Politische Grabenkämpfe haben ein Ende

30 Jahre für 3,4 Kilometer: Das ist die turbulente Geschichte der Tangente

Bauarbeiten zum Geissbüel-Tunnel, der Teil der Tangente Zug–Baar ist. (Bild: Andreas Busslinger)

Die Tangente Zug–Baar wird nächste Woche endlich dem Verkehr übergeben. Fast 30 Jahre waren nötig, um die 3,4 Kilometer lange Strasse zu planen, politisch zu beraten und für 201 Millionen Franken zu bauen. Ein Rückblick erklärt, warum solch ein Aufhebens darum gemacht wird.

Die ersten Bemühungen, die zur Tangente Zug–Baar führten, liegen nun schon bald ein Jahrhundert zurück. In den 1930er Jahren liess die Stadt Zug Möglichkeiten zu einer Kernumfahrung prüfen. 1974 flossen diese Überlegungen in den ersten Teilrichtplan Verkehr ein.

Dieser Plan legte den Grundstein für viele Zuger Verkehrsprojekte, welche seither umgesetzt wurden. Entstanden ist er in einer Zeit, als sich der autobegeisterte Kanton vom Armenhaus der Schweiz endgültig zum Boomkanton wandelte. Der Plan von 74 beinhaltete aber auch vieles, was seither wieder gestrichen wurde – wie etwa eine Umfahrung von Menzingen durchs Edlibachertal oder eine Verbindung von Neuheim nach Walterwil über Hinterburg.

1979: Als Nationalstrasse gedacht

Zug jedenfalls sollte gemäss den damaligen Plänen vom Autobahnanschluss Baar aus via Inwil in nordöstlicher Richtung umfahren werden, auch der Stadttunnel war schon angedacht. 1979 bat der Regierungsrat den Bundesrat gar, die Umfahrung ins Nationalstrassennetz aufzunehmen.

Verkehrsplan 1979 mit durchgehender Nordostumfahrung von Zug, Stadttunnel und oberirdischer Gutschrank-Abfahrt als Verbindung zum Berg. Ausserdem zu sehen: Nordzufahrt (gebaut) und Westzufahrt (politisch nicht opportun). (Bild: Quelle: Zuger Dokumentation / Bibliothek Zug)

Der Teilrichtplan musste 1985 angepasst werden. Die Stadtzuger Bevölkerung nahm einen ersten Projektierungskredit für einen Stadttunnel (als Verlängerung der Nordostumfahrung) zwar an. Das Projekt war jedoch mit der Idee der «Gutschrank-Abfahrt» kombiniert worden. Diese hätte den Verkehr aus dem Ägerital nach Zug vor Eintritt in die Stadt über eine neue, sehr steile Strasse via Lüssi ins Göbli-Quartier gelenkt. Der Kantonsrat hatte dafür schon Geld freigegeben. Bei den Stadtzugern stiess diese Idee jedoch auf keine Gegenliebe. Weil die Gutschrank-Abfahrt abgelehnt wurde, wurde auch der Stadttunnel auf Eis gelegt.

1987: Unterirdische Verbindung hob nie ab

Dennoch liess man die im Norden und Osten durchgehende neue Stadtumfahrung mit der Möglichkeit zu einer Verlängerung via Stadttunnel im Verkehrsrichtplan, als dieser 1987 in den kantonalen Richtplan integriert wurde. Dies war der verbindliche Stand der Raumplanung bis 2001.

Gleichzeitig kündete der Regierungsrat 1987 im Bericht zum Richtplan an, die Stadtumfahrung Zug–Inwil–Baar, welche damals «Bügel» genannt wurde, in den darauffolgenden fünf Jahren zu überarbeiten. Es sollte eine neue Ost-West-Verbindung projektiert werden, «nördlich der Stadt Zug mit überwiegend unterirdischer oder überdeckter Linienführung». Diese Idee wurde als Umfahrung Zug–Baar (UZB) bekannt, kam aber nie einer Umsetzung nahe.

1997: Bergler haben genug

Die Folgejahre brachten ergebnislose Diskussionen über Verkehrsprojekte und Studien. Arbeitsgruppen, Parteien, die Zuger Talgemeinden und der Kanton wälzten Pläne – und gerieten sich dabei öfters in die Quere und in die Haare. Die UZB war ein grosses Projekt, das die Gutschrank-Abfahrt, die nun in einem Tunnel verlaufen sollte, mit einem langen Stadttunnel verband und die über die spätere Nordzufahrt zur Autobahn führen sollte. Für die zu jener Zeit starken Linken in Zug war sie ein unannehmbares Monsterprojekt. Ausserdem hätte sie zwei bis dreimal mehr gekostet als die heutige Tangente. Der Kanton verhängte einen Planungsstopp.

Planungsleichen aus den 1990er Jahren: Umfahrung Zug–Baar mit langem Stadttunnel. (Bild: zvg)

1997 hatten die CVP-Kantonsräte aus dem Ägerital und den Berggemeinden Menzingen und Neuheim genug von der kantonalen Verkehrspolitik. Sie beschwerten sich, dass immer nur von einer Verkehrsstrategie Zug-Ennetsee die Rede sei, es aber keine Perspektive für die Hügelzone gebe.

Die Bedürfnisse des Berggebiets sollten berücksichtigt werden. «Wir wünschen uns einen möglichst direkten Zugang zur Autobahn», sagte der Oberägerer CVP-Kantonsrat Marcel Meyer damals. Parteifreund Paul Twerenbold, langjähriger Baudirektor des Kantons Zug, versprach, den Anliegen der Berggemeinden Rechnung zu tragen.

1999: Dampf aufgesetzt

Ab 1997 also wurden die Pläne für eine direkte Anbindung des Ägeritals an die Autobahn mit der Umfahrung von Zug und Baar sowie der Erschliessung der Gewerbegebiete in der Mitte der beiden Orte direkt verknüpft. Die Idee zur heutigen Tangente begann Raum zu greifen – anstelle der politisch nicht machbaren Gutschrank-Abfahrt.

1999 wurde Jean-Paul Flachsmann Zuger Baudirektor. Er war der erste Vertreter der SVP überhaupt im Regierungsrat, was die Situation polarisierte. Flachsmann wurde im Kantonsrat sofort unter Druck gesetzt.  SP-Verteterinnen forderten ein Gesamtverkehrskonzept bis im Jahr 2000 und einen neuen Teilrichtplan Verkehr bis 2001. Sie erhielten dabei breite Unterstützung.

2001: Neue Verkehrsplanung

Flachsmann gab in der Folge Studien in Auftrag, welche auf die Planungen aus dem Jahr 1974 zurückgriffen. Für die Anbindung des Ägeritals an die Autobahn gabs demnach zwei Varianten. Eine davon, «Tandem 2» genannt, hatte einen ähnlichen Verlauf wie die heutige Tangente.

Vom Talacher sollte der Verkehr aus dem Ägerital über einen Tunnel via Baarermatte und Göbli zur Autobahn gelenkt werden. Zwei Jahre später, als der neue Verkehrsrichtplan im Zuger Kantonsrat verabschiedet wurde, stand die heutige Verkehrsführung über den Knoten Margel fest. Sie war von den Gemeinden Zug und Baar ausbaldowert worden – unter Einbezug verschiedener lokaler Anspruchsgruppen.

Dank der neuen Tangente bleibts hier grün: Rüschen am untern Bildrand wäre durch die Gutschrank-Abfahrt durchschnitten worden, die Felder im Talgrund auf der linken Bildseite wären durch die alte Nordostumfahrung von Zug diagonal geteilt worden. (Bild: Andreas Busslinger)

Gegen den neuen Teilrichtplan Verkehr liefen die Alternativen Sturm. Auch viele Sozialdemokraten lehnten ihn ab. Doch SVP, CVP und FDP waren dafür. Zwar beinhaltete er mit der Zuger Stadtbahn grosse Investitionen in den öffentlichen Verkehr, listete aber derart viele Strassenbauprojekte auf, dass selbst die bürgerliche «Neue Zuger Zeitung» Kritik an der fehlenden Prioritätensetzung übte.

Die Finanzen würden darüber entscheiden, ob geplantes Projekt am Ende auch verwirklicht werden könne, schrieb der damalige stellvertretende Chefredaktor Bodo Lamparsky. Er sollte recht behalten – 2015 ging die Abstimmung über den sehr teuren Zuger Stadttunnel bekanntlich verloren (zentralplus berichtete).

Die politische Auseinandersetzung über Strassenbauten im Kanton Zug folgt seit ungefähr 40 Jahren stets dem gleichen Schema. Bereits 1987 schrieb die Sozialistisch-Grüne Alternative (SGA) zum kantonalen Richtplan: «Strassenbauten werden die Engpässe nicht beheben. Dazu ist eine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs nötig.» Der Teilrichtplan Verkehr führe wegen der grossen Strassenbauprojekte «mit Vollgas ins Chaos» kritisierte ALG-Kantonsrat Martin Stuber 2001, der anschliessend auch die Tangente mit Hingabe bekämpfte.

April 2009: Der Kampf um 201 Millionen beginnt

Im September 2001 starb Baudirektor Jean-Paul Flachsmann beim Attentat aufs Zuger Kantonsparlament. Sein Nachfolger wurde Hans-Beat Uttinger (SVP), der im Amt überfordert war. 2007 übernahm Heinz Tännler die Baudirektion. Unter seiner Ägide wurden verschiedene Projekte zu einem konzeptionellen Ganzen vereinigt und vorangetrieben.

Im April 2009 wurde der 201-Millionen-Kredit für die Tangente Zug–Baar vom Kantonsrat gutgeheissen, aber dem fakultativen Referendum unterstellt – das Volk sollte das letzte Wort behalten.

Auch GLP kämpft gegen die Tangente

Die Alternativen bekämpften Strassenbauten seit Jahrzehnten konsequent. «So viel ÖV wie möglich, so wenige Strassen wie unbedingt nötig», lautete um 2000 ihr Motto. Auch 2009 war das Bonmot zu hören: «Wer Strassen sät, wird Verkehr ernten.» Die SP hatte in der Vergangenheit versucht, bei der Verkehrsplanung aufs Tempo zu drücken, lag sonst meist auf der Linie der Alternativen, ebenso wie die Christlichsozialen. Als neue Playerin nahmen 2009 die Grünliberalen am Abstimmungskampf teil, die sich ebenfalls gegen die Tangente stellten. Sukkurs erhielten sie von WWF, Pro Natura und vom VCS.

Die Argumente dagegen lauteten: Die Strasse sei zu teuer, sie durchschneide ein Naherholungsgebiet, sie fresse zu viel Land. Sie sei gar nicht nötig, da nur 30 Prozent der Leute aus dem Ägerital und den Berggemeinden zur Autobahn wollten und der ganze Rest für Mehrverkehr in Baar und Zug sorgen werde.

Für die Tangente setzten sich CVP, SVP, FDP und die beiden Verkehrsclubs ACS und VCS ein. Der Gewerbeverband des Kantons Zug, der Ende der 1990er Jahre eine eigene Autobahnraststätte bei Rotkreuz hatte realisieren wollen, war ebenso dafür wie die Zuger Wirtschaftskammer.

Ringen um flankierende Massnahmen

Unter den bürgerlichen Parteien hatte seit dem Erstarken der SVP in den 1990er Jahren eine Differenzierung eingesetzt: Die SVP drängte immer darauf, dass neue Strassenbauprojekte möglichst offensiv angegangen werden, CVP und FDP berücksichtigten eher die Notwendigkeit von Lärmschutz und flankierenden Massnahmen. Den beiden Mitteparteien, der aufsässigen Opposition und Interessensvertretern aus der Nachbarschaft der Tangente ist es zu verdanken, dass die neue Strasse mit der Freilegung von Bächen, Beruhigung von andern Verkehrswegen und neuen Radwegen kombiniert wurde.

Dennoch betonten Freisinnige und Christdemokraten über die Jahrzehnte immer wieder, dass die Infrastrukturen im Kanton Zug dem schnellen Wachstum hinterherhinkten. Dass seit dem Autobahnbau 1974 kein grosses Strassenprojekt mehr realisiert wurde und, dass neue Siedlungs- und Arbeitsgebiete erschlossen und vernetzt werden müssten.

Alles eine Frage der Wahrnehmung

Sinnbildlich dafür war eine Kolumne von CVP-Nationalrat Gerhard Pfister aus Oberägeri im Abstimmungskampf. Darin begründete er, warum die Tangente fürs Ägerital so wichtig ist. Seit den 1970er Jahren sei keine grössere neue Strasse mehr im Kanton Zug gebaut worden, sinnierte er.

Dass eben mit der Nordzufahrt von Baar nach Zug eine solche neue Strasse eröffnet worden war, schien er ebenso zu vergessen wie den Bau der Umfahrung Steinhausen, den Ausbau der Verbindung Grindel–Bibersee oder den Ausbau der Autobahn zwischen Rotkreuz und der Verzweigung Blegi auf sechs Spuren. Das allerwichtigste Strassenbauprojekt für den Kanton Zug würde übrigens kurz vor dem Zuger Urnengang dem Verkehr übergeben: die neue Autobahn durchs Knonaueramt.

November 2009: Bevölkerung gibt grünes Licht

Die Abstimmung über den Objektkredit für den Landerwerb, die Planung und den Bau der Tangente Zug–Baar wurde am 29. November 2009 von 59 Prozent der Zuger Stimmberechtigten angenommen. Die Stimmbeteiligung lag bei verhältnismässig hohen 61,8 Prozent.

Als einzige Gemeinden dagegen stimmten Baar und Menzingen – obwohl beide zu den grössten Nutzniesserinnen der neuen Strasse gehören. Doch in Baar überwogen Ängste, dass die Tangente Emissionen in die Wohngebiete tragen werde. In Menzingen fürchtete man, die Strasse ziehe zusätzlichen Schwerverkehr an, der sich durchs Zentrum des Dorfes quälen werde.

So sieht die Tangente Zug–Baar von oben aus. (Bild: zVg)

Wirkung wird sich demnächst zeigen

Die Tangente Zug–Baar bringt unzweifelhaft den Verkehr von den Berggemeinden und dem Ägerital schneller auf die Autobahn. Aber ob die schöne neue Strasse wirklich auf längere Dauer die Zentren von Baar und Zug entlastet, oder ob nicht einfach andere Quartiere zugestaut werden, wird sich nach der Eröffnung am 24. Juni erst noch weisen müssen.

Ebenso, ob der Verkehr auf der bisherigen informellen Ostumfahrung von Zug – der «grauen Gutschrank-Abfahrt» welche auf der Loretostrasse neben einer grossen Schule durch ein Tempo-30-Gebiet führt – sich von alleine in Luft auflöst.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Lukas Hofer
    Lukas Hofer, 20.06.2021, 08:22 Uhr

    Das Bonmot, dass mehr Strassen zu mehr Verkehr führen stimmt grundsätzlich, das haben schon unzählige Ausbauprojekte in der Vergangenheit gezeigt. Die Förderung des öffentlichen Verkehrs ist deshalb ein unverzichtbarer Beitrag an die Reduktion des Strassenverkehrs.

    Dennoch sind Umfahrungsprojekte von grosser Bedeutung. Sie stellen eine massive Erhöhung der Lebensqualität in den Quartieren und leisten einen wichtigen Beitrag an die Verkehrssicherheit in den Zentren und den Wohnquartieren. Schlussendlich wird auch der öffentliche Verkehr attraktiver, wenn die Busse nicht mehr im Stau steht.

    Leider ist die Schweiz in den letzten 30 Jahren so stark bebaut worden, dass neue Unfahrungsprojekte immer schwieriger umsetzbar werden.

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