Analyse der Wahlchancen für Zuger Stadtregierung

Der Kronfavorit ist eine Frau – das freut nicht alle

Traumpaar der Stadtzuger FDP: Eliane Birchmeier (links) und Karl Kobelt.

(Bild: mam)

Wer schafft anfangs Oktober bei den Wahlen den Sprung in die Zuger Stadtregierung? Vermutlich alle bisherigen Magistraten – aber warum? Wir sagen, wer von den neuen Kandidaten sich für den verbleibenden Sitz die grössten Hoffnungen machen darf.

Die Römer pflegten die Eingeweide von Opfertieren zu befragen, oder zur Weissagung den Flug der Vögel zu beobachten. Polit-Auguren setzen sich heutzutage eher mit Zahlen auseinander. Bei den bevorstehenen Erneuerungswahlen für die fünfköpfige Zuger Stadtregierung geht’s aber nicht ohne Bauchgefühl. Die Ausgangslage ist spannend und das Ergebnis ungewiss.

Als sicher annehmen darf man die Wiederwahl von FDP-Finanzchef Karl Kobelt und Bildungsvorsteherin Vroni Straub (CSP). Und zwar wegen der guten persönlichen Resultate, die beide schon bei den Wahlen 2014 verzeichnen konnten. Stimmenkönig Karl Kobelt ist freundlich im Umgang und mit seinem Engagement für Kultur und Kirche gesellschaftlich breit abgestützt. Straub, die durchaus mal Klartext redet, ist integer und beliebt. Ihre pofilierten Stellungnahmen werden ihr nicht zum Nachteil ausgelegt – auch von Rechtsbürgerlichen nicht. Beide sind auch die heissesten Kandidaten für das frei werdende Amt des Stadtpräsidenten.

Trotz Kleinheit ist Zug eine Stadt

Stapi werden möchte auch Bauchef André Wicki (SVP), der vor vier Jahren im Namen einer bürgerlichen «Entente» gegen Amtsinhaber Dolfi Müller (SP) antrat und klar verlor. Wicki hat sich im Stadtrat etabliert und keine Abgrenzungsangst gegenüber links. Er führt auch einen aufwändigen Wahlkampf. Seine Wiederwahl als Stadtrat steht deshalb ausser Frage.

 

 

Aber seine Parteizugehörigkeit könnte ihm bei der Wahl zum Stapi im Weg stehen. Ein SVP-Mitglied kann in einem Dorf oder Vorort Präsident werden, aber in einer richtigen Schweizer Stadt wäre dies eine Riesenüberraschung und absolute Ausnahme. Derzeit scheint solches nur in Thun im Kanton Bern möglich.

Urs Raschles knifflige Aufgaben

Urs Raschle (CVP) ist der vierte Bisherige, der ebenfalls Stadtpräsident werden will. Dies bringt mehr Medienaufmerksamkeit und auch ein paar zusätzliche Stimmen. Ausserdem findet Raschle in seinem schwierigen Departement Soziales, Umwelt, Sicherheit meist tragfähige Kompromisse. Den leutseligen früheren Tourismusdirektor von Zug halten wir daher ebenfalls für gesetzt.

Bleibt der Sitz von Dolfi Müller (SP), der drei Amtsperioden lang Stapi von Zug war. Müller steht für eine 100-jährige Tradition. Denn so lange waren die Zuger Sozialdemokraten im Zuger Stadtrat vertreten. Ob dies freilich im kommenden Jahr noch so sein wird, ist unsicher.

Das liegt unter anderem am neuen Wahlsystem – dem Mehrheitswahlrecht, oder Majorz, das heuer erst zum zweiten Mal zum Einsatz kommt.

Vor acht Jahren gab’s eine linke Stadtregierung

Blenden wir zum besseren Verständnis zurück: 2010, bei der letzten Wahl im Verhältniswahlrecht, schaffte es die vereinigte Linke, im Zuger Stadtrat eine Mehrheit zu gewinnen. Das lag erstens am Proporzsystem, das eine Listenverbindung von Alternativen, Sozialdemokraten und Christlichsozialen ermöglichte. Zweitens standen mit Dolfi Müller (SP), Vroni Straub (CSP) und Andreas Bosshard (CSP) drei Kandidaten zur Verfügung, die als gemässigt galten. Drittens war die CVP dabei, sich selbst zu zerfleischen.

 

FDP-Moos war schon mal gewählt

Bei den ersten Majorzwahlen vor vier Jahren kam die CVP mit Urs Raschle zurück in die Regierung, wo er den Sitz des nicht mehr antretenden Andreas Bosshard übernehmen konnte.

Die bürgerlichen Parteien, die sich unter dem Kürzel «BS 14» zusammengeschlossen hatten, um die Mehrheit in der Stadtregierung zurückzugewinnen, schafften nicht nur dies, sondern sie hätten auch noch mehr Sitze besetzt, wenn solche zur Verfügung gestanden hätten. Stefan Moos (FDP) schaffte nämlich das absolute Mehr, schied aber als überzähliger und sechster gewählter Stadtrat quasi auf der Ziellinie aus.

Partei setzt auf Birchmeier

Daraus folgt: Im Rennen um den fünften Stadtratssitz hat die zweite freisinnige Kandidatin Eliane Birchmeier die besten Chancen. Die Parteibasis hatte sie knapp Stefan Moos als Kandidatin vorgezogen. Und dies, obwohl sie weniger bekannt ist als Moos, der bereits seit 16 Jahren Lokalpolitik macht.

Aber sie hat einige Vorteile: Zum einen ist sie eine Frau und kann gegen linke Kandidatinnen für die Dolfi-Müller-Nachfolge den Frauenbonus ausspielen. Ursprünglich hatte neben Astrid Estermann (ALG) ja auch Barbara Gysel (SP) für den Stadtrat kandidiert.

Grosser Heimvorteil

Zweitens wohnt Birchmeier seit Langem im Herti-Quartier. Das ist das grösste Viertel in Zug, in dem ausserdem der Anteil der Schweizer an der Wohnbevölkerung am höchsten ist und viele Angestellte wohnen, die eigentlich SP oder SVP wählen. Die aber diesmal auch ihre Nachbarin auf die Wahlliste schreiben könnten.

Birchmeier ist im Herti-Quartier gut vernetzt und im Quartierverein tätig. Sonst eher auf der rechtsfreisinnigen Generallinie der FDP Schweiz politisierend, hat sich die PR-Spezialistin in den vergangenen Monaten vor allem für familienergänzende Kinderbetreuung stark gemacht – und dabei Töne angeschlagen, die jeder Linken gut anstehen würden.

Philip C. Brunner ist bekannt

Bekannter als Birchmeier wäre ohne Zweifel Philip C. Brunner, der ebenfalls als zweiter Kandidat seiner Partei für den Stadtrat antritt. Der Hotelier und Präsident der Stadtzuger SVP ist schon lange im Polit-Geschäft. Seine Fähigkeit zum Frei- und Querdenken wird auch von politischen Gegnern anerkannt. Auch den Gestaltungswillen, den ein Stadtrat braucht, bringt Brunner mit.

Aber er fühlt sich eben auch im rechten politischen Spektrum wohl und hat die Lust auf Provokation nie verloren. Die darf zwar ein Legislativpolitiker ausleben, aber ein Exekutivpolitiker sollte sie möglichst unterdrücken, um keine möglichen Wähler vor den Kopf zu stossen. 

Als Brunner heuer etwa im Kantonsparlament die Abschaffung des Krankenkassen-Obligatoriums forderte, da war dies eine jener Aktionen, die verhindern, dass er viele Stimmen von ausserhalb der SVP erhält – die er für die Wahl in den Stadtrat aber dringend benötigen würde.

Ein zweiter Wahlgang ist gut denkbar

Nun lässt sich über die Wahlchancen der neuen Stadtratskandidaten spekulieren, aber ob sie wirklich im ersten Wahlgang gewählt werden, ist eher unwahrscheinlich. Und für den zweiten Wahlgang wird sich die Ausgangslage verändern.

Denn Birchmeier, die verschiedene Vorzüge hat, aber vergleichsweise wenig profiliert ist und auch nicht aus einer alten Zuger Familie stammt wie etwa ihr Parteikollege Stefan Moos, müsste das absolute Mehr auf Anhieb erreichen. Ebenso wie Philip C. Brunner, der indes polarisiert. Über 3000 Stimmen sind für beide eine hohe Hürde – angesichts der Tatsache, dass es noch weitere Kandidaten mit einem langen Atem und echten Wahlchancen gibt.

Unterschätzter Ersatzmann

Denn die grosse Unbekannte bei den Wahlen stellt das Abschneiden des Sozialdemokraten Rupan Sivaganesan dar. Er ist aus der zweiten Reihe in den Wahlkampf gestartet. Dies, nachdem sich die SP-Stadtratskandidatin Barbara Gysel nach dem späten Verzicht der bisherigen ALG-Regierungsrätin Manuela Weichelt entschieden hatte, für die Kantonsregierung anzutreten, um dort eine reine Männerregierung zu verhindern.

«Rupan», wie der Politiker wegen seines schwierig auszusprechenden tamilischen Familiennamens meist genannt wird, wird unterschätzt. Der farbige Politiker, der als 15-Jähriger in die Schweiz kam, hatte bei seinem ersten Antreten in der Politik 2006 für die ALG nicht nur den Sprung ins Stadt-, sondern auch grad noch ins Kantonsparlament geschafft und ist dort seit drei Amtsperioden etabliert.

Grosser Einsatz im Strassenwahlkampf

Zwar wurde Sivaganesan, der eine eigene politische Agenda verfolgt, die oft mit Integrationsfragen zu tun hat, in der Zwischenzeit von Kaderleuten der Grünalternativen aus der Partei und zum Wechsel zur SP gedrängt. Aber er wird nach wie vor von der Basis der ALG unterstützt. Der GGZ-Teamleiter ist im Wahlkampf äusserst fleissig und dauernd auf den Strassen von Zug anzutreffen. Das wird ihm wohl einige Stimmen aus der politischen Mitte bringen. Dennoch bleibt es wenig wahrscheinlich, dass ihm der Sprung in den Stadtrat am 7. Oktober im ersten Anlauf gelingt.

Mit «Muskel-Power» statt mit »Money-Power» ist Rupan Sivaganesan, Zuger SP-Kandidat für den Stadtrat und fürs Stadtpräsidium, im Wahlkampf unterwegs.

Mit «Muskel-Power» statt mit »Money-Power» ist Rupan Sivaganesan, Zuger SP-Kandidat für den Stadtrat und fürs Stadtpräsidium, im Wahlkampf unterwegs.

(Bild: zvg)

Estermanns verheissungsvolle Ausgangslage

Weiter geht’s zu Astrid Estermann, der Spitzenkandidatin der Grünen – die Alternativen. Als sie im vergangenen November ihre Kandidatur für den Stadtrat bekanntgab, klang das wie eine gute Idee. Sie hatte bereits vor 12 Jahren für die Stadtregierung kandidiert. Estermann sitzt seit 15 Jahren im Stadtparlament. Sie ist zweimal für die Grünalternativen bei Nationalratswahlen angetreten, was ihre Bekanntheit noch befördert hat.

Weil die SP mit der Nominierung für die Dolfi-Müller-Nachfolge zuwartete, traute man Estermann im vergangenen Winter zu, den zweiten linken Stadtratssitz zu erobern. Doch seither hat sich vieles bewegt im Wahlkarussell.

Vier weibliche Kandidaten

Estermann ist einer von vier weiblichen Kandidaten für die fünfköpfige Stadtregierung. Falls es so etwas wie einen Frauenbonus gibt, dann verteilt sich der auf viele Köpfe. Ausserdem ist mit Rupan Sivaganesan ein zweiter Kandidat mit dem gleichen politischen Stallgeruch aufgetaucht.

Astrid Estermann (ALG).

Astrid Estermann (ALG) am Rednerpult, vorne Karl Kobelt (FDP, links) und André Wicki (SVP).

(Bild: mam)

Eine beträchtliche Zahl an Wählern schreibt fünf Namen auf ihre Wahlliste für den Stadtrat – davon vielleicht zwei Linke, weil sie denken, dass sie aufgrund ihres Wähleranteils diese Zahl von Sitzen verdienen. Doch bei diesem Klientel laufen sich Kandidaten aus der gleichen politischen Ecke den Rang ab. Kandidaten links der Mitte gibt’s vier und Astrid Estermann ist nur eine davon. Entscheidend wird also sein, wie viel Unterstützung ausserhalb ihrer politischen Heimat sie erhält.

Dezidiert links

Bisher hat Astrid Estermann entschieden links-ökologisch politisiert. Mit ihrem Engagement für die schützenswerte Gartenstadt könnte sie auch über die Parteigrenzen hinaus Stimmen sammeln. Doch eigentlich müsste sie für eine Exekutivwahl im Mehrheitswahlrecht noch mehr Berührungspunkte mit der Mitte der Gesellschaft geltend machen. Beruflich hat sich die sympathische Sozialarbeiterin zur Unternehmerin gewandelt – politisch steht eine Öffnung noch aus.

 

 

 

Grünliberale ohne Chance

Letzte Kandidatin für den Stadtrat ist Nicole Zweifel, die seit einer Legislatur für die Grünliberalen im Stadt- und Kantonsparlament sitzt. Die Raumplanerin und Betriebswirtschafterin politisiert sehr nüchtern – ihre Voten in den Parlamenten sind nicht emotional, sondern technokratisch.

Bei den Wahlen 2014 hatte Michèle Kottelat für die Grünliberalen beinahe so viele Stimmen wie die Zweitkandidaten von links und rechts gemacht. Obwohl sie am Schluss der Rangliste landete, gelang ihr ein Achtungserfolg. Das wird Zweifel diesmal wohl nicht schaffen – dazu ist sie noch zu wenig bekannt.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Stefan W. Huber
    Stefan W. Huber, 19.09.2018, 16:24 Uhr

    Ebenfalls eine Korrektur – meine grünliberale Parteikollegin und Stadtratskandidatin Nicole Zweifel ist seit einer Legislatur im Kantons-, jedoch (noch) nicht im Stadtparlament.

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  • Profilfoto von Yannick Ringger
    Yannick Ringger, 19.09.2018, 15:20 Uhr

    kleine Korrektur: Die SP ist seit 100 Jahren fast ununterbrochen im Stadtrat vertreten – mit Ausnahme der Legislatur von 1975-79 …

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