Die Stadt Luzern erlebte in den letzten Jahren mehrere Hausbesetzungen. Was in anderen Städten eine Randnotiz darstellt, führt hier immer wieder zu grossem Aufruhr, rechtlich und politisch. Doch was wurde aus den Häusern, die so plötzlich im Rampenlicht stehen? Ein Blick auf die ehemals besetzten Gebäude – und ihre Zukunft.
In der Stadt Luzern sind in den letzten drei Jahren mehrere Häuser besetzt worden. Das Thema ist zu einem Politikum geworden. Am 27. Juni diskutiert das Stadtparlament mehrere Vorstösse zum Thema. Bereits vor zwei Jahren verlangte die städtische SP eine Praxisänderung in Sachen Räumungen bei Hausbesetzungen – doch die Stadt winkte ab, dafür seien Polizei und Staatsanwaltschaft zuständig (zentralplus berichtete).
Nun steht die Forderung der SVP nach einer «Nulltoleranz» im Raum. Die Partei verlangt ein Reglement, das die zuständigen Behörden verpflichtet, bei Hausbesetzungen innert 48 Stunden einen Strafantrag zu stellen und die Räumung zu fordern. Zudem verlangt die Fraktion Antworten zum städtischen Vorgehen beim Eichwäldli.
Gegenstand von Forderungen
Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Stadtparlament dürfte die SVP mit ihrem Anliegen kaum Chancen haben. Ob der Stadtrat Handlungsbedarf sieht, lässt er aufgrund der hängigen Vorstösse derzeit unbeantwortet.
Oft haben die Besetzer in Luzern ein Haus mit konkreten Forderungen betreten: Sei es mehr kultureller Freiraum, sei es ein Protest gegen leerstehende Häuser. zentralplus zeigt auf, was mit den ehemals besetzten Gebäuden in der Zwischenzeit geschehen ist – und ob die politisch motivierten Besetzungen «erfolgreich» waren.
Lange leer, Zukunft immer noch offen: Bodum-Villen
Am meisten zu reden geben die beiden Villen an der Obergrundstrasse 99 und 101. Sie stehen seit Jahren leer und wurden 2016 und ein Jahr später, 2017, besetzt. Im Nachgang an die Räumung wurden mehrere Personen festgenommen – und inzwischen verurteilt.
Mit den Häusern hingegen ist bislang wenig passiert. Für jenes an der Obergrundstrasse 101 besteht seit 2016 eine rechtskräftige Baubewilligung für den Umbau und die Sanierung. Diese wurde im Dezember 2018 um weitere drei Jahre verlängert. Doch konkrete Schritte für einen Baustart sind bislang nicht auszumachen.
«Zu gegebener Zeit wird die Öffentlichkeit wahrnehmen, was mit den Grundstücken getan wird.»
Reto Marbacher, Bodum-Anwalt
Denn der Eigentümer hat früher kundgetan, dass man beide Häuser gleichzeitig angehen wolle. Und für das Gebäude nebenan, an der Obergrundstrasse 99, sind sich Bodum und die Stadt nach wie vor nicht einig. Trotz «grossem Aufwand» seitens der Baudirektion sei es bislang nicht gelungen, eine einvernehmliche Lösung zu finden, schrieb der Stadtrat kürzlich in einer Stellungnahme (zentralplus berichtete). Er hält auch fest, dass der Unterhalt der Häuser vernachlässigt wurde und der seit Längerem «anhaltende kritische Zustand der beiden Liegenschaften eine unbefriedigende Situation» darstelle.
Am 25. Juni kommt es am Bezirksgericht Luzern zu einer Verhandlung im Zusammenhang mit der ehemals besetzten Bodum-Villa an der Obergrundstrasse. Weil Journalistin Jana Avanzini sich 2016 ein eigenes Bild der Situation machen wollte, begab sie sich vor Ort – und wurde vom Besitzer anschliessend wegen Hausfriedensbruchs angezeigt. Ein Prozess, der auch für die Medienfreiheit von grosser Bedeutung ist (zentralplus berichtete).
Sich juristisch zu wehren, kostet Geld. Für die bisherigen Kosten im Umfang von rund 15'000 Franken kamen zentralplus und private Spender auf. Für die nächste Instanz ist mit einem Betrag von rund 10'000 Franken zu rechnen. Um die Gerichtskosten finanzieren zu können, läuft seit kurzem ein Crowdfunding. Der Däne Jørgen Bodum übrigens hat kürzlich den «Goldenen Bremsklotz», einen Schmähpreis, erhalten (zentralplus berichtete).
Zukunftspläne? «Intensiver Austausch»
Auf diese Vorwürfe mag die Eigentümerin, die Bodum Land Obergrund AG, nicht eingehen. Sie habe «derzeit kein Bedürfnis», Medienanfragen zu beantworten, lässt Rechtsanwalt Reto Marbacher ausrichten. «Zu gegebener Zeit wird die Öffentlichkeit wahrnehmen und/oder den Medien mitgeteilt, was mit den Grundstücken geplant bzw. getan wird.»
Auch die Stadt kann oder will nicht näher auf den aktuellen Stand der Dinge eingehen. Es sei prinzipiell Sache des Eigentümers, über die Planungen Auskunft zu geben. Nur so viel: Die Baudirektion sei «wieder in intensivem Austausch mit den Grundeigentümern beziehungsweise dessen Vertretern», heisst es auf Anfrage.
Sollte der Kompromiss erneut scheitern, sind der Stadt die Hände gebunden, zumindest fast. Denn es gibt nur einen Ausweg, um gegen den Willen des Eigentümers vorwärtszumachen. Die Behörden müssten selber eine Sanierung planen und finanziell vorschiessen, was laut Stadtrat mit viel Aufwand und hohen Prozessrisiken verbunden wäre. Im Kanton Luzern sei dieses Instrument entsprechend noch nie zur Anwendung gekommen.
Es schimmelt noch weiter: Auf Musegg 1
Eine Gruppe namens Pulpa, der Tintenfisch, war im April 2018 in eine Remise der Villa auf Musegg 1 eingezogen. Die Stadt sah von einer polizeilichen Räumung ab und suchte das Gespräch. Von einer Zwischennutzung wollte sie aufgrund des Schimmelbefalls aus gesundheitlichen Gründen absehen. Nach knapp einem Monat zogen die Besetzer ab – und der Stadtrat kündigte an, bis Ende 2018 ein Gesamtkonzept für die Sanierung zu erarbeiten (zentralplus berichtete).
Die Sanierungsstudie liegt inzwischen vor und zeige Handlungsbedarf auf, sagt Stadtbaumeister Marko Virant. Wann die Arbeiten starten können, ist aber noch offen. «Sobald zumindest für Teile der Nutzer – die Time-out-Klassen – Nachfolgelösungen gefunden wurden und die Nutzung feststeht, wird das Projekt ausgearbeitet», sagt Virant. Er betont, dass das Gebäude bis auf weiteres keinen Schaden nehme, wenn die Sanierung nicht unmittelbar umgesetzt werden.
In der aktuellen Aufgaben- und Finanzplanung sind insgesamt 4,2 Millionen Franken dafür vorgesehen, der grösste Teil des Betrags für 2020 und 2021. Wer oder was anschliessend auf Musegg 1 einziehen wird, steht ebenfalls noch in den Sternen. Mögliche Szenarien würden evaluiert, so Virant.
Im Fall der Pulpa haben die Besetzer mit ihrer Forderung nach mehr Freiraum übrigens Erfolg gehabt. Die Stadt hat letzten Herbst eine Zwischennutzung im ehemalige Stellwerk der Zentralbahn an der Horwerstrasse ermöglicht (zentralplus berichtete).
Mehrfach besetzt, seither leer: Güterstrasse
Im Januar 2018 besetzt eine Gruppe namens Rosa Lavache eine leerstehende Wohnung an der Güterstrasse 7 (zentralplus berichtete). Die SBB als Eigentümerin des Gebäudes verwies auf den schlechten Zustand betreffend Statik.
«An manchen Stellen im Gebäude beträgt das Gefälle bis zu 10 Prozent.»
Reto Schärli, SBB-Mediensprecher
Das Gebäude steht nach wie vor leer. Aus «sicherheitsrelevanten Gründen» werde es derzeit gar nicht benutzt, sagt SBB-Mediensprecher Reto Schärli auf Anfrage. «Der Zustand des Gebäudes hat sich zwischen den beiden Besichtigungen in den Jahren 2014 und 2017 massiv verschlechtert.» Das betrifft insbesondere die Statik des über 100-jährigen Hauses, auch die Erdbebensicherheit sei nicht gewährleistet. «Risse in den Tragwänden und Setzungen machen dies schon mit blossem Auge gut erkennbar.»
Das Treppenhaus sei gegenüber dem linken und rechten Gebäudeteil um einige Zentimeter abgesunken. «An manchen Stellen im Gebäude beträgt das Gefälle bis zu 10 Prozent», sagt Schärli. Die genaue Ursache der Schäden könne nicht eruiert werden, es müsse aber von einer verminderten Tragsicherheit ausgegangen werden. Aufgrund der Risikoabwägung hat die SBB entschieden, auf weitere Abklärungen zu verzichten und hat den Mietern im Gebäude gekündigt.
Wie es weitergeht, ist noch weitgehend offen. Das Haus an der Güterstrasse würde gemäss aktueller Planung zur Überbauung des Rösslimatt-Areals bestehen bleiben. Die weitere Entwicklung der Arealplanung werde sich vertieft mit diesem Thema befassen, sagt Schärli. Damit es nicht erneut zu einer Besetzung kommt, wurde das Gebäude unbegehbar gemacht, sagt er, ohne auf die Details einzugehen.
Lange leer, inzwischen weg: Sternmattstrasse
Das «Geisterhaus» an der Sternmattstrasse 68 wurde im Juni 2016 während neun Tagen besetzt, nachdem es jahrelang leerstand. Denn die 2012 verstorbenen Besitzer haben genau dies in ihrem Testament verlangt, als Andenken an die Familie. Eine absurde Situation, auf welche die Besetzer aufmerksam machen wollten.
Dass ein Leerstand niemandem etwas bringt, liess auch die zuständige Stiftung rasch einmal durchblicken, obwohl sie an den letzten Willen der ehemaligen Eigentümer gebunden war. Inzwischen wurde eine Änderung des Stiftungszweckes erreicht und das Gebäude verkauft. Ende letzten Jahres sind die Bagger für den Abriss aufgefahren (zentralplus berichtete).
Was die neue Besitzerin, die Pollux Immobilien AG, mit dem Grundstück vorhat, wollte sie damals noch nicht verraten. Auf ihrer Website präsentiert das Architekturbüro ein Projekt für zwei Mehrfamilienhäuser mit Eigentumswohnungen «mitten im Grünen» in der Stadt Luzern. Ob es sich dabei um die Pläne für die Sternmattstrasse handelt, konnte am Freitag nicht in Erfahrung gebracht werden. Die verantwortliche Person war nicht erreichbar.
Legal bewohnt, dann besetzt: Eichwäldli
Das jüngste Beispiel einer Besetzung spielte sich in der ehemaligen Soldatenstube beim Eichwäldli ab. Eigentlich handelte es sich nicht um eine klassische Besetzung, weil sich die Bewohner anfänglich mit einem legalen Mietvertrag im Gebäude aufhielten. Doch sie weigerten sich Anfang Jahr, das Haus zu verlassen, nachdem der Mietvertrag ausgelaufen war (zentralplus berichtete).
Nach Gesprächen kam es zu einer Einigung: Die Bewohner verliessen den gefährdeten Teil des Gebäudes, die Stadt gewährte ihnen einen bis im Herbst befristeten Vertrag für den anderen Teil des Hauses.
Inzwischen liegt auch für das Eichwäldli eine Sanierungsstudie vor, sagt Stadtbaumeister Marko Virant. Diese enthält verschiedene Varianten und die entsprechenden Kosten. Zurzeit läuft eine Beurteilung der Optionen – und der möglichen Nutzungen, die es in Zukunft geben könnte. Über die Details hält sich die Stadt derzeit noch bedeckt.