Gewinn für Demokratie oder falscher Ansatz?

Abstimmen ab 16? Junge Debattiertalente kreuzen die Klingen

Simon Suter (links) und Enrico Steiner waren Finalisten am diesjährigen Regionalfinale von «Jugend debattiert». Für zentralplus diskutieren sie zum Stimmrechtsalter 16. (Bild: zvg)

Sollen Luzerner Jugendliche abstimmen dürfen? Zur bevorstehenden Abstimmung hat zentralplus zwei junge betroffene Debattiermeister darüber diskutieren lassen.

Mit 16 Jahren erhalten Jugendliche schon einige Rechte: Alkohol trinken und Tabak rauchen, sich bewusst für Sex entscheiden, einen Lehrvertrag unterschreiben. Doch ein wichtiges Recht bleibt ihnen bislang noch verwehrt: abstimmen und wählen. Mit einer Initiative fordert ein Zusammenschluss von Jungparteien, dass der Kanton Luzern das Stimmrechtsalter auf 16 herabsetzt (zentralplus berichtete).

Am 9. Februar stimmt die Bevölkerung darüber ab. Nicht entscheiden können dabei die Direktbetroffenen. In diesem Fall die 16- und 17-Jährigen. Um ihnen trotzdem eine Stimme zu geben, hat zentralplus mit Enrico Steiner (17) und Simon Suter (16) gesprochen. Sie sind junge Debattiertalente aus der Region: Beim diesjährigen Zentralschweizer Regionalfinale von «Jugend debattiert» qualifizierten sich beide fürs nationale Finale, Steiner diskutierte sich gar auf den ersten Platz.

Um beide Seiten des Themas abzubilden, hat zentralplus ihre Position im Vorfeld ausgelost – so, wie es sich die beiden jungen Männer vom Debattierwettbewerb gewohnt sind. Simon Suter vertritt im Gespräch mit zentralplus die Pro-Meinung, Enrico Steiner argumentiert dagegen. Privat würden beide die Vorlage ablehnen.

zentralplus: Das Stimmrechtsalter 16 ist bereits in mehreren Kantonen aufgegriffen worden. Einzig im Kanton Glarus wurde es angenommen. Wieso soll es nun im konservativen Luzern klappen, Simon?

Simon Suter: Der Erfolg, den das Stimmrechtsalter 16 in Deutschland und Österreich gehabt hat, zeigt, dass es funktionieren kann. Wenn man Leuten diese Erfolge zeigt, ist es einen Versuch wert. Mit der Initiative können wir die politische Partizipation gerade bei Jungen verbessern, die sich heute weniger beteiligen. Auch Luzern kann dadurch überzeugt werden.

zentralplus: Falls Luzern überzeugt wird: Was verlieren wir, wenn wir Jungen eine Stimme geben, Enrico?

Enrico Steiner: Verlieren tun wir nichts. Aber das Problem hinter der Initiative ist ja, dass Junge zu wenig Einfluss in der Politik haben und Alte mit ihrer Meinung vorherrschen. Um das zu lösen, muss man nicht das Stimmrechtsalter senken. Sondern man sollte vielmehr das politische Engagement der 18- bis 25-Jährigen verbessern. Sie sind jung und können sich engagieren, man muss sie nur motivieren.

zentralplus: In Glarus können 16-Jährige bereits abstimmen – als bislang einziger Kanton der Schweiz. Doch eine Auswertung des Zentrums für Demokratie sagt über die jungen Glarner, sie würden sich nur «gering politisch beteiligen» und würden «unterdurchschnittliche politische Kompetenz aufweisen».

Suter: Der Kanton Glarus ist ein anderes Beispiel. Die dortige Landsgemeinde ist ein grosser Faktor. Man muss Zeit und Lust haben, da hinzugehen. Gerade in jungem Alter hat man noch Hobbys, Schule und weiss sonst noch was. Es ist sehr viel einfacher, an einer Briefabstimmung teilzunehmen. Da setzt man sich an einem Nachmittag hin und füllt das aus.

Über die Studie des Zentrums für Demokratie

2021 führte das Zentrum für Demokratie in Aarau (ZDA) eine Untersuchung zur politischen Beteiligung im Kanton Glarus durch. Dafür befragte das Zentrum Ende 2020 2710 Personen. Für eine Zusatzauswertung analysierte das ZDA dabei gezielt die Antworten der 16- und 17-Jährigen. Allerdings waren das nur 30 Antworten, weshalb die Datenlage zu dünn ist, um faktische Schlüsse daraus zu ziehen. Gemäss dem ZDA kann diese Zusatzauswertung aber als Hinweis dienen.

zentralplus: Enrico, offensichtlich sind die jungen Menschen motiviert, abzustimmen, das zeigt die Initiative, die von Jungen lanciert wurde.

Steiner: Ja, ohne Interesse wäre es nicht zur Initiative gekommen. Aber eine politische Entscheidung muss auf Wissens-, nicht auf Interessenbasis passieren. Haben Junge wirklich das nötige Rüstzeug, in dem Alter bereits fundierte und weitreichende Entscheide zu treffen? Ich interessiere mich auch für Mathe und Physik, bin darin aber kein Sechserschüler.

zentralplus: Das Alter allein garantiert noch keine fundierte Entscheidung.

Steiner: Klar gibt es auch 50-Jährige, die abstimmen, ohne sich vorher zu informieren. Aber es ist eine Grundsatzfrage: In der Schweiz hat man sich entschieden, dass Personen mit 18 Jahren rechtlich und politisch mündig sind. Auch wenn sie sich vielleicht nicht informiert haben, sollen sie doch nach ihrer Meinung stimmen können. Und diese entsteht ebenfalls durch irgendeine Information, die sie vorher hatten. Vielleicht halt passiv statt aktiv: durch Lebenserfahrung oder der Bekanntschaft mit Leuten in einer ähnlichen Lebenssituation. Deshalb sind Personen mit etwas mehr Lebenserfahrung geeigneter, um einen politischen Entscheid zu treffen.

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  • Wenn, dann müsste man grundsätzlich über Mündigkeitsalter 16 reden.

zentralplus: Heute sind Luzerner ab 18 Jahren politisch und rechtlich mündig, mit Annahme der Initiative wäre das aus dem Gleichgewicht.

Suter: Ich glaube, das Mündigkeits- und Stimmrechtsalter gehört nicht per se zusammen. Sehr viele Entscheidungen, die bei Abstimmungen gefällt werden, betreffen gerade die jüngere Generation. Als Beispiele die Renteninitiative der Jungfreisinnigen oder Umweltthemen. Da muss man den Jungen die Möglichkeit bieten, mitzubestimmen.

zentralplus: Gegner argumentieren, dass Junge so über Gelder entscheiden, die sie nicht mit Steuern mitzahlen.

Suter: Aber Junge zahlen auch schon Steuern, etwa die Mehrwertsteuer. Sie zahlen heute schon etwas und tragen die Entscheide auch mit. Zwar noch nicht direkt, aber in spätestens zwei Jahren und länger als die Mehrheit, die jetzt schon darüber abstimmen kann.

zentralplus: Junge sind von politischen Entscheiden am längsten betroffen. Warum sollen sie trotzdem nicht mitbestimmen, Enrico?

Steiner: Sie können ja trotzdem politischen Einfluss nehmen und ihre Meinung kundtun, etwa bei Demonstrationen. Aber zum Abstimmen fehlt Jungen die benötigte Erfahrung. Die zwei Jahre zwischen 16 und 18 machen einen grossen Unterschied. Mit 16 zahlen die wenigsten Steuern, zahlen keine Krankenversicherung, sind noch nicht vollständig straffällig oder können Verträge unterschreiben. So könnte ich als Jugendlicher die Grenze für harten Alkohol heruntersetzen, obwohl ich den noch nie trinken durfte. Zudem: Die 14-, 12- oder 2-Jährigen wären noch viel länger betroffen. 16 ist willkürlich gewählt.

zentralplus: Simon, wieso soll das Alter gerade 16 Jahre sein?

Suter: 16 und 17 ist genau das Alter, wann Junge politische Bildung in der Schule abgeschlossen haben. Wir sollten die Jugendlichen dann weiter nehmen, damit sie das Gelernte gleich im echten Leben anwenden können. Wenn man zwei Jahre nichts macht, geht ihr Wissen vielleicht verloren.

zentralplus: Wieso können Junge nicht die zwei Jahre noch warten?

Suter: In diesen zwei Jahren kann viel passieren. Politisch Interessierte gehen vielleicht so lange in Vereine oder an Anlässe. Aber bei Jungen, die nicht per se interessiert sind, kann das Interesse und das Gelehrte in diesen zwei Jahren verschwinden. Ich weiss auch nicht mehr alles, was ich vor zwei Jahren mal gelernt habe. Nur das, was ich immer wieder aktiv brauche. Demokratie lebt von Partizipation. Je mehr mitmachen, desto besser sind die Entscheide.

zentralplus: Sind es wirklich bessere Entscheidungen, wenn Junge, die gemäss Zentrum für Demokratie «unterdurchschnittliche politische Kompetenz haben», mitentscheiden?

Suter: Hier sollte politische Bildung in der Schule ansetzen. Dort wird das Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Bei mir wurde das politische System kurz angeschnitten, danach gabs wieder Regelunterricht. Wenn zudem gleichzeitig ein Wahl- oder Abstimmungscouvert und ein Büchlein mit Informationen daheim sind, motiviert das, sich zu informieren. Die Motivation von Jungen fürs Lernen ist grösser, wenn sie die Chance haben, das Gelernte auch anzuwenden.

zentralplus: Die Stimmbeteiligung schwindet, Gemeinden und Parteien haben Schwierigkeiten, ihre Posten zu besetzen. Sollte man dann nicht Junge möglichst früh aktiv in die Politik einbinden, Enrico?

Steiner: Junge können auch in Jungparteien oder Vereinen bereits aktiv in die Politik eingebunden werden. Bei vielen kann man schon ab 12 oder 14 Jahren eintreten. Politisches Engagement muss nicht zwingend mit einem Wahl- oder Stimmrecht verbunden sein.

zentralplus: Zumal sich Junge auch bei Annahme der Initiative erst ab 18 Jahren wählen lassen können. Ergibt diese Trennung des aktiven und passiven Wahlrechts Sinn, Simon?

Suter: Das macht sehr viel Sinn: So gibt man Jugendlichen erst mal die Chance, sich in die Politik einzulernen und Fuss zu fassen. Wenn man eine Lehre macht, gibt einem der Ausbildner auch nicht von Anfang an die Topaufgaben. Sondern führt einen langsam hin.

Verwendete Quellen
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