Vier Erkenntnisse zum Abstimmungssonntag

Covid-Gesetz: Luzerner und Zuger Gemeinden kippen

In der Innerschweiz, hier in Zug, wurde mehrfach gegen die Corona-Politik des Bundesrates protestiert. Doch an der Urne kam das Covid-Gesetz gut an. (Bild: Andreas Busslinger)

Das Covid-Gesetz prägte den Abstimmungskampf und sorgte für eine hohe Stimmbeteiligung. Diese kam aber nicht den Gegnern zugute: Im Kanton Zug sind alle Neinsager-Gemeinden vom Juni ins Ja-Lager gekippt. Über die vermeintlich skeptische Zentralschweiz und den Tiefpunkt dieses Urnengangs.

Es war ein zäher Abstimmungskampf, der vielen an den Nerven zehrte. Grund dafür war vor allem das Covid-Gesetz, das von den meisten Parteien befürwortet wurde, aber zugleich Familien und Freunde spaltete.

Das deutliche Resultat von 62 Prozent mag angesichts dessen überraschen. Dazu beigetragen hat auch die Zentralschweiz, wie ein Blick auf den Abstimmungssonntag zeigt.

1. Skeptische Zentralschweiz, wo bist du?

Die Freiheitstrychler standen im Abstimmungskampf sinnbildlich für die skeptische Haltung der Zentralschweiz in der Covid-Debatte. Ihre Glocken symbolisierten den Lärm der Kritiker. Das kommt nicht von ungefähr: Viele der Ur-Kantone der Innerschweiz lehnten im Juni das Covid-Gesetz ab und weisen bislang vergleichsweise tiefe Impfquoten auf.

An diesem Abstimmungssonntag bleibt von diesem Bild als Hort des Widerstands nicht mehr viel übrig. Nur noch der Kanton Schwyz stimmte, nebst Appenzell-Innerrhoden, mit Nein. Die anderen Zentralschweizer Kantone – Obwalden, Nidwalden, Uri und Glarus – wechselten ins Ja-Lager. Auch in Luzern und Zug, wo bereits im Frühsommer eine Mehrheit das Gesetz gutgeheissen hatte, wuchs die Zustimmung weiter an. Mehr dazu unter Punkt 4.

2. Hohe Stimmbeteiligung nützt den Gegnern nichts

Es ist zahlenmässig ein Höhepunkt der direkten Demokratie: Sowohl im Kanton Luzern als auch im Kanton Zug gingen sieben von zehn Stimmberechtigten an die Urne. In Luzern lag die Stimmbeteiligung bei 70,8 Prozent, in Zug sogar bei 72,5 Prozent.

Das ist in Zug und Luzern – analog zur Schweiz – der vierthöchste Wert seit Einführung des Frauenstimmrechts. Nur beim EWR-Beitritt 1992, bei den Initiativen für eine Schweiz ohne Armee und Tempo 130/100 im Jahr 1989 und der Schwarzenbach-Initiative 1974 gingen mehr Zuger und Luzernerinnen an die Urne.

Im Kanton Luzern gibt es diesmal sogar eine Handvoll Gemeinden mit einem Wert von über 80 Prozent. Dabei fällt auf: Es sind andere Gemeinden als üblich, die eine besonders hohe Stimmbeteiligung verzeichnen. Normalerweise ist die Stimmbeteiligung im Entlebuch am höchsten. Diesen Sonntag ragen andere Gemeinden obenaus: Ermensee mit 83,66 Prozent, gefolgt von Udligenswil, Rain, Römerswil und Eich, in denen auch über 80 Prozent der Stimmberechtigten an die Urne strömten.

Das zeigt: Die Corona-Politik, welche den Alltag der Bevölkerung prägt wie kaum je ein Thema, befeuert das Interesse an der Demokratie. «Ein wesentlicher Grund für die hohe Stimmbeteiligung ist die Corona-Pandemie, die viel Aufmerksamkeit auf die Politik und die Funktion der Demokratie lenkt», bilanziert das Forschungsinstitut Gfs Bern.

Die Mobilisierung an diesem Sonntag kam allerdings nicht den Zertifikatsgegnern zugute, die mit einer finanzstarken und lauten Kampagne auffielen. Die stille Mehrheit stellt sich hinter das Covid-Gesetz und somit offensichtlich hinter die Pandemie-Bekämpfung des Bundesrates.

3. Fragwürdige Ausfälle der «Mass-voll!»-Bewegung

Kommen wir zum Tiefpunkt des Abstimmungssonntages: Der stammt von der Jugendbewegung «Mass-voll!» mit ihrem Sprachrohr Nicolas A. Rimoldi. Der Luzerner engagierte sich auf vielen Kanälen für ein Nein zum Covid-Gesetz. Doch der selbsternannte Verfechter der Grundrechte und der Bundesverfassung scheint nun Mühe zu haben mit dem Volksentscheid.

«Wir betrachten vor dem Hintergrund der massiven und in dieser Form in der jüngeren Geschichte der Schweiz beispiellosen Unregelmässigkeiten das Ergebnis des Urnengangs als nicht legitim und für uns nicht bindend», schreibt «Mass-voll!» am Sonntag in einer Medienmitteilung und erwähnt unter anderem die angeblich irreführenden Fragestellung. Mit diesem antidemokratischen Aussetzer, wie man sie bisher nur aus Trumps Amerika kannte, sorgt die Bewegung für viel Kopfschütteln.

Bundesrat Alain Berset sagte am Sonntagabend vor den Medien: «Es gehört zur Schweiz, dass wir nach der Abstimmung die Entscheide akzeptieren und uns wieder zusammenraufen.» 

Wie man trotz der Niederlage Haltung bewahrt, veranschaulichte übrigens das Nein-Komitee rund um die Freunde der Verfassung, das Aktionsbündnis der Urkantone und das Netzwerk Impfentscheid. Sie nahmen das Resultat zur Kenntnis und betonten, dass es gut war, dass sich die Schweizer Bevölkerung an der Urne dazu äussern konnte. Man werde das Resultat «wohl oder übel» akzeptieren, sagte Sprecher Josef Ender gegenüber SRF. Geht doch.

4. Überall steigt die Zustimmung – bis auf zwei Ausnahmen

Interessant ist ein Vergleich mit der ersten Covid-Abstimmung vom 13. Juni. Damals war das umstrittene Zertifikat noch kein Thema, die Vorlage umfasste vor allem Wirtschaftshilfen. Das Referendumskomitee erzielte damals mit knapp 40 Prozent Ja-Stimmen einen Achtungserfolg – nebst des gehässigen Wahlkampfes wohl mit ein Grund, wieso viele den neusten Umfragen nicht so recht trauten und diesen Sonntag ein knapperes Resultat erwarteten.

Doch an den Luzerner und Zuger Gemeinden zeigt sich deutlich: Fast überall ist die Zustimmung zum Covid-Gesetz im Vergleich zum Juni gestiegen. Besonders deutlich zum Beispiel in Rain, Alberswil oder Schlierbach, wo der Ja-Anteil jeweils um über 12 Prozentpunkte zulegen konnte (siehe Grafik).

Mehrere Gemeinden, die im Juni das Gesetz ablehnten, kippten jetzt ins Ja-Lager. Beispielsweise im Kanton Zug: Scheiterte die Vorlage im Frühsommer noch in Menzingen, Neuheim und Oberägeri, sagten diesen Sonntag alle elf Kommunen Ja. Einzig in den Luzerner Gemeinden Grosswangen und Aesch nahm der Ja-Anteil geringfügig ab.

Diese Entwicklung mag damit zusammenhängen, dass die aktuell steigenden Fallzahlen – und die neue Mutation – das Argument entkräfteten, wonach die Schweiz der Pandemie mit lascheren Massnahmen ein Ende setzen könnte. Die prominente Nein-Kampagne habe auch die Gegenseite mobilisiert, welche die Mehrheit darstellt, sagte zudem Politologe Lukas Golder gegenüber SRF. «Es sind mehr Leute, die nicht die SVP unterstützen, es sind mehr Leute, die der Regierung vertrauen, und es sind mehr Leute, die geimpft sind.»

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3 Kommentare
  • Profilfoto von lulu
    lulu, 29.11.2021, 20:05 Uhr

    Zum Bild «frei atmen»: So ein Hohn! Man sollte diese Leute für einige Stunden auf eine Intensivstation lassen, in welcher Dutzende von Menschen am Ersticken sind!!!!!!!

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    • Profilfoto von John
      John, 30.11.2021, 08:59 Uhr

      Auf den Intensivstationen sind immer «Dutzende von Menschen am Ersticken» (wenn Sie das so drastisch ausdrücken wollen). Dass dort gestorben wird, ist völlig normal. Die Frage ist, warum seit zwei Jahren aus jedem Verstorbenen eine Schlagzeile und ein Drama wird, obwohl die Gesamtzahlen keinerlei Auffälligkeiten aufweisen (man konsultiere das Bundesamt für Statistik).

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      • Profilfoto von Alain
        Alain, 01.12.2021, 09:03 Uhr

        Das ist eine blanke Lüge. Die Übersterblichkeit ist deutlich und nicht zum leugnen.

        Liebe Zentralplus: solche Lügen gehören entweder nicht publiziert, oder sofort korrigiert.

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