Tipps aus dem Reiseführer von 1913

Pferderennen und Zeppelinflug: So machte man vor 100 Jahren Ferien in der Region

Das Seeufer am Banhof Luzern im Jahre 1920. (Aus «Luzern in alten Ansichten» © Weltbild Verlag, Olten (Bild: © Foto: Stadtarchiv Luzern))

Viele Schweizer machen dieses Jahr Ferien wie Anfang des 20. Jahrhunderts. Nämlich hierzulande. Wir haben im gut 100-jährigen Reiseführer «Sommer in der Schweiz» Tipps gesucht und trafen stattdessen auf eine schwülstig umschriebene Scheinwelt. Zudem, obacht Zuger: Es gibt Grund, beleidigt zu sein.

Weg von zuhause, Tapetenwechsel, Fahrt ins Blaue, auf ins Abenteuer! Ein Wunsch, der den Schweizern nicht neu ist. Überhaupt nicht. Ein Reiseführer von 1913 zeigt, wo man in der Schweiz ordentlich Ferien verbringen kann.

Auch die Zentralschweiz kommt dabei nicht zu kurz. Voller Euphorie und in triefend-schwülstiger Sprache schickt Autor Paul Altheer die Reisenden «begeisterten Herzens» «in munteren Scharen über den herrlichen See» aufs Rütli.

Zu viel der Hochstimmung? Das war erst der Anfang. Die «vier Waldstätte» animieren den Autor zu poetischen Ergüssen, die keinen romantisch veranlagten Naturfreund kalt lassen dürften.

«Nicht das grollende, von starren Firnwänden zurückgestossene Echo der zu Tale stürzenden Lawinen dringt an dein Ohr, wenn du am Frühstückstisch sitzest. Strahlend prangt des Alpenkranzes erhabene Pracht in das Land hinein, das in reichgestalteter Bilderflucht die liebliche Schönheit des schweizerischen Mittellandes in die grossartige Szenerie des Hochgebirgs allmählich überleitet.»

Fabrikarbeiter kannten damals noch keine Ferien

Valentin Groebner ist Geschichtsprofessor an der Universität Luzern. Dass der Autor von «Sommer in der Schweiz» derart euphorisch schreibt, ist für ihn nicht überraschend: «Der Autor schrieb für die Tourismusbranche, kein Wunder findet man im Reiseführer nur Positives.»

Das Buch war nicht für jedermann gedacht. «Bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für Fabrikarbeitende in der Schweiz keinen Anspruch auf Urlaub. Ferien waren 1913 ein bürgerliches Privileg für mittlere Angestellte und Besserverdienende», erklärt Groebner.

Die Schweizerinnen waren zu dieser Zeit nicht wohlhabender als die Bewohner umliegender Länder wie etwa Deutschland oder Frankreich. «Entsprechend kamen viele Touristen von dort sowie aus England, Russland oder auch den USA.»

Menschenmassen auf der Rigi? Kein neues Phänomen

Wenn auch damals keine Massen an Chinesen und Inder in die Zentralschweiz reisten, so schien man das Thema der überlaufenen Berge doch bereits zu kennen. «Rigi, Pilatus, Stanserhorn und Bürgenstock sind ein Viergestirn, dessen Glanz in die Völkerwanderung des Fremdenverkehrs leuchtet», liest man im historischen Reiseführer. Auffällig positiv formuliert. Ermöglicht wurden der Massenandrang durch den Einzug der Elektrizität in der Zentralschweiz.

«Völkerwanderung» ist jetzt eher übertrieben. Dafür standen auf der Rigi grosse Hotels. (Bild: Reiseführer «Sommer in der Schweiz»)

Als erster der vier Gipfel erhielt die Rigi 1871 ihre Bergbahn, gefolgt vom Bürgenstock 1888. Auf den Pilatus fuhr die «steilste Zahnradbahn der Welt» ab 1889. Vier Jahre später folgte die Stanserhornbahn. Heisst: Um sich am Alpenpanorama zu ergötzen, war es auch vor hundert Jahren nicht nötig, sportlich zu sein.

Die aufgeweckten, lebensfrohen Luzerner

Über den Kanton Luzern schreibt der Autor lobpreisend: «Zahlreiche Heilquellen und Mineralquellen sprudeln, Luftkurort reiht sich an Erholungsstation. Die Mannigfaltigkeit der Sommerfrischen – vom einfachen Alpgasthof bis zum stolzen Hotelpalast – gewähren allen Ansprüchen Erfüllung.»

Der Autor schreibt von einer «aufgeweckten, unternehmungslustigen, lebensfrohen Bevölkerung», welche durch Industrie, Handel und Landwirtschaft zu ordentlichem Wohlstand gefunden habe.

40'000 Einwohner zählte die Stadt Luzern, die «Metropole der Zentralschweiz», damals. Heute sind es doppelt so viele. Schon 1913 galt sie als «weltbekannte Fremdenstadt».

Der Autor scheint beim Schreiben ganz aus dem Häuschen gewesen zu sein. «Gleiten wir auf schmuckem Dampfboot von Osten her durch die von Gletschermilch gespeiste Flut des sonderbar geformten, vielarmigen Sees, entzückt uns das farbensatte Städtebild auf grünem Untergrund.»

Doch schon damals gab's Touristen, wohin das Auge reichte. «Um zu schauen und sich schauen zu lassen, strömen sie herbei, die Gäste aus aller Herren Länder», heisst es im Buch weiter. Etwa, wenn im Musikpavillon beim Schweizerhofquai Konzerte gespielt wurden.

Zeppelinfahrten und internationale Pferderennen

Überhaupt war da ganz schön was los im Jahr 1913: Seenachtfeste, Mondscheinfahrten, Motorbootrennen, Segel- und Ruderregatten, Golf, internationale Pferderennen und Spazierfahrten mit dem lenkbaren Luftschiff – sprich, dem Zeppelin – wurden damals veranstaltet. «Was kann man da noch mehr begehren?»

Luzern in einer Zeit, da es um den Tourismus schon nicht mehr allzu gut bestellt war.

Die Beliebtheit Luzerns als Tourismusstadt schreibt Altheer mitunter der Eröffnung der Gotthardbahn zu. Daraus seien auch die prunkvollen Hotelbauten entstanden.

Das stimme zum Teil, sagt Historiker Groebner dazu. «Ausserdem ist Luzern eine der wenigen Städte, wo man in Richtung Süden über den See auf schneebedeckte Berge blicken kann. Aus diesem Grund wurden beim heutigen Schweizerhofquai Mitte des 19. Jahrhunderts grosse Hotels gebaut.» Bis dahin, so erklärt er, hatten dort nur sumpfige Wiesen gestanden.

Schickes Luzern? Viel eher Stadt der kalten Betten

So glänzend, wie in «Sommer in der Schweiz» beschrieben, sei es aber 1913 mitnichten gewesen, relativiert der Luzerner Historiker Valentin Groebner. «Der Tourismusboom in Luzern war nach den 1890er Jahren vorbei. Es wurden zwar weiterhin grosse Hotels gebaut, die machten aber keinen Gewinn mehr.»

Spätestens 1911 also habe in Luzern ein massives Überangebot an Hotels geherrscht. «Der Anschein, dass Anfang des 20. Jahrhunderts nur reiche Leute anreisten, trügt demnach.»

Die meisten der im Führer genannten Hotels existieren heute nicht mehr. «Viele wurden abgerissen oder sie sind – nicht ganz zufällig – abgebrannt. Aus einigen wurden Wohnhäuser», erklärt Groebner.

Eine Übernachtung in einem der Luzerner Hotels gab's damals ab 1.50 Franken, liest man in der Preistabelle des Reiseführers. Zahlte man mehr, gab's gar ein Zimmer in Hotels mit «modernstem Konfort». Will heissen: Elektrisches Licht, Lift, Zentralheizung, «gute Küche» und «peinlichste Sauberkeit».

Gletschergarten und Pilatus waren Programm

Zu welchen Attraktionen hat der Autor die Luzerner Touristen damals geschickt? Dorthin, wo sie auch heute hingeschickt werden. Etwa in den Gletschergarten, der im Reiseführer über zwei Seiten derart genau beschrieben wird, dass man eigentlich gar nicht mehr hin muss.

Zum Spazieren wurde den Reisenden damals der Gütsch empfohlen, der Sonnenberg – wo man bereits mit der Bahn hoch konnte – oder aber das Eigenthal. Dorthin gelangte man «von Luzern bis Kriens mit dem Tram, dann auf guter Fahrstrasse in das abgeschlossen friedliche Tal, zu Fuss 2 St., Automobilverbindung 1/2 St.»

Rigi gegen Blutarmut

Zur Tageswanderung ging's auf bereits genannte Berge. Die Rigi wird dabei besonders angepriesen. «Mannigfaltig ist die Aussicht auf den Rigigipfeln, anregend die staubfreie Luft für Erholungsbedürftige, Blutarme und Nervenschwache.»

Zug sinkt ab gegen Luzern

Während Luzern vom Autor des Reiseführers hochtrabend gelobt wird, wird das «liebliche Zugerländchen» eher wie die kaum ernst zu nehmende kleine Schwester umschrieben. «Ganz auf dem Boden des Molasselandes sich dehnend, fehlt es Zug an der schreckhaften Grossartigkeit des Hochgebirgs.» Auch wenn die «sanft gerundeten Hügel» und die «kleinen Tälchen» dennoch als landschaftlich prächtig bezeichnet werden.

Die Luzerner, die im Reiseführer als tüchtiges, erfolgreiches Volk dargestellt werden, stehen im krassen Gegensatz zur Charakterisierung der Zuger: «Die gemütlichen Zuger verlegen sich auf Viehzucht, Obstbau (hauptsächlich Kirschen), Fischfang am Zuger See.»

Die gerühmte Pension ist heute ein Etablissement

Es folgen die üblichen Tipps für Spaziergänge in der Altstadt, auf den Zugerberg mit seinen Kurhäusern und in die Höllgrotten. Fun Fact: Explizit als Unterkunft angepriesen wird die Pension Waldhaus in Sihlbrugg mit ihrem Garten und dem «Five o'clock-Tee». Heute gibt's das Haus zwar noch, doch gibt's dort wohl eher einen «Five o'clock-Quickie». Das Gebäude ist mittlerweile nämlich ein Bordell.

Vom Zugersee war der Autor wiederum nicht sonderlich beeindruckt. «Kommt der Zuger See dem grossartigen Vierwaldstättersee an kühner Schönheit nicht gleich, wollen wir dafür auf einer Seefahrt uns an seiner Lieblichkeit erfreuen.» Immerhin musste man in Zug nicht die eigenen Hotels abfackeln, als es mit dem Tourismus irgendwann bergabging.

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