Baarer Ständerat kämpfte gegen Fortschritt

Die abenteuerliche Politkarriere des Oswald Dossenbach

Oswald Dossenbach war auf allen drei politischen Ebenen und in allen drei Gewalten tätig. Das ist eine absolute Ausnahme. (Bild: zvg Einwohnergemeindearchiv Baar, Foto- und Ansichtskartensammlung)

Oswald Dossenbach wehrte sich im 19. Jahrhundert gegen Eisenbahnen, gegen Fabriken, gegen den Fortschritt. Ein Kauz? Nein! Der Baarer war ein geachteter Mann und machte eine schier unglaubliche politische Ochsentour durch.

Sitzt heute jemand länger als zwölf Jahre im Kantonsrat, gilt er bereits als alter Hase. Ist jemand zwanzig Jahre in der Politik und hatte in dieser Zeit womöglich gar verschiedene Ämter inne, gilt er als erfahrener Dinosaurier. Ein Blick in die Annalen der Zuger Geschichte zeigt: Es geht noch viel wilder.

Oswald Dossenbach, der 1824 auf dem Hof Sennweid in Baar geboren wurde, machte es vor. In seiner 35-jährigen Politkarriere sass er sechsmal im Kantonsrat – teilweise nur während eines Jahres –, amtierte als Obergerichtspräsident, Bürgerpräsident, Gemeinderatspräsident, Erziehungsrat, Ständerat und Landammann.

Baar-Interessierte begegnen Dossenbach zwingend

Wir wollen mehr herausfinden über diesen Mann und seine politische Ochsentour und landen auf unserer Recherche im historischen Baarer Rathaus von 1674. Dort nämlich ist der Historiker Philippe Bart als Gemeindearchivar tätig. Daneben arbeitet er im Zuger Staatsarchiv. An beiden Orten ist ihm Oswald Dossenbach bereits begegnet.

«Wenn man sich mit der Geschichte von Baar befasst, kommt man an Oswald Dossenbach nicht vorbei», sagt Bart. Bei der Ausstellung «Baar und Ich», welche 2020 im Auftrag der Einwohnergemeinde umgesetzt wurde, war Oswald Dossenbach deshalb eine der vorgestellten Persönlichkeiten. Denn, so der Historiker: «Dossenbach war eine hochspannende Persönlichkeit und ein absoluter Lokalpatriot.»

Vom Dörflein zur Industriestadt

Er führt aus: «Der Politiker lebte in einer Zeit eines unglaublichen Umbruchs. Innert 20 Jahren wurde das Bauerndorf Baar zum wichtigen Industriestandort. Dies insbesondere durch die Spinnerei an der Lorze, welche 1852 in Baar gegründet wurde und europaweit eine der grössten war.»

Oswald Dossenbach war kein Freund dieses Fortschritts. «Als Katholisch-Konservativer war er gegenüber liberalen und progressiven Ideen sehr kritisch eingestellt. Er setzte sich gegen Fabriken und den Eisenbahnbau, aber auch gegen Genussmittel wie Tabak und Alkohol ein.»

«Es war mitnichten so, dass alle Landwirte grundsätzlich arm waren.»

Philippe Bart, Baarer Gemeindearchivar

Beim Betrachten von Dossenbachs Biografie fällt auf: Der Baarer wurde zwar als Sohn eines Bauern geboren, konnte selber jedoch studieren. In der Tat war es der Wunsch der Eltern, dass aus ihm ein Pfarrer würde. Philippe Bart sagt dazu: «Tatsächlich zählten die Dossenbachs zu den wohlhabenden Bauern. Es war mitnichten so, dass alle Landwirte grundsätzlich arm waren.»

Gegen den Willen zum Obergerichtspräsidenten gewählt

Zu Dossenbachs mannigfaltigen politischen Ämtern sagt Bart: «Zu dieser Zeit war das nicht unüblich. Speziell bei diesem Fall ist jedoch, dass Dossenbach nicht nur alle Ebenen durchlief, von kommunal über kantonal bis national, sondern auch in allen drei staatlichen Gewalten ein Amt ausübte.» Tatsächlich sass Dossenbach nicht nur in der Legislative und der Exekutive, sondern als Obergerichtspräsident auch in der Judikative.

Es ist ein Amt, das Dossenbach eigentlich gar nicht wollte. Das weiss man heute dank eines Tagebuchs, das nicht nur im Original besteht, sondern 1932 vom späteren Bundesrat Zuger Philipp Etter (1891–1977) transkribiert und in Auszügen publiziert wurde.

Eine grosse Abneigung gegen öffentliche Ämter

In Etters hochachtungsvollem Vorwort heisst es: «1856 wurde Dossenbach ohne sein Wissen und gegen seinen Willen vom Grossen Rat als Obergerichtspräsident gewählt. Er nahm dieses Amt auf das Drängen seiner politischen Freunde an und verwaltete es mit verantwortungsbewusster Gewissenhaftigkeit bis 1868.»

Auch spricht Etter von einer «ausgesprochenen Abneigung des angehenden Staatsmannes gegen die Bekleidung öffentlicher Ämter».

Im von Philipp Etter geschriebenen Vorwort von Dossenbachs Tagebuch äussert er sich zu dessen ungewollter Wahl ans Obergericht. (Bild: zvg)

Im Tagebuch schreibt er am 26. Januar 1856: «Ich fürchte niemanden mehr, als einen charakterlosen, unselbstständigen, launigen und leidenschaftlichen Mann in einem Amte, welches ihm gesetzliche Macht und Gewalt in die Hände legt.» Zu schnell könne dies zum Missbrauch der Amtsgewalt führen.

Doch schaut man sich Dossenbachs Politkarriere an, scheint die Abneigung vor öffentlichen Ämtern respektive vor den Menschen, die diese innehatten, doch nicht ganz so gross gewesen zu sein.

Eine regelrechte Ochsentour legte Oswald Dossenbach in seiner Politkarriere hin. (Bild: Register Personen Kanton Zug 2022)

Wie kommt es, dass das besagte Tagebuch Etter am Herzen liegt? Bart ist darüber wenig erstaunt: «Als Vertreter aus dem katholisch-konservativen Milieu im 20. Jahrhundert teilte Etter Werte wie Dossenbach.»

Eine Tagebuch ermöglicht den Einblick in ein bewegtes Innenleben

Wenn man ins Tagebuch des Baarers eintaucht, beginnt man Etters Bewunderung für den Mann nachzuvollziehen. Seine Schreibe ist präzise, seine Gedanken sind klar. Er schreibt nicht nur über politische Begebenheiten, sondern über die Freundschaft, sein eigenes Innenleben sowie die Kindererziehung.

«Er erklärte mir, dass mein Kind geendet habe, heute 12 Uhr.»

Aus dem Tagebuch von Oswald Dossenbach (18. November 1854)

Dass es sich um einen feinfühligen Zeitgenossen handelte, wird an den Stellen klar, an denen er Verstorbenen ein paar Sätze widmet. Besonders zu spüren bekommt man diese Seite von ihm jedoch vor allem an jener Stelle, an der er den Tod seines Kindes schildert respektive jenen Moment, als er von seinem Schwager davon erfuhr. «Er erklärte mir, wie Männer zu Männern reden, dass mein Kind geendet habe, heute 12 Uhr. Furchtbare Gichter-Anfälle haben also diesem teuren, lieben, so zarten Leben das Ende herbeigeführt. Ich hörte die Trostworte nicht.»

Brutal: Für Dossenbach war Familie das Allerwichtigste, seine Frau liebte und verehrte er. Letztlich blieb der Politiker jedoch kinderlos. Die zwei Kinder, die ihm seine Frau gebar, starben kurz nach der Geburt. Und nicht nur sie, sondern auch seine spätere Gemahlin verlor er.

In diesem Tagebucheintrag ist nicht nur die Rede von heftigen Erdbeben, sondern auch von der lieben Ehefrau, die Dossenbach schmerzlich vermisst. (Bild: zvg)

Angst vor der «Zernichtung des Mittelstandes»

Seiner Abneigung gegenüber dem Modernen und der Industrie verlieh Dossenbach in mehreren Tagebuchpassagen Ausdruck. «Durch die mechanischen Erfindungen wurden tausend arbeitsame Hände entbehrlich und mussten sich anders zu helfen suchen. Die grossen Kapitalien begannen zu arbeiten durch grosse Assoziationen, neben welchen der geringere Gewerbsmann nicht zu bestehen vermag und seinem Ruine entgegengeht.»

Dossenbach spricht von einer Zernichtung des Mittelstandes. Ein Thema, das in Zug nach wie vor aktuell ist, wenn auch aus anderen Gründen.

Dossenbachs Abneigung gegen die aufblühende Industrie zeigt sich mitunter in dieser Tagebuchpassage. (Bild: zvg)

Dossenbach beobachtet zu seiner Zeit mit grossem Unverständnis, wie die Familie für viele Menschen an Wert verliert. «Darum ist so wenig Friede und Familienglück in der Welt, weil man seinen Genuss nicht mehr im Schoss seiner Familie suchen und finden will. Alles strebt nach Aussen, ins Öffentliche, ins Fremde, wirft sich damit ins Schwindelhafte fremder Phantasten und wird sich fremd und missvergnügt bei und unter den Seinigen.»

Zum Glück lebte Dossenbach nicht zur Zeit von Social Media. Sie wäre ihm nicht gut bekommen.

Die Familie war für Dossenbach das höchste Gut. (Bild: zvg)

Und wenn auch Dossenbach nicht das Glück hatte, seine Kinder gross werden zu sehen und zu erziehen, so hatte der Baarer doch sehr genaue Vorstellungen, wie das vonstatten gehen sollte. Der untenstehende Eintrag dürfte zu jener Zeit entstanden sein, als seine Frau zum ersten Mal «gesegnet» war.

«Vor zwei Jahren soll das Kind keine Streiche weder von Hand noch mit der Rute bekommen.» Gute Sache. Und weiter: «Mit dem dritten Jahre binde man eine Rute und gebe ihr einen sichtbaren Platz im Wohnzimmer, wo das Kind sie allzeit erblicken kann.» Vermutlich galten Dossenbachs präferierte Erziehungsmethoden zu seiner Zeit als milde.

Kinder unter drei Jahren sollte man nicht hauen, fand Dossenbach. Wir finden: Auch bei den Über-3-Jährigen sollte man's bleiben lassen. (Bild: zvg)

Kaum Landamman, erlitt Dossenbach einen Herzinfarkt

Grundsätzlich setzte sich Dossenbach für die Mässigung in allen Belangen ein. Nicht zu viel, nicht zu schnell, nicht zu hart und nicht zu weich. «Nie wird mich gelüsten nach Reichtum. Wer solchen besitzt, muss oft Andern wehetun», schreibt er Ende 1855. Den Konsum von Genussmitteln wie Kaffee, Tabak, Zucker und gebranntem Wasser verteufelt der Politiker. Dieser sorge dafür, dass das mit «Mühe und Schweiss verdiente Geld leichtsinnig verjagt» wird. «Aller häuslicher Sinn schwindet; niemand denkt an kommende Tage.»

Bis 1883 kämpfte Dossenbach für seine Anliegen. Zuletzt wurde der Politiker zum Landammann gewählt. Es wurde eine kurze Amtsdauer. Nur zehn Tage nach Amtsantritt erlitt er einen Herzinfarkt und starb.

Verwendete Quellen
  • Register der Personen Kanton Zug 2022
  • Tagebuch von Oswald Dossenbach (Staatsarchiv)
  • Dokumente aus dem Gemeindearchiv Baar
  • Gespräch mit Archivar Philippe Bart
  • Auszug aus dem Historischen Lexikon der Schweiz
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