Täglich grüsst das Verkehrschaos

Cheerstrasse: Littau bleibt das Stiefkind der Stadt Luzern

Diese Bahnschranke steht im Zentrum der Probleme im Littauerboden: Christoph Oertli und Gabriella Petruccelli vom Quartierverein «an der Emme». (Bild: io)

Demnächst muss sich der Grosse Stadtrat Luzerns mit einem knapp 200 Meter langen Strassenabschnitt im Littauerboden befassen. Nicht zum ersten Mal. Nach bald 20 Jahren voller leerer Verbesserungsversprechen fühlen sich die Anwohner der Cheerstrasse genauso vernachlässigt wie die Strasse selbst.

Zwanzig Stunden am Tag ist die Cheerstrasse ein unscheinbares, wenn auch recht unebenes Strässchen, das zum Bahnhof Littau führt. Dann sind da aber noch die anderen vier Stunden: die Stosszeit.

Werktags lässt sich während der Rushhour auf diesem Quartiersträsschen die Entstehung eines verkehrstechnischen Supergaus in Echtzeit verfolgen. Geht die Barriere beim Bahnhof herunter, wird's auf beiden Seiten schnell ungemütlich, wie ein Augenschein vor Ort zeigt.

Der Verkehr rollt aus allen Richtungen an

zentralplus trifft bei dieser Gelegenheit Gabriella Petruccelli und Christoph Oertli beim kleinen Bahnhof Littau Luzern. Beide leben im Quartier und engagieren sich im Quartierverein «an der Emme» (QVE-Littau). Die lange und bisher frustrierend fruchtlose Geschichte der Cheerstrasse kennen beide nur zu gut.

Bevor man sich jedoch der unseligen Geschichte der Cheerstrasse widmen kann, gilt es die Gegenwart zu betrachten. Und die präsentiert sich so: Der Durchgangsverkehr durch die Tempo-30-Strasse ist zur Stosszeit immens. Die Strasse wird gleich von mehreren Himmelsrichtungen vom Pendlerverkehr vereinnahmt. Von der Innenstadt Richtung Hinterland, von Kriens via Renggloch oder von der Gegenrichtung herkommend – alle zwängen sich durch das Nadelöhr namens Cheerstrasse. Von den aktuell drei Buslinien, die den Bahnhof Littau ansteuern, ganz zu schweigen.

Anwohner leben mit Frust und Angst

Sobald die Barriere heruntergeht, staut es deshalb auf beiden Seiten. Innert kürzester Zeit flutet der Rückstau auf die Thorenbergstrasse hinaus und sorgt dort bei allen Beteiligten für weiteren Frust. «Es ist aber nicht ‹bloss› Frust», sagt Gabriella Petruccelli. «Wir haben auch Angst um unsere Kinder, die den schmalen Gehweg neben anderen Fussgängern beim Bahnübergang bewältigen müssen.»

Der Grund dafür ist offensichtlich und vor allem beim Bahnübergang unübersehbar: Der für die Fussgänger markierte Streifen ist auf beiden Seiten brutal knapp bemessen. Auf einer Seite muss man hintereinandergehen, um nicht mit einem Fuss auf der Fahrbahn zu stehen.

«Es ist ein kleines Wunder, dass bisher nichts Schlimmes passiert ist.»

Gabriella Petruccelli, Quartierverein QVE-Littau

Kommt hinzu, dass die Pendler es vermeiden wollen, den nächsten Zug abzuwarten – der Bahnhof ist so gelegen, dass die Barriere unten bleiben muss, bis der Zug wieder losgefahren ist. Das kann einige Minuten dauern. Die logische Konsequenz: Wenn die Barriere oben ist, wird nach Möglichkeit aufs Pedal gedrückt. «Es ist ein kleines Wunder, dass bisher nichts Schlimmes passiert ist», sagt Petruccelli. «Ich hoffe sehr, dass nicht zuerst ein schlimmer Unfall passieren muss, bevor es hier endlich vorwärtsgeht.»

Was ist los mit der Cheerstrasse?

Tatsächlich verläuft die Geschichte der Cheerstrasse bestenfalls seitwärts, in der Tendenz sogar eher rückwärts. Bereits vor 17 Jahren war offensichtlich, dass der Abschnitt der Cheerstrasse zwischen Bahnhof und Thorenbergstrasse dem stetig zunehmenden Verkehrsaufkommen nicht gewachsen ist.

Die Lösung: eine Umfahrung des Quartiers. Diese würde entlang der Bahnlinie führen und ungefähr auf der Höhe des Detaillisten Otto's und des Baumarkts Hornbach zum Kreisel Bodenhof führen, wie folgender Überblick zeigt:

Die Kosten steigen immer weiter an

2009 wurde ein Kredit 13,8 Millionen Franken für die Umfahrung gutgeheissen. Ein Jahr später erfolgte die Fusion von Littau mit der Stadt Luzern. In den darauffolgenden vier Jahren passierte gar nichts. Das Umfahrungsprojekt lag de facto auf Eis. Und seit 2015 dreht sich alles um die Kosten des Projekts, die wiederholt zu tief angesetzt wurden.

2017 haben die Stadtluzerner Stimmberechtigten an der Urne zwar einem Zusatzkredit für die Erweiterung der Cheerstrasse zugestimmt, der die Kosten auf insgesamt 18,6 Millionen Franken belaufen liess (zentralplus berichtete). Doch auch das reicht nicht, wie sich in der Folge herausstellte. Demnächst will der Stadtrat dem Stadtparlament einen weiteren Zusatzkredit vorlegen. Das Projekt dürfte dann die 20-Millionen-Franken-Marke überschreiten.

Die Symbolik der «sinnlosen» Unterführung

Das Einzige, was zurzeit vom Projekt sichtbar ist, ist die bereits 2005 erstellte Unterführung der Bahngleise. Dort sieht es aber auch 16 Jahre später noch so aus, als ob die Bagger gleich auffahren würden, um die Umfahrung endlich fertigzustellen.

Darauf warten aber nicht nur Christoph Oertli und Gabriella Petruccelli vom Quartierverein bisher vergebens. «Diese Unterführung hat einiges an Symbolkraft», sagt Oertli. «Hier ist so lange nichts geschehen, dass die Unterführung selbst schon wieder zum Sanierungsfall wird.» Die seit 16 Jahren «vergessene» Unterführung steht denn auch für ein Gefühl, dass sich – gerade im Littauerboden – in den vergangenen Jahren immer stärker manifestiert hat: Das Gefühl, von der Stadt vergessen zu werden.

Unterführung für die Katz: Hier sollte die Umfahrungsstrasse unter den Gleisen hindurchgeführt werden. (Bild: io)

zentralplus bat die beiden Vertreter des Quartiervereins, die Gedanken ihrer Nachbarn zur Situation rund um die Cheerstrasse zusammenzutragen. Das daraus resultierende Stimmungsbild spricht eine deutliche Sprache: Viele hier fühlen sich alleine gelassen, vergessen und vernachlässigt von der Stadt und deren politischen Vertretern.

«Es werden überall Kreisel gebaut, neue Quartiere entstehen und die Strassenführung muss angepasst werden. Warum nicht beim Bahnübergang in Littau?»

Anwohnerin der Cheerstrasse

In den zahlreichen Aussagen, die zentralplus vorliegen, kommt wiederholt eine als stiefmütterlich empfundene Behandlung des Stadtteils zum Ausdruck. Während andernorts rasch für Sicherheit gesorgt wird, nehme man den Littauer Unmut achselzuckend zur Kenntnis. «Es werden überall Kreisel gebaut, neue Quartiere entstehen und die Strassenführung muss angepasst werden. Warum nicht beim Bahnübergang in Littau?», fragt sich eine Anwohnerin.

Und weiter: «Sind es nur die Kosten oder ist dieses Quartier nicht so wichtig, weil es nicht zum ‹offiziellen› Stadtbild gehört? Grosse Projekte in der Stadt werden realisiert, damit es den Stadtbewohnern gut geht und das Stadtbild aufgewertet wird. Sind diese Projekte denn älter als das Projekt der Cheerstrasse? Oder haben Projekte, die näher am Stadtzentrum sind, Priorität? Da frage ich mich schon, ist Littau nicht Vorzeigeort?»

«Viele Probleme hier werden von der Stadt verkannt oder nicht wahrgenommen, da die politische Elite der Stadt nicht von hier stammt.»

Gabriella Petruccelli, Quartierverein QVE-Littau

Gabriella Petruccelli gibt diesbezüglich auch der geschichtliche Kontext zu bedenken: «Littau ist historisch gesehen eine Arbeitersiedlung nahe der Stadt. Bis zur Fusion mit Luzern gab es ein beständiges Bevölkerungswachstum. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden im Littauerboden, in Rothen, Reussbühl und in der benachbarten Emmenweid grosse Industrieunternehmen, die viele Arbeitskräfte benötigten.»

Demzufolge vergrösserten sich Agglomerationsgemeinden wie Littau und Emmen. Auch Luzern war bevölkerungsmässig an Wachstum interessiert und durch die Fusion mit Littau kam sie zu mehr Einwohnern, Land und Industrie. Doch dürfe der Fokus nicht nur darauf liegen, argumentiert Petruccelli: «Die Littauer haben ihre Anliegen wie beispielsweise die ‹Bramberger› oder ‹Schönbühler›. Und diese Anliegen müssen ernst genommen werden. Viele Probleme hier werden von der Stadt verkannt oder nicht wahrgenommen, da die politische Elite der Stadt nicht von hier stammt.» Tatsächlich sind heute kaum Vertreter aus Littau im Stadtparlament (zentralplus berichtete).

Die Zukunft: neue Siedlungen, Renggloch und Bahnausbau

Die belastete Vergangenheit und die unschöne Gegenwart an der Cheerstrasse sind das eine, die Zukunft jedoch nochmals eine ganz andere Geschichte. Eine, die Christoph Oertli zunehmend ratlos macht. «Im Oberdorf bei der Grossmatte und im Gebiet Udelboden-Langweiher entstehen in den nächsten Jahren neue Wohnsiedlungen für rund 2'000 Personen. Auch von ihnen wird ein Teil die Cheerstrasse nutzen wollen.» Zudem verweist Oertli auch auf die anstehende Sanierung des Rengglochs und der damit verbundenen Sperrung der Verbindung Kriens-Littau (zentralplus berichtete). «Das wird über Jahre zusätzlichen Verkehr bedeuten, der via Seetalplatz oder von Malters und Kriens zur Cheerstrasse gelangt», sagt Oertli.

«Wenn die Umfahrung nicht sehr bald realisiert wird, sehe ich hier nochmals eine massive Verschlechterung der Lebensqualität.»

Christoph Oertli, Quartierverein QVE-Littau

Hinzu kommt, dass sich die Schranken beim Bahnübergang in Littau in Zukunft noch deutlich öfter senken werden: Im Zusammenhang mit dem Durchgangsbahnhof bestehen Überlegungen, zwischen Littau und Malters ein zweites Gleis zu bauen. Dieses könnte den Viertelstundentakt in die Region Luzern West ermöglichen, würde jedoch auch mehr geschlossene Schranken beim Bahnhof Littau bedeuten.

Oertli befürchtet, dass das Zusammenspiel dieser Faktoren zu einem praktisch unendlichen Verkehrschaos entlang der Cheerstrasse führt. «Wenn die Umfahrung nicht sehr bald realisiert wird, sehe ich hier nochmals eine massive Verschlechterung der Lebensqualität.»

Angst vor einer Rückweisung im Grossen Stadtrat

Die nächste Sitzung des Grossen Stadtrates findet am 29. April 2021 statt. Gut möglich, dass der Stadtrat dem städtischen Parlament dann den neu berechneten Zusatzkredit unterbreitet. Im Littauerboden schaut man diesem Moment mit einer Mischung aus Hoffen und Bangen entgegen. «Was, wenn der Zusatzkredit keine Mehrheit findet? Was, wenn das Ganze nochmals an die Urne kommt?», fragt sich Christoph Oertli.

Nur zu gut erinnert man sich hier, wie knapp dem letzten Zusatzkredit zugestimmt wurde. 2017 sagten 50,56 Prozent der Stimmberechtigten Luzerner Ja zu diesen 6,1 Millionen Franken. Auf der Website der Stadt geht man aktuell immer noch davon aus, dass der Baustart im Herbst 2021 erfolgen könnte. Der Abschluss der Bauarbeiten würde demnach 2024 erfolgen. Im Littauerboden ist man weniger optimistisch: «Ich habe das Gefühl, wir werden hier mit dem Gehupe, dem Lärm und dem Gestank alleine gelassen», sagt Gabriella Petruccelli stellvertretend für viele, die tagtäglich mit der Situation an der Strasse konfrontiert sind.

Niemand kommt vorbei

Man kann den Bewohnern des Quartiers auch nicht vorwerfen, dass sie die Initiative nicht selbst ergriffen haben. 2017 reichte der Quartierverein eine Petition ein. In dieser fordert er den Stadtrat auf, das Projekt endlich an die Hand zu nehmen und es aktiv vorwärtszutreiben. Dass das Projekt vier Jahre später keinen Zentimeter weiter ist, spricht für sich selbst.

«Es kommt ja auch niemand aus dem Stadtrat hierher, um sich die Situation vor Ort mal anzusehen. Genau das müsste aber einmal geschehen», sagt Petruccelli, während hinter ihr die Bahnschranke erneut schliesst. Christoph Oertli stimmt ihr zu: «Zu zeigen hätten wir einiges. Aber eigentlich sieht jeder, der 20 Minuten während der Stosszeit hier verbringt, den Handlungsbedarf von ganz alleine.» Vorerst bleibt für Petruccelli, Oertli und alle Bewohner des Littauerbodens, die sie mit dem Quartierverein vertreten, nur eines: Abwarten und hoffen, dass der Rest der Stadt Luzern ihr Quartier nicht weiter im Stich lässt.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Müller
    Müller, 02.04.2021, 07:32 Uhr

    Die Umfahrung laut plan führt wieder in die Cheerstrasse Zurück, das heisst der gesamt Verkehr fliesst weiter durchs Quartier, Rechtens müsste die Umfahrung bei der Reformierten Kirche hochkommen geradeaus Zimmeregg direkt in die Hauptstrasse, oder Links nach Reussbühl, das Problem Verkehr bleibt es verlagert sich, das gleiche Bern und Luzernerstrasse wo als Abkürzung genutzt werden ,also müsste man schon diese Strassen so verändern das sie als Abkürzung gar nicht in Frage kämmen ,

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    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 02.04.2021, 08:42 Uhr

      Das Projekt intendiert die Vermeidung des Bahnüberganges und sonst gar nichts. Ihre Ideen gelten der Verkehrsführung im Grossraum Innerschweiz, die am Ende den Verkehr so vollständig von Littau fernhält, dass gar kein Bahnübergang mehr nötig ist.

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 02.04.2021, 07:27 Uhr

    Gendern und Diversifizieren haben Priorität. Und Pop-Up-Parks natürlich, sorry. So einen könnte man doch mittels eines Holzbodens auch ganz einfach in der Unterführung realisieren.

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