Sommaruga am Europa Forum Luzern

«Die Zeiten für kühne Abenteuer in der Ferne sind vorbei»

Bundesrätin Simonetta Sommaruga ist die erste Rednerin am Europa Forum 2022 in Luzern. (Bild: kok)

Simonetta Sommaruga ist am Europa Forum zu Besuch in Luzern gewesen. Ihre Botschaft? Sich auf Europa rückbesinnen, unabhängig von Autokratien werden und Pioniergeist fördern – im Kampf gegen den Klimawandel.

Der Saal ist dunkel, auf einem breiten Bildschirm laufen Bilder. Menschen, Berge, Krieg, Hände, ernste Gesichter. Dazu ein dröhnender Bass und eine Stimme, die auf Englisch bedeutungsschwere Worte spricht. Europa, Herausforderungen, Chancen, Zusammenarbeit. Dann tauchen auf dem Schirm drei rote Worte auf und die Musik verebbt: «Let Europe Arise».

So beginnt das Europa Forum 2022 im KKL. Das jährlich stattfindende Meeting von grossen Namen aus der Politik und Wirtschaft steht dieses Jahr ganz im Zeichen der «Millennials». Junge Menschen, die um die Jahrtausendwende herum geboren sind und einen Platz am Tisch verlangen. Klimakrise, soziale Krise, Krieg in Europa – all die Herausforderungen, in denen Europa steckt, sollen und wollen gelöst werden. Mit der Hilfe der Jugend.

«Europäische Werte sind global gesehen Schweizer Werte», betont Dominik Isler, Präsident des Europa Forums in seiner Eröffnungsrede. Es gelte, was immer schon galt: Die Schweiz müsse Europa stärken, um sich selbst zu stärken. Deswegen auch das diesjährige Motto «Let Europe Arise» – diese Worte hat Winston Churchill 1946 an Studenten der Universität Zürich gerichtet.

Sommaruga ist zu Scherzen zumute – trotz Krieg

Simonetta Sommaruga betritt die Bühne und beginnt mit einem Witz. Ein Schweizer und ein englischer Politiker stehen vor Gott. Der Engländer fragt, wann sein Land endlich den Euro bekommt und Gott antwortet: «Nicht in deiner Amtszeit.» Daraufhin fragt der Schweizer Politiker, wann sein Land endlich der EU beitritt und Gott antwortet: «Nicht in meiner Amtszeit.»

Der Saal lacht, Sommaruga lächelt zurück. Dann wird sie ernst und sagt: «Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Krieg in Europa haben.» Und seine Auswirkungen sind spürbar (zentralplus berichtete). Bei der Energie, bei der Sicherheit – selbst die Schweiz wolle mehr Geld fürs Militär. In dieser Lage sei es Zeit, zu den Grundfragen zurückzukehren: «Wo gehören wir hin? Wo sind unsere Verbündeten? Wie können wir unsere Bedürfnisse wirkungsvoll umsetzen?»

Ein Appell zur Rückbesinnung auf Europa

Die Schweiz habe sich lange in alle Himmelsrichtungen orientiert. Mit den USA und Indien seien die Freihandelsabkommen zwar gescheitert, dafür unterzeichnete die Schweiz Verträge mit Indonesien und China. Selbst das umstrittene Seidenstrassenprojekt der Chinesen unterstütze die Schweiz.

«Wir haben voll auf die Globalisierung gesetzt, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch», fährt Sommaruga fort. Die Geschichte der Schweiz sei nicht nur rühmlich, gibt Sommaruga zu. Die Schweiz habe viel von den offenen Grenzen profitiert und Investoren aus aller Welt angelockt. «Wir waren dabei nicht besonders wählerisch.»

Bundesrätin Simonetta Sommaruga fordert «eine Rückbesinnung zu Europa»
Bundesrätin Simonetta Sommaruga fordert «eine Rückbesinnung zu Europa». (Bild: kok)

Doch die Globalisierung stosse an ihre Grenzen. Wandel durch Handel habe sich als Illusion entpuppt. Heute gibt es mächtige Autokratien, die europäische Werte nicht teilen und trotzdem auf dem Weltmarkt bestehen. Die Frage müsse lauten: «Stimmt unser aussenpolitischer Kompass noch?»

«Wenn Globalisierung dazu führt, dass autokratische Staaten gegenüber uns am längeren Hebel sitzen, ist es Zeit, einige Überzeugungen zu hinterfragen.»

Simonetta Sommaruga, Bundesrätin SP

Sie antwortet mit einem Nein. Die Welt besteht aus neuen Machtblöcken, deren Konfrontation sich verschärft. Autokratien auf der einen und Demokratien auf der anderen Seite. In dieser Welt könne die Schweiz nicht sagen, sie sei «blockfrei», betont die Bundesrätin. Im Angesicht der Herausforderungen dürfen wir «nicht blauäugig sein».

Die Schweiz stehe für Demokratie und ein friedliches Nebeneinander von Staaten. Das müsse die Hauptbotschaft in der Aussenpolitik werden. «Die Zeiten für Schwärmereien und kühne Abenteuer in der Ferne sind vorbei.» 30 Jahre nach dem Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) fordert Simonetta Sommaruga eine «Rückbesinnung auf Europa».

Unabhängig von Autokratien und Energielieferungen werden

Die gegenwärtige Energiekrise sei nur ein Beispiel für Problemfelder, in denen Autokraten Macht ausüben. «Wenn Globalisierung dazu führt, dass autokratische Staaten gegenüber uns am längeren Hebel sitzen, ist es Zeit, einige Überzeugungen zu hinterfragen.»

Deshalb gelte nun: im Energiesektor unabhängig werden, einheimische Energien fördern, die Schweizer Infrastruktur schützen, Privatisierungen im öffentlichen Sektor entgegentreten und dazu Sorge tragen, dass Schlüsselindustrien in der Schweiz und in Europa bleiben. Wegen letzterem begrüsst sie das neue Vetorecht des Bundesrats, das ihm erlaubt, beim Verkauf von Schlüsselindustrien mitzusprechen.

«Jetzt ist Zeit für Pioniergeist.»

Für diesen Winter will die Bundesrätin keine Entwarnung geben. Wir hätten zwar «gewisse Polster», diese seien vom Bundesrat aber teuer bezahlt worden. Es dürfe nicht vergessen werden, dass wir immer noch Krieg in Europa haben und sich alles schnell ändern könne. Auch die kommenden Jahre werden nicht leichter.

Klimakrise bekämpfen ist für die Schweiz besonders wichtig

Auf die Klimakonferenz letzte Woche in Ägypten angesprochen, betont die Bundesrätin die Bedeutung des Pariser Klimaabkommens für die Schweiz. «Wir sind ein Alpenland und somit von der Klimakrise massiv betroffen. Bei uns wird die Temperatur doppelt so stark steigen wie im globalen Durchschnitt.»

Mit Blick in den Saal sagt sie: «Jetzt ist Zeit für Pioniergeist.» Wie etwa bei der Kohlekrise während des Ersten Weltkriegs. Damals hatte die Schweiz massiv in Wasserkraft und die Elektrifizierung der Bahn investiert. «Heute sind wir unseren Vorfahren dankbar», meint Sommaruga. Sie will, dass ihre Nachfahren einmal ähnlich gut auf ihre Generation zurückblicken.

Simonetta Sommaruga empfiehlt jungen Menschen, sich «einzumischen».
Simonetta Sommaruga empfiehlt jungen Menschen, sich «einzumischen». (Bild: kok)

Auch mit der EU stehen die Zeichen trotz des geplatzten Rahmenabkommens gut. Die Verantwortlichen in der Kommission hätten akzeptiert, dass die Schweiz über einzelne Vertragspunkte separat verhandeln möchte. Beim derzeitigen Streit um das Stromabkommen habe sie aber wenig Verständnis für die EU. Es gehe darum, auf technischer Ebene zusammenzuarbeiten. Warum sich die Kommission dagegenstellt, könne sie nicht verstehen.

Die Jugend soll sich einmischen

Den anwesenden «Millennials» empfiehlt sie: «Mischt euch ein! Bringt euch ein! Meldet euch!» Sie selbst sei in einem Haus für Frauen mit Gewalterfahrungen politisiert worden. Dort hätte sie gelernt: Wenn man etwas verändern möchte, muss man sich einmischen. In der Schweiz gehe das, im Gegensatz zu Ländern wie dem Iran oder Ägypten. «Das muss man nutzen.»

Ihren Rücktritt sieht Frau Sommaruga daher auch recht entspannt. Da in der Schweiz «jeder und jede ein kleines bisschen Bundesrat ist», werde sich gar nicht so viel ändern, sagt sie scherzhaft. Sie könne weiter mitgestalten. Nur jetzt mit allen zusammen.

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