Tourismus Stadt Luzern

Eiertanz um Car-Tourismus am Schwanenplatz

Massentourismus mit Cars am Schwanenplatz: Uhrengeschäfte bestimmen, wo’s langgeht.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Im Februar sollen die Stadtluzernerinnen und -luzerner erfahren, in welcher Grössenordnung die Uhrengeschäfte Bucherer und Gübelin am Schwanenplatz Steuern zahlen. Das ist eine Premiere. Mit dieser Vorwärtsstrategie soll der Ärger über das Car-Chaos am Schwanenplatz gemildert werden. Ob’s gelingt, ist fraglich.

Am Schwanenplatz dürften schon bald öfters als sonst die Stinkefinger in die Luft zucken. Bei Fussgängern, Velofahrern, Buschauffeuren und Automobilisten. Es wird gehupt und geflucht am Schwanenplatz. Vom 31. Januar bis 19. Februar ist chinesisches Neujahr. Für die Uhrengeschäfte Bucherer AG und Gübelin AG ist Hochsaison. Chinesen «überfluten» den Schwanenplatz und kaufen etwas Schmuckes für das Handgelenk.

Behinderungen nicht hinnehmen

Die chinesische Neujahrszeit ist «heiss». Die Frequenzen der Reisecars am Schwanenplatz nehmen massiv zu. Schnell wird es brenzlig. Velofahrer werden von Reisecars abgedrängt, Fussgänger warten ungeduldig aufs Weiterkommen. Und Chauffeure der Verkehrsbetriebe VBL schütteln den Kopf, weil sie von Reisecars blockiert werden. 

«Wir erleben am Schwanenplatz immer wieder Behinderungen des öffentlichen Verkehrs», sagt der grüne Stadtrat Adrian Borgula, Chef der Direktion Umwelt, Verkehr und Sicherheit. «Das können wir nicht einfach hinnehmen. Dass die Situation am Schwanenplatz nicht nur lästig, sondern auch gefährlich sein kann, zeigte der Unfall im Sommer 2012. Damals wurde ein 62-jähriger Mann von einem Reisecar, der in den Schwanenplatz einbog, überrollt und tödlich verletzt.

Zentraler Platz nicht verfügbar

Das «Chaos», wie es viele nennen, wird auch im Sommer immer grösser, weil mehr und mehr Reisebusse vorfahren; bis zu 180 Cars biegen an Spitzentagen auf den Schwanenplatz ein. Wie gross die Akzeptanz in der Stadtbevölkerung für diesen Car-Tourismus aktuell ist, weiss niemand. Im letzten Sommer empfand gemäss einer Demoscope-Umfrage der «Neuen Luzerner Zeitung» jeder dritte Stadteinwohner den Touristen-Umschlag am Schwanenplatz als störend.

«Die Stimmung der Bevölkerung gegenüber der Situation am Schwanenplatz schätze ich als labil ein», meint der grüne Stadtrat Adrian Borgula dazu. «Für die Bevölkerung steht ein zentraler Platz im Zentrum der Stadt nur eingeschränkt zur Verfügung, auf der anderen Seite gibt es hier für die Stadt wichtige wirtschaftliche Interessen. Wie oft in der Politik ist auch dieser Konflikt nur schwer lösbar.»

Seit Jahrzehnten versuchen die Stadtbehörden die Bevölkerung milde zu stimmen, indem sie auf die erhebliche Steuerkraft von Bucherer, Gübelin und weiteren Tourismusbetrieben hinweisen. Überprüfen konnte das keiner, die Zahlen blieben geheim.

Bucherer und Gübelin als Steuerzahler

Das soll sich jetzt ändern. «Wir werden in der Beantwortung eines parlamentarischen Vorstosses voraussichtlich im Februar bekannt geben, in welcher Grössenordnung die Uhrenbranche und weitere Betriebe zum Steuersubstrat und zur Wirtschaftskraft in der Stadt beitragen», verspricht Adrian Borgula.

Anlass für die neue Transparenz ist eine Interpellation von SP-Grossstadträtin Martina Akermann und von weiteren Mitunterzeichnern der SP/Juso-Fraktion. Martina Akermann will wissen, was denn nun der Gegenwert für den «gefährlichen Car-Verkehr und durch Gruppen verstopfte Gassen und Brücken» sei, welcher Steuerertrag, welche direkte und indirekte Wertschöpfung und welche Kosten für die Stadt entstehen.

«Es scheint, dass einige Schmuck- und Uhrengeschäfte bevorzugt behandelt werden», sagt Martina Akermann mit Blick auf den Massentourismus, der die Stadt beherrscht. «Ich habe den Eindruck, die Stadt wird billig verkauft.»

Handeln für die Stadtbewohner

Dabei vermisst Martina Akermann den Anspruch der Stadtregierung, politisch die Führung zu übernehmen. «Es gibt keine Visionen und keine Konzepte. Die Stadt lässt die Zügel fahren, statt die Steuerung zu übernehmen. Sie müsste in erster Linie die Interessen der Stadtbewohner im Auge behalten und mit Nachdruck einen nachhaltigeren Tourismus einfordern.»

Was die Wirtschaftszahlen angeht, sind die Antworten der Stadtregierung auf Akermanns Interpellation absehbar: Der Tourismus mit Brennpunkt Watch-Shopping am Schwanenplatz ist für die Stadt sehr wichtig. Keiner weiss das besser als Marcel Perren, Direktor von Luzern Tourismus. «Ich habe für die Beantwortung der Interpellation zum Teil das Zahlenmaterial geliefert.»

Trotz hervorragender Zahlen beim Tourismus insgesamt, macht Perren beim Car-Tourismus am Schwanenplatz Handlungsbedarf aus. «Wir wollen handeln, solange die Stimmung in der Bevölkerung noch mehrheitlich positiv ist», meint Perren.

Hochkarätige Diskussionsrunde für Leitungsbauten

Doch der Spielraum ist klein. Das zeigt sich am Beispiel eines Bauvorhabens, das die Stadtbevölkerung noch beschäftigen dürfte. Es geht um die geplanten Werkleitungssanierungen vom Schwanenplatz bis zum Löwengraben. Arbeitsbeginn ist im März, die «knifflige» Etappe am Schwanenplatz beginnt jedoch im Herbst.

Ab Oktober stehen wegen den Bauarbeiten die drei Car-Parkplätze auf dem Schwanenplatz für ein paar Monate nicht mehr zur Verfügung. Das ist bekannt. Nicht bekannt ist, welch ausserordentlichen Aufwand die Projektleiterin (die städtischen Werke EWL) und die Stadt betreiben müssen, damit für Bucherer, Gübelin und die anderen Ladengeschäfte am Grendel die Kirche im Dorf bleibt.

Zwei Sitzungen mit rund 25 Teilnehmern brauchte es bisher, bis die Sorgenfalten insbesondere bei den Verantwortlichen von Bucherer und Gübelin wieder geglättet waren, sagt einer, der dabei war, aber nicht zitiert werden möchte. Der Aufwand, sagt ein anderer Teilnehmer, sei ausserordentlich hoch.

VBL-Wünsche chancenlos

Es geht um viel. Das zeigt die hochkarätige Teilnehmerrunde. Am Tisch sassen unter anderem der Luzerner Bucherer-Direktor Josef Williner und Gübelin-CEO Raphael Gübelin, weitere Vertreter der Geschäfts- und Tourismus-Branche sowie der Credit Suisse und städtische Behördenmitglieder wie Adrian Borgula.

Das Resultat dieser Sitzungen ist bekannt: Die Uhren- und Schmuckhändler müssen auch während den Bauarbeiten am Schwanenplatz nicht auf die Anhalteplätze verzichten: Die drei Car-Parkplätze auf dem Schwanenplatz werden einfach Richtung Trottoir verschoben. Zwei stehen direkt auf dem Trottoir, einer leicht zurückversetzt. Dort sollen die Uhrenkunden aussteigen. Abgeholt werden sie nach dem Shopping bei der Schifflände vis-à-vis vom Bahnhof, dort wird ein temporärer Einsteigeort geschaffen.

Mittelmässig zufrieden mit dieser Lösung sind die Verkehrsbetriebe Luzern VBL, wie ihr Sprecher Christian Bertschi sagt: «Wir setzten uns dafür ein, dass die Reisecars während der Bauzeit das Inseli anfahren und von dort ein Shuttle-Schiff die Touristen zum Schwanenplatz bringt», erklärt der VBL-Sprecher. «Denn die Situation am Schwanenplatz ist schon ohne Baustelle sehr angespannt.»

Schwanenplatz rückt in den Fokus

Doch die Uhrengeschäfte wollten keinen Schiff-Shuttle. Das haben die VBL trotz Bedenken akzeptiert: «Die Anhaltemöglichkeiten auf dem Trottoir sind nicht optimal», sagt Christian Bertschi, «wir sehen ein gewisses Sicherheitsrisiko, wenn die Cars vom Trottoir wegfahren und dabei mit schlechter Sicht nach hinten die Busspur am Schwanenplatz queren müssen.» Mit der jetzigen Lösung könne die VBL aber leben.

Auch nur mittelmässig zufrieden ist Anne Gorgerat Kall, PR- und Mediensprecherin der Gübelin AG. «Die Baustelle vor dem Haus ist zwar störend, und der Fussweg für die Kunden zur Schifflände ist nicht attraktiv, aber kurzfristig können wir das akzeptieren, weil die Sanierungsarbeiten nötig sind.»

Doch Ruhe kehrt auf dem Schwanenplatz nicht ein, der Cartourismus bleibt politisch auf der Agenda. Ende Mai oder anfangs Juni soll eine Studie von Price Waterhouse Coopers PWC über die Probleme des Car-Tourismus in der Innenstadt (Schwanenplatz und Löwenplatz) veröffentlicht werden. Sie soll aufzeigen, welche Optionen es gibt, die Probleme mit dem Car-Tourismus zu lösen.

Akzeptanz nicht grenzenlos

Auftraggeberin ist eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Uhrengeschäfte, des Tourismus und der Stadt, finanziert wird sie anteilsmässig von allen beteiligten Parteien.

«Das ist die erste umfassende Studie, die uns Grundlagen für Lösungen innert nützlicher Frist liefern wird», sagt Marcel Perren, Direktor von Luzern Tourismus. «Wir müssen das anpacken, denn der Tourismus hat sich stark entwickelt, und er wird sich weiter positiv entwickeln. Mehr Gäste können zu verkehrstechnischen Engpässen führen.» Das sieht der grüne Stadtrat Adrian Borgula ähnlich. «Wir müssen davon ausgehen, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht grenzenlos ist.»

Ob die Studie von Price Waterhouse Coopers substanzielle Veränderungen am Schwanenplatz auslösen kann, ist allerdings fraglich. Denn schon seit Jahrzehnten beisst man sich wegen den Reisecars auf dem Schwanenplatz die Zähne aus. 1988 etwa scheiterte die Initiative «Für einen piazza-artigen Schwanenplatz ohne Car-Parkplätze» des damaligen «Grünen Bündnisses».

In Luzern nichts Neues

Doch auch die Stadt scheiterte grandios. 1991 zum Beispiel nahm eine städtische Projektgruppe die Arbeit zur Car-Problematik auf. Das Ziel: «Spürbare Reduktion der Reisebusbewegungen, ohne den Tourismus zu verdrängen».

Nach vier Jahren Arbeit trat die Projektgruppe 1995 an die Öffentlichkeit. Der damalige Baudirektor Werner Schnieper (SP) wurde in den «Luzerner Neuesten Nachrichten» LNN so zitiert: «In Luzern nichts Neues.» Es sei, so das Fazit, «nicht möglich, eine wirkungsvolle Lösung zu finden, ohne die touristischen Interessen zu tangieren.»

Diskutiert und verworfen wurden damals Bus-Terminals am Stadtrand mit komfortablen Shuttle-Zubringern, eine Metro vom Lochhof (Kriens) zum Schwanenplatz, ein City-Schiff (Inseli-Schwanenplatz) und so weiter. Teile dieser Lösungen sind bis heute im Gespräch. So wird aktuell die Idee einer Metro, diesmal von Ibach (Emmen) aus, wieder aufgewärmt.

Passt auf, was ihr macht!

«Ich fühlte mich von den Uhrengeschäften nicht unter Druck gesetzt», erinnert sich alt Stadtrat Werner Schnieper an die Arbeit in der Projektegruppe. «Nur der Finanzdirektor hat uns immer wieder gesagt: Passt auf, was ihr macht!». Da war er also wieder, der Hinweis auf die guten Steuerzahler am Schwanenplatz, und die Stadträte haben sich wohl gedacht: «Wir haben verstanden.»

Heute ist der Spielraum für die Stadtregierung genauso winzig wie damals. So kommt etwa die einfachste Lösung, ein Transport der Touristen zum Car-Parkplatz Inseli und danach ein Fussmarsch von ein paar Minuten zum Schwanenplatz, für die Uhrengeschäfte nicht in Frage. Warum eigentlich?

Von der Bucherer AG gibt es keine Antworten. Marketingdirektor Jörg Baumann reagiert weder auf telefonische noch auf schriftliche Interviewanfragen. In der «Neuen Luzerner Zeitung» wird Baumann so zitiert: «Die direkte Zufahrt der Cars auf den Schwanenplatz ist lebenswichtig für die Geschäfte in der Luzerner Altstadt und die vielen Arbeitsplätze.»

Cars vor Ladentüre lebenswichtig

Antworten gibt es von der Gübelin AG. «Die Anfahrt darf für die Touristenströme nicht zu kompliziert werden», sagt Sprecherin Anne Gorgerat Kall. «Natürlich können wir als Geschäft den Touristen nicht vorschreiben, wo sie einkaufen sollen, aber für uns ist es sicher besser, wenn sie direkt vor der Ladentüre aus dem Car steigen. Ein nahtloser Zugang zum Laden ist lebenswichtig.»

Wenig überzeugend findet Anne Gorgerat Kall auch einen Schiff-Shuttle vom Car-Parkplatz Inseli zum Schwanenplatz, wie er immer wieder gefordert wird. «Das tönt auf den ersten Blick gut. Aber was ist, wenn die Leute beim Inseli warten müssen, bis das Schiff da ist? Das geht nicht, die Leute wollen nicht warten.»

«Der Zeitfaktor ist wichtig. Da können wir nicht mit Anfahrtswegen experimentieren», sagt auch Adelbert Bütler, Verwaltungsratspräsident der Luzern Tourismus AG. Adelbert Bütler muss es wissen. Er war früher Kadermann bei Bucherer, heute sitzt er im Verwaltungsrat des Unternehmens. Er weist darauf hin, dass Touristen nicht selten nur 2,5 Stunden in Luzern bleiben. «Der Schwanenplatz ist die Schlagader des Tourismus in Luzern.»

Provisionen als Schmiermittel 

Die Touristengruppen namentlich aus China seien hart umkämpfte Kunden, sagt Adelbert Bütler. «Sie müssen nicht nach Luzern kommen, sie können auch in eine andere Stadt gehen. Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir ihnen entgegenkommen, indem wir sie ins Herz der Stadt führen.»

Hinter dem Chinesen-Boom, sagen die Tourismusverantwortlichen, stecke jahre- und jahrzehntelanges Marketing. Da sei schon viel Geld investiert worden, das man nicht aufs Spiel setzen wolle. Doch das Marketing ist nicht das einzige Schmiermittel für den Massentourismus. Beim komplexen Geschäft am Schwanenplatz spielen auch die Provisionen für die Tour-Guides und die «Investitionen» bei den Reiseveranstaltern in China eine grosse Rolle, wie Recherchen von zentral+ zeigten.

Die Zeit ist reif

Bleibt Luzern also sozusagen in «Geiselhaft» von Bucherer, Gübelin und anderen Geschäften? «Das sehe ich nicht so, zumal auch die Zusammenarbeit mit der Branche gut ist», sagt der grüne Stadtrat Adrian Borgula. «Die wirtschaftliche Bedeutung der Geschäfte am Schwanenplatz ist zwar sehr gross. Das müssen wir beachten. Aber es ist ebenso klar, dass wir die Belastungen am Schwanenplatz verringern müssen. Die Zeit ist reif dafür.»

Doch der Spielraum ist und bleibt winzig. Zwar werden seit dem Unfall im Sommer 2012 mehr Verkehrslotsen eingesetzt, die seit Mitte des letzten Jahres von den Uhrengeschäften bezahlt werden. Ansonsten aber bleibt nur Raum für «weiche» Massnahmen: Seit Mai 2013 markieren für Reisecars zwei Poller die Einfahrt auf den Schwanenplatz. Sie sind aus Gummi, also biegsam, damit sie bei einer Kollision nicht gleich ersetzt werden müssen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Bernhard Sartorius
    Bernhard Sartorius, 27.05.2020, 17:11 Uhr

    Gut, jetzt hat Corona zugeschlagen und es wird möglich, sich bessere Lösungen zu überlegen für den Fall, die Chinesen würden wieder massiv kommen. Wie massiv ist noch nicht sicher …. Aber dass wegen zwei Geschäften einer ganzer Platz für die Bevölkerung quasi unbrauchbar geworden war, war eine Zumutung. Geld ja aber nicht zu jedem Preis. Es gibt jetzt in China eine Bewegung unter den Jungen, die nach dem Motto «Less is more» zu leben ersucht: DIESE Chinesen sind mir sympathisch.

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