt man den Flüchtlingen Couverts mit einigen Hundert Franken bereit, damit sie sich das Nötigste kaufen können – eine zweite Garnitur Wäsche etwa. In Luzern organisiert man Hygieneartikel für die eintreffenden Flüchtlinge und bezahlt wirtschaftliche Sozialhilfe in zweiwöchigen Tranchen aus.

Der Kanton Luzern vermittelt die private Unterbringung von Flüchtlingen selber, der Kanton Zug hat dies an die Schweizerische Flüchtlingshilfe delegiert. Wie viele private Unterkünfte von Hilfsbereiten angeboten wurden, ist nicht genau zu eruieren – mindestens im Kanton Zug hat man aber die Übersicht, wie viele derzeit privat untergebracht sind: Am 31. März waren es 199 Personen und damit mehr, als in kantonalen Unterkünften untergebracht waren.

Der Kanton Zug beherbergt derzeit in der Menzingen 107, in Risch 22 Kriegsflüchtlinge. Von den total 328 Schutzbedürftigen seien 84 im schulpflichtigen Alter, sagt Hostettler. Diese werden in den Gemeinden eingeschult, in Menzingen hat am Dienstag eine Integrationsklasse mit 20 Schülern den Unterricht aufgenommen.

Bundesasylzentren überlastet

Das Nadelöhr für die Flüchtlinge sind die Bundesasylzentren, bei denen sie sich registrieren müssen. Diese sind nach wie vor überlastet. Die kantonalen Hotlines machen auf diese Schwierigkeit aufmerksam und weisen darauf hin, dass Flüchtlinge 90 Tage Zeit haben, um sich anzumelden. Das Problem ist indes, dass sie ohne Anmeldung als Touristen gelten und somit keine Sozialhilfe und Krankenkasse bekommen und die Kinder nicht zur Schule schicken können.

Immerhin erhalten Kriegsflüchtlinge medizinische Hilfe auch dann, wenn sie noch keine Krankenkasse haben. Dann übernimmt die öffentliche Hand die Behandlungskosten.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Geflüchteten im temporären Asylzentrum St. Urban
  • Medienauskünfte der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen des Kantons Luzern und des Staatssekretariats für Migration
  • Telefongespräch mit dem Zuger Regierungsrat Andreas Hostettler und der Luzerner Chefbeamtin Silvia Bolliger.
  • Eigene Recherchen und Medienberichte
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