Neue Generation im Zuger Kantonsrat

Die Antithese zum alten weissen Mann: Ronahi Yener wird Zugs jüngste Kantonsrätin

Ronahi Yener im Zentrum von Baar, wo sie lebt und am Donnerstag zur jüngsten Kantonsrätin wird. (Bild: jal)

Mit 21 Jahren tritt Ronahi Yener als jüngste Zuger Kantonsrätin diesen Donnerstag ihr neues Amt an. Die Wirtschaftsstudentin aus Baar verkörpert eine Generation, die durch soziale Bewegungen wie die Klimajugend ein erwachtes Interesse an der Politik zeigt. Die Tochter kurdischer Geflohener erlebte aber bereits früher, dass in der Politik viele Baustellen warten.

Wenn noch ein Beweis nötig wäre, dass in der Schweiz nicht mehr nur der stereotype «alte weisse Mann» Politik macht: Ronahi Yener verkörpert ihn. Mit ihren 21 Jahren ist die Baarerin die jüngste Zuger Kantonsrätin. Diesen Donnerstag rückt sie innerhalb der SP-Fraktion für Zari Dzaferi nach.

Ronahi Yener, Jahrgang 2000, verkörpert die junge Generation, die wieder öfters auf der Strasse für ihre Anliegen kämpft. Die Zugerin ist bereits vor dem Klimastreik politisch aktiv geworden, doch sie hat später mitgeholfen, die Bewegung zu koordinieren, auch international, und nach Zug zu bringen. Dass Jugendliche sich wieder stärker für die Politik interessieren – egal für welche Partei sie sich entscheiden – freut die Zugerin ausgesprochen. Ihnen im Kantonsrat eine Stimme zu geben, noch mehr.

«Unsere Generation ist politisch viel stärker auf die Zukunft statt auf die Gegenwart ausgerichtet», sagt Ronahi Yener, «weil uns bewusst ist, dass wir am längsten mit den Konsequenzen der politischen Entscheide leben werden.» 

Die Politik trat schon früher in ihr Leben. Ihre Biografie hat einen wesentlichen Anteil daran, dass sie heute an diesem Punkt steht.

Baustelle Chancengleichheit

Geboren und aufgewachsen ist Ronahi Yener als zweitjüngste von vier Schwestern in Baar. Ihre Eltern waren Anfang der 1990er-Jahre von der Türkei in die Schweiz geflohen. «Ich bin das Kind von geflüchteten Menschen», erzählt Yener «Das ist mit ein Grund, warum ich politisch aktiv geworden bin.» 

«Ich bin das Kind von geflüchteten Menschen. Das ist mit ein Grund, warum ich politisch aktiv geworden bin.»

Am Esstisch seien politische Diskussionen allgegenwärtig gewesen. Ihr persönlicher Hintergrund habe sie dazu bewogen, gängige Meinungen zu hinterfragen, gerade in der Migrationspolitik. Aber nicht nur das hat sie beeinflusst. Als in der Primarschule alle erzählen sollten, welche Ausbildung die Eltern absolviert hatten, begann sie unvermittelt zu weinen, erzählt Ronahi Yener. Denn ihre Mutter, die heute als Reinigungskraft arbeitet, durfte in der Türkei nicht zur Schule, weil sie eine Frau ist. Zu realisieren, dass die Mutter nie die Chance hatte, die in der Schweiz und heute selbstverständlich ist, beschäftigte die junge Zugerin.

Weitere Schlüsselmomente folgten. Und rückblickend sagt Yener: «Es waren definitiv auch persönliche Erfahrungen, die mich politisch geprägt haben. Ich wollte nicht weiterhin tatenlos zuschauen und diese Ungerechtigkeiten akzeptieren.» Dass die Klima-, die Gleichstellungs- und die Migrationspolitik ihre Kernthemen sind, überrascht vor diesem Hintergrund nicht. Mit 16 Jahren trat sie der SP bei, kurz darauf der Juso.

Das letzte Geschenk des Vaters

Dass sie selber die Chance packte, politisch aktiv zu werden, verdankt sie ihrem Vater. Er bemühte sich für die Familie um den Schweizer Pass. Kurz vor seinem Tod, als Ronahi Yener 13-jährig war, wurden die Schwestern und der Vater eingebürgert. «Das war sein letztes Geschenk an uns», erzählt die SP-Politikerin sichtlich bewegt.

Ronahis ältere Schwester, Gurbetelli Yener (links), ist ebenfalls politisch aktiv, allerdings bei den Jungen Alternativen in Zug. (Bild: sib)

Es war für die junge Frau zugleich ein Erweckungserlebnis: «Ich sagte mir: Jetzt darf ich mitbestimmen, diese Chance will ich nutzen.» Obwohl sie dreisprachig – deutsch, türkisch, kurdisch – aufgewachsen ist, fühlt sich Ronahi Yener eindeutig als Schweizerin. Ihr Lebensmittelpunkt liegt seit jeher in Baar.

Ihre Lehre als Kauffrau mit Berufsmatura absolvierte sie bei der Stadt Zug, danach folgten ein paar Monate in der Romandie, anschliessend die Passerelle zum Studium. Seit letztem Sommer studiert Ronahi Yener Wirtschaftswissenschaften an der Universität St. Gallen.

«Man kann von aussen viel kritisieren: Ich versuche gerne von innen etwas zu verändern.»

Dass Linke bei der wirtschaftlichen Kaderschmiede «HSG» teils die Nase rümpfen und viele das Bild des Anzug tragenden Schnösels mit perfektem Seitenscheitel vor Augen haben: Ronahi Yener ist sich dessen bewusst. «Ich passe nicht in dieses Klischee, aber ich fühle mich an der HSG sehr wohl», bestätigt sie und fügt dann vielsagend hinzu: «Man kann von aussen viel kritisieren: Ich versuche gerne von innen etwas zu verändern.»

Was andere über Ronahi Yener sagen

Eine Aussage, die auch zu ihrem Engagement als Linke im bürgerlichen Kanton Zug passt. «Es ist definitiv ein hartes Pflaster», sagt sie und lacht. Dass die Erfolgschancen für ihre Forderungen – beispielsweise nach einem Gleichstellungsbüro – tief sind, davon lässt sie sich nicht entmutigen. Im Gegenteil: Es führe nur dazu, dass ihre Motivation noch wachse.

Zumal sie dem auch Positives abgewinnen kann. Die politische Situation in Zug erfordere es, mit unterschiedlichen Menschen zusammenzuspannen. «Das bewirkt, dass man nicht in der eigenen Bubble feststeckt.»

«Ich sehe schlicht enormen Sinn hinter dem, was ich tue.»

Weggefährtinnen attestieren der Zugerin Hartnäckigkeit in der Sache und Leidenschaft im Tun. «Ronahi setzt sich passioniert für ihre politischen Herzensanliegen ein und bleibt standhaft», beschreibt sie ihre Parteikollegin Virginia Köpfli. «Als junge kurdische Frau gibt sie Menschen eine Stimme, die viel zu wenig in den Parlamenten und der Politik vertreten sind.» Auch ihre ältere Schwester Gurbetelli Yener, bis 2020 Co-Präsidentin der Jungen Alternativen Zug, betont dies: «Ronahi scheut sich nicht davor, für Themen einzustehen, die in der Politik schlicht ignoriert werden, und geht auf Herausforderungen zu, statt sie beiseitezuschieben. Ihr unglaublicher Gerechtigkeitssinn sowie ihre aufgestellte und bestimmte Persönlichkeit zeichnen sie aus.»

Die Familienbande sind stark

Es sei manchmal die Wut, sehr viel öfter aber der Drang, etwas zu verändern, die sie antreibt. Vor kurzem hat Ronahi Yener auch das Präsidium der SP Baar übernommen, ab nächster Woche arbeitet sie zudem in einem Teilzeitpensum am Weiterbildungszentrum der Uni St. Gallen. Hohe Arbeitsbelastung? Kein Thema. «Ich sehe schlicht enormen Sinn hinter dem, was ich tue», sagt Yener. 

Die einzige Sorge, die sie umtrieb und sich inzwischen aber als unberechtigt erwiesen hat: Dass sie zu wenig Zeit habe, als Tante für die zwei Kinder ihrer älteren Schwester da zu sein. Denn die Familienbande bei Yeners sind stark, die gegenseitige Unterstützung ebenso. Auch diesen Donnerstag, wenn Ronahi Yener in ihrer Wohngemeinde Baar das Gelöbnis als jüngste Kantonsrätin ablegen wird. «Ich freue mich mega – und genauso freuen sich meine Schwestern.»

Vier unter dreissig

In ihrem neuen Amt hofft Ronahi Yener die Hürden und Berührungsängste für junge Politikerinnen senken zu können. «Oft verschlafen die Mutterparteien diese Aufgabe oder sie überlassen sie einfach den Jungparteien.»

Bei der SP in Zug, so dürfe sie mit gutem Gewissen sagen, laufe das besser. Ein Blick in ihre Reihe im Zuger Kantonsratssaal unterstreicht dies: In der zehnköpfigen SP-Fraktion sitzen mit Anna Spescha (Jahrgang 1995), Isabel Liniger (1995) und Virginia Köpfli (1994) drei weitere Frauen unter 30 Jahren.

Es brauche unterschiedliche Blickwinkel in der Politik, ist Ronahi Yener überzeugt. Dass sie die Jüngste in der Runde ist, erlebte die Baarerin schon oft. Inzwischen ist das für sie normal. Und so hat die 21-Jährige auch keine Hemmungen mehr, vor vielen Menschen zu reden – egal, wie grau die Häupter vor ihr im Publikum sind.

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9 Kommentare
  • Profilfoto von felix schwaibold
    felix schwaibold, 03.07.2021, 12:47 Uhr

    das von Ronahi Yener persönliche Idee das stimmrechtsalter 16 einzuführen finde ich die völlig richtige Idee Mann soll auch di Leute die nicht nicht 18 Jahre alt sind die im Zeitraum vom 2005,2004 und 2003 geboren sind auch das vollen stimm und Wahlrecht ergeben und selber zu bestimmen was nach ihrem 18 Geburtstag passieren wird

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  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 06.05.2021, 16:06 Uhr

    Ronahi, solch kluge, tatkräftige und geradlinige Frauen wie Du tun nicht nur dem unterbelichteten Kantonsrat gut, sondern auch der SP des Kantons Zug. Meine Hochachtung für das starke Frauenquartett Yener!

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    J. Landmann, 06.05.2021, 13:59 Uhr

    Ronahi, danke für dein Engament, deine Power und den enormen Einsatz!! Du bist ein Vorbild für viele, nicht nur (aber besonders auch) für junge Frauen mit Migrationshintergrund. Viel Glück und Erfolg im Kantonsrat!

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  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 06.05.2021, 11:14 Uhr

    Ich bin stolz ein alter weisser Mann zu sein und dem modernem Blödsinn zu widerstehen. Man kann auch anständig alt und weiss zu sein, diese doofen Vorwürfe sind verletzend und diskriminierend und zeugen von völliger Bildungslosigkeit,aber es passt zur bevormundenden Identitätspolitik der modernen Linken, die wie ihre Väter nur eine Meinung akzeptieren, wenn sie mit ihrer übereinstimmt

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  • Profilfoto von Andy Bürkler
    Andy Bürkler, 06.05.2021, 10:59 Uhr

    Ist ein alter weisser Mann mit Migrationshintergrund (z.B Türkei) eigentlich auch ein alter weisser Mann oder schon divers?
    Ist ein homosexueller, alter weisser Mann auch ein alter weisser Mann oder geht der noch als «gut» durch?
    Was tun, wenn die alten weissen Männer sich beginnen als Opfer zu verstehen? Sind dann endlich alle «Opfer»?

    Wer, wie, was
    Wieso weshalb warum?
    Wer nicht fragt bleibt dumm.
    1000 Tolle Sachen die gibt es überall zu sehen
    Manchmal muss man fragen um sie zu verstehen.
    (Sesamstrasse).

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  • Profilfoto von Freddy
    Freddy, 06.05.2021, 10:55 Uhr

    Gratuliere für den Mut einer jungen Frau. Aber hört doch mit diesem alten weissen Mann Quatsch auf. Eine gebildete Wirtsschaftsstudentin aus dem reichen Kanton Zug, kann sich doch wohl nich damit Brüsten in der Welt weniger privilegiert zu sein als ein durchschnittlicher Mann. Apropos Diversität, bei der SP sitzen ja auch nur Menschen vom gleichen Schlag sorry. Ich finde als Unterscheidungsmerkmal viel erstaunlicher, dass sie Wirtschaft studiert und bei der SP ist. Dass wär meiner Meinung eine Schlagzeile wert, aber hauptsache man wird auf sein Geschlecht und alter reduziert, well done liebe Journalisten, well done.

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  • Profilfoto von surcur
    surcur, 06.05.2021, 10:39 Uhr

    Wie nennt man Leute die andere Leute über ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe und ihr Alter beurteilen? Waren das nicht mal Sexisten, Rassisten und Ageisten?

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  • Profilfoto von Rudolf 1
    Rudolf 1, 06.05.2021, 08:44 Uhr

    «Die Antithese zum alten weissen Mann:» Das ist eine dämliche Wertung, die überhaupt nicht zutrifft. Geschlecht, Alter und Hautfarbe der Parlamentarier sind bei der SP keine Merkmale für eine Nomination oder Nicht-Nomination.

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 06.05.2021, 05:51 Uhr

    Es kann keine Antithese zum „alten weissen Mann“ geben, denn das Gerede vom „alten weissen Mann“ ist schon selber die künstliche, spekulative Antithese und der in der Realität nicht existierende Popanz der versammelten aber unter sich ja nicht einigen, sondern konkurrierenden „Diversity“-Grüppchen. Wer immer sich als angeblich diskriminierte Minderheit und Opfer mit Ansprüchen auf Quote, Geld, universitäre Bearbeitung usw. versteht, definiert sich aus einem Negativum heraus. Die Frau definiert sich als Nicht-Mann, die Farbige als Nicht-Weiss, der Homosexuelle als Nicht-Hetero. Der weisse, heterosexuelle Mann als Konstrukt steht also einfach für den, der zu allerletzt Anspruch auf die Opferrolle anmelden darf. Eben die Antithese am untersten Ende der Anspruchsteller im Identity-Geschäft. Als Tüpfchen auf dem i ist im Verlaufe des Diversity-Geredes, das ja prüde ist wie ein Doris-Day-Film, irgendeinmal das Merkmal im Bereich sexueller Vorlieben durch dasjenige des Lebensalters ersetzt worden. Dass das wiederum eine Diskriminierung auf nachgerade archaisch primitivem Niveau darstellt, die eigentlich schon fast eine Opferrolle generiert, merken die Identity-Aktivisten gar nicht.

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