Wartefristen bei Operationen als Folge

Personalnotstand im Pflegesektor

Operationen im Zuger Kantonsspital sind laut eines neuen Tarifüberblicks des eidgenössischen Preisüberwachers zumeist teurer als in der Chamer Andreas-Klinik.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Die Zentralschweizer Spitäler spüren den Mangel an Pflegefachkräften. Das Personal fehlt ausgerechnet in den wichtigsten Bereichen, nämlich bei der Notfallpflege, in den Operationssälen und auf Intensivstationen. Direkt spürbare Folgen sind längere Wartezeiten. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. In Pflege- und Altersheimen sieht es noch prekärer aus.

Vordergründig läuft in den Zentralschweizer Spitälern alles glatt. Die Patienten werden zwar wie immer vorbildlich behandelt und versorgt. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Seit einigen Jahren schon sahen diverse Studien den Personalmangel im Pflegebereich kommen. Nun ist er da. Auch in der Zentralschweiz wird er immer stärker spürbar. So sind in Spitälern und Heimen zahlreiche Stellen offen oder nur mit Mühe zu besetzen, wie eine Umfrage von zentral+ ergab. Dies wirkt sich direkt auf die Angestellten aus.

«Der Druck auf das Pflegepersonal wird immer grösser», warnt Beatrice Tognina, Präsidentin der Sektion Zentralschweiz des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK). Insbesondere die sogenannten FaGe, die Fachangestellten Gesundheit, geraten in die Zwickmühle. Nicht selten müssten diese Aufgaben erfüllen, auf die sie in ihrer dreijährigen Ausbildung nicht vorbereitet seien. Das führe bei vielen zu Überarbeitung bis hin zum Burnout. Die Folge ist dann häufig der Berufsausstieg. Dies wiederum verschärft die Situation zusätzlich.

Noch schlimmer steht es in der Langzeitpflege. So bekundet etwa das Betagtenzentrum Rosenberg in der Stadt Luzern Mühe mit der Besetzung von Pflegestellen. «Momentan sind fünf Stellen unbesetzt», sagt Zentrumsleiterin Cati Hürlimann. In der Langzeitpflege ist generell ein Mangel an Pflegepersonen spürbar, da gerade die Altenpflege gesellschaftlich am geringsten angesehen ist.

Zu Unrecht, wie sie findet. «Das Image der liebevollen, aber nicht allzu intelligenten Betreuerin haftet dem Beruf an. Die Pflege von älteren Menschen wird zunehmend komplexer», betont auch Beatrice Tognina. Dies wiederum könne bei Pflegepersonal, das nach längerer, meist familienbedingter Arbeitspause wieder im Beruf einsteigt, erneut zu Überbelastung führen. «Es ist typisch für Menschen in Pflegeberufen, sich sehr lange und manchmal bis zur eigenen Erschöpfung für Patienten und Arbeitgeber einzusetzen», so Tognina.

Optimale Pflege in Gefahr

Unmittelbare Gefahr für die Patienten bestehe zwar nicht, beruhigt sie. In aller Regel würden die gesetzlichen Vorgaben in den Spitälern und Heimen eingehalten. Aber es sei durchaus möglich, dass durch den Personalmangel die Versorgung der Patienten nicht optimal verlaufe. «Eine diplomierte Pflegefachfrau kann Situationen besser einschätzen als eine FaGe. Sie ist zum Beispiel im Stande, ärztliche Verordnungen zu evaluieren und nachzuvollziehen. Es fällt ihr auf, falls ein Arzt ungenaue Medikationsvorgaben gemacht hat», erklärt sie.

Zudem entstehen für den Patienten Wartezeiten bei grösseren oder planbaren Operationen. Dies ist man sich zwar bereits gewohnt. Wenig bekannt ist aber, dass diese Wartezeiten nicht allein aufgrund von Zeitmangel bei den Ärzten verursacht sind. Immer häufiger fehlt für die entsprechende Operation das geeignete Personal. Und zwar nicht nur im Operationssaal, sondern auch bei der Anästhesie und in der Nachsorge auf der Intensivstation. «Konkrete Folgen sind etwa, dass weniger Betten auf der Intensivstation betrieben werden, da sonst die Qualität der Betreuung nicht gewährleistet ist», erklärt Beatrice Tognina.

Keine Besserung in Sicht

Eine Besserung der Situation ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. «Wir gehen von einer allgemeinen Verschärfung in den kommenden Jahren aus», zeichnet Michael Döring ein schwarzes Bild für den Zentralschweizer Pflegebereich. Der Leiter des Departements Pflege und Soziales vom Luzerner Kantonsspital ist es sich mittlerweile gewohnt, in der Suche nach geeignetem Personal kreativ sein zu müssen. «Im Moment können wir unsere Stellenpläne mit hohem Aufwand und durch innovative Lösungen besetzen», sagt er. Doch wie lange dies noch gut geht, steht in den Sternen.

Die anderen Zentralschweizer Spitäler spüren den Druck ebenfalls. Die Probleme sind überall dieselben. Vor allem in den spezialisierten Pflegebereichen gelingt es teilweise nicht, die Stellenpläne wie vorgesehen zu besetzen. Gesucht sind vor allem die diplomierten und spezialisierten Fachmänner und –frauen. So auch in den beiden Hirslanden-Kliniken, im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil und in der Psychiatrie.

Wie viele Stellen unbesetzt sind, wollen aber die wenigsten Spitäler bekannt geben. Das Ganze sei situativ und darum schwierig zu beziffern. Einzig die Luzerner Psychiatrie (LUPS) gibt offen darüber Auskunft. Personalleiter Thomas Lemp spricht von 30-35 zu besetzenden Stellen pro Jahr. Das entspreche einer Fluktuationsrate von 14 Prozent. Das Paraplegiker-Zentrum in Nottwil nennt eine Fluktuationsrate von etwa 11,35 Prozent.

Klar ist: In den Zentralschweizer Spitälern und Pflegeheimen arbeiteten im Jahr 2011 um die 14’000 Pflegepersonen. Schweizweit generieren die Ausbildungsstätten jährlich etwa 3’000 FaGes und etwa 2’000 diplomiertes Fachpersonal. Das ist zu wenig um den Bedarf zu decken. «Der Arbeitnehmermarkt ist ausgetrocknet», sagt Urs Karli, Direktor der Andreasklinik in Cham.

Wo das Personal gerne hingeht

Dass es aber auch Erfolgsmodelle in der Zentralschweiz gibt, zeigen zwei statistische Ausreisser. Während die Altersheime in der Stadt Luzern Mühe bekunden, Pflegepersonal zu rekrutieren, musste Urs Arnold in den letzten Jahren keine einzige Stelle ausschreiben. «Wir haben sogar Wartelisten», teilt der Leiter des Alterszentrums St. Martin in Sursee mit. Das Erfolgsrezept sieht er nebst einem guten Image darin, dass das Alterzentrum seit Jahren viel in die Ausbildung der eigenen Leute investiert, pflegerisch interessante Angebote wie betreutes Wohnen, Spezialabteilungen für Demenz und Psychiatrie und kleine Stellenpensen bietet, sowie geografisch günstig liegt.

In der Pflegeszene beliebt ist auch das Zuger Kantonsspital. Es gilt laut SBK als «Magnetspital», das heisst, es ist ein Spital, das sein Pflegepersonal durch optimale Bedingungen besonders gut halten kann. Dazu gehören etwa eine starke Führung in der Pflege, die sich Gehör in der Geschäftsleitung verschaffen kann, Mitsprachemöglichkeiten, Gesamtarbeitsverträge und ein höheres Lohnniveau als in der Innerschweiz. Mathias Winistörfer blickt darum optimistisch in die Zukunft: «In Sachen Personal stellt sich bei uns sogar eher eine Trendwende ein.»

Ausbildung und Image als Lösung

Doch diese Spitäler sind aktuell noch Einzelfälle. Fragt man die Spitäler und Heime nach möglichen Lösungen, wird allenorts die interne Aus- und Weiterbildung genannt. Pflegepersonen werden direkt angegangen und zur Weiterbildung ermuntert. Teilweise würden Weiterbildungskosten auch übernommen, wenn sich die Person bereit erkläre, danach weiterhin für das Spital tätig zu sein. Ausländische Angestellte spielen in der Lösungsfindung eine eher untergeordnete Rolle. «Die Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften ist zwar wichtig, wird aber nicht ausreichen, um den Personalbedarf zu decken», sagt Michael Döring vom LUKS.

Politisch wurde die Problematik in Sachen Personalmangel zwar bereits 2009 erkannt, aber man hat wenig aus dieser Erkenntnis gemacht. «Die Befürchtungen sind nun grösstenteils genau wie vorausgesagt eingetroffen», sagt Tognina. Der SBK unterstützt aktuell die nationale parlamentarischen Initiative «für die gesetzliche Anerkennung der Verantwortung der Pflege». Davon verspricht sich der Verband unter anderem eine Imageverbesserung und eine gesteigerte Attraktivität der Pflegeberufe.

Damit ist ein wichtiges Thema angesprochen, denn mit der Professionalisierung der Ausbildung – wie sie in den letzten Jahren stattgefunden hat – allein ist es noch nicht getan. Pflegeberufe stehen bei der heutigen Generation schlicht nicht zuoberst auf der Wunschliste.

Doch selbst wenn es gelingt, den Beruf wieder populär zu machen – die grundlegenden Nachwuchs-Probleme sind damit in den nächsten Jahren noch längst nicht gelöst.

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