In CVP-Hochburg wählten nur 18 Prozent

Das Schweigen der Littauer: Grund für Roths Klatsche?

Stefan Roth (ganz links) unter Littauern: Auf einem Ausflug des «5er-Club FC Littau» 2009.

(Bild: zvg)

Im bürgerlichen Stadtteil Littau ist die Stimmbeteiligung im freien Fall: Am Sonntag ging nur noch jeder Fünfte an die Urne. Darunter gelitten hat speziell der in Littau wohnhafte Stadtpräsident Stefan Roth – er muss in den zweiten Wahlgang. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum Roth ein Debakel erlitten hat und im ersten Wahlgang nicht gewählt wurde.

Als am letzten Sonntag im Stadthaus die Resultate der Stadtratswahlen bekanntgegeben wurden, überraschte vor allem eines: Das schlechte Resultat von Stadtpräsident Stefan Roth. Er erhielt rund 1200 Stimmen zu wenig, um die Wahl im ersten Wahlgang zu schaffen (zentralplus berichtete).

Besonders schnell rechnete am Sonntag Beat Krieger. Der ehemalige Littauer CVP-Gemeinderat (wie Stefan Roth auch) sagte nach einem Blick auf die Resultate: «Hätten mehr Littauer gewählt, hätte auch Stefan Roth ein besseres Resultat gemacht.» In der ehemals selbstständigen Gemeinde Littau, die 2010 mit Luzern fusionierte, sind traditionellerweise die CVP und die SVP die stärksten Parteien – in der Stadt Luzern sind es SP und FDP.

«Das ist ja grauenhaft.»

SP-Grossstadträtin Theres Vinatzer über die tiefe Littauer Stimmbeteiligung

Und tatsächlich: Im Ortsteil Littau war die Wahlbeteiligung historisch tief: Nur gerade 18,35 Prozent aller ehemaligen Littauerinnen und Littauer gingen an die Urne. Vor vier Jahren waren es noch knapp 30 Prozent. Im gesamtstädtischen Durchschnitt betrug die Wahlbeteiligung 37,5 Prozent.

SP-Grossstadträtin Theres Vinatzer wohnt in Reussbühl und war Littauer Einwohnerrätin.

SP-Grossstadträtin Theres Vinatzer wohnt in Reussbühl und war Littauer Einwohnerrätin.

(Bild: zvg)

«Das ist ja grauenhaft», entfährt es der abtretenden SP-Grossstadträtin Theres Vinatzer (Bild), als sie von der tiefen Wahlbeteiligung hört. Auch sie war schon vor der Fusion in der Littauer Kommunalpolitik engagiert. Und sie ist erstaunt: «Es gab doch fast jedes Wochenende Standaktionen von Parteien. Ehrlich gesagt, bin ich etwas ratlos».

Politologe: «Normalerweise aktivieren Fusionen die Wähler»

Auch der Politologe Andreas Ladner von der Universität Lausanne ist überrascht. Die Littauer Stimmbeteiligung  von 18 Prozent sei für Kommunalwahlen «sehr, sehr tief». Schon die 37 Prozent der Stadt Luzern seien wenig. Normalerweise führten Gemeindefusionen eher zu einer Aktivierung der Wählerschaft. Ladner: «Entweder sind die Littauer einfach zufrieden mit der Politik der Stadt. Oder sie haben das Gefühl, sowieso nichts ändern zu können.»

«Aus meiner Sicht gibt es wenig Grund, mit der Politik der Stadt unzufrieden zu sein», findet Theres Vinatzer. Zwar habe sich diese mit der vorgeschlagenen Schliessung der Bibliothek Ruopigen und der Kürzung der Beiträge ans Zentrum St. Michael zunächst nicht beliebt gemacht, aber: «Das ist vergessen. Am Schluss hat die Stadt ja doch immer auf unsere Einwände gehört.»

Alt-Gemeinderat und FC-Präsident Beat Krieger mit Junioren des FC Littau.

Alt-Gemeinderat und FC-Präsident Beat Krieger mit Junioren des FC Littau.

(Bild: zvg)

Littauer stecken in «Identitätskrise»

Littau habe insbesondere finanziell von der Fusion profitiert, findet auch Beat Krieger: «Das schleckt keine Geiss weg». Trotzdem seien die Littauer mit der Politik der Stadt unzufrieden, glaubt Krieger. In der Verkehrspolitik etwa ticke man anders als «die da unten in der Stadt», sagt Krieger: «Das sind zwei Welten.» Dass man dies nicht mehr auf eigene Faust ändern könne, führe zu Resignationsgefühlen.

Stefan Lingg stimmt dem zu. Er ist Kirchenratspräsident von Littau und Vize-Präsident des Quartiervereins Matt: «Dass wir eh nichts verändern könnten, höre ich ab und zu.» Beat Krieger diagnostiziert bei Littau seit der Fusion mit Luzern eine «Identitätskrise»: Viele ehemals engagierte Littauerinnen und Littauer würden keine Ämter mehr ausüben und auch nicht für den Grossstadtrat kandidieren: «Darum hat die Mobilisierung nicht funktioniert.»

Drei ehemalige Littauer CVP-Gemeinderäte auf einmal: Beat Stocker, Beat Krieger und Stefan Roth (v.l.n.r.)

Drei ehemalige Littauer CVP-Gemeinderäte auf einmal: Beat Stocker, Beat Krieger und Stefan Roth (v.l.n.r.)

(Bild: zvg)

Stapi Roth nicht mehr der Beliebteste

Doch nicht nur die tiefe Stimmbeteiligung fällt auf: Stapi Stefan Roth, der am Sonntag eine Klatsche erlitt, hat auch in seiner Heimat Littau an Popularität verloren. War er bei den letzten Wahlen 2012 in Littau noch der beliebteste Stadtrat, erhielt er diesmal nur am zweitmeisten Stimmen.

FDP-Sozialdirektor und Wäsmelianer Martin Merki ist im ehemaligen Littau an Roth vorbeigezogen: Er erhielt 1233 Littauer Stimmen, Roth hingegen nur noch 958. 2012 hatte Roth noch 1302 Stimmen erhalten, Merki 1219.

 

Wieso hat Stefan Roth seine Hausmacht eingebüsst? Hat sich der Stadtpräsident in Littau unbeliebt gemacht? Beat Krieger muss es wissen. Seit 42 Jahren ist er Lehrer im Dorf, seit 10 Jahren Präsident des FC Littau und während fast 20 Jahren war er Gemeinderat in Littau. «Das ist kein Votum gegen Stefan Roth, sondern eines für Martin Merki», meint der Ex-CVP-Politiker. Merki habe sehr gute Arbeit geleistet und sei auch auf der SVP-Liste empfohlen worden – Roth hingegen nicht.

«Vor vier Jahren hat man sich möglicherweise mehr erhofft.»

Kirchenratspräsident Stefan Lingg über den Littauer Stefan Roth als Stapi

Möglicherweise habe es aber schon einen Einfluss gehabt, dass man Roth im Dorf stärker wahrgenommen habe, als dieser noch Gemeindeammann von Littau war, glaubt Beat Krieger: «Dass Stefan Roth als Stadtpräsident nicht nur für Littau da sein kann, war möglicherweise nicht allen Leuten klar.» Und Kirchenratspräsident Stefan Lingg ergänzt: «Vor vier Jahren hat man sich da möglicherweise mehr erhofft.»

Stefan Roth (links) mit Ruth Bättig, ehemalige Präsidentin des Einwohnerrates Littau, Claire Dotta und (dem mittlerweilen verstorbenen) Vater Hans Roth nach seiner Wahl vor dem Littauer Schulhaus.

Stefan Roth (links) mit Ruth Bättig, ehemalige Präsidentin des Einwohnerrates Littau, Claire Dotta und (dem mittlerweilen verstorbenen) Vater Hans Roth nach seiner Wahl vor dem Littauer Schulhaus.

(Bild: Beat Krieger)

Entscheiden Littauer die Stapi-Wahl?

Allerdings: Auch die Littauerinnen und Littauer hätten Roth nicht alleine aus der Patsche helfen können. Hätte Roth am Sonntag in Littau gleich viele Stimmen geholt wie sein FDP-Kollege Martin Merki, läge er immer noch deutlich unter dem absoluten Mehr. Der Littauer Stefan Roth hat die entscheidenden Stimmen also bei den Städtern verloren.

Und was wäre gewesen, wenn Littau für seinen Stapi Roth mobilisiert hätte? Wenn jeder zweite Littauer, jede zweite Littauerin an die Urne gegangen wäre? Dann hätte Roth die 9888 Stimmen zwar erreicht, aber weil mit mehr Wählern auch das absolute Mehr höher ist, müsste Roth dennoch in einen zweiten Wahlgang. Eine Schmach hätte eine höhere Beteiligung seiner Littauer Roth jedoch erspart: Er wäre im Rennen ums Stadtpräsidentenamt vor SP-Mann Beat Züsli rangiert, und nicht hinter diesem. Das könnte dann für die definitive Entscheidung ums Stadtpräsidium am 5. Juni wichtig werden.

Dass man als Littauer bei den Luzerner Kommunalwahlen übrigens nicht auf verlorenem Posten ist, beweisen drei andere CVP-Kandidierende: Mirjam Fries, Agnes Keller und Roger Sonderegger – alle aus Littau – machten das beste Resultat auf der Liste der CVP.

Roth holte links und rechts zu wenig Stimmen

Nur etwa 7 Prozent aller Wählerinnen und Wähler, die eine unveränderte Liste einlegten, legten bei den Stadtratswahlen die CVP-Liste ein. Will heissen: Nur jeder vierte CVP-Wähler legte auch die unveränderte Liste seiner Partei ein. Das zeigt die detaillierte Auswertung der Listenstimmen. Die meisten anderen Parteigänger folgten den Vorschlägen ihrer Partei viel besser. Offenbar wollten viele CVP-Wähler neben den CVP-Vorschlägen Stefan Roth, Karin Stadelmann und Martin Merki noch weitere Kandidaten wählen. Etwa SVP-Kandidat Peter With, SP-Mann Beat Züsli oder GLP-Baudirektorin Manuela Jost. Die Wähler der anderen Parteien, insbesondere die linken Wähler, verspürten deutlich weniger Lust, weitere Kandidierenden als ihre eigenen zu wählen.

Keine Regel ohne Ausnahme: Manuela Jost war auf fast keiner offiziellen Liste – wurde jedoch am häufigsten von allen Kandidierenden zusätzlich auf fremde Listen geschrieben: Sie erhielt 6252 Stimmen von veränderten Listen. Das lässt sich aus der Auswertung der Kandidierendenstimmen herauslesen. Stefan Roth gelang dies nicht. Er erhielt deutlich weniger Stimmen von fremden Parteigängern (4722) als FDP-Mann Martin Merki (5979). Überraschenderweise, denn Roth hätte, rein rechnerisch, leichter fremde Stimmen holen können:

  • Martin Merki wurde von der CVP, der FDP und der SVP unterstützt. Die Wähler dieser Parteien mussten seinen Namen also nicht mehr zusätzlich auf die Liste schreiben. Das heisst auch: Die fast 6000 zusätzlichen Stimmen, die Merki von veränderten Listern erhalten hat, kamen von Wählern der GLP, der Grünen und der SP (und wohl auch von FDP-Listen, von denen SVP-Mann Peter With gestrichen worden war).
  • Stefan Roth hingegen wurde nur von der CVP und der FDP offiziell unterstützt. Die nur rund 4700 Stimmen, die er von anderen Listen erhielt, verteilen sich also auf Wähler der GLP, der Grünen, der SP und der SVP. Dass er dort dennoch deutlich weniger Stimmen gemacht hat als Merki, zeigt, dass Roth ausserhalb der Mitte weniger Unterstützung genossen hat.

Interessantes zeigt sich auch aus dem Direktvergleich zwischen Stefan Roth und SVP-Kandidat Peter With. Beide waren von gleich wählerstarken Parteien unterstützt worden (Roth: CVP+FDP = With: SVP+FDP). Demzufolge machten sie auf unveränderten Listen ungefähr gleich viele Stimmen (Roth: 4000, With: 3600. Der kleine Unterschied dürfte sich daraus erklären, dass Roth zusätzlich auf einer parteiunabhängigen «Bisherigen-Liste» aufgeführt war, With aber nicht. Und darauf, dass mehr SVP-Wähler Martin Merki von ihrer Liste strichen, als CVP-Wähler dies taten.)

Roth machte auf den veränderten Listen jedoch deutlich mehr Stimmen als With: Roth 4700, With 3200. Das erklärt sich einerseits daraus, dass Roth ausserhalb seines Mitte-Lagers mehrheitsfähiger war als With ausserhalb seines Mitte-Rechts-Lagers. Andererseits dürfte sich die Differenz von 1500 Stimmen auch mit jenen FDP-Wählern erklären, die With nicht wählen wollten und ihn von ihrer Liste strichen, gleichzeitig Roth aber auf ihrer Liste behielten. Diese Stimmen fehlten With und wurden Roth als veränderte Listenstimmen angerechnet.

Die linken Kandidaten Adrian Borgula und Beat Züsli waren übrigens deutlich mehrheitsfähiger als Roth und With: Sie erhielten die Stimmen von je zirka 5400 Wählern, auf deren Liste sie nicht aufgedruckt waren – also bürgerlichen Wählern. Züsli erhielt etwas mehr Stimmen aus dem bürgerlichen Lager, Borgula mehr von den Linken.

Fazit: Die Wählerinnen und Wähler der Mitte-Parteien CVP und FDP waren, zumindest auf Exekutivebene, eher bereit, ihre jeweils gegenseitigen Kandidaten zu unterstützen oder Manuela Jost von der GLP, als Peter With, den Kandidaten der SVP. Ganz im Widerspruch zu den FDP-Strategen, die lieber Bündnis mit der SVP als mit der CVP oder der GLP eingegangen waren.

Sogar die linken Kandidaten erhielten aus dem Mitte-Lager mehr Stimmen als Peter With. Dass die CVP auf Geheiss der Parteileitung im zweiten Wahlgang nun genau diesen unterstützt (und auf Gegenrecht zählt), zeigt, wie sehr die CVP mit dem Rücken zur Wand steht.

Die Basis indes wird sich an die Empfehlung von oben nicht halten und Manuela Jost statt Peter With wählen. Der Parteileitung könnte das herzlich egal sein, würde sie mit dem bürgerlichen Päckli bei den Stadtratswahlen contre cœur nicht als opportunistisch dastehen.

Auch wenn SVP-Kandidat Peter With nicht gewählt wird, was heute wahrscheinlich scheint, ist seine Partei lachende Dritte der linken Ohrfeige an Stefan Roth: Mit der offiziellen CVP-Empfehlung erscheint die SVP, die in Totalopposition zur städtischen Politik agiert, als salonfähige, valable Alternative. Die CVP sät Wind und könnte Sturm ernten.

Peter With wird die Bühne des zweiten Wahlganges nämlich nutzen können und sich weiter als Kandidat für die Zukunft profilieren. Was das bringt, zeigt das Beispiel von Beat Züsli: Er trat vor vier Jahren ebenfalls erfolglos an, heute ist er Stadtrat nach einem Wahlgang. Tritt Stefan Roth dereinst zurück, steht Peter With in den Startlöchern.

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