Weshalb Regierungsräte die Finger von Smartvote lassen
Die Plattform Smartvote hilft Wählern, sich im Kandidatinnendschungel zurechtzufinden – wenn sie denn mitmachen würden. Der gesamte Zuger Regierungsrat hat nämlich beschlossen, nicht teilzunehmen. Stichwort: Kollegialitätsprinzip. Der Politologe Tobias Arnold findet diese Haltung fadenscheinig.
Der Wahlherbst legt sich über den Kanton Zug. Während es draussen kühler und dunkler wird, brütet das Volk drinnen vor einem Wald voller Namen, die allesamt von ihren Wählern in politische Ämter gehievt werden möchten (zentralplus berichtete). Nur: Herauszufinden, welcher politischen Gesinnung die Kandidaten sind, ist nicht leicht.
Eine grosse Hilfe ist den Zugerinnen in dieser Stunde das Tool Smartvote. Man äussert sich selbst zu 30 oder 60 politischen Fragen und findet flugs raus, welche zur Wahl aufgestellten Politiker ähnlich ticken wie man selbst. Dies geht besonders plastisch mithilfe der Smartspider.
So die Theorie. In der Praxis ist das nicht immer einfach, wie das Beispiel der Regierungsratswahlen zeigt. Von zehn Kandidaten haben nur gerade drei ein Smartvote-Profil ausgefüllt. Nämlich die drei Kandidatinnen, die noch nicht im Amt sitzen. Die sechs aktuellen Exekutivmitglieder sind auf der Plattform nicht zu finden.
Mehrere zentralplus-Leser nerven sich über diese Bedecktheit und wundern sich, woran das liegt. Wähnen sich die Bisherigen in Anbetracht der Wahlen etwa derart in Sicherheit, dass sie eine Teilnahme nicht nötig haben? Trauen sie nicht, Farbe zu bekennen?
Regierung will Bevölkerung nicht vor den Kopf stossen
Der Zuger Landammann Martin Pfister erklärt auf Anfrage: «Viele der Fragen bei Smartvote beziehen sich auf Themen, denen bereits Regierungratsentscheide vorausgegangen sind. Entsprechend müssten alle Regierungsräte beim Ausfüllen dieselben Antworten geben, auch wenn wir unterschiedliche Haltungen vertreten.»
«Wir haben einhellig entschieden, dass die bisherigen Regierungsräte nicht bei Smartvote teilnehmen.»
Martin Pfister, Zuger Landammann
Er führt aus: «Nehmen wir ein fiktives Beispiel, das der schwarzen Liste. Es könnte theoretisch sein, dass sich ein Regierungsratsmitglied persönlich jahrelang gegen die schwarze Liste eingesetzt hat, diese aber dann öffentlich immer verteidigen musste. Was soll er Smartvote antworten, falls diese Frage gestellt würde?» Eine von den Entscheiden des Regierungsrats abweichende Haltung würde, so glaubt Pfister, in der Bevölkerung auf wenig Verständnis stossen.
«Wir haben demnach einhellig entschieden, dass die bisherigen Regierungsräte nicht bei Smartvote teilnehmen. Wie übrigens bereits vor vier Jahren», sagt der Landammann.
Er gibt zu: «Ich kann den Wunsch der Wählerschaft nach Orientierung nachvollziehen. Doch gewichten wir das Kollegialitätsprinzip in diesem Fall stärker.»
Kollegialität schützt vor persönlicher Haltung nicht
Tobias Arnold, Politologe bei Interface Politikstudien in Luzern, findet: «Dieses Prinzip hinkt.» Er ergänzt: «Die Erklärung, dass man sich an die Konkordanz halten möchte, ist für mich zunächst nachvollziehbar. Wer sich auf Smartvote äussert, der exponiert sich.» Und weiter: «Die Regierungsräte haben in den letzten vier oder mehr Jahren gelernt, Mehrheitsmeinungen der Regierung zu vertreten.»
«Wichtig ist, dass man im Amt fähig ist, zugunsten des Konsens von den eigenen Positionen abzurücken.»
Tobias Arnold, Politologe
Aber, so Arnold, «das Kollegialitätsprinzip schliesst nicht aus, dass man eine eigene Position im Wahlkampf vertritt. Wichtig ist vielmehr, dass man im Amt fähig ist, zugunsten des Konsens von den eigenen Positionen abzurücken.»
Gewählte Regierungsräte sind meist sicher
Dazu, dass sich die Exekutivmitglieder vor der Teilnahme scheuen, da viele der Fragen bereits vom Regierungsrat behandelt wurden, gibt Arnold Folgendes zu bedenken. «Es ist zu bezweifeln, dass der Otto-Normalverbraucher in Zug so gut informiert ist, dass er oder sie weiss, wie sich Mitglieder der Regierung zu einzelnen Vorlagen in der Vergangenheit positioniert haben», sagt der Politologe.
«Mit dem Exponieren auf Smartvote macht man sich Feinde.»
Tobias Arnold, Politologe
«Dennoch verstehe ich, wenn sich gewählte Regierungsräte sich nicht zu stark auf die Äste herauslassen möchten. Mit dem Exponieren auf Smartvote macht man sich Feinde. Möglich, dass man beispielsweise durch klar rechte Haltungen Wählerstimmen der Mitte verliert.» Auch wenn Arnold zu bedenken gibt, dass Regierungsrätinnen im Amt bei ihrer Wiederwahl meist wenig zu befürchten haben.
Smartvote: Gut für die Sachebene
Smartvote findet Arnold sinnvoll und ein «aus politologischer Sicht begrüssenswertes Element» bei Wahlen. «Insbesondere da die Plattform die Wahl auf eine sachliche Ebene bringt und dazu beiträgt, dass man nicht einfach Köpfe wählt.»
Ein zu grosses Gewicht will er Smartvote dennoch nicht beimessen. «Es sind viele Faktoren, die bei den Wahlen eine Rolle spielen. Gerade in einem so kleinen Kanton wie Zug, wo man Politiker oft persönlich kennt. Die persönliche Sympathie spielt dabei auch eine wichtige Rolle.» Aber: «Für Neukandidierende ist ein Smartvote-Profil ein Muss.»
Funfact und Spinnereien
Die Zuger Regierung ist übrigens nicht die einzige, die sich bei Smartvote unisono zurückhält. Auch im Kanton Bern haben sich die bisherigen Regierungsräte bei den Wahlen Anfang 2022 von der Plattform ferngehalten. Das Onlinemagazin «Hauptstadt» reagierte mit Humor, und liess den Kandidatinnen kurzerhand selber eine Smartspider «spinnen» respektive sticken. Entstanden sind richtige Kunstwerke.