Oberster Benediktinermönch in Luzern

«Papst Franziskus hat die Denkverbote aufgehoben»

Abt, Philosoph, Naturwissenschafter und Musiker: Notker Wolf in Luzern. (Bild: mbe.)

Abt Notker Wolf ist der Chef von 21’000 Benediktinern in der Welt. Und eine faszinierende Persönlichkeit. Er macht gerade Musik in Luzern und spricht mit uns über sein Frühstück, Martin Werlens neues Buch, die beiden Päpste und die CIA.

«Abt Notker» könne ich ihn nennen, sagt der kleine ältere Herr in schwarzer Kutte, der am Tisch im Marianischen Saal sitzt und gerade ein Sandwich isst. Muss er wohl, denn im hiesigen Hotel hat er zu wenig zu essen bekommen. Notker Wolf hat ein volles Programm. An einem Anlass der «Foundation Benedict Luzern» für geladene Gäste  spielte er Querflöte, heute Samstag wird der Abtprimas beim Kerzenanzünden vor der Hofkirche anwesend sein und  zwei Gottesdienste am Wochenende mitgestalten. Die Benediktiner sind auf verschiedene Arten in Luzern verwurzelt: Die Hofkirche war bis 1455 ein Benediktiner-Kloster. Ihr oberster Chef kam aber aus Rom, per Flugzeug.

zentral+: Abt Notker, sind Sie das erste Mal in Luzern?

Abt Notker Wolf: Nein, ich war schon verschiedene Male hier, für einen Vortrag über humanes Management bei der Privatbank Reichmuth zum Beispiel. Aber auch wegen unserer Stiftung in Luzern (siehe Box am Schluss).

zentral+: Wie gefällt Ihnen die Stadt?

Wolf: Es ist doch schön hier. Die Lage. Einmalig. Die Leute sind ebenfalls nett. Ich habe heute morgen schon mit der Bedienung in meinem Hotel geschäkert. Die war am Anfang allerdings etwas grantig, weil ich zu spät zum Frühstück kam.

zentral+: In welchem Hotel?

Wolf: Im Montana. Ein Geschenk von Freunden.

«Man kann die Wahrheit nicht unterdrücken. Das ist ungesund.»

zentral+: Was ist passiert?

Wolf: Um zehn Uhr war eigentlich Schluss mit Frühstück. Ich bat die Bedienung, mir nur einen Kaffee zu bringen. Ich bin pflegeleicht und brauche nicht viel. Dann hat sie auf einmal ein schlechtes Gewissen gekriegt und wollte mir Eier organisieren. Ein wenig Brot und Joghurt tat es auch. Dann hab ich noch zugeschaut, wie sie die Tische neu eindeckten. Ich machte einem jungen Mann mein Kompliment, wie toll er das macht. Er hat nur so gestrahlt. Damit war meine Morgenandacht schon gelaufen (er lacht herzlich und laut).

Zur Person

Notker Wolf wurde 1940 in Bad Grönenbach im Allgäu geboren. Der Süddeutsche ist als seit dem Jahr 2000 als Abtprimas oberster Repräsentant des Benediktinerordens. Dieser vereint weltweit 1'000 Klöster mit 7'500 Mönchen und 16'500 Nonnen. Notker Wolf hat seinen Sitz im Kloster Sant'Anselmo in Rom, er ist gleichzeitig Kanzler der angeschlossenen Hochschule. Mönch zu sein, bedeutet für Wolf nicht «im stillen Kämmerlein zu hocken». Der Abt ist Gast in deutschen Talkshows, meldet sich oft schnörkellos und keck zu Wort, hält Vorträge über Ethik im Management und spielt in seiner Freizeit neben Querflöte in der Rockband Feedback E-Gitarre.

zentral+: Sie sind quasi der CEO von über 20’000 Benediktinern. Sind Sie stolz darauf?

Wolf: Meine Macht ist die Machtlosigkeit, sage ich immer. Man muss unterscheiden zwischen Macht und Autorität. Ich kann jemandem noch so viel Macht geben, und er hat keine Autorität. Konfuzius sagt, wenn das Volk glaubt, es habe ein Werk alleine vollbracht und gar nicht merkt, dass der Chef dahinter steht, dann ist das die eigentliche Macht. Ein guter Chef sollte seine Mitarbeiter animieren, hinter ihnen stehen und mit ihnen denken, nicht für sie denken.

zentral+: Warum sind Sie Benediktiner geworden und nicht zum Beispiel Franziskaner oder Kapuziner?

Wolf: In meiner Jugend wollte ich Missionar werden, eine Familie und Kinder haben. Man hat mir aber gesagt, dass ich körperlich zu schwach sei. Ich bin dann zu den Missions-Benediktinern gegangen, wurde Professor an der Hochschule Sant Anselmo in Rom. Im Jahr 2000 bin ich schliesslich durch meine Wahl zum Abtprimas doch noch zum Obermissionar geworden und bin rund 300’000 Flugkilometer im Jahr unterwegs.

«Christentum ist Lebensfreude für mich.»

zentral+: Ein Mitbruder von Ihnen, Martin Werlen, hat soeben das Buch «Heute im Blick» herausgegeben. Der ehemalige Abt des Klosters Einsiedeln kritisiert die katholische Kirche und die Doppelmoral gewisser Vertreter. Ihre Meinung dazu?

Wolf: Ich habe das Buch bereits, kam aber noch nicht dazu, es zu lesen. Martin Werlen wird schon Recht haben in seiner Kritik. Man kann die Wahrheit nicht unterdrücken. Das halte ich für ungesund. Wir leben mit Papst Franziskus Gott sei Dank in einer Zeit, wo man wieder den Mut haben darf, die Wahrheit beim Namen zu nennen. Das war vorher nicht der Fall. Da musste man lügen. Sonst hat man eins auf den Deckel gekriegt.

zentral+: Was ist «die Wahrheit»?

Wolf: Zwei mal zwei ist vier und nicht fünf! Früher wurde viel vertuscht, vor allem interne Vorgänge, über die heute offener gesprochen wird. Auch andere Meinungen sind jetzt möglich. Was die Bischöfe zum Beispiel auf der Vorsynode geäussert haben, hätte man früher nie sagen dürfen. Da wäre man gemassregelt worden. So denkt man nicht! Es gab Denkverbote. Ich bin ein alter Sokratiker und sehe nicht ein, warum man nicht denken darf. Der heilige Paulus hat ausserdem immer von der Redefreiheit gesprochen.

«Ich bin ein alter Sokratiker und sehe nicht ein, warum man nicht denken darf.»

zentral+: Martin Werlen fuhr Rollbrett und twitterte, Sie spielen in einer Rockband E-Gitarre und standen sogar 2008 mit Deep Purple auf der Bühne. Wollen Benediktiner-Äbte auffallen?

Wolf: Das ist doch normal. Es drückt Lebensfreude aus. Ich finde übrigens auch Motorradfahren ganz toll. Für mich ist Christentum Lebensfreude.

zentral+: Wird unter Papst Franziskus in der katholischen Kirche alles besser?

Wolf: Es ist ein Paradigmenwechsel passiert. Den sieht man aber auf unserer Seite der Alpen nicht. Die Leute hier wollen Strukturveränderungen. Als ob Strukturveränderungen Leben erzeugen würden. Es geht jedoch um etwas anderes. Bei der neuen Vorlage für die Herbstsynode der Bischöfe wird zum Beispiel betont: «Wir wollen nicht wissen, was im Katechismus steht, also in der Dogmatik und dem Kirchenrecht, sondern, wie es den Menschen geht.»

«Papst Benedikt ist mit Büchern aufgewachsen, Papst Franziskus zwischen Menschen.»

zentral+: Was ist der Unterschied zwischen Franziskus und Benedikt?

Wolf: Der Südamerikaner ist einfach völlig anders sozialisiert. Das können wir uns kaum vorstellen, was es heisst, in dieser Einfachheit unter Menschen aufzuwachsen. Ich war kürzlich in Argentinien und habe das erlebt. Im Gegensatz zu Europa, wo ein hochbegabtes Wunderkind wie Joseph Ratzinger zwischen Büchern aufgewachsen ist (Anm.d.Red. der frühere Papst Benedikt XXVI). Ratzinger ist quasi immer auf dem Präsentierteller herumgereicht worden. Das löst einfach in einem Menschen eine ganz andere Denke aus. Es geht jetzt auch nicht darum, nur das Neue zu finden, zu analysieren, was Franziskus bereits verändert hat. Sondern man sollte das Ganze wahrnehmen, den Paradigmenwechsel.

zentral+: Noch eine Frage zum Weltgeschehen. Sie haben vom CIA-Folterbericht gehört. Die US-Amerikaner berufen sich gerne auf den christlichen Glauben. Christen tun das Moslems an. Was sagen Sie dazu?

Wolf: Das wusste man ja. Wenn es bei den Amerikanern um Sicherheit geht, drehen die durch. Das ist das alte Denken von Rache und Strafe. In den USA gibt es nur schwarz oder weiss, richtig oder falsch, keine Grautöne. Das differenzierte Denken, das wir in Europa pflegen, ist kein Thema.

Foundation Benedict Luzern

Die Foundation Benedict ist eine 2007 gegründete gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Luzern. Sie unterstützt weltweit gemeinnützige Bemühungen auf dem Gebiet der Kultur, Wissenschaft, Bildung (vor allem Sprachen, Philosophie, Theologie und andere geisteswissenschaftliche Disziplinen), Denkmalpflege sowie sozial-karitative und humanitäre Werke. Insbesondere diejenigen, die in einem Zusammenhang mit Menschen, Klöstern und Organisationen stehen, welche sich an der Regel des Benedictus von Nursia orientieren. Speziell fördert die Foundation Benedict die gemeinsamen Werke und Aufgaben der Confoederatio Benedictina, zum Beispiel die Hochschule Sant’Anselmo in Rom.

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