Die Zuger Stapi-Kandidaten im Gespräch

Alter Stadtratshase gegen alte Parlamentshäsin

Barbara Gysel und André Wicki kämpfen in ihrem aktuellen Wahlkampf um den Einzug ins Zuger Stadtpräsidium. (Bild: wia)

Bald wählt die Zuger Stadtbevölkerung ihr neues Oberhaupt. Bürgerlich oder links? Mann oder Frau? Wir haben die beiden Kandidaten zum Gespräch getroffen und ihnen auf den Zahn gefühlt.

Am 27. November wählt die städtische Zuger Bevölkerung eine neue Stadtpräsidentin respektive einen neuen Stadtpräsidenten. Im Rennen sind die langjährige SP-Legislativpolitikerin und Stadträtin in spe Barbara Gysel sowie der SVP-Mann und bisherige Stadtrat André Wicki. Egal wie die Wahl ausgeht: Es wird Geschichte geschrieben. Denn zum einen stand noch nie ein SVP-Vertreter an der städtischen Spitze, zum anderen noch nie eine Frau. Wir haben die beiden Kontrahenten rund zwei Wochen vor der Wahl zum gemeinsamen Gespräch eingeladen.

zentralplus: Wir tauchen gleich ein in die Untiefen der städtischen Politik respektive in eines der grössten Probleme der Stadt: den Verkehr. Diesbezüglich haben Sie ziemlich unterschiedliche Haltungen. Die Idee eines abgespeckten Stadttunnels mögen Sie, André Wicki. Sie, Barbara Gysel, sind weniger überzeugt und finden, damit werde das Problem in die Quartiere verlagert. Wie finden Sie als baldige Kolleginnen im Gesamtstadtrat einen Konsens?

Wicki: Wir sind ja ein Kollegium von fünf Räten, welche gemeinsam abwägen. Ich meinerseits würde die Hauptbeteiligten auf der betroffenen Achse befragen, ich denke da etwa an die Einkaufsgeschäfte, und danach abwägen, was die beste Lösung ist. Doch bin ich klar überzeugt, dass die Qualität in der Stadt steigt, dass es eine oberirdische Belebung gibt. Die Menschen können sich besser begegnen.

Gysel: Dass in einem Gremium wie dem Stadtrat verschiedene Haltungen vertreten sind, ist wichtig und entspricht ja gerade der Idee einer Konsensdemokratie. Auch wenn je nach Thema, also gerade auch in Sachen Verkehrspolitik und voreiligem Tunnelbau mit Verlagerung, wohl auch mal härter gerungen werden muss. Auch ich finde hier den Einbezug der Beteiligten, respektive der betroffenen Unternehmen, aber auch der Anwohnerinnen, unerlässlich. Letztlich geht es darum, mit einer fairen Diskussion eine gute Lösung zu finden. Diese soll denn auch vom gesamten Stadtrat nach aussen getragen werden, schliesslich gilt das Kollegialitätsprinzip.

«Vielfalt ist wichtig und gut, solange die betreffenden Personen unsere Kultur und unsere Gesetze akzeptieren.»

André Wicki, Stadtpräsidial-Kandidat

Wicki: Letzten Endes ist es unsere Aufgabe, gute Projekte vors Parlament zu bringen und diese gegenüber der Legislative zu vertreten.

Gysel: Umgekehrt: Die Legislative, also das Parlament, beauftragt die Exekutive. Man stelle sich vor, in der Exekutive hätten dann alle die gleiche Meinung. Dann könnte diese ihre Aufgabe, für welche die Stadtratsmitglieder gewählt sind, gar nicht wahrnehmen

zentralplus: Gern würde ich Sie, André Wicki, auf eine These antworten lassen, die Barbara Gysel auf ihrer Website aufstellt, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten: «Demokratie beinhaltet den Mut zur Vielfalt – und wahrt die Menschenwürde.» Wie sehen Sie das?

Wicki: Wenn man meinen Hintergrund kennt, dann weiss man, dass ich international tätig war und sehr interessiert bin an verschiedenen Kulturen. Die Schweiz ist ein Vielkulturenstaat, allein in der Stadt Zug zählen wir rund 140 verschiedene Nationalitäten. Es kommt nicht auf die Nationalität, auf die Religion und auf die Hautfarbe an. Vielmehr ist es meines Erachtens wichtig, dass man sich gut integriert und im Erfolgsmodell Föderalismus einbringt. Es gelten die gleichen Rechte und Pflichten für alle.

zentralplus: Sind Sie diesbezüglich als SVP-Politiker anders eingestellt als Ihre Parteikolleginnen?

Wicki: Nein, das glaube ich nicht. Kulturelle Vielfalt ist wichtig und gut, solange sich die betreffenden Personen integrieren und sie unsere Kultur und unsere Gesetze akzeptieren.

zentralplus: André Wicki möchte gemäss einer Aussage auf seiner Website, dass der Wirtschaftsstandort Zug zusätzlich gestärkt wird. Etwa mit entsprechenden Rahmenbedingungen für Ausbildungs- und Lehrplätze. Weiter sollen attraktive Bedingungen für Kleingewerbe und Wirtschaft geschaffen werden. Weiteres wirtschaftliches Wachstum in Zug? Das dürfte bei Ihnen, Barbara Gysel, nicht nur Euphorie auslösen.

Gysel: Bei einigen Punkten gehe ich mit André einig. So bin ich etwa überzeugt, dass Corona bei Gewerbe und Wirtschaft zum Teil negative Auswirkungen hatte, welche bis heute andauern und welche man angehen muss. Aber: Das Wirtschaftswachstum, respektive das Wachstum als solches, auch in der Bevölkerung, ist tatsächlich eines der grössten Themen, mit denen sich der Kanton, und insbesondere die Stadt Zug befassen muss. Wir haben in der Stadt doppelt so viele Beschäftigte wie Einwohner im Erwerbsalter. 40 Prozent der Ausbildungsplätze in der Stadt Zug sind mit Ausserkantonalen besetzt. Diese finanzieren wir entsprechend. Und mehr als 10 Prozent bringen keinen Berufsbildungsabschluss mit, sodass das Risiko für Armutsgefährdung steigt. Dem können wir aktiv entgegenwirken.

«Wir sind eine enorm weltläufige Kleinstadt. Das hat etwas Faszinierendes, ist aber gleichzeitig sehr herausfordernd.»

Barbara Gysel, Stapi-Kandidatin

Wicki: Wir leben in einem globalisierten Markt. Die Nachfrage nach lokalen, nationalen und internationalen Fachleuten ist gross. Ich bin oft mit Leuten aus der Wirtschaft in Kontakt. Diese schätzen zwar diesen Wirtschaftsstandort sehr, doch fehlt es an Fachleuten. Wir haben einen «War of Talents». Demnach müssen wir die Ausbildung stärken. Und wenn wir stärker wachsen, entstehen höhere Kosten durch neue Schulen, Strassen, Gebäude. Um das zu zahlen, müssen wir international und national wettbewerbsfähig und beständig bleiben.

Gysel: Da bin ich teilweise einverstanden. Wir haben einen Fachkräftemangel. Wir haben zu wenige Hochqualifizierte. Doch ehrlich gesagt ist es doch genauso wichtig, dass ein Sanitärgeschäft in Zug bleiben kann. Ich denke dabei an die Kosten der Gewerbefläche. Das sind ja nicht hochqualifizierte Arbeitskräfte. Dennoch sind sie unerlässlich.

Wicki: Ich bin einverstanden, das duale Bildungssystem ist extrem wichtig. Da bin ich ganz deiner Meinung.

«Ich weiss, dass man für gute Sachen Geld braucht.»

André Wicki, Stapi-Kandidat

Gysel: Aus diesem Grund, glaube ich, funktioniert nur ein Mix. Wir sind eine enorm weltläufige Kleinstadt. Das hat etwas unglaublich Faszinierendes, ist aber gleichzeitig sehr herausfordernd. Stichwort Wohnraum, Verkehr, Wachstumszahlen, auch bei den Schulen. Dass dieses Wachstum dermassen rasant vonstattengeht, ist problematisch. Das sind Fragen, die wir angehen müssen.

zentralplus: Worin wären Sie besser als Barbara Gysel, sollten Sie als Stadtpräsident gewählt werden, André Wicki?

Wicki: Ich bin als Stadtzuger sehr stark in Zug verwurzelt und selber in verschiedenen Vereinen dabei. Beruflich komme ich aus dem nationalen und internationalen Bereich. Ich weiss, dass man für gute Sachen Geld braucht. Ich empfinde es daher als wichtig, dass wir wirtschaftlich auf diesem Pfad bleiben. Weiter bin ich ein sehr innovativer Mensch. Das sieht man im Bereich Energie, etwa bei der Lancierung Circulago, aber auch in Sachen Bitcoin, wo wir uns als Stadt sehr früh offen gezeigt haben. Mit dem Resultat, dass nun 50 Prozent dieser Start-ups in Zug sind.

«Ich bin kein Fan davon, sich ahnungslos zu einem Thema zu äussern.»

Barbara Gysel, Stadtpräsidial-Kandidatin

zentralplus: Und Sie, Barbara Gysel?

Gysel: Ich schätze André als Mensch. Ich bringe einfach einen anderen Rucksack mit. Was wiederum der Vielfalt im Stadtrat guttut. Ich bringe Führungserfahrungen nicht einzig aus der Privatwirtschaft mit, sondern auch aus Gesellschaft, Verwaltung und Politik. Zum Beispiel beim Eidgenössischen Departement des Innern, wo ich beim Bund ein Programm gegen Zwangsheiraten geleitet habe. Oder gesellschaftlich auch mein Engagement als Präsidentin der IG Kultur Zug, wo ich mich übergeordnet mit Themen aus der Kultur befasse. Ob mich das zu einer besseren Politikerin macht, weiss ich nicht. Doch gehe ich davon aus, dass diese Vielfalt der Themen und Führungserfahrung eine Bereicherung sein wird.

zentralplus: Die SP ist in Zug nicht unbedingt bekannt dafür, schnelle Antworten zu liefern, ohne diese noch mit der Partei abgestimmt zu haben. Eine Stadtpräsidentin muss jedoch den Mut haben, Entscheidungen zu treffen und sich öffentlich zu äussern. Haben Sie diesen?

Gysel: (lacht) Ich war immer der Annahme, dass es die Qualität einer Partei ist, abgestützte Meinungen zu äussern. Nun, Spass beiseite. In der Rolle einer Stadtpräsidentin respektive auch einer Stadträtin vertritt man nicht die Partei. Man wurde als Person mit politischer Grundhaltung gewählt. Das ist ein grosser Unterschied. Beruflich bin ich Geschäftsleiterin eines Schweizer Kinderhilfswerks, bei dem ich natürlich dauernd Entscheide fällen muss. Ich kann das also schnell und sehr gut. Auch wenn ich, und das möchte ich betonen, kein Fan bin von faktenfreiem Fabrizieren, also davon, sich ahnungslos zu einem Thema zu äussern.

Barbara Gysel und André Wicki sind derzeit an vielen Zuger Strassenrändern zu finden. Jedenfalls in 2D. (Bild: wia)

zentralplus: Barbara Gysel hat im ersten Stapi-Wahlgang überraschend die meisten Stimmen geholt. Konkret erzielte sie 15 Stimmen mehr als Sie, André Wicki. Man kann das als Zeichen werten, dass die Bürgerinnen Lust auf frischen Wind haben, oder aber schlicht keine bürgerliche Person mehr im Präsidium sehen möchten. Insbesondere, da Karl Kobelt nach einer wenig schillernden Amtszeit bereits nach einer Legislatur wieder abtritt. Bereitet Ihnen das Bauchschmerzen?

Wicki: Nein. Der Punkt bei den vergangenen Wahlen war, dass alle der bürgerlichen Parteien mit je einer Kandidatin antraten. Die Kräfte wurden demnach gesplittet. Die linken Stimmen bündelten sich hingegen auf Barbara Gysels Kandidatur. Ich glaube, dass sich das mit dem bürgerlichen Schulterschluss im zweiten Wahlgang ändern wird. Ich gehe davon aus, dass wir in Zug viele Bürger haben, welche es schätzen, dass wir kurze Wege haben und dass man an einen Tisch sitzen kann, um zu diskutieren. Sei es mit Vereinen, Nachbarschaften und dem Gewerbe. Die Erfahrung zeigt, dass man diesbezüglich bürgerlich besser fährt.

Den letzten Satz lässt Barbara Gysel nur ungern unkommentiert stehen. Sie sieht die Sache naturgemäss anders, überlässt Wicki jedoch seine Meinung.

zentralplus: Last but not least: Was wollen respektive würden Sie in Ihrer ersten Legislatur als Stadtpräsidentin, als Stadtpräsident unbedingt erreichen?

Wicki: Vereine liegen mir sehr am Herzen. Die Grossfamilie, wie man sie früher kannte, gibt es heute kaum mehr. In Vereinen lernen Mädchen und Jungs gemeinsam als Team zu gewinnen und zu verlieren. Diese Strukturen möchte ich stärken. Einiges ist auf politischer Ebene bereits in Gange, Stichwort Sportmeile. Etwas Weiteres, was mir sehr wichtig ist: Bezüglich Kunsthaus stossen wir im Moment ein paar gute Projekte an. Auch im Theater Casino Zug lässt sich noch einiges machen; denn eine Stadt ohne Kultur hat keine Seele. Bezüglich bezahlbaren Wohnraums gilt es, die Zuger Baugenossenschaften zu fördern und geplante Projekte umzusetzen. Weiter liegt mir unser einzigartiges duales Bildungssystem am Herzen. Auch das Generationenprojekt Circulago soll weiter vorangetrieben werden. Ein grosses Anliegen ist es mir, den hohen NFA-Beitrag von 20 Millionen, den die Stadt Zug begleichen muss, auf Null runterzubringen. All diese Ziele lassen sich nur gemeinsam mit dem Gremium und in Zusammenarbeit mit dem GGR umsetzen.

zentralplus: Und Sie, Barbara Gysel?

Gysel: Ein übergreifendes, grosses Thema, das ich vorhin schon angesprochen habe, ist das unglaubliche Wachstum dieser Stadt. Die Politik hat zwar schon vor geraumer Zeit «Wachstum mit Grenzen» deklariert. Aber das ist toter Buchstabe. Die damit einhergehenden Fragen müssen wir gemeinsam plus auch kreativ angehen. Ich bin zwar Kulturoptimistin, aber ich sehe grosse Herausforderungen. Mein zweites Anliegen ist ebenfalls der Finanzausgleich. Diesbezüglich stimme ich zum Teil mit André Wicki überein. Die Stadt Zug ist quasi der Goldesel des Kantons. 92 Millionen Franken soll die Stadt gemäss Budget 2023 an den NFA respektive den ZFA zahlen. Die zweitgrösste Gemeinde, nämlich Baar, zahlt gerade mal ein Zehntel davon. Diese Art von Ausgleichsverantwortung muss man genauer verfolgen, ohne die Solidaritätspflicht zu verlieren.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Barbara Gysel und André Wicki
2 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon