Rekord an Kandidatinnen für Luzerner Kantonsrat

«Ah, ihr Frauen wieder»

Sandra Cellarius, FDP-Kandidatin im Wahlkreis Willisau, sagt: «Es braucht Vorbilder.»

(Bild: zvg)

314 Frauen kandidieren am 31. März für den Luzerner Kantonsrat – so viele wie nie zuvor. Anders als beim reinen Männergremium im Regierungsrat ist es wahrscheinlich, dass der Frauenanteil im Parlament wieder steigt. Doch was braucht es dazu? zentralplus hat drei Kandidatinnen gefragt.

Seit vier Jahren haben ausschliesslich Männer im Luzerner Regierungsrat das Sagen. Und im Kantonsrat liegt der Frauenanteil gerade mal bei gut 26 Prozent. Doch nun zeichnet sich eine Wende ab – zumindest im Parlament. 314 Kandidatinnen bewerben sich um einen der 120 Sitze. Das sind so viele wie nie zuvor.

Sehr zur Freude von «Frauen Luzern Politik» (zentralplus berichtete). Das überparteiliche Netzwerk wurde mit dem Ziel gegründet, den Frauenanteil wieder zu erhöhen (siehe Box am Textende). Anfang Woche zeigten die Verantwortlichen interessierten Kandidatinnen etwa, wie man öffentlich auftreten soll. Doch nützen solche Workshops den Kandidatinnen überhaupt etwas? Oder wären andere Massnahmen erfolgversprechender? Und wieso braucht die Politik überhaupt mehr Frauen?

Von Hemmungen und Vorbildern

«Es braucht Mut und Solidarität unter den Frauen», bringt es Sandra Cellarius auf den Punkt. Sie sitzt seit August im Gemeinderat von Pfaffnau und kandidiert nun für die FDP im Wahlkreis Willisau. Dass in der kantonalen Politik das weibliche Geschlecht untervertreten ist, sei nicht die Schuld der Männer, sondern habe viel mit Hemmungen zu tun. Frauen würden sich oft lange überlegen, ob sie die nötigen Fähigkeiten mitbringen. Für die 33-Jährige ist hingegen klar: «Man muss nicht alles können, um sich für ein Amt zur Verfügung zu stellen – vieles davon ist ‹learning by doing› und das gilt für Frauen wie für Männer.»

Doch dazu brauche es Vorreiterinnen. «Mutige Frauen, die vorleben, dass es geht und wir uns nicht verstecken müssen.» Ihr selber ist die Entscheidung zu kandidieren leichter gefallen: Bereits im Alter von 20 Jahren hat sie im Familienunternehmen, einer Weinhandlung, viel Verantwortung übernommen. «Ich bin mir dadurch seit Jahren gewöhnt, mich durchzusetzen», sagt sie. In ihrem politischen Alltag sei indes öfters einmal ihr Alter ein Thema und nicht das Geschlecht.

Übersicht über den Frauenanteil für die Kantonsratswahlen am 31. März 2019:

 

 

Dass es ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in der Politik braucht, steht für Cellarius ausser Frage. Dazu brauche es nebst Eigeninitiative aber auch Solidarität, denn viel zu oft gehörten Frauen zu den härtesten Kritikerinnen anderer Frauen. «Frauen sind extrem hart mit sich selber, aber auch mit ihren Mitstreiterinnen.» Das liege wohl nicht zuletzt auch an der Angst vor weiblicher Konkurrenz und dem Drang, sich stets zu vergleichen, glaubt die FDP-Politikerin.

«Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir uns gegenseitig unterstützen.» Sie tut das, indem sie auf ihren Kanälen auf Social Media andere Kandidatinnen – auch aus anderen Parteien – vorstellt. «Alles, was politisch interessierte Frauen untereinander vernetzt, ist wertvoll», sagt Sandra Cellarius. Deshalb lobt sie die Veranstaltungen von «Frauen Luzern Politik», auch wenn sie aus Zeitgründen selber nicht daran teilnehmen konnte.

Sich Gedanken machen ist nicht schlecht

Eines der weiblichen Vorbilder ist Rahel Estermann (Grüne). Die 31-Jährige konnte im September die Nachfolge des zurückgetretenen Ali Celik im Kantonsrat antreten. Sie hat Anfang letzter Woche den Workshop von «Frauen Luzern Politik» besucht. Um sich mit anderen Frauen auszutauschen und zu zeigen, dass sie den Sprung ins Parlament schaffen können. «Es ist eine Tatsache, dass Gewerbe- und andere Wirtschaftsverbände, Parteien, aber auch Gewerkschaften oft männerdominiert sind – und dass dieses Netzwerk dafür sorgt, dass immer wieder Männer in wichtige Positionen gehievt werden.»

«Wenn man als Minderheit plötzlich in der Mehrheit ist, gibt das Mut und Energie.»

Rahel Estermann, Kantonsrätin Grüne

Zudem werde man von den Medien besser gehört, wenn man pointierter auftrete und sich auch mal exponiere. Dinge, die laut Estermann vielen Frauen tendenziell schwerer fallen. Sie erlebt auch, dass sich Politikerinnen mehr Gedanken machen, wenn sie harte Rückmeldungen oder Kritik erfahren. Oder hinterfragen, ob sie etwas können. «Aber da darf man nicht sagen: Ah, ihr Frauen wieder», sagt Rahel Estermann. «Denn es ist berechtigt, reflektiert an die Dinge heranzugehen.» Gerade da helfe der Austausch mit anderen Frauen, findet die Digitalisierungsforscherin. «Wenn man als Minderheit plötzlich in der Mehrheit ist, gibt das Mut und Energie.»

Rahel Estermann (Grüne) ist im September in den Kantonsrat nachgerutscht.

Rahel Estermann (Grüne) ist im September in den Kantonsrat nachgerutscht.

(Bild: zvg)

Dass die kantonale Politik mit mehr Frauen anders aussähe, das glaubt Rahel Estermann hingegen nicht. Trotzdem ist für sie klar, dass der Anteil steigen muss, damit die unterschiedlichen Perspektiven einfliessen. «In der Wirtschaft hat man den Wert der Diversität erkannt – in der Politik sollte das umso mehr geschehen, weil wir den Anspruch haben, die Bevölkerung zu vertreten.»

Ein Netzwerk alleine könne das nicht bewerkstelligen, so die Politikerin aus der Stadt Luzern. Auch die Parteien stehen in der Pflicht, Frauen zu suchen und zu motivieren – und nicht bei der ersten zögerlichen Reaktion abzuwinken. «Die Regierungsratswahlen sind das beste Beispiel dafür, dass die angemessene Vertretung der Geschlechter schnell vergessen ist, wenn es hart auf hart geht.»

Andere Probleme, andere Perspektiven

Zum ersten Mal für ein politisches Amt kandidiert Jessica Glaus. Die 28-Jährige wurde von der SVP Eich angefragt und musste nicht lange überlegen. «Ich wage das jetzt, denn ich habe ja nichts zu verlieren.»

Ihrer Meinung nach ist es wichtig, kompetente und fähige Menschen für das Parlament zu finden und zu fördern – unabhängig des Geschlechts. Dennoch hält auch die selbständige Unternehmerin fest: «Die Frauen sehen die Dinge aus einer anderen Perspektive, da sie teilweise mit anderen Problemen konfrontiert sind und sich mit anderen Themen auseinandersetzen. Deshalb ist es gut, wenn es auch in der Politik engagierte Frauen gibt.» Was eine angemessene Vertretung der Frauen in Zahlen bedeutet, will sie nicht konkret beziffern.

Jessica Glaus kandidiert für die SVP im Wahlkreis Sursee.

Jessica Glaus kandidiert für die SVP im Wahlkreis Sursee.

(Bild: zvg)

Der Anteil dürfte aber sicher höher liegen als aktuell. Dass nur jede Vierte im Kantonsrat eine Frau ist, liegt laut Jessica Glaus nicht nur am fehlenden Selbstvertrauen. «Ich glaube, es ist immer noch wie früher: Manche Frauen entscheiden sich für Familie statt für die Förderung ihrer Karriere», sagt die Inhaberin eines Nagelstudios. Das sei nicht negativ, aber wie jeder andere Job bringe auch das Amt im Kantonsrat Verantwortung mit sich – und alles unter einen Hut zu bringen, sei nicht einfach. 

Persönlich hat Jessica Glaus keinen der Workshops von «Frauen Luzern Politik» besucht, weil sie nichts davon wusste. Sie findet es aber gut, wenn Frauen für Auftritte und in Rhetorik geschult werden. Das liege Männern teilweise besser oder diese hätten vielleicht auch bereits Coachings in diesem Bereich durchlaufen. Für Glaus ist jedenfalls klar: «Weil der Männeranteil im Kantonsrat höher ist, braucht man als Frau sicherlich einen starken Charakter und eine klare eigene Meinung, um sich durchzusetzen.»

Daran dürfte es den drei befragten Kandidatinnen nicht fehlen. Sie sind jedenfalls zuversichtlich, dass mit der neuen Legislatur mehr Frauen in den Luzerner Kantonsrat einziehen werden.

Das Ziel: 30 Prozent Frauen im Kantonsrat

Von den 802 Kandidatinnen und Kandidaten, die am 31. März 2019 in den Luzerner Kantonsrat wollen, sind 39,15 Prozent Frauen. Das freut «Frauen Luzern Politik», ein überparteiliches Netzwerk, das eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter im Kantonsparlament anstrebt. «Es zeigt, dass die Frauen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen», sagt Rosy Schmid, FDP-Kantonsrätin und Mitglied des Netzwerks. «Ich glaube, wir konnten da und dort den Anstoss für Kandidaturen geben.»

«Ich sehe das selber oft: In Männergremien sind sich die Männer einander näher.»

Rosy Schmid, «Frauen Luzern Politik»

Das Ziel am 31. März sei ein Frauenanteil von über 30 Prozent. Um das zu erreichen, will das Netzwerk im Wahlkampf eine Plakataktion gemäss dem Motto «Wähle Frauen» lancieren. Auch auf Facebook werden täglich Kandidatinnen vorgestellt. Denn der Bekanntheitsgrad und eine breite Vernetzung helfen, um gewählt zu werden, sagt Rosy Schmid. 

Weniger rosig sieht es beim Regierungsrat aus: Die Chance ist gross, dass der Kanton Luzern auch die nächsten vier Jahre nur von Männern regiert wird. Denn unter den neun Kandidaturen ist mit Korintha Bärtsch nur eine Frau zu finden (zentralplus berichtete). «So schnell kann man die Welt nicht verändern», bedauert Rosy Schmid. Im Unterschied zum Kantonsrat spielten bei der Nomination eines Regierungsratskandidaten zahlreiche Faktoren eine Rolle, weswesen das schwieriger zu beeinflussen sei.

Damit es in vier Jahren besser gelingt, müssten Frauen ihre Ansprüche äussern und Männer ihrerseits auch potenzielle Kandidatinnen anfragen. Denn die Netzwerke würden oft zuungunsten der Frauen spielen. «Ich sehe das selber oft: In Männergremien sind sich die Männer einander näher.» Rosy Schmid ist insgesamt aber zuversichtlich, was die Zukunft betrifft. «Wir hatten ja schon einmal mehr Bundesrätinnen als Bundesräte – das ist also möglich», sagt die Kantonsrätin aus Hildisrieden.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von David L
    David L, 03.02.2019, 19:06 Uhr

    Frau Estermann hat recht damit, dass viele Institutionen aller Art von «Netzwerken» dominiert sind.
    Wobei diese Netzwerke längst nicht nur für Männer und gegen Frauen arbeiten.
    Sie arbeiten oft auch gegen qualifizierte Leute (egal ob männlich oder weiblich) zu Gunsten von «Freunden und Bekannten» derer, die in diesen Netzwerken etwas zu sagen haben.
    In gewissen Berufsfeldern muss man sich gar nicht auf eine Stelle bewerben, wenn man keine «Insider» an den richtigen Schalthebeln hat.
    Hier wäre gerade im öffentlichen Sektor mehr Transparenz notwendig.

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