Wer spricht wie lange im Stadtparlament?

Philip C. Brunner redet mehr als der ganze Zuger Stadtrat

GPK-Präsident Philip C. Brunner (SVP) sprach im Zuger Stadtparlament kürzlich am längsten.

Wer schwätzt und wer schweigt im Zuger Stadtparlament? zentralplus hat sämtliche Voten einer Sitzung gemessen und analysiert. Und dabei einen klaren Hauptdarsteller ausgemacht – sowie einen Stargast, der zu einer Wutrede ansetzte.

Wäre der Grosse Gemeinderat (GGR) der Stadt Zug ein Film, so hätte er eine Regisseurin. Nämlich Tabea Zimmermann Gibson (ALG), die das Stadtparlament heuer und nächstes Jahr präsidiert und die als Moderatorin durch die Session führt.

zentralplus wollte wissen, wer im GGR das Sagen hat und hat daher beispielhaft die Sitzung vom 29. Juni analysiert, von der die Stadt Zug ein Video auf ihrer Homepage aufgeschaltet hat. Überraschender Befund: Es ist nicht die Chefin, welche am meisten am Mikrofon ist, obwohl sie alle Geschäfte vorstellt, die Abstimmungen durchführt und das Wort erteilt. Tabea Zimmermann Gibson sprach an jenem Sommerabend lediglich 18 Minuten und 35 Sekunden.

Guter Anfang, mühsames Ende

Denn der Hauptdarsteller im Zuger Stadtparlament ist ein anderer: Philip C. Brunner (SVP), Gemeinderat und Präsident der Geschäftsprüfungskommission (GPK). Er sprach während 28 Minuten und 26 Sekunden. Der Rat tagte während knapp dreier Stunden – also hallte fast ein Sechstel der Zeit Brunners Stimme durch den Grossen Saal des Theater Casino Zug. Sechsmal meldete er sich zu Wort: sowohl als Präsident der GPK wie auch als Fraktionssprecher und ebenso als Einzelvotant. Er liess keine Gelegenheit zum Reden aus.

Gewissermassen der Stargast des Abends war Urs Bertschi, SP-Fraktionschef und Mitglied der Bau- und Planungskommission (BPK), die er auch lange präsidiert hatte. Als es im Rat um einen Ersatzneubau des Schulhauses Maria Opferung ging, explodierte der Anwalt und setzte zu einer Brandrede an, in der er der Stadtregierung ordentlich die Leviten las.

Bertschis Rede hatte Substanz, enthielt ätzende Kritik im Rahmen einer Gesamtbetrachtung. Kurz: Die Rede war richtig gut. Jedenfalls gut zehn Minuten lang, bis Bertschi in Wiederholungen verfiel und gebetsmühlenartig die Kernpunkte repetierte. Er sprach 18 Minuten und 21 Sekunden für seine Fraktion, kam dann als Einzelvotant wieder und war so 21 Minuten und 8 Sekunden am Mikrofon – ebenfalls länger als die Ratspräsidentin.

22 Minuten gehörten dem Stadtrat

Immerhin toppte er nicht die Gesamtredezeit der Stadtregierung, die sich siebenmal zu Wort meldete und 22 Minuten und 58 Sekunden lang sprach. Dreimal meldete sich Finanzvorsteher André Wicki (SVP) zu Wort. Seine Vorträge waren alle kurz und stringent.

Neben der Ratspräsidentin (19 Minuten) und der Stadtregierung (23 Minuten) sprachen gesamthaft 1 Stunde 29 Minuten und 12 Sekunden lang die Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Vorab in Fraktionsvoten, denn es war eine recht langweilige Sitzung. Stimmung kam erst beim letzten Traktandum auf, als es ums naphtalinverseuchte Schulhaus Maria Opferung ging.

Grösste Fraktion ist die wortkargste

Auffallend war, dass die grösste Fraktion die kürzeste Redezeit in Anspruch nahm. Die Stellungnahmen der FDP dauerten nur 8 Minuten und 51 Sekunden. Die ALG/CSP stand immerhin 12 Minuten und 57 Sekunden am Rednerpult, Die Mitte 14 Minuten 41 Sekunden und die SVP 16 Minuten 14 Sekunden. Die SP, ihres Zeichens die zweitkleinste Fraktion, nahm das Mikrofon 26 Minuten und 49 Sekunden lang in Beschlag.

Eine Ausnahme stellten die Grünliberalen dar. Ihr Gemeinderat Daniel Marti meldete sich nur zu einem Traktandum und sprach 3 Minuten 46 Sekunden. Fraktionschef Daniel Meyer war an diesem Tag abwesend und der sonst so wortgewaltige Stefan W. Huber übte sich im Schweigen.

Wieso es manchmal wie Geschwafel klingt

Betrachten wir die Güte der Voten. Zuallererst beim Hauptdarsteller Philip C. Brunner, der als GPK-Präsident natürlich eine wichtige Rolle spielt. Brunner ist erfahren und weiss vieles, hat aber die Tendenz, auszuufern und abzuschweifen. Oft sind seine Äusserungen fundiert, auch wenn sie Aussenstehenden und Uneingeweihten wie pures Geschwafel vorkommen müssen.

Als es darum ging, einen Beitrag an ein Fest zu sprechen, mit dem kommendes Jahr das 125-jährige Bestehen des Bahnhofs Zug gefeiert wird, eierte er minutenlang herum und erzählt dem Plenum, welche Informationen seine Kommission im Zusammenhang mit Transparenz beschafft hat. Das hat einen Grund: Die Organisatoren von Grossanlässen sind in Zug oftmals die Gleichen. Sie machen ihre Sache zwar gut, aber weil sie dafür öfter auch Beiträge der öffentlichen Hand bekommen, hat die GPK ein Auge auf sie geworfen und schaut bei Gesuchen immer besonders genau hin. Brunner wollte ebendies deutlich machen. Auch wenn er es nicht direkt aussprach, verstanden es alle Parlamentarier – nur eben nicht zufällig anwesende Zaungäste.

Die Schelte der Chefin

Was Brunner ebenso auszeichnet, sind gelegentliche Vertraulichkeiten. So verfiel er ab und zu in den «Duzis»-Modus, sagte etwa zu Stadtrat Urs Raschle (Die Mitte) «korrigier mich bitte, Urs» und rief Einzelvotant Werner Hauser (FDP) mit «Du als Freisinniger (...)» zur Ordnung.

Mit seinen Auftritten reizt er seine Kolleginnen und Kollegen. Als er nach einem Votum der Regierung nochmals ans Mikrofon stürmte, rügte ihn Ratspräsidentin Tabea Zimmermann Gibson: «Es ist nicht üblich, nach dem Stadtrat nochmals zu sprechen.»

Der Humor und der Nonsense

Sinn für den feinsten Humor hat Karen Umbach (FDP). Nachdem Brunner über neun Minuten zur geplanten Vergabe der Liegenschaft Frauensteinmatt im Unterbaurecht an die Stiftung Alterszentren Zug gesprochen hatte, setzte die gebürtige Britin als Fraktionssprecherin zum Seitenhieb an. Sie fasse sich kurz, sagte sie. Erstens, weil der GPK-Präsident so ausführlich in die Thematik eingeführt habe und zweitens, weil ja alle sicher die Vorlage gelesen hätten. In der Tat bereiten sich die Parlamentarier für die Sitzungen vor.

Umbach selber sprach wirklich kurz – 1 Minute 35 und 2 Minuten 28 Sekunden. Sie hat aber ein Talent, in ihre Voten zusammenhanglose Floskeln einzubauen wie «manches ändert sich nie» oder «hoffentlich gelingt's». Vor ihren Voten begrüsste sie – wie so manche andere auch – die Ratspräsidentin, die Stadträte, die Kollegen, die Gäste und seltsamerweise auch «die Medien, obwohl die immer noch nicht da sind».

Die «Kameraden» der SVP

Apropos Begrüssung: Gregor R. Bruhin (SVP) begrüsste nach den Honoratioren jeweils die «Kameradinnen und Kameraden» im GGR. Der ironiebegabte Urs Bertschi hatte dies bei seiner Vorrede eingebaut, begrüsste erst die «Kolleginnen und Kollegen», dann auch «die lieben Kameraden von der SVP».

Ganz ohne barocke Schnörkel kommt Stefan Hodel (ALG) aus. Der grüsste nämlich nur die «geschätzten Anwesenden» und lieferte dann das kürzeste Fraktionsvotum ab: 1 Minute 5 Sekunden – hocheffizient und ohne jedes Geschwurbel.

Schwurbeln über Meditation

Zum Schwurbeln neigen einige Parlamentarier vor allem dann, wenn es kaum etwas zu bemerken gibt. Beim Beitrag ans Bahnhofsfest wollte Die Mitte eine Kürzung von 100'000 Franken, weil sie fürchtete, an das Fest gehe eh kaum jemand. Alle anderen Fraktionen wollten aber 250'000 Franken spenden und ihre Sprecher begannen daher blumig, die Wichtigkeit des Bahnhofbaus vor 125 Jahren zu preisen.

Martin Iten (ALG) sagte: «Es ist spannend, die Bedeutung der Eisenbahn auf die Entwicklung unserer Gesellschaft zu meditieren.» Warum die Eisenbahn als Meditiationsthema geeignet ist und warum man ausgerechnet an einem Fest meditieren soll, bleibt sein Geheimnis.

Den kürzesten Aufritt an der Session hatte Itens Parteikollegin Daniela Amrein, die frisch vereidigt wurde. Dies dauerte genau 30 Sekunden und Amrein sprach zwei Worte: «Ich gelobe.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 26.10.2021, 14:47 Uhr

    Bei den Anreden im GGR fehlen mir die «lieben Genossinnen und Genossen», welche sich an die nichtbürgerlichen Ratsmitglieder wendet. Bürgerliche PolitikerInnen werden gerne als «KollegInnen» angesprochen, während die Bezeichnung «KameradInnen» in der rechten und rechtsextremen Szene gebräuchlich ist.

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