Luzerner Polizeigesetz

Damoklesschwert über Demo-Veranstaltern

Bewilligte Demo von Mittelschülern in Luzern. Es gab keine Probleme. Doch künftig schwebt über Demo-Organisatoren ein Damoklesschwert.

(Bild: zvg)

Demo-Veranstalter sollen künftig bis zu 30’000 Franken an die Polizeikosten zahlen, wenn eine Kundgebung aus dem Ruder läuft. So sieht es das geänderte Luzerner Polizeigesetz vor. Schon jetzt ist klar: Dieses Polizeigesetz wird nur selten angewendet werden. Und trotzdem die Grundrechte schwächen − per Abschreckung.

Eine Demo eskaliert. Zerstörte Schaufenster, verschmierte Bankfassaden, brennende Abfallcontainer. Der Demo-Veranstalter hat die Teilnehmer nicht im Griff, sein Ordnungsdienst versagt, die Polizei muss mit einem Grossaufgebot Ruhe und Ordnung wieder herstellen. Für die Kosten des Polizeieinsatzes soll jetzt der Demo-Veranstalter bluten. Er soll mitzahlen, und zwar deftig.

Das ist wohl das Szenario, das der Luzerner Kantonsrat vor Augen hatte, als er 2009 gegen den Widerstand der SP und der Grünen die Überwälzung der Polizeikosten auf Veranstalter von politischen Demonstrationen durchwinkte. Und der Kantonsrat scheint seine Ziele zu erreichen: Das geänderte Polizeigesetz, das neu die Kostenüberwälzung möglich macht, ist derzeit in der Vernehmlassung (die Vernehmlassungsvorlage gibt es hier).

Kostenüberwälzung mit Vorgeschichte

Die Änderung des Polizeigesetzes geht auf ein Postulat des CVP-Kantonsrates Hans Aregger zurück. Der Bauunternehmer aus Buttisholz, der am rechten Flügel der CVP politisiert, verlangte, dass sich bei Ausschreitungen nicht nur der FCL, sondern auch Veranstalter von bewilligten Demonstrationen an den Polizeikosten beteiligen müssen. Die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat winkte die Forderung durch.

Eine erste Verordnung der Luzerner Regierung wurde nach einer Beschwerde der Luzerner Sektion der Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) vom Luzerner Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Das Gericht rügte unter anderem, dass der Kreis der Gebührenpflichtigen und die Höhe der Kostenüberwälzung nicht klar geregelt seien. Dies könne Veranstalter davon abhalten, von ihren Grundrechten auf Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit Gebrauch zu machen.

Nun hat die Regierung nachgebessert. Der neue Entwurf des Gesetzes über den Kostenersatz für Polizeieinsätze ist bis am 30. September in der Vernehmlassung.

Demo-Organisatoren als «Störer»

Das Vorhaben löst grosses Unbehagen aus. Denn mit der Kostenüberwälzung ist die Furcht verbunden, dass Bürgerinnen und Bürger daran gehindert werden könnten, ihr Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit auszuüben.

Denn das geänderte Polizeigesetz sieht vor, dass Demo-Organisatoren neu als «Störer» gelten können, wenn eine Kundgebung eskaliert und die Bewilligungsauflagen nicht eingehalten werden. Als Auflagen gelten unter anderem Bestimmungen über den Zeitpunkt und die Route einer Demonstration sowie Vereinbarungen über den eigenen Ordnungsdienst oder etwa das Vermummungsverbot.

Dem sogenannten «Störer», ein juristischer Begriff, können bis zu 40 Prozent der zusätzlichen Polizeikosten oder maximal 30’000 Franken überwälzt werden. Zusätzlich müssen sich auch einzelne Demonstranten mit bis zu 4’000 Franken an den Polizeikosten beteiligen.

Allerdings wird die Kostenüberwälzung nur wirksam, wenn der Demo-Organisator vorsätzlich oder grobfahrlässig die Bewilligungsauflagen nicht einhält. Darum ist Reto Ruhstaller vom Rechtsdienst des Justiz- und Sicherheitsdepartementes überzeugt, «dass die Kostenüberwälzung auf Demo-Veranstalter nur selten angewendet wird.» Die neue Bestimmung, glaubt Ruhstaller, «wird schon im Vorfeld einer Demonstration eine präventive Wirkung auf die Veranstalter entfalten.»

Beeinträchtigung von Grundrechten

Genau diese präventive Wirkung kritisiert Markus Husmann, Vorstandsmitglied der Sektion Luzern der Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS). Der Assistent an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Fribourg führt das so aus: «Die Kostenüberwälzung kann dazu führen, dass Veranstalter nicht mehr von ihrem verfassungsmässig garantierten Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit Gebrauch machen.» Im Gegensatz zur ersten Auflage des Vorhabens seien zwar gewisse Mängel behoben worden (siehe Box), doch das grundsätzliche Problem der Abschreckungswirkung bei der Ausübung von Grundrechten bleibe bestehen.

Markus Husmann verweist auf eine ganze Reihe von Schwierigkeiten bei der Kostenüberwälzung. «Oft sind Demo-Veranstalter kleine Vereine mit nur einem Dutzend Mitgliedern. Sie können unmöglich Kosten von bis zu 30 000 Franken schultern, dieser Betrag ist viel zu hoch.» Ausserdem, fügt Markus Husmann bei, könne ein Demo-Veranstalter nicht alle Eventualitäten voraussehen.

«Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch eine Demonstration organisieren würde, wenn das Vorhaben mit so vielen Unsicherheiten belastet ist», meint Husmann. «Insgesamt wirkt vor allem der sogenannten Chilling effect, also die abschreckende Wirkung bei der Ausübung der Grundrechte.»

Änderung ist eine Gratwanderung

Reto Ruhstaller vom Rechtsdienst des Justiz- und Sicherheitsdepartementes räumt ein, dass das geänderte Polizeigesetz eine Gratwanderung sei. «Die Kostenüberwälzung soll präventiv wirken, gleichzeitig aber nicht von der Ausübung der Grundrechte abhalten. Entscheidend ist, dass wir die Prinzipien des öffentlichen Interesses, der gesetzlichen Grundlage und der Verhältnismässigkeit einhalten.»

In der Praxis liegt der Teufel im Detail. Denn wie das geänderte Polizeigesetz tatsächlich umgesetzt wird, ist offen. Die Kostenüberwälzung ist in einer Kann-Formulierung enthalten. Ob sie angewendet wird oder nicht, müssen Polizei und Gerichte jeweils von Fall zu Fall prüfen. Dabei sind ganz verschiedene Szenarien denkbar.

  • Szenario 1:

Am 1. Dezember 2007 veranstaltete die Aktion Freiraum eine unbewilligte Demo mit rund 800 Personen. Im Vögeligärtli wurden rund 250 Jugendliche von einem grossen Polizeiaufgebot eingekesselt und in die Zivilschutzanlage Sonnenberg verfrachtet. Kosten des Polizeieinsatzes: 150’000 Franken. Würde diese Demo unter dem geänderten Polizeigesetz stattfinden, müssten die Veranstalter laut Reto Ruhstaller keine Kosten übernehmen. «Es gab keinen Sachschaden. Das Fehlen einer Bewilligung reicht nicht aus für eine Kostenüberwälzung.»

  • Szenario 2:

Wegen den Sparmassnahmen des Kantons demonstrieren tausend Mittelschülerinnen und Mittelschüler vor dem Regierungsgebäude. Auf dem Rückweg in die Schulhäuser versprayen einzelne Schüler das Regierungsgebäude, die Post und den Bahnhof. Die Polizei bietet mehr Leute auf als geplant. Reto Ruhstaller zu diesem Beispiel: «Eher nicht kostenpflichtig.» Die Organisatoren würden nur kostenpflichtig, wenn sie die Auflagen (Ordnungsdienst) nicht eingehalten hätten.

  • Szenario 3

Eine antirassistische Gruppierung organisiert in Luzern eine bewilligte Demonstration. Zur Luzerner Gruppe gesellen sich kurzfristig auch gewaltbereite Antifa-Gruppen aus Bern und Zürich. Nach der Demo kommt es zu einer sogenannten Nachdemo mit Randale und grossen Sachbeschädigungen, die Polizei reagiert mit einem zusätzlichen Aufgebot. Reto Ruhstaller: «Wenn die Organisatoren alle Auflagen einhalten und die Nachdemo nicht vorhersehbar ist, gibt es keine Kostenüberwälzung auf die Organisatoren, jedoch auf die einzelnen Störer.»

Anwendung in Praxis offen

Sofern man sie erwischt. Die drei Szenarien zeigen: Es ist höchst ungewiss, in welchem Fall ein Veranstalter tatsächlich zusätzliche Polizeikosten übernehmen muss. «Es wird Praxisfragen geben, die man klären muss, wenn die Situation eingetreten ist», sagt Reto Ruhstaller vom Rechtsdienst des Justiz- und Sicherheitsdepartementes dazu. «Aber die Demo-Veranstalter wissen jetzt rechtsverbindlich, dass das Damoklesschwert über ihnen schwebt und dass sie, wenn sie die Bewilligungsauflagen einhalten, nichts zu befürchten haben.»

Für Markus Husmann von den Demokratischen Juristinnen und Juristen ist klar: Das geänderte Polizeigesetz löst bloss eine Phantomdiskussion aus. «Es gibt im Kanton Luzern kaum Demonstrationen mit Ausschreitungen.» Auch er meint, dass das geänderte Polizeigesetz nur selten angewendet werden kann. «Aber die Abschreckungswirkung besteht eben dennoch.» Husmann verweist auch darauf, dass als Folge unbewilligte Spontandemos, die über soziale Netzwerke organisiert würden, zunehmen könnten. «Dann ist niemand mehr greifbar. Und die Gefahr ist grösser, weil die Dynamik typischerweise schwerer kontrollierbar ist.»

Fragt sich bloss, wieso der Kantonsrat eine Verschärfung des Polizeigesetzes beschliesst, die in der Praxis kaum abschätzbare Folgen und Wirkungen hat. Markus Husmann von den Demokratischen Juristinnen und Juristen meint: «Es ist purer Populismus. Man gaukelt den Bürgerinnen und Bürgern mehr Sicherheit vor, und nimmt dabei in Kauf, dass die Grundrechte geschmälert werden.»

Wie es nun weitergeht, ist ungewiss. Das geänderte Polizeigesetz kommt nach der Vernehmlassung in den Kantonsrat. Danach ist ein Referendum möglich. Ob es ergriffen wird, ist offen. Ein weitere Möglichkeit ist, dass Gegner des geänderten Polizeigesetzes direkt ans Bundesgericht gelangen.

 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von tschovanni
    tschovanni, 26.06.2014, 18:00 Uhr

    seit neustem auch zu den Grundrechten? Fast könnte man diesen Eindruck erhalten wenn der Artikelschreiber von «Schmälerung der Grundrechte» schreibt.

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