Luzerner Journalist über Zentralschweizer Medien

Peter Studer: «Gut organisiert können Zeitungen noch 20 Jahre überleben»

Da lachen keineswegs die Hunde: Seine geliebten Zeitungen werden Peter Studer nicht mehr lange erhalten bleiben.

(Bild: hae)

Peter Studer ist einer der bedeutendsten Journalisten des Landes: Er war Chefredaktor des Schweizer Fernsehens und beim Zürcher «Tagesanzeiger». Studer gibt der «Luzerner Zeitung» noch eine Lebensdauer von knapp 20 Jahren. Dem «Willisauer Boten» hingegen noch viel länger.

Rüschlikon am Zürichsee, ein Turmhaus mit Blick über das weite Wasser. Doch der Blick des erfahrenen Journalisten (siehe Box) geht nicht gen See, sondern irrlichtert in seiner Studierstube immer wieder zwischen gestapelten Papierbergen, proppenvollen Bücherregalen und schweren Papierbergen hin und her. Seine Gedanken schweifen in die Ferne: weit zurück in die seligen Printzeiten mit langen Auslandreisen und lang andauernden Recherchen. Und weit vorwärts in die Zukunft ohne sein geliebtes Papierrascheln.

Der aus Luzern stammende Medienmann lebt zwar schon seit Jahrzehnten in Zürich, ist mit der Zentralschweiz aber weiterhin stark verbunden. Er kennt die Medien wie nur wenige, erinnert sich an vier verschiedene Zeitungen in Luzern, doziert vor Jungjournalisten, gibt Interviews zum Medienrecht und schreibt selber für ein Onlinemagazin. Der ideale Gesprächspartner über die anstehende Fusion der «Luzerner Zeitung» mit der «Aargauer Zeitung» (zentralplus berichtete).

zentralplus: Peter Studer, was haben Sie heute zum Morgenkaffee gelesen?

Peter Studer: Zwei Stunden lese ich jeden Morgen die «NZZ» und den «Tagesanzeiger». Relativ intensiv, ich unterstreiche Wichtiges und reisse mir Seiten raus, die ich später noch lesen will. Am Sonntag lese ich drei Zeitungen: «NZZ am Sonntag», die beste mit der grössten Substanz, «Sonntagszeitung» und «Schweiz am Wochenende». Ein Nachbar im Haus lässt mich dann auch den «Sonntagsblick» lesen. Und dann kommt am Wochenende noch das weltweit beste Informationsmagazin dazu: der Londoner «Economist». 

zentralplus: In welcher Form lesen Sie die?

Studer: Ich höre gerne das Zeitungspapier rascheln, darin bin ich altmodisch. Und in den Ferien im Ausland nehme ich auch mal ein Tablet hervor.

«Über das Geschehen der Zentralschweiz informiere ich mich vorwiegend mündlich.»

Die Surseer Journalistenlegende Peter Studer

zentralplus: Wie informieren Sie sich als Luzerner in Ihrem Exil am Zürichsee über das Geschehen der Zentralschweiz?

Studer: Vorwiegend mündlich. Ich habe noch Familie und Freunde in der Stadt und im Raum Sursee, bin ja in Luzern aufgewachsen. Ich habe die Kanti neben der Jesuitenkirche und das Luzerner Anwaltspatent dort gemacht, dann auch in einer Kanzlei gearbeitet. 1964 ging ich dann nach Zürich, vorerst zum «Tagesanzeiger».

zentralplus: Seither arbeiten Sie für Medien, die einen starken Strukturwandel durchmachen. «Wir schreiben Mediengeschichte», frohlockte «NZZ»-Verleger Etienne Jornod unlängst zur Fusion von «NZZ» und «AZ», von der auch die «Luzerner Zeitung» betroffen ist. Ist das nicht Schönfärberei?

Studer: Das ist nicht falsch, es gibt eine massive Bewegung, nicht nur zwischen diesen beiden Medienplayern. Den Zeitungen geht es schlecht, Inserateplantagen sind eingebrochen, die Abozahlen gehen zurück. Andererseits haben sich die Verlage selber geholfen: Sie haben auf digitale Medien umgestellt. Und sanieren sich derzeit, indem sie online Werbe- und Kaufportale einführen. Mit Erfolg. Die «NZZ» etwas bedächtiger als Tamedia, die den «Tagesanzeiger» (Tagi) herausgibt. Es war zu erwarten, dass die «NZZ» bald mit einem anderen Verlagshaus zusammengehen würde.

«Der Selbständigkeitscharakter der ‹Luzerner Zeitung› wird stark reduziert.»

zentralplus: Wie wird sich diese Fusion auf die «Luzerner Zeitung» (LZ) auswirken?

Studer: Dadurch wird natürlich der Selbständigkeitscharakter der «Luzerner Zeitung» stark reduziert. Man weiss ja auch noch wenig, was da rauskommen wird. Aber logisch war, dass sie das Weltblatt «NZZ» mit seinen Stärken im Wirtschafts- und Auslandteil raushalten. Beim «Tagi» ist eine weitgehende Zusammenarbeit mit der «Süddeutschen Zeitung» bereits im Gange. Das brachte der Leserschaft zwar gute Texte zu Ausland, Wirtschaft und Kultur. Das ist aber ein Weg, der sich überall abzeichnet und jetzt auch bei den Partnerzeitungen der «NZZ». Mit dieser «NZZ»/«AZ»-Fusion werden Artikel neu über eine Zentralredaktion bestellt, das wird der überregionale Chefredaktor Pascal Hollenstein so arrangieren. Das ist eine Verlagsstrategie, man macht Verträge für wichtige Artikel.

«Wer im Print bleiben will, muss in Journalisten investieren. Doch da ist die Bereitschaft leider nicht sehr gross.»

zentralplus: Wie lange geben Sie den Printzeitungen noch?

Studer: Die gedruckten Zeitungen sind schon so oft totgesagt worden – sogar schon Ende der Achtzigerjahre – und dann doch nie gestorben. Es wurden den Verlegern Opfer abgerungen, doch sie haben sich schadlos gehalten, indem sie Online- und Werbeportale aufmachten und diversifizierten. Allerdings oft auf Kosten des Journalismus, was ich sehr bedauere. Ich habe das auch immer kritisiert und gesagt: Wer im Print bleiben will, der muss auch in Journalisten investieren. Doch da ist die Bereitschaft in den Verlagen leider nicht sehr gross.

zentralplus: Die Verlagsleute gehen um 17 Uhr nach Hause, die Journalisten arbeiten oft bis nachts, der Druck auf die Kreativen wird immer grösser. Finden Sie Ihre abonnierten Zeitungen noch lesenswert?

Studer: Das schon, aber die redaktionellen Beiträge sind geschrumpft. Einerseits finde ich das schade, aber ich sehe schon, dass eine Konzentration im Kostenbereich erfolgen muss. Auch wenn sie brutal erfolgt mit der Ausdünnung von Redaktionen und Ressorts. Meine Frau, die beim «Wall Street Journal» arbeitete, und ich haben noch die guten Zeiten erlebt.

zentralplus: Wie sahen die denn aus?

Studer: Zu meiner Zeit, also in den 1980er-Jahren, waren beim «Tagi» sechs Auslandredaktoren angestellt. Wir haben die Welt nach geografischen und politischen Kriterien aufgeteilt: Russland, Asien, Afrika, Amerika und ein paar für Europa. Jeder durfte mindestens einmal pro Jahr zu Recherchezwecken in seine Region reisen, um sich dort während mehrerer Wochen wieder à jour zu halten. Das gibt’s heute nicht mehr. Nach fünf oder zehn Jahren gab es «Sabbaticals» zur Horizonterweiterung, heute ist so etwas nicht mehr vorstellbar.

Fernseh-Chefredaktor Peter Studer in seinem Büro 1992.

Fernseh-Chefredaktor Peter Studer in seinem Büro 1992.

(Bild: Schweizer Fernsehen /zvg)

zentralplus: Nochmals: Wie viele Jahre geben Sie Ihren geliebten Papierzeitungen noch, bitte?

Studer: Wenn die sich gut ausrichten, sich teilweise verschlanken, zusammenarbeiten, kann das schon noch 20 Jahre dauern.

zentralplus: Pascal Hollenstein, der Superchefredaktor der «Luzerner Zeitung», redete die Fusion unter dem Titel «Zukunft für unabhängige Medien» rosa. Stimmt das so?

Studer: Es muss funktionieren, auf dem Lesermarkt vorab, die Redaktionen müssen so gut sein, dass man die Zeitung abonniert und kauft. Wenn sie aber im Lokalbereich keine starke Rolle spielen können, dann wird das schwierig.

Print und TV, Presserat und Kunst

Der in Sursee geborene Peter Studer (82) war Chefredaktor des «Tagesanzeigers» (1978–1987) und des Schweizer Fernsehens (1989–1999) sowie Präsident des Schweizer Presserats (2001–2007). Von 2007 bis 2012 war Studer Präsident des Schweizer Kunstvereins. Er schrieb diverse Bücher wie «Medienrecht für die Praxis»; «So arbeiten Journalisten fair» (2012); «Medienrecht der Schweiz» (2013). Der Luzerner kommentiert heute das Mediengeschehen für das Onlinejournal 21.ch. Mit seiner Partnerin, der australischen Journalistin Margaret Walsh, lebt er in Rüschlikon (ZH). 

zentralplus: Peter Rothenbühler, einer der prägenden Journalisten des Landes, betonte immer das Erfolgsrezept: «Regional, regional, regional» – hat er Recht?

Studer: Regional und lokal, da hat er Recht. Interessanterweise geht es einer Reihe von Lokalzeitungen, die in fast allen Haushalten ihrer Region abonniert sind und somit eine hohe Abdeckung haben, nicht schlecht. Ich denke da an den «Willisauer Boten» oder die «Einsiedler Zeitung», die konnten sich gut halten …

zentralplus: … trotz relativ bescheidenen Auflagen. Geben Sie denen noch länger als der «LZ»?

Studer: Die haben bessere Chancen, ja. Als ich 1960 als Journalist begann, hatten wir in Luzern gar vier Tageszeitungen: «LNN», «Vaterland», «Tagblatt» und die sozialdemokratische «Freie Innerschweiz».

«In Schwyz fällt kein Blatt vom Baum, ohne dass das nicht in der Zeitung stattfindet.»

zentralplus: Stimmt, und das auflagenschwächste Blatt im Spitzentrio, das «Tagblatt», überlebte lange, weil jeder Abonnent einmal im Jahr in der Zeitung abgefeiert wurde. So ging jedenfalls die Legende.

Studer: Das macht der «Bote der Urschweiz» heute immer noch: In Schwyz fällt kein Blatt vom Baum, ohne dass das nicht in der Zeitung stattfindet (schmunzelt). Aber wenn sich die ganz junge Generation nur noch im Internet geistig ernährt, dann wird es auch für die schwierig.

zentralplus: Dieses Geschäftsmodell mag vielleicht überleben, aber das ist ja nicht das Rezept, mit dem man einen anspruchsvollen Leser ansprechen kann. Was raten Sie den Zeitungsmächtigen?

Studer: Immer: Pflegt die redaktionelle Qualität! Aber wenn man den redaktionellen Teil nicht fördert, gute Journalisten fair bezahlt, dann wird das den Niedergang eher beschleunigen.

«Grosse Zeitungen wie ‹Zeit› oder ‹New York Times› investierten in ihre Redaktionen und konnten die Auflagen gar steigern.»

zentralplus: Und die Konzentration, das viel beschworene Medieneinerlei?

Studer: Die stören mich nicht speziell, denn es gibt wenige Menschen, die mehrere Regionalzeitungen gleichzeitig abonniert haben. Von daher ist das Klagen über die Konzentration nicht sehr begründet. Schauen Sie nach Deutschland oder in die USA: Die grossen Zeitungen wie «Zeit» oder «New York Times» investierten in ihre Redaktionen und konnten die Auflagen gar steigern.

zentralplus: Gut, da haben die spannenden Wahlen in Deutschland und in den USA die Leute zum Lesen zurückgeführt. In Print wie im Netz. Sie selber schreiben als Print-Urgestein auch für ein Onlinemagazin, das «Journal 21». Haben Sie einen fairen Lohn?

Studer: Im «Journal 21» schreibe ich wie alle Journalisten älteren Semesters gratis. Und gelegentlich mische ich mich auch in politische Diskussionen ein.

zentralplus: Viele andere Topjournalisten arbeiten ja fast gratis. Und die deutschen Journalisten kosten nicht mal die Hälfte wie die Schweizer. Ich sage immer: Meinem Anwalt zahle ich 400 Franken die Stunde, dem Handwerker 150. Die «NZZ» bezahlt Professoren und grossen Denkern im Feuilleton für eine Seite, an der vermutlich gegen drei Tage recherchiert und geschrieben wird, 300 Franken. Die machen das, weil sie gedruckt werden wollen. Das geschriebene Wort ist kaum mehr etwas wert.

Studer: Das ist sehr traurig. Aber mir ist es auch nicht mehr wichtig, einen Lohn für Geschriebenes zu erhalten, weil ich eine anständige Pension habe. Auch ich wollte und will veröffentlicht werden. Ich schreibe ja ausserdem Bücher, etwa «Medienrecht für die Praxis».

zentralplus: Medienjobs sind trotz dieser tristen Marktlage immer noch beliebt. Was raten Sie Freunden und Bekannten, deren Kinder in die Medien wollen?

Studer: Ich werde das häufig gefragt. Und ich empfehle Medienjobs nur bedingt. Ich glaube, die besten Zeiten für einen Journalismus, in dem man sich selber hohe Ansprüche stellen konnte und umgeben war von Leuten mit hohen Ansprüchen, sind vorbei. Leider. Wissenschaftlich bleibt allerdings ein Bedarf an guten Denkern und Schreibern.

Die Surseer Journalistenlegende Peter Studer in seinem Arbeitsbüro in Rüschlikon bei Zürich.

Die Surseer Journalistenlegende Peter Studer in seinem Arbeitsbüro in Rüschlikon bei Zürich.

(Bild: hae)

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