So ticken die neuen Luzerner Grossstadträte

Biesser und Landwehr: Wie ein FDPler und eine Grüne Fuss fassen wollen

Mirjam Landwehr (links) und Reto Biesser politisieren ab diesem Donnerstag im Luzerner Stadtparlament.

(Bild: Andreas Ineichen)

Am Donnerstag legen sie ihr Gelübde im Luzerner Rathaus ab: Mirjam Landwehr (Grüne) und Reto B. Biesser (FDP). Als nachrückende Neulinge bleibt den beiden zwei Jahre Zeit, um erste Fussabdrücke im Parlament zu hinterlassen. Wie fühlen sie sich vor einem neuen Lebensabschnitt? Wie ticken sie? Und wo setzen sie ihre thematischen Schwerpunkte?

Sie sagt über sich, dass sie sehr gut organisiert und effizient sei in dem, was sie mache. Und dann lacht die 30-jährige Architektin auf und verrät: «Ich plane mein Leben, und das kann für mein Umfeld manchmal schon anstrengend sein.» Aber dieser Charakterzug kann Mirjam Landwehr selber auch einigen Nutzen bringen. So ist dieser Donnerstag, wenn sie zu einem von 48 Mitgliedern im Parlament wird, keine «Blackbox» mehr.

Sie ist gespannt auf den Tag, nicht angespannt, wohlbemerkt, sie freut sich auf eine komplett neue Erfahrung, aber sie weiss grosso modo auch, was auf sie zukommt. Landwehr hat sich vorbereitet. «Ich bin als Zuschauerin schon zweimal reingesessen in Parlamentssitzungen, um zu schauen, wie alles abläuft und was der aktuelle Stand der Geschäfte ist», erzählt sie und ergänzt, dass sie auch bei den Fraktionssitzungen der Grünen und Jungen Grünen schon dreimal dabei gewesen sei.

Respekt vor den «alten Hasen»

Der 6. September, der quasi den Beginn eines neuen Abschnitts in ihrem Leben markiert, kommt für sie nicht wie ein Naturereignis. Seit gut einem Jahr wusste sie, dass sie für ihre Parteikollegin Katharina Hubacher ins Stadtluzerner Parlament nachrücken könne. Deshalb hat sich Landwehr, als sie im letzten November die Stelle als Raumplanerin der Einwohnergemeinde Cham angetreten hat, bewusst für ein 80-Prozent-Pensum entschieden. Deshalb nimmt sie sich am «Politiker-Donnerstag», an dem die Ratssitzungen einmal pro Monat stattfinden, frei. «Daneben gibt es ja auch eine Fraktionssitzung im gleichen Turnus, und darüber hinaus will ich mich schnell in die Geschäfte einarbeiten.»

«Eine Strasse erachte ich nicht nur als Mittel für den Verkehrsfluss, er ist auch Lebensraum.»

Mirjam Landwehr, Grüne

Aber alles lässt sich halt nicht planen. Vor «alten Hasen», wie auch ihre nach 16 Jahren zurücktretende Vorgängerin Hubacher einer ist, hat Landwehr Respekt: «Sie haben mehr Wissen über die Themen, die im Rat schon diskutiert und behandelt worden sind, und sie haben mehr Erfahrung bei Auftritten als Einzelredner und in der argumentativen Auseinandersetzung.» Sie war noch ein Kind im Freiamt, als die alten Hasen ihre politische Arbeit auf kommunaler Ebene aufnahmen.

Ihr politisches Erweckungserlebnis vor vier Jahren

Doch verzagen wird sie, die als Vorstandsmitglied des VCS Luzern und Mitglied der IG Stadtentwicklung schon erste Schritte auf dem politischen Geläuf unternommen hat, ganz sicher nicht. Landwehr weiss genau, wofür sie sich bis zum Ende der Legislatur im August 2020 stark machen will. Ihr zentrales Anliegen heisst Nachhaltigkeit. «Dabei geht es nicht bloss um die laufende Diskussion um Mobilität und die Energieeffizienz von Gebäuden, sondern um das Thema Essen und Nahrungsmittelbeschaffung.»

Es sei ihr als Nicht-Veganerin und sporadische Fleisch-Esserin ein Hobby und Vergnügen, den Bio-Markt auf dem Helvetiaplatz zu besuchen, flechtet sie ein. «Mir ist eine Siedlungsqualität wichtig, es kann sich nicht alles um das Verdichten im städtischen Raum drehen. Wir brauchen gleichzeitig auch mehr grüne Flächen, mehr Lebensqualität. Eine Strasse erachte ich nicht nur als Mittel für den Verkehrsfluss, er ist auch Lebensraum.»

Mirjam Landwehr setzt politisch auf die Karte Nachhaltigkeit.

Mirjam Landwehr setzt politisch auf die Karte Nachhaltigkeit.

(Bild: Andreas Ineichen)

Es war dieser Kontext, der für Landwehr zum politischen Erweckungserlebnis wurde. Ende November 2014 stimmte das Stimmvolk über die Initiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen», kurz Ecopop, ab. Und verwarf sie mit über 74 Prozent Nein. Nicht ein Kanton sagte Ja. Landwehr argumentiert: «Hier sind zwei mir wichtige Anliegen miteinander verschmolzen worden. Das räumliche Problem der Zersiedelung ist mit der Zuwanderung und damit einer latenten Fremdenfeindlichkeit verknüpft worden.» Und das ist ihrer Ansicht nach ein No-Go. Sie sagt: «Tatsache ist, dass der Wohnflächenkonsum von 1980 bis heute von 30 auf über 45 Quadratmeter angestiegen ist. Die Zuwanderung taugt da gewiss nicht als Kernproblem.»

Kommunalpolitik, da ist sie sich sicher, ist ihr Ding. «Weil meine Kernthemen wie die sinnvolle Nutzung des Raumes auf dieser Ebene behandelt werden, interessiert mich das sehr. Hier kann ich unmittelbar etwas bewirken.»

Sie habe sich, versichert die Architektin, keine politische Karriere skizziert. Der Grosse Stadtrat ist für sie deshalb nicht ein Etappenziel. «Ich lasse es auf mich zukommen. Wenn ich Feuer fange, werde ich mich vielleicht neu orientieren.» Es mag nicht schaden, sich ein Stück Spontaneität auf dem weiteren Lebensweg zu bewahren.

Sein Leben verschreibt er dem Netzwerken

Er ist so etwas wie der Hansdampf in Luzerns Gassen. Sein Gesicht vielen Leuten bekannt. «90 Prozent meines Lebens spielt sich in der Neu- und Altstadt ab», erzählt Reto B. Biesser. Das «B» steht übrigens für «Benji», seinen Rufnamen. Den hat er verpasst bekommen, als er 1999 im Alter von 25 Jahren der Safran-Zunft beigetreten war. Damals war er der Jüngste, also der Benjamin. «Dieser Beitritt war der beste Entscheid meines Lebens», sagt Biesser. Zum Ausdruck bringt er das damit, dass über dem kleinen Balkon seiner Wohnung an der Winkelriedstrasse die Fahne der Safran-Zunft hängt.

«Ich bin ein grosser ÖV-Fan und Nutzer von Carsharing, situativ auch von Taxis. Das ist mein Beitrag zum Umweltschutz.»

Reto B. Biesser, FDP

Sein Wirken als «Zünftler» und begeisterter «Fasnächtler» löste beim Bankangestellten eine neue Leidenschaft aus. Netzwerken sei sein Leben, bekennt er. Und das kauft man ihm getrost ab. Als Privatmann und über seinen Job, in dem er Unternehmenskunden in der Zentralschweiz betreut, ist er in zehn Organisationen aktiv. Das reicht vom Altherren-Dasein beim Lozärner Fasnachtskomitee über das Amt des Kassiers in der Vereinigung Luzerner Geschäftsleute bis hin zum Zunftmeister der Schneggli-Zunft. Und ab Donnerstag sitzt er für die FDP neu im Grossen Stadtrat.

Er liebt Carsharing und verabscheut «Blockadenpolitik»

Biesser rückt für den zurückgetretenen Ivo Durrer nach, wird aber vorerst keiner Kommission angehören. Das findet er ganz gut so: «So kann ich mich in Ruhe in die aktuellen Geschäfte einlesen und die Prozesse und Leute aus den anderen Parteien kennenlernen.» Als Neuling im Parlament freut er sich auf die Chance, «auch mal unbequeme oder blöde Fragen stellen zu dürfen. Damit kann ich vielleicht das eine oder andere Parlamentsmitglied aus der Reserve locken.»

Vor dem Hintergrund seines Jobs liegt es auf der Hand, dass dem jüngsten Sohn eines pensionierten Unternehmers in erster Linie Finanz-, Wirtschafts- und Bauthemen am Herzen liegen. «Ich bin aber einer vom Volk», betont er und ergänzt: «Mit Unternehmern habe ich den ganzen Tag zu tun. Darum werde ich mich für ihre Anliegen im Parlament einsetzen.»

Reto Biesser (FDP) posiert im Helvetiagärtli.

Reto Biesser (FDP) posiert im Helvetiagärtli.

(Bild: Andreas Ineichen)

Dass Biesser damit nicht immer einen leichten Standpunkt haben wird, ist ihm bewusst. Wenn zwei Weltanschauungen aufeinandertreffen, habe er Respekt vor «destruktiven, nicht lösungsorientierten Diskussionen». Er verabscheut «Blockadenpolitik». Und erwähnt in diesem Zusammenhang, dass er sein Auto verkauft habe. «Ich bin ein grosser ÖV-Fan und Nutzer von Carsharing, situativ auch von Taxis. Das ist mein Beitrag zum Umweltschutz.» Aber auch sein nicht ideologisiertes Weltbild wird ihn kaum vor Ohnmacht und Frust bei der politischen Arbeit bewahren.

Jetzt muss er bei Terminen Prioritäten setzen

Auch wenn sich Biesser vor drei Jahren als FDP-Kandidat für die Kantonsratswahlen aufstellen liess und, wie er es erwartet hatte, nicht gewählt wurde, so stellt der Grosse Stadtrat für ihn keine Durchgangsstation dar. «Hätte ich eine politische Karriere angestrebt, hätte ich früher damit beginnen müssen», sagt der 43-Jährige und verweist auf den 33-jährigen FDP-Ständerat Damian Müller.

Er wolle erstmal im Parlament Fuss fassen und schauen, ob es ihm Spass mache und was er dabei bewegen könne. «Ich bin kein Visionär, sondern Realist.» Getreu diesem Prinzip funktioniert er auch als Mensch. Er sei beseelt von Leidenschaft und hohem Ehrgeiz, aber ein Träumer sei er nicht. «Nur wenn mir ein Ziel realistisch erscheint, mache ich auch die Extrameile.» Seine ihm wichtige Work-Life-Balance wird es verdanken.

Denn Biesser wird beruflich weiterhin einem 100-Prozent-Pensum nachgehen. Mit seinem Arbeitgeber hat er eine gute Regelung gefunden. Muss er deshalb bei einer seiner zahlreichen Aktivitäten kürzertreten?

Nein, ist er sich sicher. Nicht nur, weil er seine Aufgaben relativ effizient erledige, wie er sagt. Sondern auch deshalb, weil «ich die Zeit, die andere in Familie und Kinder investieren, für mich und meine Aktivitäten nutzen kann. Ich habe derzeit nicht mal eine Partnerin, bin aber vierfacher Götti.» Aber mittlerweile kommt Biesser nicht mehr darum herum, bei Terminen und Einladungen Prioritäten setzen zu müssen.

Seinem wichtigsten Lebensinhalt wird er als Grossstadtrat Gutes tun können. Er wird sein ohnehin schon grosses Netzwerk noch einmal ausbauen können. Und damit wohl zu einem der bekanntesten Stadtluzerner werden.

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